Predigt zu 1. Korinther 1,18-25

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Predigt zu 1. Korinther 1,18-25

Entschämung | 5. Sonntag nach Trinitatis | 04.07.2021 | Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 | verfasst von Udo Schmitt|

Als ich noch ein Kind war, da fuhren wir Jahr für Jahr ins Allgäu. Einmal war die Pension so voll, da hatten wir das Zimmer direkt unter dem Dach. Und genau gegenüber von unserem Zimmer hing ein Kruzifix. Das reichte von der Decke bis zum Boden, so groß war es. Fast lebensgroß hing er da. Plastisch. Lebensecht. Blutüberströmt. Leidend. Furchterregend. Und immer, wenn ich daran vorbei musste – und man konnte gar nicht anders, wenn man zur Treppe wollte – dann hab‘ ich mich ein wenig gegruselt und gefürchtet. Und nachher dafür geschämt.

Ich kann die verstehen, die sagen: Ich möchte nicht da hinschauen müssen. Im Gerichtssaal. Es ist das abschreckende Bild eines zu Tode gefolterten Menschen. Und die auch nicht möchten, dass es in den Schulen und Klassenzimmern aufgehängt wird. Der Kabarettist Michael Mittermeier stellte es einmal dar, wie Generationen von bayrischen Kindern in der heimischen Küche unter dem Kreuz saßen und ermahnt wurden, wenn sie ihren Teller nicht aufessen wollten: „Bub, siehst du den da…“ (Geste: Nicken, Teller aufessen).

Das Kreuz mit dem Kreuz. Ein Bild, das stört – verstört – empört. Weg damit? Nein. Obwohl. Ich mein – in unserer reformierten Tradition im Bergischen Land hier, haben wir ja oft gar keine Kreuze mehr – nicht in den Küchen und Klassenzimmern. Manchmal nicht einmal in den Kirchen oder Friedhofskapellen, zum Beispiel in Wuppertal: Da ist dann so ein neutrales Farbgewitter an der Wand. Wenn überhaupt ein Kreuz hängt, dann meist nur das ganz schlichte Kreuz ohne Corpus daran. Die Begeisterung anderer Konfessionen und anderer Zeiten für die Darstellung von Blut und Leid konnten wir Evangelischen nie so ganz verstehen. Ich mein – es scheint fast, als könnte es manch einem Maler gar nicht blutig und gruselig genug sein. Wenn schon, bitteschön, dann leben wir doch nach Ostern – aber diese Gruselshow und permanente Erinnerung an Karfreitag… irgendwie komisch.

Das Kreuz mit dem Kreuz. Hatten die Christen schon von Anbeginn. Auch schon zu einer Zeit als das Kreuz noch gar nicht das Symbol der Christen war. Das wurde es erst im Laufe der Geschichte. Die ältesten Darstellungen Jesu zeigen ihn als guten Hirten. Oder sie benutzten den Fisch als geheimes Erkennungszeichen. Aber wie dem auch sei… auch schon die ersten Christen hatten ihre Mühen mit dem Kreuz. Zum Beispiel die Gemeinde in Korinth.

Sie störte sich daran, dass Paulus nicht irgendwie „netter“ war in seinen Predigten, eleganter, smarter, gewinnender, locker und gut drauf. Konnte er nicht genauso lustig sein wie andere? Eine bequeme, helle Wellness-Wohlfühl-Heilsbotschaft bieten, so nach dem Motto: Ich bin O.K., du bist O.K., every time fairplay! So wie die FIFA und UEFA. Die mit einem charmanten Lächeln Millionen scheffeln und für Fairplay und natürlich gegen Rassismus sind. Ehrensache! Sind doch alle nett da, oder? Die verstehen etwas von Marketing. So muss man rüberkommen! Das ist smart, das ist clever. Weise Jungs da, die wissen, wie man etwas macht…

Stattdessen kam dieser Paulus immer wieder auf das Kreuz zu sprechen. Wie wichtig das doch sei. Tod, Sterben, Schuld, Vergebung. Sie konnten es schon nicht mehr hören. Es kam ihnen schon zu den Ohren raus. Aber hören wir doch selbst einmal rein, was Paulus ihnen schreibt: TEXTLESUNG

Soweit Paulus. Das Kreuz: ein Ärgernis auch damals schon. Die Juden störten sich daran: Wie kann das sein, fragten sie: Das soll Gott sein? Der Retter Israels, der große Held, der die Welt befreit – hingerichtet als Verbrecher, verflucht, verspottet – ihr macht wohl Witze! Nein, das kann nicht Gott sein. Hört auf so einen ärgerlichen Unsinn zu erzählen. „Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“.

Die Griechen, die hier für die Heiden stehen, fragen nach Beweisen, nach Weisheit, Verstehbarkeit, Logik und Vernunft. Das macht doch alles keinen Sinn, was du da erzählst Paulus, deine Geschichten vom Kreuz. Wenn Gott die Welt retten will, wieso wählt er dann diesen komischen Weg? Wozu das grausame Spektakel? Hätte Gott nicht ein paar Lichtgestalten schicken können, Engel, Götterboten, geflügelte Wesen? Ja, das wäre was gewesen, aber ein Mensch geschlagen, gequält und getötet am Kreuz? Nein, das gefällt uns nicht, das ist uns zu wenig.
„Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“.

Heute wie damals. Damals wie heute – ist das Kreuz lästig, unbequem. Die einen ärgern sich daran, die anderen spotten darüber. Weg damit! Weg damit! Wir wollen anderes sehen. Dinge, die lustiger sind, bunter, fröhlicher. Wir wollen Helden sehen, Menschen, deren Schönheit uns schwärmen lässt. Menschen, deren Erfolge uns träumen lassen, Stars, in deren Glanz wir uns spiegeln. Solche Bilder würden uns gefallen, Popsternchen und Fußballstars, das sind Ikonen unserer Zeit, das sind Helden, wie wir sie leiden mögen. Gewinnen sie, dann feiern wir sie; verlieren sie, dann feuern wir sie und vergessen sie schon bald.

Gott aber hat ein anderes Bild gewählt. Er hat dieses Bild gewählt: Ein Mensch voller Liebe, am Ende einsam, verlassen von Freunden, verspottet von Feinden, gefoltert und getötet. Ein Mensch voller Leid.

Klar wir mögen dieses Bild nicht. Darin spiegelt sich nicht unsere Größe und Schönheit. Darin spiegelt sich, was ein Mensch dem anderen antun kann: der Hass, die Gewalt, die Niedertracht, die von uns Menschen ausgeht. Nicht Gott hat diesen Menschen zum Tode verurteilt – sondern Menschen. Von unserer Seite aus, sehen wir das Bild nicht gern. Es ist dunkel von unserer Seite her. Aber für Gott ist es ein Lernprozess. Er hat gelernt, wie es ist, ein Mensch zu sein. Er hat sich beschämen lassen. Für uns.

Letzte Woche haben wir im Männerkreis das Thema Scham behandelt. Wir haben gesehen, wie gleich von Beginn an, angefangen mit Adam und Eva und dann Noah bis Hosea, das Thema „Scham“ das AT durchzieht. Wie es immer wieder darum geht, dass Gottes guter Name nicht beschädigt werden soll, durch das beschämende Verhalten der Menschen bzw. Israels. Offensichtlich kann Israel Gott beschämen. Und so fordert Gott „um seines Namens Willen“ die Gläubigen auf, ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen, damit „haschem“, der Name, nicht beschädigt, mit Scham belegt wird. So soll es sein. Eigentlich. Und dann geschah es doch. Immer wieder. Mit all den schmerzhaften Konsequenzen, die das dann nach sich zog. In all den Rückschlägen und Niederlagen, die Israel erlebt hat, erlitten hat im Laufe seiner Geschichte. So erkannten es und deuteten es die Propheten, so erklärten es sich die Geschichtswerke.

Jesus nun hatte einen anderen Ansatz. Er fand es richtig, aus dieser Spirale von Schuld und Scham herauszukommen. Und er fing damit an, sich an die Seite von Schuldigen und Beschämten zu stellen. Er sah sie mit anderem Blick. Er sah sie mit einem Anders-Blick. Nicht als Zöllner, Sünder oder Ehebrecherin, sondern als verlorene Söhne und Töchter. Er wollte sie nicht ausgrenzen oder gar ausmerzen aus der Gemeinschaft, sondern sie zurückholen und wiedergewinnen. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein… Dadurch wiederum fühlten sich die Frommen, die Anständigen und Wohlmeinenden beschämt – und reagierten empört: Wie kann er nur? Mit denen?

Am Ende sehen wir Jesus ganz beschämt – im Passionsgeschehen. Er lässt sich selbst demütigen und nackig machen, ohne Kleider. Im Kleid war für den antiken Menschen das Ich geborgen, geschützt. Den Menschen seiner Kleider zu berauben, bedeutete einen tiefen Eingriff in seine Persönlichkeit. Und so lässt sich Jesus, und in ihm Gott selbst, beschämen, ist nackt und ungeschützt unter uns Menschen. Oder besser gesagt: darüber. Seht hin, da hängt er. Die Soldaten unter dem Kreuz spotten. Und hüllen sich doch unwissentlich in Gottes Gewand, in Seinen Schutz, – auch, wenn sie gerade das Schlimmste tun, wenn sie nicht wissen, was sie tun, oder es wie der Hauptmann erkennen, was sie tun, sind sie doch von IHM, seiner Liebe umgeben. Er breitet seine Arme über ihnen aus.

Ein Paradox. Kaum zu ertragen. Gott lässt sich im NT beschämen, muss aber nicht mehr fürchten, wie noch im AT, sich zu schämen. Diese Gottesfurcht ist in Jesus überwunden. Und so schämt sich auch Paulus des Evangeliums nicht, Römer 1, und auch nicht der Vielzahl an Demütigungen, weil Gott selbst Scham getragen hat. Paulus rühmt sich stattdessen seiner Leiden. Und fühlt sich darin ganz nah dem Herrn, Jesus, dem er folgt.
„Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“.

Aber gerade in den ausgebreiteten Armen des Gekreuzigten hat Gott die Welt umfangen. Und sie gesegnet. Auch die gesegnet, die ihm fluchen. Die ihn verfolgen, verachten und vernichten wollen. Der Segen Gottes liegt auf uns. Wie der Segen ganz am Ende des Gottesdienstes, ist er Gottes Dienst an uns. Er ist für mich so eine Art Entschämungsritual. Er erinnert mich daran, dass Gott mich erlöst und befreit. Am Kreuz. Gott mit seinem „Andersblick“ lässt mich zu. Ich muss mich nicht mehr schämen. Er breitet seine offenen Arme aus, und umarmt damit die Welt. Auch mich und dich. Und darum ist für mich das Kreuz, so gesehen, nicht mehr finster und furchteinflößend, sondern hell und heilsverheißend. Und das habe ich bei Paulus gelernt, und nun kann ich auch verstehen, warum der so gerne davon spricht.

Liedvorschläge:

Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken (EG 91,5-6)

Im Dunkel unsrer Ängste (HuE 406)

Jesu geh voran (EG 391)

Gott liebt diese Welt (EG 409)

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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