Predigt zu Johannes 7, 37-39

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Predigt zu Johannes 7, 37-39

„Dramatische Ereignisse“| Sonntag Exaudi, 16. Mai 2021 | Predigt zu Johannes 7, 37-39 | verfasst von Matthias Wolfes |

  „Aber am letzten Tage des Festes, der am herrlichsten war, trat Jesus auf, rief und sprach: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, welchen empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Heilige Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verklärt.“ (Jubiläumsbibel 1912)

Liebe Gemeinde,

wir befinden uns in der Schlussphase der Lebensgeschichte Jesu. Der Evangelist Johannes schildert diese Begebenheiten so: Jesus hält sich, nur von einem allerengsten Kreis, den „Brüdern“, begleitet, im nördlich gelegenen Galiläa auf, jenem Gebiet, in dem sich auch der See Genezareth befindet. Das südliche Judäa mit Jerusalem als Zentrum mied er, weil er befürchtete, dort verfolgt zu werden.

Als aber das Laubhüttenfest herannahte, also der Herbst sich einstellte, forderten diese „Brüder“ Jesus auf, die Verborgenheit aufzugeben und nach Judäa, das heißt nach Jerusalem, aufzubrechen. Mache dich auf von dannen und gehe nach Judäa, auf daß auch deine Jünger sehen, die Werke die du tust“ (Joh 7, 3). Sie wollten Jesus damit zu einer entscheidenden Tat bewegen, waren doch, so der Evangelist Johannes, auch sie selbst noch nicht völlig von seiner Vollmacht überzeugt: „Niemand tut etwas im Verborgenen und will doch frei offenbar sein. Tust du solches, so offenbare dich vor der Welt.“ So sprachen sie, „denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn“ (Vers 4 und 5).

I.

Das ist die Ausgangslage. Ich finde es verwunderlich, dass sich diese Schilderung so wenig in das allgemeine Bewusstsein vom Wirken Jesu eingesenkt hat. Die Schwierigkeiten, denen Jesus ausgesetzt gewesen sind, waren gar nicht in erster Linie solche der Opposition seitens der etablierten Religionsmächte, der Priesterschaft und Gesetzesausleger. Gewichtiger dürfte gewesen sein, dass er sich immer wieder mit Bedenken und Fragen aus seiner eigenen Anhängerschaft konfrontiert sah.

Dabei müssen wir uns vor Augen stellen, dass wir uns bei all dem stets in der Zeit vor Jesu Tod und seiner Auferstehung befinden. Die Evangelisten lassen allesamt keinen Zweifel daran, dass es erst diese beiden Ereignisse – Tod und Auferstehung – gewesen sind, die zuerst den Jüngern und engsten Anhängern die Augen geöffnet haben und die es dann auch erst haben möglich werden lassen, dass sich eine Gemeinde im Bekenntnis zu Jesus, dem Messias, dem Christus, hat bilden können und gebildet hat.

Unser Predigttext besteht nun aus jenen Sätzen, die Jesus gesprochen hat, als er dann, wie es jene „Brüder“ von ihm gefordert hatten, nach Jerusalem hinauf und in den Tempel gezogen war. Er stellte sich den Gelehrten und dem Volk. Er tat das, indem er „frei redete“ (Vers 26).

Sogleich kam es zu heftigen Reaktionen. Dabei wurde die Berechtigung Jesu bestritten, sich überhaupt in Dingen der Schriftauslegung öffentlich zu äußern: „Wie kann dieser die Schrift auslegen, so er sie doch nicht gelernt hat?“ (Vers 15). Jesus antwortete darauf: „Meine Lehre ist nicht mein, sondern des, der mich gesandt hat.“ (16). In der Folge entwickelt sich ein rednerisches Hin und Her. Jesus verweist auf die heilende Kraft, die von seiner „Lehre“ ausgehe, und nimmt dabei in Anspruch, nicht er selbst, sondern Gott sei die Quelle dieser Wirksamkeit: Ja, ihr kennet mich und wisset, woher ich bin; und von mir selbst bin ich nicht gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, welchen ihr nicht kennet.“ Für Jesus selbst aber gelte: „Ich kenne ihn aber; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt“ (Vers 28).

Seine Zuhörer versetzte Jesus damit in heftige Aufregung. Das kam schließlich auch den Religionsobrigkeiten zu Ohren. Manche „aus dem Volk“ hatten sich bereits, während Jesus gesprochen hatte, daran erinnert, dass hier eingegriffen werden müsse: Da sprachen etliche aus Jerusalem: Ist das nicht der, den sie suchten zu töten?“ (Vers 25). Doch wagte noch niemand, die Hand an ihn zu legen, denn, wie der Evangelist kommentierend bemerkt, „seine Stunde war noch nicht gekommen“ (Vers 30).

II.

Das sind dramatische Ereignisse. Man kann sich schwer einen Begriff davon machen, wie aufgewühlt die Menge durch Jesu Worte gewesen ist, durch die abwehrenden Reaktionen und seine selbstbewusste Widerrede samt erneuter Zurückweisung. Auch Jesus selbst dürfte von all dem heftig bewegt gewesen sein, das scheint mir völlig klar, denn es handelte sich ja um einen wirklichen Menschen.

Er sieht das Ende seines Tuns und Wirkens unter den Seinen und dem ganzen Volk kommen: Ich bin noch eine kleine Zeit bei euch, und dann gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat.“ Das bedeutet Abschied. Es bedeutet eine völlige Neuorientierung, mit der auch erhebliche Probleme verbunden sein werden: „Ihr werdet mich suchen, und nicht finden; und wo ich bin, könnet ihr nicht hin kommen“ (Verse 33 und 34).

Was sich in diesen Tagen unter den Jüngern zutrug, wird aus der Darstellung nicht deutlich. Auch sie werden tief beunruhigt und innerlich aufgewühlt gewesen sein. Wir erfahren nicht einmal, ob Jesus sich in dieser ganzen Zeit stets mit ihnen zusammen befunden hat. Dann aber, „am letzten Tag des Festes“, dem Höhepunkt und Abschluss, „der am herrlichsten war“, erschien er wieder in aller Öffentlichkeit.

Seine Worte, die gewiss noch mehr umfasst haben werden, gibt der Evangelist in aller Kürze so wieder: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.“

Hier stellt er sich nun selbst in den Mittelpunkt. Ihm selbst gilt der „Glaube“. Zu ihm soll man „kommen“; er ist es, in dem „die Schrift“ sich erfüllt.

Das ist das christliche Bekenntnis. Diese Worte stehen am Ende der großen Konfrontation. Von ihnen geht das Licht der christlichen Hoffnung und Befreiung aus, seit jenem Tag.

III.

Liebe Gemeinde, der Evangelist selbst, der uns diese Szene schildert und überliefert, übernimmt auch die Aufgabe der Deutung. „Das sagte Jesus aber von dem Geist, welchen empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Heilige Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verklärt.“ (Vers 39)

Die Verklärung Jesu ist das notwendige Geschehen, das der Aussendung des Geistes an die Gemeinde vorausgehen muss. Diese Verklärung ereignet sich in dreifacher Weise, wie wir es in jedem Gottesdienst wieder bezeugen: Sie ereignet sich im Tod Jesu, der bedingungslosen Selbsthingabe; in der Auferstehung des Gekreuzigten, die für die Überwindung des Todes steht; und sie ereignet sich im heimkehrenden Aufstieg Jesu zu Gott, welcher ihn gesandt hatte und nun bei sich empfängt:

„gekreuzigt, gestorben und begraben […],

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel“.

Unser Text muss als Abschiedsszene verstanden werden. Jesus nimmt Abschied von den Seinen. Er tut das aber mit verheißungsvollen Worten. Sein Abschied trägt die Verheißung in sich, dass eine große Freude die Jünger, die Gemeinde erfüllen werde.

Diese Freude ist unsere Freude. Wir haben sie zu unserer Freude gemacht. Die Sendung des Geistes bedeutet: Gott ist gegenwärtig. Gottes Gegenwart ist der Zeitlichkeit enthoben; sie ist dauerhaft und bestimmt unser ganzes Dasein. Sie gibt uns die Kraft, die Welt zu verändern. Ihr verdanken wir es, wenn das Finstere, die Schrecken und Übel nicht die Übermacht gewinnen.

Und so ist es nicht nur, sondern so soll es auch sein. Diese Freude darüber, dass Gott gegenwärtig ist, lässt uns das Gute wahrnehmen. Der Glaube, das Zutrauen auf Gott, sieht beständig das Gute. Er sieht das Freundliche, das Helle. Und er selbst ist es, der daran arbeitet, die Welt freundlich und hell zu machen. Der Glaube schafft das Gute.

Amen.

Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes

wolfes@zedat.fu-berlin.de

Herderstraße 6, 10625 Berlin

Dr. Dr. Matthias Wolfes ist Pfarrer der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und amtiert zur Zeit an der Evangelischen Trinitatiskirche in Berlin-Charlottenburg (https://www.trinitatiskirche.de).

 

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