Predigt zu Galater 5,25-6,8

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Predigt zu Galater 5,25-6,8

Jeder Tag hat seine Hoffnung | 12.9.21 | 15. Sonntag nach Trinitatis | Galater 5,25-6,8; Matthäus 6,24-34 | verfasst von Christiane Gammeltoft-Hansen |

Ein neuernannter Präsident hielt seine erste Neujahrsansprache für die Nation. Die Rede enthielt eine Vision für denAufbau er Nation. Die Vision lautete: „Jesus, nicht Caesar!“

Der Präsident war Vaclav Havel, und die Rede wurde nach der samtenen Revolution in der früheren Tschechoslowakei gehalten. Die Worte waren nicht neu. „Jesus, nicht Caesar“, das hatte der erste Präsident der Tschechoslowakei auch gesagt. Über das Jahrhundert hinweg redeten die beiden Staatsmänner so mit einander und wiederbelebten nach Jahrzehnten der Unterdrückung den Traum vom Bau einer Gesellschaft in der Kraft der Mitmenschlichkeit und des Geistes.

Vaclav Havel beschrieb in seiner Rede eine Macht, die außerhalb des Menschen selbst liegt, die aber zugleich in unsere Welt und unser Leben hineinwirkt. Eine Macht, die mit der Welt der Realitäten verbunden ist, die sie aber zugleich übersteigt und die sich nicht nur mit dem Leben des einzelnen Menschen verbindet, sondern auch unser Leben in der Gemeinschaft betrifft.

Ein Staatsmann, der von Geist redet und sich in seinem Denken über die Gesellschaft davon bestimmen lässt, ist ungewöhnlich. Früher einmal hat man zwar die Dichter mit besonderem geistigem Gehör um Rat gefragt – auch in gesellschaftlichen Fragen. Aber das ist lange her. Stattdessen übernahmen große Ideologien das Wort, wie auch die Ökonomie mehr und mehr in den Vordergrund rückte. Gott oder Mammon? In gesellschaftlichen Fragen ging es um letzteres, kein Gedanke an Liebe oder eine Botschaft von Versöhnung und Barmherzigkeit.

Vielleicht ist es auch zu weitschweifig, von einer gemeinsamen Wahrheit und einer geistigen Macht mitten in den Realitäten dieser Welt zu reden, wo nun vieles sich im Umbruch befindet und es nicht mehr genügt, in alten Lösungsmodellen zu denken. Aber Havel war nicht der Meinung, dass Jesus zugunsten Caesars abzudanken habe, wenn sich die Wirklichkeit aufdrängt. Es war umgekehrt. Jesus meldete sich, als sich die Wirklichkeit aufdrängte. Mitten in einer Zeit des Aufbruchs war es deshalb diese Macht des Überschusses, auf die Havel verwies. So wie wir in dieser Zeit darauf verweisen müssen, wo die Welt nicht weniger im Aufbruch ist. Die großen Gemeinschaften stehen unter Druck, einige ziehen sich zurück, andere werden sich selbst überlassen, und es kann schwer sein, eine gemeinsame Verantwortung geltend zu machen.

Gott oder Mammon, Jesus oder Caesar? Das ist eine so intensive und ernste Frage wie damals. Es geht um die Frage danach, was für ein Leben wir uns wünschen, woran wir uns orientieren, was für einen Maßstab wir bei der Arbeit für das Gemeinwohl anlegen.

Deshalb ist es auch überraschend, ja provozierend, dass das Evangelium noch eine Aussage hinzufügt, die unmittelbar der ersten Aussage die Spitze zu nehmen scheint. „Sorget nicht“, heißt es da. Wie das aber in einer Welt, wo es brennt und die Evakuierung aus dem Brennpunkt chaotisch und traumatisch ist? „Sorget nicht“, das kann man zu jemandem sagen, der sich um mehr sorgt als nötig, so wie man das zu dem Privilegierten sagen kann, dem Gesunden und dem, der beschützt ist und dem ein Bett und eine Mahlzeit sicher ist. Aber in eine Welt gesprochen, in der so viele so wenig Grund unter den Füßen haben, erregt dies Widerspruch.

Glaube kann Ruhe bedeuten. Ruhe, sich in seinem Leben zurechtzufinden, Ruhe, tiefer und länger nachzudenken, Ruhe einfach da zu sein.  Aber Glaube kann nicht Ruhe bedeuten, wenn diese Ruhe die Wirklichkeit verleugnet und sich in sich selbst verschließt, ohne sich darum zum kümmern, was da draußen passiert. „Einer trage des andern Last“, sagt deshalb Paulus auch in einem Verständnis davon, dass Glaube verbunden ist mit Handeln und einer Aufmerksamkeit für das gemeinsame Leben und die besondere Lage des anderen.

Wohl hat niemand auch nur einen Tag zu seinem Leben hinzugefügt, indem er sich Sorgen macht. Aber die Sorge kann doch eine Anerkennung der Situation hier und jetzt bedeuten. Das kann ein mitmenschliches Signal sein, dass man den anderen oder die andere nicht allein lassen will mit seinen oder ihren unruhigen Gedanken. In dieser Weise kann die Sorge dazu beitragen, uns miteinander zu verbinden.

Wenn Staatsmänner über Jahrhunderte hinweg davon reden, eine Gesellschaft auf Jesus und nicht Caesar zu gründen, so nicht deshalb, weil sie den Gang der Welt ohne Sorge betrachten. Es sind nicht resignierte, indifferente und desengagierte Leute, die hier reden. Es sind Menschen, die es wagen zu träumen und groß zu denken über den Gang der Welt.

Vielleicht ist es ja auch mit dem Handeln als Vorzeichen, dass wir die Worte hören sollen, dass wir nicht sorgen sollen. Dass dies eine Befreiung zum Handeln ist, die eine Rückwirkung hat auf das Sorgen. Die Befreiung, die z.B. darin lieg, dass wir die Zukunft nicht dem Gegner überlassen wollen. Das Handeln in sich ist ja getragen von einer Hoffnung, es bringt Mitmenschlichkeit hervor, und dies auch wenn man sich manchmal ohnmächtig fühlt.

Das Evangelium ist denn auch nicht die Erzählung von einem sorglosen Gott. Es ist vielmehr die Erzählung davon, wie Gott sich um den Menschen und seine Welt sorgt und deshalb seinen Sohn in den Kampf schickt, damit das für uns zu Leben wird. Und überall, wo das Leben versiegt, schickt er seinen Geist in es hinein mit einem handelt, das signalisiert, dass Gott und Menschen zusammengehören. Gesagt von dem sorgenden und handelnden Gott erhält die Aussage, dass wir nicht sorgen sollen einen anderen Klang. Es ist keine kalte Lebensregel mehr, sondern eine Verheißung und eine Liebeserklärung.

Wir sind nicht nur ein Produkt der äußeren Welt. Wir können auf Kräfte aus einer höheren und tieferen Welt zählen. Und das kann einen Staatsmann sagen lassen: Jesus, nicht Caesar. Die Kraft des Geistes schließt die Sorge nicht aus, das kann sie auch nicht, denn es gehört zum Wesen der Liebe, sich um den anderen zu sorgen. Aber das kann zum Handeln befreien, weil es die Hoffnung weckt auf die Möglichkeit der Veränderung. Nicht jeder Tag hat seine Plage, im Gegenteil: Jeder Tag hat seine Hoffnung. Amen.

 

 

Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen

DK-2000 Frederiksberg

E-mail: cgh(at)km.dk

 

 

 

 

 

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