Predigt zu Markus 7,31-37

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Predigt zu Markus 7,31-37

Mit Geduld und Spucke und ohne Worte – die Wahrheit kommt zur Sprache | 12. Sonntag nach Trinitatis | 22.08.2021 | Predigt zu Markus 7, 31-37 | verfasst von Markus Kreis |

7,31 Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und 34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. 36 Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

Liebe Gemeinde,

mit Geduld und Spucke und ohne Worte – die Wahrheit kommt zur Sprache. Was geht da vor? Reden oder Schweigen, Wahrheit oder Irrtum, Gefühl und Wahrheit. Das ist hier im Spiel, dieses hin und her ist zu bedenken.

Reden oder Schweigen. Das Eine schließt das Andere aus. Das ist d e r Gegensatz im Gespräch. Und doch kann es passieren, dass ein Mensch etwas mitteilt, das er gar nicht sagen wollte. Und schweigt, obwohl er etwas zu sagen hätte.

Reden oder sich Verplappern. Wenn ein Mensch redet, dann teilt er dem Hörer etwas Wahres über sich oder die Welt mit. Manchmal gibt er dabei etwas Wahres über sich und die Welt preis, was er verschweigen wollte.

Wahrheit oder Irrtum. Beim Reden oder Verplappern sprechen Menschen Wahrheiten aus. Welche Aussage nun wahr ist, und welche ein Irrtum, das ist manchmal sehr umstritten. Oft braucht es Zeit, um das zu klären. Dann wird geforscht und recherchiert, im Labor beim Experiment und am Schreibtisch in Texten, per Datenbank oder in alten Büchern, mithilfe von Vernunft und Berechnung. Das geht selten schnell, das kann manchmal Jahre dauern.

Beim Reden oder Verplappern sprechen Menschen Wahrheiten aus, die sie gar nicht sagen wollen. Das gibt es nun auch so herum: Manch einer irrt sich beim Reden und sagt etwas Falsches über sich oder die Welt. Und manchem Hörer wird es klar, dass der Sprecher irrt über sich oder die Welt. Die Wahrheit kommt zur Sprache, mit oder ohne unser Zutun.

Das gilt für die Behauptung, die wir mitteilen, aber auch für die Gefühle, die beim Reden im Spiel sind. Im Sprechen teilt ein Mensch auch diese mit. Drückt also aus, ob er mit sich und der Welt gefühlt im Reinen ist. Entweder teilt er beim Reden mit, dass er im Reinen mit sich und der Welt ist. Oder er gibt dem Zuhörer preis, dass er das keineswegs ist. Vielleicht kommt dann rüber, dass er mit der Welt im Reinen ist, mit sich jedoch ganz und gar nicht. Vielleicht zeigt sich, dass er mit sich im Reinen ist, bei der Welt aber völlig daneben liegt. Vielleicht ergibt sich der Eindruck, dass bei ihm beides völlig aus dem Lot ist.

Gefühl und Wahrheit. Da lässt sich sehen: Was einer mitteilt, das ist stark gekoppelt an die Gefühle, die er im Gespräch auslöst. Zuerst der Standardfall: Ein Redner ist mit sich und der Welt im Reinen und sagt etwas Wahres. Beifall von fast allen Seiten. So, wie wenn Einstein heute eine Rede halten würde. Oder wie wenn 100jährige mitteilen, was sie als wichtig im Leben erachten. Eine andere Kopplung lautet: Einer ist mit sich und der Welt im Reinen und sagt etwas, worin er irrt. Auch da kann es Beifall geben, der Irrtum wird als wahr erachtet – wenn auch nur, weil gefühlt selbstsicher aufgetreten wird. Hitler und Konsorten haben das erreicht, die Verbreiter alternativer Fakten. Bleiben noch zwei Fälle: Jemand ist mit sich und der Welt nicht im Reinen und sagt etwas, worin er irrt. Dass hier noch jemand öffentlich Beifall klatscht, dürfte sehr selten der Fall sein. Bei manchen Aussagen von Patienten aus der Geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie dürfte das der Fall sein. Schließlich und endlich: Ein Sprecher ist mit sich und der Welt nicht im Reinen und sagt etwas Wahres. Auch da könnte es Beifall geben, das Gesagte könnte sich als wahr erweisen. Auch wenn der Redner verzweifelt erscheint, nicht mit sich und der Welt im Reinen ist. Jesu Worte am Kreuz fallen mir da zuerst ein. Manches moderne Gedicht.

Wahrheit und gutes Gefühl gehören zusammen. Und doch gilt: Gutes Gefühl allein führt dazu, anfällig für Irrtum zu werden. Sich Wahrem zu verschließen, nur weil der Redner mit sich nicht im Reinen zu sein scheint. Oder einem Irrtum zu folgen, nur weil der Redner gefühlt gut ´rüber kommt.

Wahrheit übersehen und Irrtum glauben. Menschen passiert das, weil sie mit sich nicht im Reinen sind – meist ohne es zu wissen. Oder wie unser Markustext sagt: Weil sie verschlossen sind. Auch Extrovertierten kann das geschehen. Die können ganz schön verschlossen sein. Und umgekehrt: Viele Introvertierte sind offen für das, was um sie geschieht. Selbst wenn man das nicht mitkriegt.

Was macht verschlossen? Der Druck, sei es von Umständen oder Mitmenschen. Der Druck, dem man nicht ausweichen kann, obwohl man es möchte. In unserem Bibeltext der Druck der Volksmenge. Die will nach Gutdünken ihr Spiel mit dem Taubstummen und mit Jesus treiben. Jesus als Scharlatan entlarven. Und damit auch den Taubstummen zum Opfer machen. Wie schon so einige Male zuvor. Hier unter dem Vorwand, dass ihm vom Wanderheiler geholfen werden soll.

Taub und stumm wie dieser eine im Markustext, das sind auch Leute, die zu hören und zu reden wissen. Welcher Druck macht Menschen ohne körperliche Einschränkung verschlossen? Was wollen Sie nicht hören? Worauf wollen Sie nicht angesprochen werden? Was überhören Sie glattweg? Wo bleibt ihnen die Spucke weg? Was macht sie sprachlos? Wo lenken Sie mit ihren Antworten ab, flüchten in Belangloses? Was auch immer…

Ja klar, wenn jemand nur Unsinn redet. Das ist aber nicht gemeint. Sondern wenn Wahres gesprochen wird, das trifft, das bewegt. Von jemandem, von dem sie sich abhängig fühlen. Oder der ihnen überlegen ist oder vorgesetzt. Das berührt unangenehm. Das fühlt sich sehr ohnmächtig an und macht verzweifelt. Tief im Herzen gekränkt. Wie es einem vielleicht auch mit einer echten körperlichen Einschränkung ergeht, bei einer schweren Erkrankung zum Beispiel.

Oder gute Worte von jemandem, den sie lieben oder mögen oder bewundern. Der leise Verdacht raunt stets dabei: Ist das wirklich so gemeint? Oder ist das nur vorgespielt? Aus Höflichkeit oder warum auch immer. Oder bin nicht ich gemeint, sondern nur meine Bereitschaft, mein Geld her zu geben? Oder meine Lust auszuleben? Ist Ausnutzung im Spiel?

Dann legt sich merklos und blitzschnell ein Hebel um. Und sogleich ist das Gefühl genehmer für einen. Das kann Wut sein, die in Gegenwehr mündet. Meist nur in Worten statt Taten. Oft genug leider eher hilflos als wirksam. Oder es folgt Unterwerfung. Damit das Gegenüber keinen Grund hat, noch mal anzugreifen. Um en passant zu zeigen, dass der andere es so oder so gemeint hat, aber keinesfalls gegen einen persönlich. Oder Geschichten werden erfunden. Bei denen der Betroffene wider alle Wahrscheinlichkeit am Ende als Sieger dasteht. Und das Gegenüber wundersam als Verlierer. Auch das ist Verschlossenheit. Nicht nur der Rückzug in ein taubstummes Leben, in die totale Verzweiflung. Eine Verschlossenheit, die nach außen gar nicht so verschlossen ´rüber kommt, sondern sehr beredt und offen. Verschlossenheit gibt es auch als Offenheit, als extrem begrenzte Offenheit.

Die Wahrheit kommt zur Sprache. Ohne unser Zutun. Zu sehen an Jesu Wunder. Was damals geschehen ist, geschieht heute im Geist Jesu. Jesus und sein Geist hellen auf! In einem dreifachen Sinn. Er spürt das beim Verschlossenen auf, was dieser von sich wegschiebt, weil es ihn so ohnmächtig und verzweifelt macht. Dann erhellt Jesus und sein Geist dem Verschlossenen das Verdrängte. Macht bewusst, was da als Verschlusssache in dessen Leben abläuft. Und drittens macht er ihn aufgeschlossen, indem er seinen Horizont erhellt: In all deiner Verzweiflung gibt Dir Gott Hoffnung auf einen neuen Anfang mit Dir selbst. Und mit den Menschen. Sie werden sich dir ehrlich zuwenden. In all deiner Ohnmacht gibt Dir Gott wieder Einfluss auf Dich, neues Selbstbewusstsein und neue Stärke. Und das wirkt auch auf deine Mitmenschen. Das ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr mir Gott Helle macht.

Der Taubstumme wurde erhört und hat doppelt erhört. Hebt an, doppelt zu reden, indem er aufhört zu schweigen und nicht aufhört zu reden. Ob er auch gesungen hat? Ein Wunder! Die Leute können nicht an sich halten und schwärmen von Jesus. Auch das ein Wunder – gedachten sie doch, ihn als einen Betrüger zu entlarven. So kommt die Wahrheit zur Sprache. Ohne unser Zutun.

Was heißt das? Dass Sprechen und Hören nur ein Auslass der Wahrheit ist, nicht ihr Ursprung. Die Wahrheit ist mehr als Sprache. Ohne Worte und mit Geduld und Spucke, so hellt schließlich Jesus und sein Geist einen Verschlossenen auf. Okay, das Wort Hefata wird genannt. Im Zusammenhang mit Seufzen. Das kennt man von Ali Baba und Sesam öffne Dich. Bedeutet also vielleicht auch nur ein Simsalabim oder Abrakadabra. Und woher weiß man das Wort überhaupt? Jesus war mit dem Taubstummen doch nur unter vier Augen zugange. Allenfalls Gesten sind im Spiel, Körpersprache. Mit Bedacht habe ich grad zuvor beim Wirken Jesu und seines Geistes nur das Tunwort Machen benutzt. Und keine Verben, die Ereignisse bei einem Gespräch beschreiben, wie reden, verstummen, hören, antworten, entgegnen.

Jesus und sein Geist wirken in einem Menschen ohne Sprache. Und das äußerst privat, fast intim. Stichwort Finger in die Ohren, Stichwort Jesu Spucke auf fremder Zunge. Jedenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Jesus kapselt ihn ab, quadriert sozusagen dessen Verschlossenheit. Trennt den Taubstummen total von seinen Mitmenschen. Auf dass dieser nur noch mit sich selbst zu tun hat. Und nur noch mit Jesus zu tun kriegt und seinem Geist. Die zwei hängen ihr Wirken nicht an die große Glocke. Das machen die Menschen, die davon was mitkriegen. Zumindest die Volksmenge im Markustext. Wie käme das Ereignis heute an? Jesus – Kranke – heilen – Wunder, das kennt man ja irgendwie. Der Kopf wird kurz gehoben, das Kinn fällt wieder, laaangweiliiiig.

Mensch bringt taubstummen Gott zum Hören und Reden! Das wäre mal eine Ansage. So lautete die Schlagzeile, wenn heute eine Menge Leute dieses Ereignis teilen würden, per Internet oder wie auch immer. Dass Gott einem nichts sagt, dass er wie taubstumm ´rüber kommt, das kennt man schließlich irgendwie. Das wird hingenommen. Da gibt es kein Aufmerken. Nicht öffentlich jedenfalls. Ab und an vielleicht kurz als Gedanke von Einzelnen. Das dann eher halb bewusst. Beten gilt sehr vielen mindestens als kindisch. Und das Erwarten einer hilfreichen Antwort Gottes als Aberglaube.

Unter dieser Voraussetzung wäre das doch die echte Überraschung, eine Schlagzeile wie: Mensch bringt taubstummen Gott zum Hören und Reden! Der Bericht bei Markus erzählt auch diese Sichtweise. Jesus ist der Mensch, der als Gottes Ohr und Mund wirkt. Die neue Schlagzeile entpuppt sich in Wahrheit als alte Ansage. Und weil Gott direkt ohne Worte wirkt, und nur privat, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ist mit der Ansage nichts Neues gewonnen. Die Wahrheit kommt zur Sprache, ohne unser Zutun. Was wir auch sagen oder hören mögen, und verschweigen oder überhören oder nicht verstehen. Die Wahrheit kommt uns zu. Amen.

Markus Kreis, OStR, Werner von Siemens Schule, D-68167 Mannheim, email: markus_kreis@web.de

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