Predigt zu Jesaja 6,1-8

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Predigt zu Jesaja 6,1-8

Wir, die vergebenen Sünder | 5. Sonntag nach Trinitatis | Jesaja 6,1-8 ( Dänische Perikopenordnung) | Von Rasmus Nøjgaard | 

Ich glaube nicht, dass ich jemals einem Menschen begegnet bin, der in seinem innersten Wesen in seinem schlimmsten Augenblick ohne Glauben ist. Alle, denen ich begegnet bin, haben das Gefühl, einen Glauben zu haben. In unsrem so reichen und differenzierten Bewusstsein lebt der Glaube mit. Ich habe selbst nicht genug Phantasie, um mir vorzustellen, in der Welt zu leben, ohne dass der Glaube eine Rolle spielt, vielleicht bei jemandem als ein schwaches Vibrieren auf einer zweiten Geige.

Wir alle haben ein Bewusstsein, das so reich und vieldeutig ist, dass wir alle den Zweifel und die skeptischen Fragen der Vernunft kennen. Aber der Glaube ist dennoch vorhanden, auch wenn er in der Defensive oder ganz verborgen ist.  Das ist wie mit der Angst im Dunkeln. Auch wenn wir sehr wohl wissen, dass da niemand hinter dem Bettgestell lauert, schaudern wir in der Dämmerung. Selbst wenn wir verletzt sind und zornig, können wir uns nicht befreien von der Liebe, die uns mit dem anderen verbindet. Ist es nicht allgemeinmenschlich, dass wir mit der Liebe leben – und auch mit dem Glauben? Wir können davor fliehen, uns verstecken, darüber lachen und diesen Glauben lächerlich machen, aber er existiert. Manchmal sind wir gezwungen, uns von ihm loszusagen. Das ist der Fall, wenn unser Zusammenleben die Bedingungen dafür zerstört, dass wir in Geborgenheit leben und uns frei entfalten können. Und das geschieht, wenn der Glaube, dem wir begegnen, von einer Kirche präsentiert wird, die sich um uns verschließt und unseren Ausblick in die Umwelt versperrt, die ansonsten unsere Möglichkeiten für Gemeinschaft und Gegenwart enthält. Das brennende Feuer kann leuchten und wärmen, es kann aber auch alles verzehren. Das gilt auch für die Liebe und den Glauben.

In der Taufe gibt sich Gott als der zu erkennen, der sein Geschick mit uns teilen will. Wir können das am besten so beschreiben, dass Gott jeden einzelnen dazu aufruft, sein Kind zu sein. So wie wir mit unseren eigenen Eltern und unsere Familie verwandt sind, so treten wir ein in die Familie Gottes und teilen Leben und Schicksal miteinander. Wenn uns im Abendmahl Brot und Wein gereicht werden, haben wir Teil am Leben Jesu, so dass Leib und Blut von unserem gemeinsamen Leben, Tod und Auferstehung zeugen. Vom Bad der Taufe und dem Tisch des Herrn entspringt das Gotteswort, das Wort, das uns zum Glauben an die verwandelnde Kraft der Vergebung und der Auferstehung ruft.

Die Taufe ist ein Ruf, ein weit tieferer Ruf an den Glauben, der schon in uns lebt und der erweckt werden kann und dem wir folgen können. Deshalb geschieht der Ruf hier in der Kirche in gemeinsamer Vertrautheit, weil wir wissen, dass nach dem Ruf die Nachfolge kommt. Die Erziehung, die Ermahnung, die Nächstenliebe. Und dabei ist uns die größte Gabe von allen geschenkt, wenn wir das Wort Jesu hören, dass er mit uns ist und uns unsere Fehler vergibt. Wir sind vergebene Sünder. Das ist nicht so schwer zu verstehen, denn wer von uns kann den ersten Stein werfen und sich selbst als rein und gewaschen ohne Fehler und Mängel hinstellen? Wir sind doch keine Götter, sondern Menschen. Eben menschlich. Solche Leute, die selbst Gott lieben kann und beschützen, so dass wir uns wertvoll fühlen können, würdig, Gottes Kinder genannt zu werden. Denn wir sind es.

Simon Petrus wurde wie das Kind bei der Taufe nie gefragt. Sie werden beide berufen. So wie der Evangelist Lukas die Geschichte geschrieben hat, konnte sich Petrus nicht verweigern. Das kann das Kind bei der Taufe auch nicht. Einer unserer festen Kirchgänger erzählte davon, wie damals seine Tochter unter großem Geschrei von Pastor Carl Lilleør getauft wurde, der die Taufhandlung mit der Bemerkung abschloss, dass das Taufkind nun und zwar sehr gegen seinen Willen getauft wurde … Dasselbe gilt für den Propheten Jesaja, der von seiner eigenen Berufung erzählt, die auch nicht geprägt war von Freiwilligkeit. Sie Seraphen lassen die Tore wackeln, der Raum wird erfüllt von Rauch, und mit einer Zange nimmt der Seraph ein Stück glühende Kohle und berührt die Lippen Jesajas. Unter diesen Umständen kann ich sehr gut Jesaja folgen, der trotz Schrecken und Entsetzen nichts anderes zu sagen wagt als: „Hier bin ich, sende mich!“

Die Berufung kann in dieser Weise sowohl ganz unmittelbar sein, fast naiv, aber auch furchterregend. Einer meiner theologischen Lehrer, der Kirchenhistoriker und Lutherforscher Leif Grane, provozierte stets seine neuen Studenten mit seiner unmodernen Unwissenschaftlichkeit: Wenn Gott wirklich existiert, dann sind wir in Bezug auf Gott unfrei. Aber in unserer Unfreiheit hat er uns in seiner Liebe befreit – mit dem Befehl, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst. Grane war nicht umsonst der größte Anhänger der Unfreiheit des Willens, aber auch der Auffassung, dass uns erst in der Erkenntnis dessen, dass Gott Richter und Befreier zugleich ist, ein Glaube geschenkt wird, der uns dazu befreit, für den anderen zu leben. Es geht für uns nicht darum, unsere eigene haut zu retten, sondern für einander zu leben. Das ist unsere Rettung.

In dieser Vorstellung ist die Wahrheit enthalten, dass wir in Wirklichkeit ganz unfrei machen und uns für ewig an unser eigenes Ego, unseren eigenen Körper und unseren eigenen Verstand binden, wenn wir nicht verstehen, dass wir gebunden sind durch die Geschichte, unsere Familie, das Volk, die Nation und den Glauben. Wir sind unfrei, weil wir glauben, selbst all die Antworten zu kennen, die die Welt stattdessen enthält – die Geschichte, die Wissenschaften, den Glauben an Christus. Es ist eine furchtbare Geißel, sich selbst als Maßstab für andere zu benutzen und seine eigene Wahrheit zu propagieren. Das ist auch die Geißel unserer Zeit, wo prominente Stimmen, die sich Vertrauensstellungen erworben haben, Rechtes für falsch und Falsches für recht erklären. Dasselbe gilt auch für die ganze sexuelle Machtkultur, die nicht versteht, dass etwas verkehrt war, weil es allgemein anerkannte Norm war. Aber das war eine schändliche Norm, die sich erst jetzt ändert, wenn wir gemeinsam darüber nachdenken und unsere Verantwortung wahrnehmen. Denn auch wenn wir teilhatten an der pervertierten Norm, sind wir doch immer noch Kinder Gottes. Auch das müssen wir uns alle bewusst machen, dass Bekenntnis und der reuige Wunsch nach Vergebung gehrt werden soll und Antwort erfahren soll, wenn die Zeit reif ist für Vergebung und Versöhnung.

Simon Petrus ist entsetzt über die Macht Jesu über das Meer, über alles Lebende und sogar über die Willkür, er fällt auf die Knie, und wie Jesaja bittet er um sein Leben und sagt: „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch“. Er kennt noch nicht die verwandelnde Kraft Jesu, sondern verwechselt sie mit einer Zauberkraft.

Das heutige Evangelium ist ein Blitzschlag, ein Donnerschlag, ein erster Ruf.

Das Schöne an dieser Erzählung ist, dass wir uns so gesehen keinen Millimeter bewegt haben. Wir sind wie Petrus noch immer die Kirche der Torheit, eine Versammlung von Verleugnern und Zweiflern, wenn es darauf ankommt, und dennoch sind wie die, die Gott ruft und in seiner Gnade als seine Gemeinde segnet. Wie in der Taufe, die nicht etwas ist, was unsere Taufkinder wünschen, aber etwas, was wir ihnen gerne geben, eine Gnadengabe, die es erhält, ohne seinen Wert zeigen oder eine Prüfung bestehen zu müssen, eine Gabe aus Liebe jetzt und immerdar.

Jesus brauchte keine Gebäude oder Rituale. Evangelisches Christentum feiert nicht die verborgene Wahrheit, sondern verkündet den offenbarten Christus. Das ist etwas ganz anderes. Wir feiern nicht das Unsichtbare, das Mystische und all das, was nicht wirklich ist. Wir feiern die Bedeutung des Ereignisses, von dem wir hören: Dass das Leben Christi, sein Tod und seine Auferstehung auch uns gelten. Das ist die Botschaft, in der wir das Leben feiern, das wir haben, weil das Göttliche sich eben hier in unserem eigenen Leben zeigt. Als ein Menschenkind, als ein ermunter5nder Blick von einem Fremden auf der Straße, als ein G ruß per SMS, als Wort und Musik, die uns erheben und dem Alltag Bedeutung verleihen. So dass wir jeder für sich den Ruf hören: „Komm, folge mir“!

Wir können den Glauben nicht immer spüren, aber wenn wir in die Kirche zum Gottesdienst kommen, dann deshalb, weil wir den Ruf hören und ihn uns anrühren lassen sollen:

Komm, folge mir. Ich tröste den Traurigen, ermuntere den Kranken und vergebe jedem, der glaubt.

Komm, folge mir!

Amen

 

Pastor Rasmus Nøjgaard

DK-2100 København Ø

Email: rn(at)km.dk

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