Predigt über Lukas 17,5-6

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Predigt über Lukas 17,5-6

Ein senfkorngroßer Glauben | 12.9. 21 | 15. So. n. Trinitatis | Predigt über Lukas 17,5-6 | verfasst von Bernd Giehl | 

Autsch. Das hat gesessen. Haben Sie es auch gespürt? Nein? Dann waren Sie vielleicht einen Moment abgelenkt. Kommt ja vor. Der Predigttext ist heute so kurz; der ist schon zu Ende, da waren Sie vielleicht noch mit dem letzten Lied beschäftigt oder mit der Frage, was es heute zu Mittag gibt und als Sie endlich bereit waren zuzuhören, ein bisschen spät vielleicht, aber sowas kommt vor;  da war alles schon vorbei. Muss Ihnen nicht peinlich sein.

Also noch einmal. „Der Herr aber sprach: ‚Wenn ihr Glauben hättet, so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer! und er würde euch gehorchen.“

Na dann. Ob sie’s probiert haben? Ihre Gedanken auf den Baum gerichtet, sich völlig auf ihn konzentriert und dann geflüstert: „Reiß dich aus.“ Und? Was ist passiert? Nichts.

Vielleicht haben sie einen Augenblick später ja angefangen zu lachen. Ist ja wirklich ein amüsantes Bild: ein Maulbeerbaum, der seine Wurzeln aus der Erde hebt, davonfliegt und sich 30 oder auch fünfzig Kilometer weiter auf einer Insel wieder einpflanzt. Einen richtigen kleinen Film könnte man darüber drehen und die Leute würden lachen.

Aber heute lacht nur einer: Thomas.  Wir könnten ihn fragen, warum er lacht, aber da sehen wir in die betretenen Gesichter der anderen Jünger. Was, bitte, sollte denn das? Auf die ehrlich gemeinte Bitte „Stärke uns den Glauben“, hatte Jesus mit diesem Gleichnis geantwortet. Und nur Thomas hatte gelacht, weil er sich den Flug des Baums über Berge und Wälder zum Meer vorstellte und die anderen hatten darüber nachgedacht, wie groß ihr Glaube wohl wäre, wenn sie nicht einmal das konnten, was Jesus von ihnen verlangte. Aber sie hatten doch nicht ohne Grund um einen stärkeren Glauben gebeten.  Sie waren auf dem Weg nach Jerusalem, wo etwas Schreckliches passieren würde; etwas das sie sich lieber nicht ausmalten. Und auch wenn sie nun nicht davon sprachen, so beeinflusste der Ernst der Situation doch ihre Gespräche. Schwerer wurden sie, dichter und ja auch düsterer. Da war nichts mehr von der Leichtigkeit des Anfangs. Und Jesu Forderungen an sie schienen auch immer härter zu werden.  Gerade eben erst hatte er davon gesprochen, dass man dem Bruder, der einem etwas Böses antut, verzeihen soll. Und wenn es noch einmal passiert und er wiederum um Verzeihung bittet, soll man nicht sagen, man nehme ihm seine Reue nicht ab, sondern soll erneut vergeben. Und selbst wenn es siebenmal passiert, wie Petrus gefragt hatte, selbst wenn es sieben Mal passiert, soll man verzeihen. Da war die Forderung zu spüren, man solle unendlich oft vergeben, wenn möglich bis in alle Ewigkeit.

Da kann man schon mal den Mut verlieren. Und sich fragen: Wie soll ein Mensch das leisten können?

 

 

Und dann? Dann bittet man Jesus darum, dass er einem den Glauben stärkt. Eine ehrlich gemeinte Bitte. Und Jesus antwortet mit einem Satz, der einen zur Verzweiflung bringen kann. Einen Baum ausreißen und ins Meer versetzen, nur mit der Kraft des Glaubens – nein, das kann er nicht von ihnen verlangen. Und dann, wenn ihnen das gelingt, soll ihr Glaube so groß wie ein Senfkorn sein.

Dieser Satz tut weh. Und wenn er ironisch gemeint ist, dann tut er doppelt weh.

Was könnte man Jesus erwidern? Wenn ich einer der Jünger wäre, würde ich ihm vielleicht antworten: „Und wenn mein Glaube so groß wäre, wie ein Blatt von diesem Baum, dann würde er die Gewaltherrschaft der Römer über unser Land beenden.“

Und Jesus würde, in meiner Vorstellung, jedenfalls antworten: „Du hast Recht. Wenn dein Glaube so groß wäre wie ein Blatt von diesem Maulbeerbaum, dann würde er die Römer und ihr Gewaltsystem ins Meer jagen. Aber hast du dich einmal gefragt, was damit gewonnen wäre? Das würde doch nur neue Gewalt sein. Es kommt doch nicht darauf an, dass ihr die Gewaltherrschaft der Römer oder irgendeines anderen Volks beendet. Es kommt vielmehr darauf an, dass ihr die Gewaltherrschaft  des Bösen in euch selbst beendet.“

Da, bitte. Jetzt habe ich es. Hätte ich doch nur meinen vorlauten Mund gehalten. Soll er doch denken, was er will. Was geht’s mich an? Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben. Wer hat das gleich noch einmal gesagt? Na, ist ja auch egal. Ich verziehe mich in meine Ecke und lasse Jesus einen guten Mann sein.

 

 

Jetzt müssen wir für einen Moment aus unserem Gedankenspiel heraustreten.  Vielleicht sind Sie ja schon länger ungeduldig geworden mit mir. Was fragt der denn, wenn er doch weiß, dass es nichts bringt. Einen Jesus, der so offensichtlich unsinnige Antworten gibt, fragt man nicht. Das ist doch vergeudete Zeit. Hast du denn wirklich nichts Besseres zu tun?

Das hätten Sie besser nicht fragen sollen. Das trifft auf meinen Trotz, der sich gerade zu entwickeln beginnt. „Nein“, sage ich, „ich habe nichts Besseres zu tun.  Dieser Satz Jesu ist zum Verzweifeln. Wenn ein senfkorngroßer Glaube schon Bäume ausreißen und ins Meer fliegen lassen kann, dann habe ich keinen Glauben. Dann besitzt ihn keiner, den ich kenne. Dann war alles vergebens.“

Scheint so, als wäre ich auf dem Holzweg.

 

 

Führen Holzwege irgendwohin? Wenn ich pessimistisch bin, dann nicht. Dann sitze ich in der Sackgasse.

Aber heute will ich nicht pessimistisch sein. Wenn ich in der Sackgasse bin, dann muss ich umdrehen. Der Rückweg ist mir ja schließlich nicht versperrt.

Jesus hat von der Bereitschaft zum Vergeben gesprochen. Vergeben ist nicht leicht, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Jedenfalls dann, wenn mir jemand wirklich weh getan hat. Wenn es nicht nur um Bagatellen ging. Kinder vergeben schneller, fällt mir ein. Natürlich geraten sie schnell in Streit. Das kenne ich von den Kindern meiner Nachbarn. Die sind vielleicht sechs und vier Jahre alt und sie können herzergreifend miteinander lachen, aber nur Sekunden später höre ich eins von ihnen protestieren, dann noch einmal und dann geht die Sirene los. So laut, dass es die ganze Nachbarschaft hören muss.  Aus Trotz, aus  Schmerz oder um die Mama herbeizurufen und doch noch Recht zu bekommen. Was genau passiert ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht hat einer das Spiel übertrieben und den Moment verpasst, wo er hätte aufhören müssen. Dann dauert das Weinen ungefähr fünf Minuten und nach einer halben Stunde spielen sie wieder miteinander.

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Reich Gottes kommen“, hat Jesus einmal gesagt. Zum ersten Mal verstehe ich diesen Satz.

Kinder sind ganz eigene Wesen. Sie sind anders als Erwachsene. Ich selbst bin immer wieder fasziniert von ihrer Ursprünglichkeit, ihrer Lebendigkeit, die noch nicht verstellt ist von den Erfahrungen, die wir als Erwachsene gemacht haben. Ihr Vertrauen in die Welt und ganz besonders in Mama und Papa ist unendlich groß. Sie wissen instinktiv, dass  Vater und Mutter für sie da sind, wenn sie einmal nicht weiterwissen. Sie werden ihnen helfen, die Probleme zu lösen, und wenn das nicht genügt, weil sie noch zu klein sind, werden die Eltern sich schon darum kümmern. Kinder sind auf eine Weise geborgen in der Welt, wie wir Erwachsenen das nicht mehr sind. Sie haben ein Vertrauen in die Welt oder in Gott, das uns fehlt und das wir so nötig bräuchten.

Weil die Jünger das spüren, bitten sie Jesus: Stärke uns den Glauben. Man könnte auch sagen: Mach uns mächtiger, der Welt und ihren Anforderungen an uns zu begegnen. Wir würden gern so einen starken Glauben haben wie Mose, der sein Volk aus der Knechtschaft in Ägypten ins Gelobte Land führte. Aber zuerst einmal mussten sie in die Wüste und in der Wüste gab es wenig zu essen und zu trinken. Es gab nur Sand, Sand und noch einmal Sand. Und dann kamen die Verfolger und stellten sie am Schilfmeer. Aber du halfst ihnen hindurch ans andere Ufer. Du gabst Mose die Kraft, die uns fehlt. Ohne sie wäre er nie ins Gelobte Land gekommen. Kannst du uns nicht auch etwas von dieser Kraft geben?

Klingt doch gut, oder etwa nicht? Besser jedenfalls als der Song von Janis Joplin, in dem sie sich vom Herrn einen Mercedes wünscht, weil ihre Freunde alle Porsche fahren. Morgen um fünf möchte sie ihn vor ihrem Haus stehen haben. Natürlich lächeln wir über die Naivität dieses Lieds und wir sind uns sicher, dass ihr Wunsch nicht in Erfüllung geht. Denn nur weil die Freunde Porsche fahren, braucht man selbst doch keinen Mercedes. Da ist die Bitte um mehr Kraft doch etwas ganz anderes, oder etwa nicht?

Nur Jesus würde da wieder einmal den Spielverderber machen. Vielleicht würde er sagen: Glaubt einfach, dass Gott euer Freund ist und dass er die Macht hat, die Dinge so zu verändern, dass es euch hilft.

Und wenn er es nicht tut? fragen wir zurück.

Dann, sagt Jesus, weiß er schon, warum es gut ist für euch.

 

 

Langsam fange ich an zu begreifen. Nichts muss für immer so bleiben wie es ist. Gottes Güte kann alles verändern. Gottes Güte kann vor allem uns selbst verändern. Und zwar so, dass vieles, was uns bis dahin unmöglich schien, möglich wird. Zum Beispiel so, dass das, was dem Petrus nahezu unmöglich schien, was jedenfalls für ihn die äußerste Grenze war, nämlich einem Menschen sieben Mal zu vergeben, plötzlich durchlässig wird. Und er es auch noch ein achtes Mal tun kann. Oder ein neuntes Mal. Und dabei kommt es nicht auf eine besondere Kraft an, die einem innewohnt, sondern allein darauf, dass er Gott vertraut. Gott kann es möglich machen.

Nur dass wir diese Kraft nicht selbst besitzen. So wenig wie wir unseren Glauben ein für alle Mal besitzen. Sondern dass Gott es ist, der uns das alles schenkt.

de_DEDeutsch