Predigt über Johannes 3,1-8

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Predigt über Johannes 3,1-8

Alle denken trinitarisch | Sonntag Trinitatis 30.Mai 2021 | Predigt über Johannes 3,1-8 | verfasst von Ulrich Wiesjahn |

Liebe Gemeinde!

Heute steht im Mittelpunkt der Predigt eine meiner Lieblingsgeschichten aus dem Neuen Testament. Sie befindet sich ziemlich am Anfang des Johannesevangeliums. Und Johannes der Evangelist ist für mich nicht nur ein großer Dichter und Komponist, sondern zugleich ein großer Philosoph, der über die wesentlichen Dinge des christlichen Glaubens besonders tiefbohrend nachdenkt. Doch dazu nachher mehr.

Denn jetzt will ich erst einmal unsere Gedanken auf den Namen und die Bedeutung unseres Sonntags lenken: Er heißt Trinitatis, was man mit Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit übersetzen kann. Da ahnen wir schon, dass wir es mit einem schwierigen und umstrittenen Gedankengebilde zu tun haben, nämlich: Wie gehören 1 und 3 zusammen? Was heißt es, wenn sich Einer, also Gott, in der Dreiheit darstellt? Ist denn nun Gott Einer oder zu dritt Vater, Sohn und Heiliger Geist?

Mohammed war einer der frühen Kritiker der göttlichen Trinität, wenn er in Sure 4, Vers 169 sagt: „Glaubt daher an Gott und an seinen Gesandten, sagt aber nichts von einer Dreiheit.“ Für ihn war die Trinität eine Aufzählung – und diese kommt nun mal bis zur Drei. Dieses aneinanderreihende Zahlenverständnis ist bis heute weit verbreitet. Aufgeblüht ist es besonders in der Zeit der Aufklärung.

Aber entspricht dieses aufreihende Verständnis einem tiefergehenden Nachdenken über die Lebendigkeit des Daseins? Ich nehme mir noch einmal die Koransure vor – und siehe da: ich finde in ihr nun auch eine Dreiheit, nämlich Gott, seinen Gesandten und den Glaubensgeist der Angesprochenen. Im lebendigen Leben gibt es jenen vielbeschworenen Zahlen-Monotheismus gar nicht. Wenn Gott der Schöpfer ist, dann gehört das Geschöpf zu ihm und der Geist des Verstehens auch.

Und so müssen wir eine andere Vorstellung wählen, in der die Eins und die Drei keine Gegensätze oder Unsinnigkeit sind. Und da bietet sich die Bewegung und die Raumvorstellung an. Unsere Gottesbeziehung ist dreidimensional wie es Raum und Zeit auch sind. Alle lebendigen Beziehungen, alles Glauben und Verstehen sind trinitarisch: Gott als Schöpfer und Vater, der Mensch als Geschöpf und Kind, der Geist als Medium des Verstehens und Vertrauens. So ist nun einmal das Leben beschaffen. Und aus diesem Grund begehen und betonen wir mit Recht diesen Trinitatis-Sonntag.

Und nun komme ich zu meiner Lieblingsgeschichte, die sich mit dem Verstehen, mit der Gottesbeziehung, kurz: mit dem Heiligen Geist beschäftigt, der zu unserem Glauben einfach gehört. Es ist für mich fast eine romantische Nachtszene. Und da muss ich an Friedrich Nietzsches poetischen Vers denken: „Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.“ So eingestimmt hören wir jetzt die tiefe, nachdenkliche Szene, die uns Johannes im 3.Kapitel vorstellt:

„Es war ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sein denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.“

Liebe Gemeinde!

Für mich hat dieses nächtliche Gespräch etwas Musikalisches. Da gleicht jede Stimme in der Dunkelheit einem Instrument: die fragende und leisere Stimme des Nikodemus und die tiefere und kräftigere Stimme Jesu. Und das Thema und Leitmotiv lautet Geist, wenn es um ein Begreifen Gottes und seines Reiches geht. Geist aber ist etwas anderes als Verstand. Aber was denn nun Geist? Ist es eine Fähigkeit wie die Logik oder die Mathematik? Ist Geist ein Wissen, das man aus alten Schriften gewinnt? Oder ist Geist eine Wunderkraft?

Darauf antwortet Jesus: Nein, der Geist gleicht eher einer Geburt aus einem Mutterleib. Er erlebt etwas Ähnliches wie der Körper: er wird geboren. Und das ist ihm selbst nicht fassbar, nicht erklärbar. Der Geist ist wie der Wind, den niemand beherrschen kann. Der Geist Gottes ist ein Geschenk wie das Leben selbst. Niemand verdankt sich seiner selbst. Doch im Unterschied zum Körper kann der Geist auch im Alter von Neuem geboren werden.

Liebe Gemeinde!

Tiefer werden wir in dieses nächtliche Gespräch nicht eindringen können. Aber wir ahnen wohl alle, dass uns eine Wiedergeburt im Heiligen Geist glücklich machen kann, zufrieden und verständnisvoll. Heiliger Geist, das ist die Nähe Gottes zu uns, die wir entdecken sollen.

Und nun schließe ich mit einer kleinen Meditation zum Trinitatisfest: Mein Vater hat mich gezeugt, meine Mutter geboren. Ich bin ihr Kind, ein neues Wesen. Sie beugen sich über mein Bett, sie lächeln, sie sprechen mit mir. Sie suchen eine Annäherung, eine Beziehung, eine Verständigung mit mir. Und eines Tages werde ich ihnen antworten. Aber von Anfang an kenne ich ihre Stimme, kenne ich ihre Liebe, ihre Freude. Zwischen uns wehte der Geist der Liebe, des Glücks, des Lebens. Sie erlebten und ich erlebte nach der Geburt des Körpers die Geburt meines Geistes.

Mit dieser kleinen Übung möchte ich Sie heute entlassen. Friede sei mit Ihnen!            A m e n.

Pfr.i.R. Ulrich Wiesjahn, Goslar

E-Mail: ulrich.wiesjahn@web.de

Langjähriger Pfarrdienst in Berlin und Goslar, dazu lange zuständig für ein Alten- und Pflegeheim. Autor verschiedenen theologischer und schöngeistiger Werke und Verfasser des Blogs „kritischfromm.wordpress.com“ (auch: Der christliche Blogger) zu Fragen des Christentums in der Gegenwart.

Was heißt es in der Coronakrise,

das Vaterunser zu beten?

 

Vater unser im Himmel! Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

 

Und nun stelle ich die Bitte „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ in die Mitte und Gegenwart und formuliere sie mir jetzt so:

„Gib uns täglich die nötige Vernunft,

die nötige Geduld,

gib mir Mut, Fantasie und Humor,

Kraft zur Stille, Dankbarkeit und Fürbitte.

Zeige mir den großen inneren Raum,

in dem ich frei und ohne Angst (Enge) atmen kann!“

 

Diese Bitte wird von der einen Seite eingerahmt mit Worten über die Vergebung, die ich so übersetze:

„Lass jetzt das Gewesene ruhen,

damit es nicht ausarte in Hass und wütender Schuldzuweisung,

in Rechthaberei und neu aufgewühlten Feindschaften.

Lass das Tote begraben sein und lass mich leben

in deiner Kraft, du vergebender Gott!

Lass mich nicht zurückschauen, sondern jetzt auf dich!“

 

Und daran schließt nun auch wie ein Rahmen die nächste Bitte an „Führe uns nicht in Versuchung!“ Sie will mir auf ihre Weise eine ängstigende Zukunft vom Halse halten. Ich übersetze sie jetzt so:

„Lass mich bedenken, was mich verführen könnte:

nämlich die Ungeduld, die Wut, der Kleinglaube,

die Depression, die Engherzigkeit, die Angst, also Enge.

Halte mich im Glauben fern von diesen Versuchungen

und lass mich offenbleiben zu dir!“

 

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

 

A m e n

(Ulrich Wiesjahn)

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