Predigt zu 1. Korinther 1,18-25

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Predigt zu 1. Korinther 1,18-25

Paulus sitzt auf dem Sofa und nimmt übel | Predigt über 1. Korinther 1,18-25 am 5. Sonntag nach Trinitatis (4. Juli 2021) | von Bernd Giehl |

Nehmen wir einmal an, die Evangelische Kirche würde eine Werbeagentur beauftragen, einen Film über den Glauben zu machen. Sie möchte Menschen, die sich entfremdet haben, den Glauben wieder näherbringen. Die Agentur sucht nach einer Geschichte, die möglichst glaubwürdig die Inhalte der christlichen Botschaft transportiert und gleichzeitig neu und überraschend wirkt. Nach längerem Suchen wird sie auf die „Harry Potter“-Reihe der Schriftstellerin Joanne K. Rowling aufmerksam und beschließt, die Geschichte von Harry Potter als Transportmittel zu benutzen.

Der kleine Harry P. lebt also bei Onkel Vernon und Tante Petunia im Besenschrank; er hat einen etwa gleichaltrigen Cousin Dudley, der ihn quält, wo immer er kann, aber zugleich kann er sich ein Leben außerhalb seiner misslungenen Pflegefamilie nicht vorstellen.  Er hat auch keinerlei Erinnerungen, wie es war, bevor er nach Little Whinging in den Ligusterweg kam. Er war noch ein Baby, als Lord Voldemort, der Anführer der Armee der Bösen, seine Eltern James und Lilly Potter tötete, ihm selbst aber nichts anhaben konnte und dabei scheinbar selbst ums Leben kam. Die Dursleys scheinen die schlechteste Wahl für die Wahl als Pflegefamilie für einen kleinen Zauberer zu sein, aber es ist Albus Dumbledore, der Leiter von Hogwarts, dem Zauberinternat, der die Familie, in der Harry Potter aufwachsen soll, ausgewählt hat.  An seinem 11. Geburtstag kommen die Eulen mit der Botschaft, dass Harry vom Zauberinternat Hogwarts aufgenommen worden ist und am 1. September sein neues Schuljahr beginnen soll. Für den Onkel und die Tante ist das die Katastrophe schlechthin; sie lieben ihren Pflegesohn zwar nicht, aber noch viel weniger wollen sie, dass er das Erbe seiner Eltern antritt. Sie hassen alles, was mit der magischen Welt zu tun hat; besser er vegetiert weiter im Besenschrank.

So schlecht er auch in der Welt der Muggles, also der nichtmagischen Menschen behandelt werden mag; in der magischen Welt ist Harry schon berühmt, als er den ersten Tag in Hogwarts beginnt. Er ist der „Junge, der lebt.“ Seine Geschichte ist in den magischen Familien wieder und wieder erzählt worden, wie der Auszug aus Ägypten bei den Juden. Er ist der, der den altbösen Feind, „ihr wisst schon wer“, besiegt hat.  Es gibt zwar eine dunkle Ahnung, dass Satan Voldemort wieder auferstehen wird, aber wenn überhaupt einer Voldemort besiegen kann, dann ist es der „Junge, der lebt.“

Es gibt viele Stellen, die die Besonderheit von Harry Potter zeigen, vor allem die, dass er niemanden tötet, auch wenn er es mit seinem Zauberstab leicht könnte. Nur einmal ist er nahe daran, als in einem heftigen Kampf die Hexe Bellatrix ihren Cousin, Sirius Black tötet, Harrys Patenonkel, der für ihn so etwas wie der lang vermisste Vater ist. Blind vor Schmerz lässt er die anderen kämpfen und stellt Bellatrix. Er kann sie besiegen und ist kurz davor, sie zu töten, als Voldemort plötzlich neben ihm steht und ihm einflüstert, den tödlichen Fluch zu benutzen. Eine seiner treuesten Anhängerinnen gilt ihm nichts gegen den Wunsch, Harry Potter auf seine Seite zu ziehen. Mit knapper Not entkommt Harry der Versuchung.

„So, so“, sagt Paulus, der auf meinem Sofa sitzt, meinen Riesling trinkt und bisher noch keinen Ton gesagt hat, „das also ist deine Vorstellung vom christlichen Glauben. Ein Wunderkind, das am Anfang nichts von seinen Fähigkeiten weiß und am Ende den großen Voldemort besiegt.“

Das kenne ich schon. Immer wenn ich eine Predigt über einen seiner Texte verfasse, deren Tenor ihm nicht gefällt, sitzt er auf meinem Sofa, trinkt meinen Wein und nimmt übel.

„Das ist nicht meine Vorstellung vom Glauben“, berichtige ich ihn. „Das ist die Vorstellung der Werbeagentur, die einen Film im Auftrag der EKD gemacht hat. Du erinnerst dich vielleicht.“

„Und die EKD hat in deinem Auftrag gehandelt.“

„Wenn du so willst.“

„Fragt sich nur, wo das Kreuz bleibt.“

Du und dein Kreuz, möchte ich am liebsten sagen. Aber ich schlucke die Bemerkung hinunter. Stattdessen sage ich: „Du erinnerst dich an eine der letzten Szenen? Als Harry sich auf seinen letzten Weg macht, nach der Schlacht um Hogwarts?“
„Natürlich erinnere ich mich“, sagt Paulus. „Hältst du mich für so vergesslich?“

„Er muss sich Voldemort stellen. Und er weiß, Voldemort wird ihn töten. Der dunkle Lord hat ein Duell auf Leben und Tod mit ihm gefordert; dafür wird er die Schule und alle seine Freunde verschonen. Harry ist klar, dass er den Todesfluch nicht über die Lippen bringen kann. Nicht einmal gegenüber Voldemort, der seine Eltern und so viele seiner Freunde getötet hat. Er weiß, dass er sterben wird, stellvertretend für alle, die er liebt. Denn Voldemort sind all die Skrupel, die er selbst hat, völlig fremd.“

„Eine beeindruckende Szene“, sagt Paulus. „Selbst ich muss das zugeben.“

„Aber den christlichen Glauben stellt es immer noch nicht da?“

„Nein“, sagt Paulus, „das alles ist es noch nicht.“

So kenne ich ihn. Was den Glauben anbetrifft, hat er seine eigenen Vorstellungen. Manchmal hat er Schwierigkeiten, dies anderen Menschen zu vermitteln. Aber daran ist nach seiner Meinung nicht er schuld, sondern die anderen. Solche Dialoge habe ich schon des Öfteren mit ihm geführt. Manchmal habe ich den Eindruck, er allein kennt die Wahrheit. Mag sein, dass meine Vorstellung vom Apostel Paulus etwas ungerecht ist, aber so kommt er mir vor. So ähnlich wie der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, der im 19. Jahrhundert die christliche Kirche reformieren wollte, aber dabei den Zugang zum Glauben so schwer wie möglich machte.

Aber gehen wir einmal von dem aus, was wir von Paulus wissen. Die Gemeinde in Korinth hat sich in verschiedene Fraktionen gespalten. Jede von ihnen behauptet, etwas Besonderes zu sein. Jede versucht, die andere an Weisheit oder Erkenntnis zu übertreffen. „Weisheit“ ist das Stichwort. Wer also weise ist, gilt in den Augen der Korinther als herausragend. Das ärgert Paulus maßlos, und so setzt er dem seine „Narrenpredigt“ entgegen. Die Rede vom Kreuz Christi klinge in ihren Ohren wie die Rede eines Narren, behauptet er. Und das sei sie ja auch in den Ohren der Welt, gleich ob sie Juden oder Griechen seien. Ein Gekreuzigter, der der Welt Heil bringe, das könne sich kaum einer vorstellen.

Warum ist Paulus an dieser Stelle so kompromisslos? Warum kommt er den Korinthern nicht wenigstens ein bisschen entgegen? Ich denke, weil er keinen anderen Weg zu Gott sieht als den der Demut. Gott ist heilig; der Mensch ein Sünder. Gott bietet ihm seine Gnade an, aber er verlangt, dass der Mensch sie auch annimmt. Dazu muss er aber erst einmal anerkennen, dass er Gnade nötig hat. Übersetzt in die Sprache der Korintherbriefe: es ist gerade die törichte Botschaft vom Kreuz, die ihnen die Wahrheit verkündigt. Oder meinetwegen das, was sie Weisheit nennen. Nur dass diese Weisheit ihnen wahrscheinlich nie einleuchten wird. Weil sie nämlich sagt: All eure Leistungen und eure guten Taten zählen nichts vor Gott. Ihr könnt euch anstrengen, wie ihr wollt: Es wird euch nichts nützen. Die Rechtfertigung, die vor Gott gilt, die muss euch geschenkt werden. Davon kann er nicht abrücken. Lieber schlüpft er in das bunte Gewand eines Narren, als dass er auch nur ein Jota davon zurücknimmt.

Gelten wir als Narren, wenn wir in Zukunft behaupten, es käme nicht darauf an, ob einer reich oder arm, berühmt oder unbekannt, talentiert oder talentfrei, Vorstandschef oder Hilfsarbeiter sei, sondern nur darauf, ob er aus Gottes Gnade lebe? Ehrlich gesagt; ich weiß es nicht. Seitdem unsere Gesellschaft nach den kleinsten Minderheiten sucht, denen sie endlich zu ihrer Anerkennung verhelfen kann, bin ich mir da nicht so sicher. Diese Suche nach Minderheiten, die noch nicht genügend Schutz bekommen, läuft seltsam quer zu dem Prinzip, das der Beste gewinnt und Leistung belohnt wird.

Und doch habe ich den Eindruck, dass das Prinzip „Leistung wird belohnt“ nicht außer Kraft gesetzt worden ist. Wer sich darauf berufen würde, dass er ein schwacher Mensch ist, aber gerade deshalb von Gott angesehen ist, der würde allenfalls ein mildes Lächeln bekommen, aber keine neue Stelle.  Nicht Demut oder gar das Eingeständnis von Schwäche gelten in dieser Gesellschaft, sondern Durchsetzungsvermögen, Leistungsbereitschaft und der Wille, es den Anderen zu zeigen. Koste es, was es wolle.

So gesehen ist es also nicht ungefährlich, den Prinzipien des Paulus zu folgen. Bei aller Kritik an seiner vermuteten Selbstherrlichkeit: Er könnte Recht haben.

An dieser Stelle kommt mir ein Gedanke, der vielen zwar nicht einleuchten wird, der aber dennoch naheliegt. Manchmal wünsche ich mir ein wenig mehr „Torheit“, auch in unserer Kirche. Zu Ostern wurden in meiner Region so gut wie keine Gottesdienste gefeiert, an denen man leibhaftig teilnehmen konnte. Der Ruf „Christus ist auferstanden“ erklang bestenfalls im virtuellen Gottesdienst, an dem man per „Zoom“ im Internet teilhaben konnte. In einer Gemeinde in meiner Region war dafür die Kirche offen; man konnte sie mit Maske besuchen, ein stilles Gebet sprechen und abgepacktes Abendmahl mitnehmen oder an Ort und Stelle konsumieren. Mir kam es weniger wie Auferstehung als wie der Sieg des Todes über das Leben vor. Oder wie die Botschaft: Ostern war gestern.

„Aber Corona“, wird es mir entgegenschallen. Ich weiß, liebe Brüder und Schwestern. Aber man hätte ja auch im Freien feiern können. Die Katholiken haben es auch irgendwie hinbekommen.

An dieser Stelle setzten die Protestanten anscheinend auf die Vernunft. Die Wissenschaft sagte, man solle Kontakte möglichst vermeiden, also handelte man danach. Irgendwann würde schon ein neues Ostern folgen, das man in Gemeinschaft begehen könnte und wer nicht bis dahin warten wolle, der könne ja den Fernsehgottesdienst einschalten. Das schien vernünftig, aber war es auch mutig? Regte es gar zur Hoffnung an?

Ich fürchte nein. Glaube will gelebt werden und zwar mit anderen. Und deshalb braucht es hin und wieder auch ein bisschen Mut. Oder wie Paulus vielleicht sagen würde: Die Bereitschaft sich einen Narren nennen zu lassen.

Manchmal ist er nicht leicht zu verstehen. Und doch könnte er recht haben.

de_DEDeutsch