Predigt und ein Trostbrief

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Predigt und ein Trostbrief

Titel der Predigt: Glaubwürdige und unglaubwürdige Frömmigkeit | Estomihi  14.Februar 2021 | Jesaja 58,1-9a | Ulrich Wiesjahn |

Hinweis: Unterhalb der Predigt findet sich aus aktuellem Anlass ein „Trostbrief in Coronazeiten“.

Liebe Gemeinde! Liebe Nachdenkliche!

Meine Gedanken in dieser Predigt beschäftigen sich mit etwas ganz Wichtigem, nämlich mit dem, was wir „Glaubwürdigkeit“ nennen. Dazu stehen mir aus jüngster Zeit zwei Bilder vor Augen. Da ist das Bild des eine Bibel schwenkenden Donald Trump im Wahlkampf, so als wäre diese die Grundlage seines politischen Handelns. Es ist für mich das Bild einer Unglaubwürdigkeit. Im Kontrast dazu erscheint Angela Merkel meist als sehr nüchtern, ernst, ja kühl sachlich. Doch gerade das wird in der Bevölkerung als glaubwürdig empfunden.

Was ist denn nun „glaubwürdig“? Mit einem Satz geantwortet: Hier muss etwas übereinstimmen. Denken, Reden und Handeln müssen eine Einheit bilden. Und warum müssen sie das? Weil Glaubwürdigkeit zu den wichtigsten Elementen des Zusammenlebens zählt. Sie ist ein Grundwert für jede Gemeinschaft. Glaubwürdigkeit ist eine der wichtigsten Verbindungen der Menschen untereinander.

Was nun für jede Gemeinschaft gilt, das gilt nun im besonderen Maß für alle Religionen und Glaubensgemeinschaften. Denn sie haben alle eine Botschaft. Sie predigen, lehren und handeln – und sie werden daran gemessen, ob das alles zusammenpasst. Und das kann immer wieder gehörig schief gehen. Als Beispiele fallen mir da die Missbrauchsskandale ein, aber auch das peinliche Verhalten unserer Kirchen in den Zeiten der Nazi-Diktatur. Da beteten sie nicht ganz selten für diesen furchtbaren Diktator und hatten kein Wort für die verfolgten Juden übrig.

Und noch ein letzter Gedanke, bevor wir den biblischen Abschnitt für diesen Sonntag hören: Glaubwürdigkeit verlangt Mühe, verlangt Geradlinigkeit und Selbstzucht, verlangt vor allem Mut. Deshalb muss Glaubwürdigkeit Prüfungen bestehen. Wer ein Beispiel dafür haben möchte, der denke an die drei teuflischen Versuchungen Jesu, die in Wahrheit hochmenschliche Versuchungen waren: Menschheitsbeglückung, Ruhmsucht, Macht. Erst nach dieser Glaubwürdigkeitsprüfung trat Jesus an die Öffentlichkeit.

Und nun hören wir heute ein viel älteres, aber geradezu klassisches Propheten- und Gotteswort vom 2.Jesaja. Hören Sie genau hin, wie da eigentlich ganz eifrige und nach Gott fragende Menschen eben von diesem Gott zurechtgewiesen werden!

Lesung von Jesaja 58,1-9a
1 Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. 3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?« Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? 6 Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. (LUT17)

An dieser Stelle nur Stichpunkte, weil der Gesamttext doch recht lang ist:

Gott spricht zum Propheten: Rufe laut – Verkünde ihre Abtrünnigkeit – Sie suchen mich täglich – Sie wollen Gott nahe sein – Warum fasten wir und du siehst es nicht an? so fragen sie – Gottes Antwort: Ihr seid nur Geschäftemacher, Bedrücker, Zänker – An eurem Fasten habe ich keinen Gefallen – Ein anderes Fasten gefällt mir: Lass Gebundene frei, brich den Hungrigen dein Brot, Obdachlose beherberge, Nackte bekleide – Dann wird dein Licht aufleuchten und deine Heilung voranschreiten – Und wenn du dann zu Gott rufst, wird er dir antworten und sagen: Hier bin ich!

Das ist schon eine gewaltige Rede, liebe Gemeinde, eine erregte Gottesrede, die eine unglaubwürdige Frömmigkeit geißelt. Reden und Handeln gehen da weit auseinander. Die Sozialverhältnisse sind im Geschäftlichen, in der Sklavenhalterei und im alltäglichen Gezänke skandalös. Da verlieren alle religiösen Verrichtungen ihren Wert. Da wird die Frage nach Gott nur zum engen Egoismus. Das könnt ihr mit eurer Frömmelei nicht guttun, sagt der erregte Gott.

Welche Gedanken schließen sich mir da an diese Gottesrede an? Es sind diese: Erstens, der Glaube an Gott spielt sich hier bei uns auf der Erde im Alltag ab. Und zweitens: Glaube und Frömmigkeit sind nie privat. Was ich glaube, denke und bekenne, muss sich im Umgang mit anderen zeigen. Wir verlieren Gott, wenn wir mit den Mitmenschen nicht klarkommen.

Doch dann endet die große Gottesrede in einer wunderbaren Aussicht: Geht das Zusammenleben hier auf Erden gut, dann leuchtet uns das Gotteslicht, dann sind wir geheilt, dann sind auch unsere Lebensfragen beantwortet. Dann sind wir bei Gott hier auf dieser Erde.

An dieser Stelle könnte ich jetzt einen Punkt setzen und ein Amen sprechen. Aber ich habe das Gefühl, dass wir das Thema „Glaubwürdiges Glauben und Leben“ doch noch ein bisschen übertragen müssen. Wir hier in der Kirche, ein eher kleines, unscheinbares, oft etwas vereinzeltes Häuflein haben mit den großen Sozialproblemen oft nur von fern zu tun. An welcher Stelle, so möchte ich jetzt fragen, fehlt uns vielleicht die Glaubwürdigkeit? Und da antworte ich frischweg: Es ist unsere Schüchternheit, unsere innere Zurückgezogenheit und Privatheit unseres Glaubens. Natürlich sind auch wir voller Fragen, oft voller Unruhe, sind gar nicht heil und im Licht der Offenbarung. Diese Zaghaftigkeit wirkt dann müde, resigniert und flüchtet nur zu gern in die Ablenkung. Ohne einen inneren Kompass entsteht entweder Ziellosigkeit oder Unruhe oder am Ende bloß Gleichgültigkeit.

Liebe Gemeinde!

Das sollen jetzt nur so ein paar Denkanstöße sein. Möglicherweise empfinden Sie vieles anders als ich. Aber die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Glauben und Leben verbindet uns sicher. Ja, unser Glaube steht und fällt mit der persönlichen Glaubwürdigkeit. Sie spielt im großen gesellschaftlichen und weltpolitischen Leben genauso eine Rolle wie im engeren Bereich der Gemeinde, der Familie, der Freundschaft und Nachbarschaft. Und sie spielt nicht zuletzt für das eigene Seelenleben eine nicht unerhebliche Rolle. Lebe ich mit mir selbst im Frieden? Das wäre noch einmal ein ganz eigenes Thema.

Ich schließe mit den letzten Sätzen der Gottesrede: „Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen. Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich!“

A m e n.

Pfr.i.R. Ulrich Wiesjahn, Goslar

E-Mail: ulrich.wiesjahn@web.de

Langjähriger Pfarrdienst in Berlin und Goslar, lange zuständig für ein Alten- und Pflegeheim. Autor verschiedener theologischer und schöngeistiger Werke und Verfasser des Blogs kritischfromm.wordpress.com (auch: Der christliche Blogger) zu Fragen des Christentums in der Gegenwart.

Trostbrief in Coronazeiten, in Krankheit und im Alter, zum 24.Januar 2021

„Zu seinem Glück gezwungen“

Liebe Leserinnen und Zuhörer!

Über diese Redensart muss ich jetzt häufiger nachdenken: „Man wird zuweilen zu seinem Glück gezwungen“. In meinem Lebensrückblick fallen mir dazu einige Ereignisse ein, die ich anfangs als bitter und enttäuschend erlebt habe und die sich im Nachhinein als glückliche Fügungen herausgestellt haben. Meine unfreiwillige Übersiedlung von Ost- nach Westdeutschland gehörte dazu. Auch die Nichtverwirklichung eines ursprünglichen Berufswunsches erwies sich als mein Glück. Und dann machte ich die Erfahrung, dass meine poetische Produktivität immer zunahm, wenn ich unter inneren Spannungen litt.

Nun können Sie einmal nachforschen, ob es in Ihrem Leben Ähnliches gegeben hat: eine Verhinderung hat sich als segensreich erwiesen, ein Zwang führte ins Glück. Als pädagogische Erfahrung kennen wir das: als Kind oder Jugendlicher oder sonst Begeisterter hat man seine Träume und Wünsche – und dann kommt von irgendwoher die nüchterne Stimme: „Geh einen anderen Weg! Da kommst du zu einem Ziel. Denn deine Träume zerplatzen und lassen dich ratlos zurück.“ Ein Schulfreund erzählte mir kürzlich, wie ein Lehrer ihm vom Abitur abriet und ihm die Praxis empfahl. Das war sein Glück.

Wenn wir nun heute – im Alter und an der Grenze der Kräfte – auf unser Leben blicken, gäbe es da auch so etwas, dass wir zu unserem Glück gezwungen werden müssen? Denken Sie doch einmal darüber nach! Haben wir noch Sehnsucht nach Glück, Frieden, Erlösung, Freude? Hält uns noch etwas wie ein Zwang fest: alte Träume, ungelöste Probleme, offene Rechnungen? Oder ist es eine abgrundtiefe Gleichgültigkeit? Wozu müssten wir jetzt zu unserem Glück gezwungen werden?

Mir ist als erstes Beispiel der Apostel Paulus eingefallen. Der litt unter einer quälenden Krankheit und bestürmte Gott. „Dreimal habe ich zum Herrn gefleht, dass er sie von mir nehme“, schreibt er im 2.Korintherbrief. Und als Antwort erhält er von Gott: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Was ist Gnade? Es ist Zuwendung. Und die Zuwendung Gottes kann überall anwesend sein, vor allem in der menschlichen Schwäche. Und als nächstes kamen mir die Seligpreisungen Jesu in den Sinn, mit denen er seine Bergpredigt Matthäus 5 beginnt: Selig sind die Armen, die Leidenden, die Hungernden usw. Wo der Mensch am dünnhäutigsten ist, da soll er die Nähe Gottes spüren.

Und nun sind wir „gezwungen“, unter den gegenwärtigen Bedingungen zu leben. Und da sollten wir uns auf die Suche begeben, ob sie uns nicht auch zu unserem Glück führen könnten. Mit diesem Wunsch grüße ich Sie,

Ihr Ulrich Wiesjahn.

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