Predigt über Lukas 16,1-8

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Predigt über Lukas 16,1-8

verfasst von Hansjörg Biener |

Predigttext

„1 Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. 2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.

3 Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln.

4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.

5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7 Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.

8 Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.“

(Lukas 16,1–8)

„Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte…“ – mit diesem merkwürdigen Vers geht der Predigttext zu Ende. Es kann sein, dass Jesus einen damals aktuellen Fall vor Augen hatte, den irgendwie jeder kannte. Wir aber brauchen Zusatzinformationen, bis uns dieser Fall vor Augen steht und wir verstehen können, worauf Jesus mit seinem Lob zielt. Ich möchte deshalb unser Interesse zuerst auf den „ungerechten Verwalter“ richten, also auf die ersten sieben Verse des Predigttextes. Danach komme ich dann zum achten Vers und der Frage, was Jesus mit seinem Lob für die „Klugheit“ der Weltkinder gemeint haben könnte.

Damit die Grundinformation nicht zu trocken wird, habe ich sie in ein Interview verpackt. Es ist fiktiv, aber an historischen Fakten orientiert. Für die Psychologie allerdings bin ich allein verantwortlich.

—eventuell als Szene—

Willkommen zu Galiläa TV. Wir behandeln heute einen Fall, der Schlagzeilen machen wird. Der Verwalter eines großen Landguts ist entlassen worden. Wegen Untreue, wie man hört. Wie es dazu gekommen ist, soll uns der Mann selber schildern. Wir hätten gerne beide Seiten gehört, aber der Besitzer des Landgutes hat uns kurzfristig abgesagt. Wichtige Geschäfte in Jerusalem. Aber auch so wird das Gespräch mit dem Verwalter bestimmt spannend.

Willkommen in unserer Sendung.

Verwalter: Schalom. Danke auch, dass Sie mir die Gelegenheit geben, meine Sicht der Dinge zu schildern. Die Chance hatte ich bisher nicht.

Moderation: Wie man so hört, heißen Sie bei Ihrem Ex-Chef nur noch „der ungerechte Verwalter“. Ich vermute mal, Sie finden das ungerecht, oder?

Verwalter (abgeklärt): Ach, wissen Sie, „Recht“ und „Unrecht“, das sind große Worte. Wenn ich mich so umsehe: Recht hat doch der, der seine Ansprüche durchsetzt. Unrecht hat, wer sich nicht durchsetzen kann. Der Gutsbesitzer hatte sich seine Meinung längst gebildet, bevor ich etwas erklären konnte. Insofern „ungerecht“. Ja.

Moderation: Immerhin können Sie uns alles „erklären“. Und gewiss werden Sie sich auch meinen Nachfragen stellen.

Verwalter: Gewiss doch. Aber zuerst möchte ich Sie etwas fragen: Glauben Sie, dass ein Großgrundbesitzer jemanden als Verwalter anstellt, der als unzuverlässig gilt?

Moderation: Natürlich nicht. Aber manchmal stellt sich erst mit der Zeit heraus, was für einer jemand ist.

Verwalter: Zeit ist ein gutes Stichwort. Die Zeit zeigt, wer man ist und ob man seinen Aufgaben gerecht wird. Die Zeit zeigt auch, ob man mit den Menschen kann und am Ende das Beste für alle herausgeholt hat. Bei uns auf dem Land ist das ein Geben und Nehmen. Von Landgut zu Landgut, aber auch gegenüber den eigenen Pächtern, den Handwerkern und den Tagelöhnern. Wir müssen hier zusammenleben, gut zusammenleben, und ich denke, dafür habe ich eine Menge getan.

Moderation: Am Ende des Tages hat Ihr Gutsbesitzer Ihr, Zitat, „Geben und Nehmen“ offenbar nicht so positiv gesehen wie Sie! Kommen wir mal zu dem Vorwurf, Sie verschleudern fremden Besitz.

Verwalter: Wohlgemerkt: Der Vorwurf lautet nicht Bereicherung! Und Besitz verschleudern? Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Wie kam es wohl, dass ich Öl und Getreide auf Kredit abgeben konnte. Das geht doch nur, wenn „mein“ Landgut mehr abwirft als andere! Für mich war das eine Absicherung für die Zukunft. Nehmen wir an, ich müsste später Öl und Getreide zukaufen, um die Forderungen des Gutsherrn zu erfüllen. An welchen Verwalter eines anderen Gutes würde ich mich als ersten wenden? Das können Sie mir gewiss sagen.

Moderator (will sich nicht zum Prüfling machen lassen): Sagen Sie’s mir.

Verwalter: Das ist doch logisch: Ich gehe zu dem, der mir was schuldet. Mit dem Schuldschein in der Hand habe ich nicht nur ein „Anliegen“, auf das man eingehen kann oder auch nicht. Ich kann sagen: Josef, ich brauche Öl. Micha, ich brauche Getreide. Und ich kann an die Schulden erinnern und erwarten, dass ich bevorzugt bedient werde. Und der Nachlass, den ich auf den Schuldschein gebe, der sichert auch, dass alles fair zugeht.

Moderator: Sie finden also, dass Sie gute Arbeit geleistet haben und dass an dem Vorwurf nichts dran ist.

Verwalter (breit ausführend): Selbstverständlich! Unter den gegebenen Umständen: Natürlich. Anders als der Besitzer des Landguts lebe ich hier. Ich bin mit dem Schicksal des Landguts und den Menschen persönlich verbunden. Sind die Ernten gut, geht es allen gut. Ist die Ernte schlecht, geht es allen schlecht. Kann ich wirklich zu einem Pächter sagen: Gib mir eine feste Summe, nur weil der Grundbesitzer das will? Nein, ich habe ja selber miterlebt, wie gut oder schlecht die Ernte bei dem Pächter ist. Also kann ich höchstens einen Anteil nehmen. Und manchmal muss man ganz einfach einsehen, dass die Familie dann nicht über die Runden kommt. Das alles sieht ein Gutsbesitzer in der fernen Stadt natürlich nicht. Und übrigens: Es gibt auch Fälle, wo rebellische Pächter nicht vor einem Mord zurückgeschreckt sind. Raten Sie mal, wen es dann trifft. Den Gutsbesitzer etwa?

Moderation: Sie wissen selber, dass das eine rhetorische Frage ist. Noch mal: Ihr Gutsbesitzer hat ihre Art zu wirtschaften offenbar anders gesehen. Warum?

Verwalter: Das ist eben der kleine, aber wichtige Unterschied zwischen Stadt und Land. In der Stadt zählt Geld, auf dem Land das Zusammenleben. Der Besitzer lebt in Jerusalem und nicht bei uns. Er sieht nicht, wie gut oder schlecht die Ernte ist, ob etwas neu gebaut oder gepflanzt werden muss. Ihn interessiert, dass der Laden läuft. Ihn interessiert nur, dass regelmäßig die Summen für sein Stadtleben kommen.

Moderation: Das ist aber doch ein berechtigtes Anliegen. Immerhin ist er der Besitzer, und Sie sind nur sein Angestellter. Sie sind der Mann, der für ihn anschafft, der für ihn ja oder nein sagt, heuert und feuert. Das ist Ihr Job.

Verwalter: Das ist Stadtdenken. So einfach ist das aber auf dem Land nicht. Ich sehe ein Landgut, das ich in Schuss halten muss. Es sehe Keller und Scheunen, die gefüllt werden sollen. Ich sehe Mauern, die geflickt werden müssen, und Felder, die von Wildschweinen umgepflügt worden sind. Ich sehe Ölbäume, die man schneiden und nachpflanzen muss. So ein Ölbaum braucht viele Jahre, bis er Früchte trägt. Kann man das alleine machen? Natürlich nicht. Dafür hast du Leute: einige, die fest zu Deinem Haus gehören, einige, denen Du Land verpachtest, und Leute, die Du bei Bedarf vom Marktplatz holst. Und wenn ich ins Dorf komme, sehe ich als erstes das Haus von Jochanan. Es kommt herunter, seit seine Frau gestorben ist. Seine Tochter hält den Haushalt zusammen, so gut sie kann. Der älteste Bruder ist der jüngste unter den Tagelöhnern. Ich sehe Tagelöhner, die sich an mich hängen und fordern, dass ich ihnen etwas zu tun gebe. Ich sehe auch Matthias, der kaum noch arbeitsfähig ist, und ich sehe seinen flehenden Blick. Immerhin: Er will arbeiten und nicht betteln. Kann ich das einfach so übergehen? Ich muss ihm wenigstens manchmal etwas zu tun geben. Aber die anderen wissen, dass sie für ihn mitarbeiten.

Moderation: Ich verstehe, was Sie zusätzlich unter guter Geschäftsführung verstehen wollen. Aber trotzdem: Lassen Sie uns mal auf die Schuldscheine zu sprechen kommen, die offensichtlich eine wichtige Rolle in diesem Konflikt spielen. Das sind ja nun keine kleinen Summen, die aus Gutmütigkeit für kleine Leute entstehen. Ich habe von zwei Beispielen gehört: Wenn ich richtig recherchiert habe, sind 100 Bath Öl der Jahresertrag von sagen wir 150 Ölbäumen. Ich will da jetzt nicht hin und her rechnen, ob es 100 oder sogar 200 Bäume wären. Ähnlich das Getreide. 100 Sack Weizen. Da kann man eine Menge Brot von backen.

Verwalter: Ich denke, ich habe es schon gesagt: Hier geht es um Vorsorge für die Zukunft. Oder glauben Sie, man kann Öl und Getreide ewig aufbewahren. Wenn ich heute Öl und Getreide zu viel habe und kann es gegen Schuldschein abgeben, dann ist das doch gute Haushalterschaft. Wer weiß, ob ich nicht im nächsten oder übernächsten Jahr etwas brauche.

Moderation: Vielleicht muss ich deutlicher nachfragen. Ich habe nicht umsonst diese beiden Schuldscheine angesprochen. Da gab es doch diese Aktion mit dem Schuldenerlass für ihre Geschäftsfreunde. Von außen betrachtet, würde ich sagen: Das war doch ziemlich dreist und offensichtlich „ungerecht“.

Verwalter (etwas überrascht): Woher haben Sie denn das?

Moderation: Ihr Ex-Chef ist heute nicht hier, aber ich habe natürlich auch etwas länger mit ihm gesprochen. Klar, so ein Rechnungsabschluss braucht seine Zeit. Aber dann hat er den Schuldenerlass für Ihre Freunde mitbekommen. Nach dieser Aktion war für ihn endgültig klar, was sie für einer sind.

Verwalter (wieder etwas gefasster, vielleicht sogar etwas patzig): Was für einer ich bin, das können die Leute zuhause besser beurteilen. Versetzen Sie sich doch mal in meine Lage. Da kommt jemand aus Jerusalem, der hier nicht lebt und sich hier um nichts kümmert, und der zieht dich zur Rechenschaft. Aber noch mehr: Im gleichen Atemzug schmeißt er dich raus. Das war ein ziemlicher Schock.

Moderation: Aber der Schock hat nicht lange gehalten.

Verwalter: Natürlich nicht. Dafür hatte ich doch gar keine Zeit. Man hat mich vor die Tür gesetzt. Ich soll den Abschluss machen und muss zugleich an die eigene Zukunft denken. Da geht einem eine Menge durch den Kopf? Kann ich mich als Tagelöhner verdingen? Kann ich wirklich mit denen konkurrieren, aus denen ich mir früher Leute ausgesucht habe. Ich muss an Matthias denken. Gehöre ich nicht bald schon zu denen, die eher um Arbeit betteln müssen. Bleibt mir am Ende nicht einmal das? Zum Glück ist mir eingefallen, dass ich noch eine Alternative habe: Vertrauen, das ich mir verdient habe, Geschäfte, bei denen beide zufrieden waren, Gefallen, an die ich erinnern kann, die sind im Moment mein einziges Kapital. Deshalb habe ich diese letzte Aktion gemacht. Ich hatte ja eh nichts mehr zu verlieren.

Moderation: Und was werden Sie jetzt tun?

Verwalter: Ich ordne meine Angelegenheiten. Vielleicht kann ich fürs erste bei jemandem unterkommen. Danach muss man weitersehen. Ein Schritt nach dem anderen. Vielleicht kann ich jemanden überzeugen, dass er mich empfiehlt. Ich bin ein guter Mann, egal was man in Jerusalem sagt.

Moderation: Na dann, viel Erfolg. Danke, dass Sie Zeit für uns hatten.

—Ende der Szene—

Kehren wir zurück in unser Leben. Ein Verwalter, der Rechenschaft über seine Arbeit ablegen soll, aber schon weiß, es wird eng. Ein Verwalter, der sich mindestens offiziell keiner Schuld bewusst ist, obwohl man Fragen an seine Amtsführung richten kann. Und doch hat er etwas Sympathisches mit der Idee, dass man leben und leben lassen muss. Ich habe den Gutsverwalter bewusst nicht schwarz-weiß gezeichnet. Wir alle würden ja auch uns selber nicht schwarz-weiß sehen, nicht völlig rein, aber auch nicht richtig schlecht. Irgendwo in Grautönen, hellgrau wahrscheinlich. Und so kommt der Gutsverwalter uns näher.

Denken wir an Situationen von heute. Ein Beispiel aus der Schule. Es spricht sich herum, dass heute der Tag für das Extemporale in Englisch ist. Und eigentlich weiß jeder: Es ist längst Zeit für diese Probe. Und was macht man: Kann man sich noch schnell krank melden und befreien lassen? Vielleicht ist es dafür zu spät. Also legt man das Englisch-Buch auf den Schoß und schaut noch mal die Wörter an. Nach den Regeln ist das nicht, aber man macht es halt, bis der Reli-Lehrer vorne meckert oder die Mathe-Lehrerin oder wer halt die Stunde vor dem Ex hat. Was ist da besser: Schockstarre und Lamentieren, dass man sicher einen Sechser schreibt, oder Blick ins Schulbuch und Heft? Ein anderes Beispiel. Aus dem Berufsleben das Meeting, das soeben vom Chef für Übermorgen angesetzt worden ist. Natürlich hat man das Projekt vorangetrieben. So gut, wie das unter den gegebenen Umständen halt geht. Man ist ja auch auf andere angewiesen. Vielleicht hätte man mehr Druck machen können. Andererseits: Niemand lebt vom Beruf allein, und irgendwann muss auch mal Schluss sein mit der Arbeit. Also mal kurz rumgerufen und die wichtigsten Punkte in eine Präsentation gebracht, die den Fortschritt im besten Licht darstellt.

Zwei Alltagsbeispiele, in denen ein Termin hereinbricht, von dem man wusste, dass er kommt, und wo man weiß, dass die Vorbereitung hätte optimaler sein können. Zwei Alltagsbeispiele, in denen die berühmte Stunde schlägt. Jetzt muss man wissen, was man noch tun kann, und jetzt ist es klüger, noch etwas zu tun und nicht einfach aufzugeben. Was würde der Jesus unseres Predigttextes zu den beiden Beispielen sagen? Er lobt vielleicht nicht, dass „Tim“ nachlässig war oder unter der Bank noch lernt, aber er lobt, dass er sich dem Termin stellt und mit ihm die Leons und Lisas, die das auch tun. Ähnlich beim anderen Beispiel: Ich will mal davon ausgehen, dass man im Beruf schon sein „möglichst Bestes“ gibt; und dennoch weiß man auch,… Jesus lobt vielleicht nicht, dass die Präsentation Probleme kleinschreibt, aber er lobt, dass man sie gemacht hat, denn auch mit diesen Angaben kann man schon etwas anfangen.

Trotzdem bleibt der achte Vers fremdartig, so lange man ihn nur auf den Alltag anwenden will, denn das gelobte kluge Handeln verbiegt ja auch die Regeln. Es wird damit Zeit, auf die Kontrastierung am Ende des Verses einzugehen. Jesus lobt das Geschick der „Kinder dieser Welt“, die ganz gut nach den Regeln dieser Welt spielen, und wundert sich, dass sie damit klüger sind als die „Kinder des Lichts“. Die Perikopenkommission hat Lukas 16 als Predigttext ans Ende des Kirchenjahrs gesetzt. Hier wird traditionell über „die letzten Dinge“ gepredigt und nachgedacht. Die eigene Endlichkeit kommt in den Blick und auch das Ende der Welt. Und da hätten auch wir einen Termin, auf den wir wahrscheinlich nicht wirklich vorbereitet sind, wenn er kommt: „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“, heißt es im Glaubensbekenntnis.

Das Thema ist nicht leicht zu bepredigen, zumal in den Volkskirchen, die ein breites Spektrum von Frömmigkeiten in sich zusammenführen. Dennoch kommen wir nicht darum herum. Nicht nur weil die Predigtreihen es so vorsehen, sondern weil es biblisch ist. Jesus hat selber in einer Zeit erhöhter Endzeiterwartung gelebt und hat sie auch selber weitergetragen. Denken Sie nur an die Endzeitpredigt von Johannes dem Täufer, der laut Lukas mit Jesus verwandt war und der nach dem Zeugnis der Evangelien auch Jesus getauft hat. Und hat nicht auch Jesus gepredigt, dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist, selbst wenn er andere Schlüsse für seinen Predigtstil gezogen hat als Johannes? Der Ruf zur Entscheidung für Gott war ihm nicht fremd, und genau deshalb lobt er die Leute, die Zeichen der Zeit erkennen und entsprechend handeln. Hier wird der ganz profane Kontext einer Rechenschaft über Geschäftsführung zum Anlass der Frage, warum die Menschen nicht auch in einem religiösen Sinn klug handeln.

Wir alle wissen, dass ein nahes Ende der Welt ausgeblieben ist. Aber es hat im Lauf der Christentumsgeschichte immer wieder Weltendeprediger gegeben und große Menschenmengen, die ihnen zugehört haben. Ich bin Predigern und Predigthörern begegnet, denen diese Frage ein ernstes Anliegen war, und ich habe das respektiert. Es ist ja auch eine echte Frage: Was wäre, wenn du noch heute Rechenschaft über dein Leben abgeben müsstest. Könntest du da bestehen? Mir ist es nicht gegeben, wahlweise zuwider, Menschen zu bedrängen. Ich will mit Menschen nachdenken, sie gewiss auch bewegen, aber eben auch den Raum zum Eigenen lassen. Ich mache mir diesen Stil aber auch deshalb nicht zu eigen, weil die Antwort eigentlich klar ist: Nein. Wir könnten kaum erfolgreich Rechenschaft ablegen. Weil wir vieles nicht mehr wissen, vieles nicht überlegt haben, manches nicht gut gemacht haben und auch nicht wieder gut gemacht haben, und manches nicht einfach eine wichtige Erfahrung war, sondern eben richtig schlecht gemacht.

Als Dauerthema ist Gerichtspredigt aus zwei Gründen nicht geeignet. (1) Niemand kann unter dem Druck permanenter Rechenschaft leben, ohne seelischen Schaden zu nehmen. In evangelischen Kirchen wird man sich hier zu allererst an das Beispiel Martin Luther erinnern und dann vielleicht auch aufmerksam werden für jüngere Frömmigkeitsformen, wo Skrupel und Druck auf die Seele krank machen. Und deshalb sollte man sich immer daran erinnern, wie Martin Luther aus dem Seelendruck heraus kam. So gewiss uns die Frage nach einer Rechenschaft und Lebensbilanz bedrängen kann, so sehr sollten wir uns vor Augen halten, dass Gottes erstes Ziel nicht das Richten, sondern das Zurechtbringen ist. (2) Der ungetreue Verwalter hatte offenbar niemanden, der für ihn sprach. Das Christentum wiederum hat dem dunklen Geschehen am Kreuz und der unerwarteten Auferstehung Jesu eine heilsame Bedeutung abgerungen. Jesus hat sich in die unendliche Differenz gestellt, wer wir sind und wer wir vielleicht sein sollten, und in die unendliche Differenz, wer Gott ist und aus unserer Perspektive sein sollte. Die Grundorientierung des Christentums ist eine Person, kein System von Aussagen über das, was richtig und falsch oder „gerecht“ und „ungerecht“ ist.

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Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und derzeit als Religionslehrer am Melanchthon-Gymnasium Nürnberg tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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