Predigt zu Lukas 17,5-6

Home / Bibel / Neues Testament / 03) Lukas / Luke / Predigt zu Lukas 17,5-6
Predigt zu Lukas 17,5-6

Einfach glauben | 15. Sonntag nach Trinitatis | 12.09.2021 | Predigt zu Lukas 17,5-6 | verfasst von Udo Schmitt |

  1. Früher war alles besser – Teil 1: Kindlicher Glaube

Ich habe meine Großmutter immer bewundert, sagte im Gesprächskreis eine Frau mittleren Alters, ich habe sie für ihren Glauben bewundert; sie war sich so sicher, dass sie ihren Mann und alle anderen einmal wieder sieht, das war für sie völlig klar und gar keine Frage. Ich wünschte manchmal, ich hätte etwas von diesem Glauben und dieser Stärke abbekommen. Damals hat man noch an Gott geglaubt. Ich fühle mich da heute immer ganz klein.

Früher, ja früher. Früher war alles besser. Da waren die Kirchen voll. Heute ist nicht mehr viel los mit Christentum und Glauben. Kommt ihnen der Gedanke irgendwie vertraut vor? Die Sehnsucht nach einer längst vergangenen Zeit, in der alles irgendwie einfacher war, einleuchtender und klarer. So wie zu Kindertagen. Als ich noch ein Kind war, da war die Sache klar: Gott wohnt im Himmel und passt auf uns Menschen auf. Als ich größer wurde, kamen immer mehr Fragen dazu: Wie kann man denn übers Wasser gehen, Brote vermehren oder Tote zum Leben erwecken? Wie soll das alles gehen? Kann ich das noch glauben? Jetzt, wo ich erwachsen bin. Als ich Kind war, war mein Glaube groß, als ich groß wurde, wurde mein Glauben kleiner und kleiner.

„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder…“, hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt. Als diese ihn fragten, wer der Größte ist im Himmelreich, da rief er ein Kind herbei, stellte es mitten unter sie und sagte: „Wahrlich, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ (Matthäus 18,1-3). An Gott glauben, heißt, sich etwas von dem kindlichen Urvertrauen zu bewahren. Oder es wieder zu finden. Das Gefühl und die Gewissheit, dass, auch wenn ich nicht allen Fragen und Antworten kenne, ich doch darauf vertrauen kann, dass ich ein Kind Gottes bin und er der liebende Vater, der es gut mit uns meint.

  1. Früher war alles besser – Teil 2: Apostolischer Glaubensmut

Die Sehnsucht nach einer längst vergangenen Zeit, in der alles irgendwie einfacher, einleuchtender und klarer war, ist nicht neu. Sie begegnet im Laufe der Geschichte immer wieder. Gerade in Zeiten großer Veränderungen und rasanten Wachstums wünschen sich Menschen, sie könnten wieder zurückkehren zu den einfachen Anfängen. Ad fontes! Zu den Quellen! Zurück zu den Ursprüngen, riefen schon die Gelehrten am Ende des Mittelalters. Ebenso die Reformatoren, sie verwarfen die dekadente Papstkirche und knüpften wieder bei dem an, was Jesus und seine Jünger selbst gesagt hatten. Zurück zu den Ursprüngen und zur wahren Lehre. Die evangelischen Kirchen entstanden.

Doch die Welt drehte sich weiter und ein Jahrhundert später beschrieben Pietisten die Geschichte der Kirche erneut als eine Geschichte des Verfalls (Gottfried Arnold) und sehnten sich nach der „wahren Gemeine“, nach einer Gemeinschaft, die wieder einfach lebt. Einfach so wie die Apostel damals. So soll es wieder sein: „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen“, dichtete dazu Karl Heinrich von Bogatzky (EG 241) und rühmt der Apostel Wachsamkeit und Heldenmut.

Wiederum ein Jahrhundert später, wir sind mittlerweile in der Zeit der Romantik, als die ersten Eisenbahnen fuhren, da dichtete Philipp Spitta: „Komm zu uns, werter Tröster, und mach uns unverzagt. Gib uns in dieser schlaffen und glaubensarmen Zeit die scharf geschliffnen Waffen der ersten Christenheit“ (EG 136). Und im nächsten Lied im Gesangbuch, das auch von Spitta stammt, heißt es: „Rüste du mit deinen Gaben auch uns schwache Kinder aus, Kraft und Glaubensmut zu haben, Eifer für des Herren Haus… Gib uns der Apostel hohen, ungebeugten Zeugenmut, aller Welt trotz Spott und Drohen zu verkünden Christi Blut“ (EG 137).

  1. Die Sehnsucht nach dem Ursprung

Früher, ja früher. Früher war alles besser. Hieß es auch vor 200 Jahren schon. Und spätestens da war die – jetzt auch so genannte – „Urgemeinde“ zu einem Idealbild und zu einer fast mystischen Größe geworden. Damals, ja damals, da glaubten sie noch wirklich. Wir heute hingegen leben ängstlich und gebeugt in einer schlaffen, schwachen, armen Zeit. Damals war der Glaube groß, heute sind wir ganz klein.

So heißt es seitdem immer wieder. Wobei das, was an der Urgemeinde so fasziniert und vorbildlich erscheint, sehr verschieden ausfallen kann, je nach Mode und Couleur. Die einen rühmen die Einheitlichkeit, die brüderliche Eintracht und das Fehlen von Streit. Die anderen loben Bruderliebe und Diakonie, die Gütergemeinschaft und die Armenpflege. Manch einer suchte in ihr sogar so etwas wie eine kommunistische Urgesellschaft (Karl Kautsky, 1908). Andere wiederum loben die missionarische Tätigkeit, die Verbindung von Lehre und Leben bei Paulus, und die Inkulturation als Beispiel dafür, wie man auch heute das Evangelium ausbreiten solle.

Die Sehnsucht nach dem Einfachen und Ursprünglichen gibt es bis heute. Gerade in Zeiten, die sich so rasant verändern wie die unsrige. Die Welt, in der wir leben, wird uns entfremdet, noch während wir sie erleben, wird urbaner, vernetzter, globaler, komplexer. Mit einem Wort: unübersichtlich. Gerade in solchen Zeiten sehnt man sich zurück nach einem einfachen Leben. Bald schon leben wir fast alle in Städten, Metropolen und Megacities von 20, 40, 60 Millionen Menschen. Gleichzeitig abonnieren immer mehr die Zeitung „Landlust“. Wir bestellen Technik im Internet – und bummeln beseelt auf Mittelaltermärkten. Musik wird am Computer gesampelt und arrangiert, kaum einer der Macher singt oder spielt selbst ein Instrument, gleichzeitig erfreuen uns die „historisch informierte Aufführungspraxis“ mit dem quäkenden Klang von Zink und Grifflochhorn, dem Geschepper von Cembalo und Klavizimbel. Alles möglichst echt, möglichst nah an dem, wie es früher einmal war.

  1. Die Urgemeinde – ein romantischer Mythos

Aber, mit Verlaub, war früher wirklich alles besser? Also mal davon abgesehen, dass ich selbst jünger war und mir alles leichter fiel. Das wohl. Aber war die Zeit wirklich besser? Und war es damals einfacher und sorgenfreier zu leben? Wirklich? Oder wenigstens leichter zu glauben? Ich habe da so meine Zweifel. Und möchte auch nicht unbedingt tauschen. Nicht mit einem Erwachsenen von damals und nicht mit einem Kind von heute.

Auch die Urgemeinde ist ein Mythos. Eine romantische Idee, die Sehnsucht nach einer perfekten Anfangszeit. Eine naive Träumerei. Natürlich war auch schon die erste Christenheit nicht einig. Gerade Paulus zeugt davon in seinen Schriften, wie viel Streit und Parteienzwist es auch schon in den ersten Gemeinden gab. Wie viel Irrtum und wie viel Abweichung. Auch damals gab es schon Arme und Reiche, Kaufleute und Bettler, Müßiggänger und abhängig Beschäftigte, damals übrigens noch Sklaven genannt. Und die Furchtlosigkeit und den hohen, heldenhaften Glaubensmut kann ich bei den Aposteln auch nicht erkennen. Immer wieder schimpft Jesus mit seinen Jüngern, nennt sie furchtsam und kleingläubig. Als die Apostel, so steht es hier bei Lukas, ihn einmal bitten, er möge ihren Glauben doch vermehren und vergrößern, da sagt er ihnen: Wenn ihr nur Glauben habt, so groß wie ein Senfkorn, reicht das schon, denn „dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.“

  1. Ein kleiner Glaube

Es braucht nicht viel, sagt Jesus zu ihnen – und zu uns. Wenn euer Glaube nur so groß ist wie – sagen wir – ein Senfkorn, also winzig, gerade noch sichtbar und kaum der Rede wert, dann reicht das vollkommen. Ihr braucht nicht viel glauben. Ihr braucht nicht vollkommen und perfekt glauben. Ihr braucht nicht sorglos und zweifelsfrei glauben, nicht verbraucherfreundlich und abwaschbar… Es reicht, wenn ihr ein bisschen glaubt. Ein kleiner Glaube. Das ist schon ein Anfang. Und es reicht vollkommen, um viel zu bewegen – Großes zu bewegen und Festes.

Ein Maulbeerbaum steht – so hörte ich – an seinem Platz bis zu 600 Jahre lang. Seine Wurzeln sind alt und sie reichen tief. Ein Maulbeerbaum – so dachte ich – ist wie eine schlechte Angewohnheit, eine fest gefügte und stark verkrustete Struktur, ist wie ein Fleck der nicht weg geht, ist wie die deutsche Bürokratie und die Steuern, mit all den Formularen, Anträgen, Ausnahmen und Paragraphen, die kriegst du nicht weg, dein Lebtag nicht, die waren vor dir schon da und werden auch nach dir noch sein, da bleibst du immer nur zweiter Sieger und der Meister der Herzen. Was kann ich da schon tun. Ich bin doch so klein.

Doch, sagt Jesus, mach dich nicht kleiner als du bist. Sei nicht so kleingläubig. Doch, du kannst, du kannst etwas bewegen in deinem Leben, ein kleiner Glaube, ein bisschen Glaube nur, ein kleiner Fussel Glaube nur, ein Fingerhut voll, und du schaffst das Allergrößte, Allerschwerste und vielleicht sogar das Allerunwahrscheinlichste: Du kannst über deinen eigenen Schatten springen. Deine Angst ablegen. Deine vorgefassten Urteile überwinden. Auch die über dich selbst. Und einfach glauben. Einfach glauben.

Liedvorschläge:

Wo Menschen sich vergessen (HuE 2)

Wach auf, du Geist der ersten Zeugen (EG 241)

O komm, du Geist der Wahrheit (EG 136, HuE 174)

Vertraut den neuen Wegen (EG 395, HuE 308)

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

 

 

de_DEDeutsch