Predigt zu Matthäus 28,16-20

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Predigt zu Matthäus 28,16-20

Jesu Sendungsauftrag | 6. Sonntag nach Trinitatis | 11.07.2021 | Predigt über Matthäus 28,16-20 | verfasst von Johannes Lähnemann |

Matthäus 28,16-20

16 Die 11 Jünger gingen nach Galiläa. Sie stiegen auf den Berg, wohin Jesus sie bestellt hatte. 17 Als sie ihn sahen, knieten sie nieder. Einige aber zweifelten. 18 Da trat Jesus vor und sprach zu ihnen: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf der Erde. 19 Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jüngerinnen und Jünger zu werden. Tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! 20 Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“

 

Liebe Gemeinde!

Es gibt in der Bibel Schlüsseltexte – Texte, die eine überragende Bedeutung haben: Die Schöpfungserzählungen gehören dazu, die Gabe der 10 Gebote am Sinai gehört dazu, die Bergpredigt gehört dazu, das Hohelied der Liebe im 1. Brief des Paulus an die Korinther gehört dazu – und dieser Text, den wir eben gehört haben. Es ist der letzte Textabschnitt im Matthäusevangelium. „Matthäi am letzten“ ist zu einem geflügelten Wort geworden. Aber er ist nicht ein Abschluss. Mit diesem Textabschnitt schickt Matthäus sein Werk hinaus in die Gemeinden. Und es ist der Anfangstext, der das Evangelium, die Gute Nachricht von Jesus als dem Christus auf den Weg bringt hinaus in die Welt.

Was steht hinter diesem Text? Was geht ihm voraus? Die Jünger haben die Kreuzigung Jesu erlebt, diesen schrecklichen, schändlichsten Tod wie bei einem Verbrecher. Aber dann haben sie erfahren, dass dieser gekreuzigte Jesus lebt, dass ihn das Grab nicht festhalten konnte. Und nun vernehmen sie, dass dieser erniedrigte, gedemütigte Jesus der Herr der Welt ist. Sie kommen auf den Berg in Galiläa, wohin Jesus sie bestellt hat. Der Berg ist ein Symbol für die Nähe des Göttlichen – wo Gott etwas ganz Wichtiges sichtbar macht, wie bei den Geboten auf dem Berg Sinai. Auf dem Berg wird gesagt, was wirklich wichtig ist. Von hier sendet Jesus seine Jüngerinnen und Jünger zu allen Völkern. Sie lehren, sie taufen. Sie haben den lebendigen Jesus an ihrer Seite. Das stärkt sie, das tröstet sie da, wo es mühsam wird, da, wo sie Feindschaft und Verfolgung erleben müssen.

Man hat diesem Text den Namen Missionsbefehl gegeben oder Taufbefehl. Das sind problematische Namen. So als ob man die Mission befehlen, die Taufe befehlen könnte. Leider ist der Text in der Geschichte oft so verstanden worden: Wenn Jesus die Mission und die Taufe befiehlt, dann muss man gehorchen, auch wenn die Menschen, zu denen man geht, das gar nicht wollen. Es hat Zwangsmission gegeben, es hat Zwangstaufen gegeben. In der Zeit des Kolonialismus haben sich Missionare nicht selten als Botschafter einer modernen christlichen Zivilisation verstanden, die man den armen, zurückgebliebenen Völkern bringen müsste. Ihre eigenen religiösen und kulturellen Traditionen wurden als Aberglaube abgetan. Als Kind erlebte ich noch eine Spendendose für die Mission, auf der ein Schwarzer kniete. Wenn man dann eine Münze in die Dose warf, nickte der Schwarze dankbar mit dem Kopf: dankbar für die christliche Botschaft, aber auch dankbar für die Zivilisation, die man ihm brachte.

Allerdings hat es auch die andere Seite der Mission gegeben: dass Missionarinnen und Missionare selbstlos gegen Krankheiten und Epidemien kämpften, dass sie gegen den grausamen Brauch der Witwenverbrennung in Indien eintraten, dass sie sich gegen die Ausgrenzung und für die Achtung der Kastenlosen einsetzten. Und es gab Missionare und Missionarinnen, die den Schatz der einheimischen Kulturen entdeckten, ihre Sprachen erforschten, von ihren Heilkünsten lernten, dass sie sahen, wie sie ganz anders im Einklang mit der Natur lebten und leben. Albert Schweitzer hat in diesem Zusammenhang sein Motto der „Ehrfurcht vor dem Leben“ entdeckt. Die evangelische Mission in Südwestdeutschland nennt sich deshalb nicht mehr „Missionswerk“, sondern Evangelische Mission in Solidarität“.

Aber wie ist dann der Text aus dem Matthäusevangelium zu lesen? Gibt er so ein offenes, solidarisches Verständnis her?

Ich möchte darauf in drei Schritten antworten:

  • Der Text enthält eine Einladung
  • Der Text enthält eine Herausforderung
  • Der Text enthält ein Versprechen

1. Die Einladung

Matthäus schildert in diesem Text die Erinnerung der Jünger an ein überwältigendes Erlebnis. Sie steigen auf den Berg, wohin Jesus sie bestellt hat. Da sehen sie Jesus, und sie knien nieder. Einige aber zweifeln. Das wird in diesem Text nicht verschwiegen. Zu unglaublich erscheint ihnen diese Erscheinung. Aber dann tritt Jesus zu ihnen und spricht die entscheidenden Worte, die ihnen helfen, die sie aufrichten, die ihnen den Weg weisen. „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden.“ Der, der den schmächlichsten Tod erlitten hat, ist nun ganz bei Gott, er kommt mit Gottes Macht zu seinen Jüngern – größer als die Macht, die irgendein irdischer Herrscher für sich je beanspruchen könnte. Mit ihr steht er hinter denen, die ihm folgen. Und nun gibt er ihnen den Auftrag, andere Menschen einzuladen, ihm ebenso zu folgen. Das gilt allen Völkern, also über alle Grenzen hinaus. Das ist kein Befehl. Es ist die Einladung, zu dem zu gehören, der in seinem Leben und in seinem Sterben die Liebe Gottes in ihrer ganzen Fülle gezeigt und verwirklich hat. Die Taufe ist das Zeichen dafür, hineingenommen zu werden in den Schutz und die Liebe Gottes. Wenn es heißt „Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, so ist das eine ganz starke Aussage: Gott als der Vater ist der Schöpfer und Erhalter der Welt, der die Gebote gibt, die zu einem guten Leben der Menschen miteinander wichtig sind. Gott als der Sohn heißt, dass in Jesus Gott als unser Bruder an unsere Seite gekommen ist, unser Leben und unser Geschick auf sich genommen hat, auch mit den schweren Seiten von Leid, von Feindschaft, von Tod – und der mit seiner Auferstehung für die Überwindung des Todes einsteht. Gott als der Heilige Geist ist die Kraft Gottes, die uns begleiten, stärken und immer wieder Mut machen kann.

2. Die Herausforderung

Die Jünger, an die Jesus seine Worte richtet, werden als nächstes aufgefordert: „Lehrt sie (die Menschen), alles zu tun, was ich euch geboten habe.“ Das ist Matthäus ganz wichtig: Oft hört man ja auf die Gebote Jesu und stimmt ihnen zu. Aber tut man sie auch? Das war offenkundig schon zu Zeiten von Matthäus ein Problem. Und ist es heute noch. Was Jesus geboten hat, ist kompakt in der Bergpredigt zusammengefasst: nicht nur das Töten vermeiden, sondern schon das gehässige Wort, das den Anderen missachtet, nicht nur die Ehe nicht brechen, sondern schon keine begehrlichen Blicke aussenden, nicht nur keinen Meineid leisten, sondern in jeder Hinsicht aufrichtig reden und handeln, nicht nur die Freunde lieben, sondern auch die Feinde. Das ist wohl das Herausforderndste. Aber Jesus erinnert daran, dass wir alle von der Liebe Gottes leben – mit dem, was uns täglich geschenkt wird: Sonne und Regen, Wachsen und Gedeihen – und dass wir deshalb keine Grenze für die Liebe ziehen sollen. Er verdeutlich das mit der Goldenen Regel. Wir kennen sie mit den Worten: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem Andern zu!“ Jesus sagt es positiv: „Was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihnen auch!“ Wir sollen Fantasie dafür aufbringen, daran zu denken, was den Anderen gut tut, so wie wir es für uns wünschen.

„Lehrt die Menschen, alles zu tun, was ich euch geboten habe“. Herausfordernd ist das. Aber wenn es getan wird, hilft es uns allen, hilft es unserer ganzen Gesellschaft. Jesus unterstreicht das, wenn er am Ende der Bergpredigt betont: „Wer diese meine Wort hört und tut sie, der ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf den Felsen gebaut hat“ (und nicht auf den Sand), so dass kein Sturm, kein Unwetter es einstürzen kann.

Danach zu leben und zu handeln, dazu einzuladen, das ist die Aufgabe derer, die Jesus auf seinem Weg nachfolgen. Das ist ihre Mission. Mission hat dann nichts mit zwanghaftem Bekehrungseifer zu tun. Mission bedeutet dann vielmehr: den Anderen in Wort und Tat das Zeugnis der Liebe Jesu zu geben: in Wort und Tat! Das kann man nicht, wenn man die Anderen nicht ernstnimmt, wenn man nicht ihre Erfahrungen, auch ihre religiösen und kulturellen Traditionen  achtet.

3. Das Versprechen

Das stärkste Wort steht am Ende unseres Textes: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“

Nicht allein sein, Jesus an der Seite haben, nicht heute und morgen, sondern immer. Was für ein Versprechen! Was das bedeuten kann, ist mir am deutlichsten geworden in den Gebeten, die Dietrich Bonhoeffer in seiner Nazi-Haft für seine Mitgefangenen niedergeschrieben hat. Da heißt es: „In mir ist es finster, aber bei Dir ist das Licht; ich bin einsam, aber Du verlässt mich nicht; ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist die Hilfe, ich bin unruhig, aber bei Dir ist der Friede …“[1] Über die Jesus-Kraft, die unendlich vielen Menschen in Not und Angst geholfen hat, könnte man viele Predigten halten – nicht nur an Beispielgestalten wie Friedrich von Bodelschwingh, Albert Schweitzer, Martin Luther King, sondern Menschen wie du und ich, mit dem Schönen, was wir erleben, aber auch mit dem Schweren, das wir zu tragen haben.

„Ich bin bei euch alle Tage …“ – Das gilt noch in einer anderen uns immer wieder herausfordernden Weise:

In seinem Gleichnis vom Endgericht (Mt 25, 35ff.) sagt Jesus zu denen, die als Gerechte an seiner Seite stehen: „… ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich als Gast aufgenommen. Ich war nackt, und ihr habt mir Kleider gegeben. Ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert, Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“ Und als die Gerechten fragen: „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen, und haben dir zu essen gegeben? Wann warst du durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann warst du ein Fremder, und wir haben dich als Gast aufgenommen? …“ da erhalten sie die Antwort: „Was ihr für einen meiner Brüder oder einer meiner Schwestern getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend sind – das habt ihr für mich getan“.

Jesus ist also bei uns – in seinen armen und leidenden Brüdern und Schwestern – Tag für Tag bis an das Ende der Welt! – Sehen wir so die Menschen, denen wir begegnen und von deren Not wir wissen, Tag für Tag?

Jesus an der Seite haben – das stärkt und tröstet uns, und fordert uns immer wieder heraus!

Mein Freund Guiseppe Frizzi – wie nennen ihn Peppino – ist katholischer Pater. Er hat mit mir studiert und wie ich seine Doktorarbeit in Münster geschrieben. Er lebt seid fast 50 Jahren mit indigenen Menschen in Mozambique zusammen, ist ihr Seelsorger und ihr Helfer. In der Zeit des kommunistischen Regimes dort stand er lange unter Hausarrest. Er hat die kulturellen und religiösen Traditionen der Menschen dort studiert. Und er hat die ganze Bibel in die Sprache seiner Gemeinden – in Xirima – übersetzt. Immer wieder sind Briefe zwischen uns hin und hergegangen, inzwischen per E-Mail. Er war ein Tröster, als unser kleiner Sohn Friedrich Georg am Frühkindtod starb – und ebenso, als meine erste Frau Susanne ihrem Krebsleiden erlegen war. Aber auch an den schönen und froh machenden Seiten unseres Lebens nimmt er teil: meiner Frau Sabine, den Töchtern und ihren Familien, den Wegen, die wir in so herausfordernden Zeiten wie gegenwärtig gehen müssen. – An seinem Beispiel erfahre ich neu, was das Versprechen Jesu bedeutet: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“

 

Prof. em. Dr. Johannes Lähnemann, Goslar, johannes@laehnemann.de

Johannes Lähnemann (geb. 1941) hatte von 1981-2007 den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Ev. Religionsunterrichts an der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Er lebt im Ruhestand in Goslar. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Interreligiöser Dialog, Interreligiöses Lernen, Religionen und Friedenserziehung. Er ist Vorsitzender der Nürnberger Regionalgruppe der Religionen für den Frieden, Mitglied am Runden Tisch der Religionen in Deutschland und Mitglied der internationalen Kommission Strenghtening Interreligious Education der internationalen Bewegung Religions for Peace (RfP).

Seine Autobiografie ist erschienen unter dem Titel „Lernen in der Begegnung. Ein Leben auf dem Weg zur Interreligiosität.“ Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2017.

Die Predigt wird  in der romanischen Neuwerkkirche Goslar gehalten.

Liedempfehlungen: EG 155,1-4 (Herr Jesu Christ, dich zu uns wend), 384,1+4 (Lasset uns mit Jesus ziehen),

209,1-4 (Ich möcht‘, dass einer mit mir geht)

[1] D. Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg.v. E. Bethge, Tb-Ausgabe München 1964, 73.

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