Predigt zu Matthäus 5,20-26

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Predigt zu Matthäus 5,20-26

 Worte, die schaffen, was sie sagen | 6. Sonntag nach Trinitatis | Matthäus 5,20-26 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Peter Fischer-Møller |

Was in aller Welt soll das bedeuten? Hier dachte man, im Christentum, gehe es um Liebe und Vergebung, und dann kommt man an einem schönen Sonntagmorgen in die Kirche und hört Jesus von Zorn und Gericht und von Höllenfeuer reden. Und damit nicht genug. Er spitzt es noch mehr zu und sagt, dass Zorn und Todschlag ein und dasselbe sind, dass der, der für Mord im Gefängnis sitzt und die, die ihrem Ehemann zürnt, gleichzusetzen sind. Ist das nicht ein wenig übertrieben?

Nein, das ist Ausdruck von Respekt. Das bringt zum Ausdruck, dass es Jesus nicht gleichgültig ist, wie wir unser Leben gebrauchen und missbrauchen. Jesus kennt die Macht des Wortes, er weiß, wie Worte verschließen und ausschließen können, wie sie Leben zerstören können, das Gott uns gegeben hat, damit wir es miteinander teilen. Deshalb warnt er uns mit den stärksten Worten der Sprache, damit wir es hören und die Worte besser gebrauchen.

Jesus geht aus von dem fünften Gebot im Gesetz des Moses: Du sollst nicht töten. Vielleicht das grundlegendste und einleuchtendste Gebot von allen. Es ist bestimmt weder unfassbar noch fern. Aber Jesus radikalisiert das Gebot. Er sagt, dass Gott nicht nur auf unsere äußeren Handlungen achtet, sondern auch auf unsere Worte und Gedanken. Ein Leben nach dem Willen Gottes leben, das ist nicht nur dem Buchstaben des Gesetzes folgen, da geht es nicht nur um konkrete Handlungen, ganz konkret, dass man nicht andere Menschen umbringt. Es geht auch darum, wie wir von einander denken, um das, was wir über andere sagen, darum, in was für einem Ton wir von ihnen sprechen. Denn der Zorn beginnt mit den Worten.

Es heißt in der Bibel, dass Gott mit seinem Wort die Welt schuf und dass der Mensch als Geschöpf im Bilde Gottes geschaffen auch die Macht des Wortes in den Mund gelegt bekommen hat. Auch unsere menschlichen Worte haben in diesem Sinne schöpferische Kraft.

Mit Schimpfworten nehmen wir einander das Leben – Stück für Stück. Die Erwachsenen, die mit Worten und im Tonfall signalisieren, dass Kinder eigentlich nie das Richtige tun können, die Erwachsenen, die auf die Idee kommen können, das Kind, mit dem sie zu tun haben als „hirnlos“ oder „Idiot“ zu bezeichnen, sie zerstören damit allmählich den Glauben des Kindes an sich selbst.

Jesus nennt die Schimpfworte „Nichtnutz“ oder „Narr“. Ausdrücke, die diejenigen, die wir damit meinen, gleichsam vor die Tür setzen. Mit einem Nichtsnutz will niemand spielen, man nimmt ihn auch nicht ernst. Und ein Narr, das ist jemand, mit dem selbst Gott nichts zu tun haben will.

Luther kannte seine Bibel, und er hat von Jesus gelernt. Er weiß, dass wir einander Schaden zufügen und Schaden an der Seele nehmen können, ohne jemanden umzubringen. Er kennt die Macht des Wortes. Im Kleinen Katechismus legt er die zehn Gebote aus. Und man kann an der Auslegung des fünften Gebotes merken, dass er sich die Rede Jesu in diesem Text zu Herzen genommen hat. Luther schreibt: „Du sollst nicht töten. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und leiben, dass wir unseren Nächsten an seinem Leben keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten“. Es geht also nicht nur um Mord und Todschlag, sondern darum, in Wort und Tat eine andere Geschichte vom Nächsten zu erzählen als dass er ein Idiot ist, nämlich dies, dass er ein Freund ist, den ich brauche und der mich braucht.

Der Ton in dem, was Jesus hier sagt, ist nicht nur ernst, da ist auch Humor im Spiel in der provozierenden Art und Weise, in der er unser Leben zuspitzend beschreibt. Er macht deutlich, wie unmöglich unser Traum vom perfekten und unangreifbaren Leben ist. Weder die neurotische Gesetzestreue der Schriftgelehrten und Pharisäer noch unser eigenes Fassaden-Dasein, bei dem wir sorgsam Türen und Fenster schließen, wenn wir uns streiten, damit der Nachbar nicht mithört, öffnen das Himmelreich für uns.

Der einzige, der den Himmel für uns öffnen kann, das einzige, was unserem Leben hier auf Erden etwas von der Herrlichkeit wiedergeben kann, zu der es geschaffen ist, ist Gott selbst. Er hat den Schlüssel, und diesen Schlüssel hat er in die Hand Jesu gelegt. Mit diesem Schlüssel will Jesus heute unser verschlossenes Leben öffnen. Ihr redet viel von Gerechtigkeit, sagt Jesus. Und das ist gut so. Gerechtigkeit, dagegen ist nicht zu sagen. Gerechtigkeit ist notwendig zum Schutz der Schwachen. Aber wenn ihr Gerechtigkeit dazu verwendet, andere Menschen zu bewerten, wenn ihr darauf fixiert seid, herauszufinden, wessen Gerechtigkeit am größten und am besten ist und ob da jemand ist, der zu wenig Gerechtigkeit hat oder gar ganz ohne Gerechtigkeit ist und deshalb in euren Augen nicht gut genug ist, dann ist das nicht in Ordnung.

Das Dasein ist bunt und kompliziert.  Das weiß Jesus. Denn er hat es mit uns geteilt. Er weiß, auch wenn das Gesetz Gottes, das einfache Gesetz der Liebe, nicht etwas ist, was weder unbegreiflich oder ganz fern von uns ist, so verfehlen wir es dennoch. Das ist Sünde, und das nennt er Sünde: das Ziel verfehlen, das Leben verfehlen, das Gott uns anvertraut hat. Und dagegen muss etwas getan werden, aber also nicht so, dass man Sünder kategorisiert, indem man sie graduiert oder einige zu größeren Sündern macht als andere. Der Ehemann, der seiner Frau die Freude am Leben nimmt in einem lebenslänglichen Meckern, ist kein feinerer Sünder als der, der im Gefängnis landete mit Blut an den Händen. Und alles beginnt also mit den Worten, die Realitäten schaffen, mit den zornigen und herablassenden Worten, die Abstand und Distanz schaffen und uns schließlich vergessen lassen, dass wir für einander Mitmenschen sind.

So sind für Jesus der Glaube an Gott und unsere Art und Weise, einander zu betrachten und zu behandeln, zwei Seiten ein und derselben Sache. Es macht keinen Sinn, hier in der Kirche zu sitzen und fromm auszusehen, wenn wir nachher hingehen und andere Menschen in den Schmutz ziehen.

Wenn wir sagen, dass wir glauben, dann muss der Glaube auch in unserem Leben miteinander zu spüren sein. Wir sollen nicht nur die zehn Gebote einhalten – hier also das fünfte Gebot. Wir sollen es nicht nur unterlassen, einander umzubringen, auch wenn wir Lust dazu hätten. Nein, wir sollen das Böse an der Wurzel packen: Unsere eigenen Worte, unsere Vorurteile, unsere Selbstsucht und unser Neid. Wir sollen den Zorn nicht Macht über uns gewinnen lassen, und wir sollen auf die Worte achten, die wir benutzen, wenn wir zu und mit einander reden.

Von Gott haben wir Worte in unserem Mund, Worte, die verkrüppeln können, Worte, die aufrichten können, Worte due guttun können, und Worte, die wehtun können. Mit den Worten haben wir teil an der Schöpfermacht. Es gibt zu denken, dass zwischen Wort und Mord nur zwei Buchstaben verschieden sind.

Wir können einander mit Worten verletzen. Wir können den Mut zum Leben erschlagen. Wir können Hass erregen und Kriege beginnen.

Aber wir können also auch die Worte anders gebrauchen. Wir können Brücken bauen zu anderen Menschen. Und der erste Stein zu der Brücke wird gelegt, wenn wir verstehen, dass das, wovon Jesus heute spricht, nicht in erster Linie die anderen betrifft, sondern doch und mich.

Oft haben wir vor allem einen Blick für das, was andere falsch sagen oder tun und was sie uns schulden. Aber Jesus kehrt also das Bild um, so auch heute. Wenn wir und heiß gedacht und geredet haben über das, was andere im denken und Tun falsch gemacht haben, dann sagt Jesus: Es könnte ja genau umgekehrt sein, dass dein Bruder etwas gegen dich hat. Gebraucht die guten Worte, die ihr habt, gebraucht die Möglichkeit, die ihr habt, um ins Gespräch zu kommen, versöhnt euch miteinander, während ihr zusammen auf dem Wege seid. Dazu haben wir die Sprache und nicht dafür, dass wir über einander richten und andere verurteilen.

So redete er und so lebte er. So starb er am Kreuz, ohne zu verdammen und zu richten, sondern er bat für seine Henker: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Deshalb besteht Hoffnung, auch für uns!

Die Alten hatten die Steintafeln mit den Zehn Geboten. Wir haben Jesus und seine provozierenden Worte. Du sollst nicht töten. Das gilt noch immer. Dazu fügt Jesus die Wahrheit über die schöpferische Macht der Worte. Er will, dass wir die Worte besonnen verwenden. Er will, dass wir gute Worte über einander gebrauchen, vor allem auch die, die wir nicht mögen – und das Wunderbare geschieht: Unsere Worte bewirken das, was sie sagen. Der, den wir einen Freund nennen, wird freundlicher, der, den wir einen Menschen nennen, wird menschlicher. Man muss nur damit beginnen! Amen.

 

Bischof Peter Fischer-Møller

Roskilde

Email: pfm(at)km.dk

 

 

 

 

 

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