Predigt zu Jes 65,17–25

Home / Bibel / Altes Testament / 23) Jesaja / Isaiah / Predigt zu Jes 65,17–25
Predigt zu Jes 65,17–25

Vor der Tür | Ewigkeitssonntag | 21.11.2021 | Predigt zu Jes 65,17–25 | verfasst von Christoph Kock |

Kock_Predigt über Jes 65,17-25 (Ewigkeitssonntag)_Plakat

I. Die Treppe auf dem Grabstein

Was ist das? Ich bleibe stehen und halte inne. Das will ich mir in Ruhe ansehen: Eine Treppe. Stufe um Stufe führt sie in die Höhe. Ein Mensch hat sie erklommen. Noch eine Stufe, dann erreicht er eine Tür. Gleich wird er hindurch gehen. Was kommt dann? Ich kann es nicht sehen. Aber was ich sehe, macht mich neugierig. Darauf, wie es weiter geht.

Diese Treppe sehe ich auf dem Friedhof an der Caspar-Baur-Straße. Über einem Grab. Eingraviert in einen Grabstein. Die letzte Ruhestätte. Endstation eines Lebens. Für manche markiert dieser Ort einen Übergang. Die Stufen sind erklommen. Du stehst vor einer Tür. Dahinter geht es weiter. Die Frage ist nur wie.

Wohin es geht, wenn jemand gehen muss? Dass weiß keiner. Von dort ist noch niemand zurückgekehrt. Leben ist eine Einbahnstraße. Es geht immer nur in die eine Richtung. Auf dem Friedhof wird Abschied endgültig. Leben ist aus und vorbei. So viel verloren. Erinnerung in Stein gemeißelt: Ein Leben ist gelebt worden. Jetzt ist es Vergangenheit. Und doch stehe ich vor einem Grabstein, der noch eine Botschaft hat. Es geht weiter. Irgendwie. Hinter der Tür.

II. Irgendetwas ist anders

Es geht weiter. Hinter der Tür. Dafür sorgt Gott. Denn Gott, so sagt die Bibel, ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten. Gott versteht sich nicht auf Grabpflege, sondern aufs Lebendigmachen. Aber wie soll ich mir das vorstellen?

Stell dir vor, du wachst eines Morgens auf und spürst, irgendwas ist heute anders. Du kannst nur nicht genau sagen, was. Es ist noch nicht greifbar, liegt aber in der Luft. Du stehst auf und reckst dich. Nein, Flügel sind dir nicht gewachsen. Das nicht. Du musst zur Arbeit wie jeden Morgen, und die Kinder sind schon auf dem Weg zur Schule. Das ist wie immer. Unterwegs hörst du Menschen lachen. Schon so früh am Morgen. Dir gefällt die Stimmung. Beschwingt machst du dich an deine Arbeit. Du bist dir sicher: Was du jetzt auf den Weg bringst und aufbaust, kommt dir zu gute. Was du säst, wirst du ernten. Das ist für dich selbstverständlich. Darauf kannst du vertrauen. Und das ist anders. Das muss neu sein. Aber du kannst dich gar nicht mehr daran erinnern, wie es vorher war.

III. Ein neuer Himmel und eine neue Erde

Es geht weiter. Hinter der Tür. Dafür sorgt Gott und lässt ausrichten:

Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.

Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

IV. Himmel auf Erden

Zukunftsmusik aus dem Jesajabuch. Gott schafft einen neuen Himmel und eine neue Erde. Ganz nah dran am alten Himmel und an der alten Erde. Da leben, arbeiten und sterben Menschen. Schlaraffenland wäre anders. Paradies auch. Und doch: Menschen leben ein langes, erfülltes Leben. Keine Kinder, die viel zu früh sterben. Es hat sich in Jerusalem ausgeklagt. Das wäre ganz anders. Ich muss es noch einmal lesen. Wieder und wieder. Was für eine schöne neue Welt:

Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.

Menschen leben von ihrer Hände Arbeit und genießen deren Ertrag. Keine Ausbeutung, kein Krieg bringt sie darum.

Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse.

Das wäre ganz anders. Aber dann wird es immer erstaunlicher:

Menschen haben einen direkten Draht zu Gott.

Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.

Widersprüchliches wird miteinander versöhnt, Gewalt Vergangenheit sein. Keiner tut mehr Böses.

Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

Das Jenseits findet im Diesseits statt. Keine Aufregung mehr um niedrrheinische Wölfe in der Nähe der Schafe. Ponys bleiben nachts auf ihrer Weide, ohne Schaden zu nehmen. Dass die Wölfin „Gloria“ wieder Nachwuchs hat, findet keiner mehr bedrohlich. Die Hirten lassen gratulieren. In Jerusalem gründet der Himmel auf der Erde. Und erstreckt sich so weit, dass der Niederrhein darunter Platz hat und viele andere Orte ebenso.

 

V. Hoffnung zieht Kreise

Die Zukunftsmusik aus dem Jesajabuch zieht Kreise. In Synagogen und Kirchen setzen sie ihre Hoffnung auf Gott, der lebendig macht und Neues schafft. Wer diese Hoffnung teilt, wird unzufrieden mit der Welt, in der er jetzt lebt. Bewegt von Nachrichten wie diesen:

Menschen an einer Grenze. Auf der einen Seite liegt Polen, auf der anderen Belarus. Das weißrussische Regime lockt Flüchtlinge hierhin. Angeblich könne man hier – mitten im Wald – in die EU gelangen. Eine Lüge. Die Menschen stecken fest. Hausen unter freiem Himmel oder in Zelten. Können nicht vor und zurück, von jeder Versorgung abgeschnitten. Vor ihnen Stacheldraht und polnische Soldaten, die die Grenze sichern. Hinter ihnen belarussische Soldaten, die sie zur Grenze treiben. Das Regime in Minsk will die EU destabilisieren und inszeniert ein Versagen in Sachen Menschenrechte. Die polnische Regierung sieht in den Migranten eine Gefahr, die es um jeden Preis abzuwehren gilt. Auch wenn einige an der Grenze erfrieren. Andere sehen in ihnen Menschen, die Nahrung und warme Kleidung brauchen, demonstrieren in Warschau gegen deren Abweisung.

Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse.

Wenn doch auch für die Menschen an der Grenze endlich wahr würde, was der Prophet im Jesajabuch geschaut hat. Wie das nur gehen kann? Dass Menschen von ihrer Hände Arbeit leben und in ihren Häusern wohnen können. Mit Militäreinsätzen wohl nicht, wie Afghanistan gezeigt hat. Schon eher mit dem Bau von Schulen und der Sorge für sauberes Trinkwasser. Entwicklungspolitik, für die Fantasie und Ausdauer nötig ist. Das wäre ein Schritt Gott entgegen. Oder ist es Gott, der unserer Welt dann entgegenkommt? Zukunft, die Gegenwart verändert. Zukunftsmusik, die einem aus der offenen Tür entgegenklingt. Ein Hauch vom Himmel hier und jetzt, vor der Tür.

Die Zukunftsmusik aus dem Jesajabuch zieht Kreise. In Synagogen und Kirchen setzen sie ihre Hoffnung auf Gott, der lebendig macht und Neues schafft. Wer diese Hoffnung teilt, sieht die Welt mit anderen Augen. Den Friedhof auch. Nicht als Endstation, sondern als Übergang. Gott entgegen.

Immer noch stehe ich vor dem Grabstein mit der Treppe. Lange habe ich die Figur vor der Tür angeschaut. Auch wenn ich nicht weiß, was mich hinter der Tür erwartet. Ich glaube, dass es gut sein wird. Eben himmlisch. Und anders. Keine Tränen mehr. Keine Gewalt. Kein Elend. Keine Flucht. Weil Gott mich erwartet. Mein Blick wandert den Grabstein entlang, ich lese den Namen. Ob für dich im Himmel oder für uns auf Erden. Hier in Wesel oder an der Grenze zur EU. Das Beste kommt noch – muss noch. Weil Gott Himmel und Erde neu macht. Amen.

Lieder:

EG.E 8: Es kommt die Zeit

EG 153: Der Himmel, der ist

 

Schuldbekenntnis

Du bist ein Gott, der da hilft, und der Herr, der vom Tode errettet.

Wir weichen dem Tod lieber aus, solange es geht.

Deiner Macht über den Tod trauen wir nichts zu.

Was du verheißt, geht über das hinaus, was wir uns vorstellen können.

Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich.

 

Gnadenzuspruch

Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR:

Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. (Jer 29,11)

Ehre sei Gott in der Höhe.

 

Fürbitten

Gott, wo wir nur Vergängliches sehen,

hat dein ewiges Leben schon begonnen.

Schenke uns die Hoffnung

auf ein Leben mit dir.

Du wirst alle Tränen abwischen

und uns trösten.

Stärke unser Vertrauen,

dass du stärker bist als der Tod.

Hilf uns weitergeben, was uns tröstet,

an Menschen, die einsam, verbittert und verzweifelt sind.

Darum bitten wir in Jesu Namen und singen:

Gemeinde:       Christus, dein Licht (Taizé)

 

Gott, wo wir alles verloren geben,

sind wir bei dir nicht vergessen.

Schenke uns die Hoffnung

auf ein Leben mit dir.

Du machst alles neu.

Deine Liebe ist stärker als der Tod.

Stärke unsere Gewissheit,

dass bei dir niemand verloren ist,

auch nicht die Menschen, die wir begraben mussten,

die wir vermissen.

Darum bitten wir in Jesu Namen und singen:

Gemeinde:       Christus, dein Licht. (Taizé)

 

Gott, wo jetzt Trauer und Angst lähmen,

eröffnest du neue Wege.

Stärke unsere Hoffnung

auf ein Leben mit dir.

Du ergreifst Partei für das Leben.

Hilf uns,

es dir gleich zu tun:

Sich einsetzen für die Opfer von Krieg und Gewalt.

Dem Hass widerstehen.

Not lindern.

Darum bitten wir um Jesu Namen und singen:

Gemeinde:       Christus, dein Licht  (Taizé)

 

Gott, wo Menschen einsam werden,

hast du Gemeinschaft im Sinn.

Stärke alle Initiativen,

die Menschen miteinander verbinden.

Hilf uns, das Mögliche zu tun.

Einander wahrnehmen.

Aufeinander achten.

Freud und Leid miteinander teilen.

Darum bitten wir in Jesu Namen und singen:

Gemeinde:       Christus, dein Licht. (Taizé)

Bei dir sind wir geborgen.

Darauf vertrauen wir.

Gemeinsam beten wir mit Jesu Worten …

 

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

 

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

de_DEDeutsch