Predigt zu Matth 10,34-39

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Predigt zu Matth 10,34-39

Schönheit meines Glaubens | 21. Sonntag nach Trinitatis | 24.10.2021 | Predigt zu Matth 10,34-39 | verfasst von Marion Werner |

 

Gnade sei mit euch und Frieden, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde,

«Gäbe es in der Welt mehr Frieden, wenn man die Religionen abschaffen würde?» Mit dieser provokanten Frage wurden wir konfrontiert, als wir uns im September zum jährlichen Seminar der lutherischen Gemeinden in der Schweiz trafen. Wir befanden uns in Basel auf dem Gelände von Mission 21 und wollten etwas über Friedensarbeit lernen. «Gäbe es in der Welt mehr Frieden, wenn man die Religionen abschaffen würde?» – aus der kurzen Stille heraus, die diese Frage ausgelöst hat, entwickelte sich ein Gespräch.

Einige hielten daran fest, dass in den Religionen ein grosses Friedenspotential liegt. Die ethische Verhaltensregel, die sogenannte goldene Regel, findet man im Christentum, Judentum, Hinduismus, Buddhismus, Islam, in den Religionen Chinas, dem Bahaitum, im Skihtismus und anderen mehr. «Alles was ihr wollt, dass die Menschen euch tun, das tut ihnen ebenso» – diese Worte Jesu aus der Bergpredigt zitiert der Evangelist Matthäus 7,12. Im Islam heisst es «Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selbst wünscht»  (40 Hadithe;  Sprüche Muhammads von an-Nowawi). Im Buddhismus steht es ausführlicher: «Ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, soll es auch nicht für ihn sein; und ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, wie kann ich ihn einem andern zumuten?» (Samyutta Nikaya V, 353.35-354.2).

Die Goldene Regel ist ein gemeinsames Erbe der Religionen. Würden sich alle daran halten, gäbe es mehr Frieden in der Welt. Ein Teil unserer Seminarbesucher war überzeugt, dass die Religionen ein Mehr an Frieden in die Welt bringen.

Die anderen Seminarteilnehmer aber verwiesen auf die Nachrichten, die uns täglich daran erinnern, wie sehr Religion für Gewalt instrumentalisiert wird. Menschen töten, verletzen und quälen andere Menschen im Namen Gottes und meinen damit etwas Gutes und Gott Wohlgefälliges zu tun. Besonders der Islam gilt als heute als gewaltanfällig. Wenn Glaube sich mit Machtinteressen oder anderen Interessen verbindet, dann steckt ein grosses Potential zur Gewalt darin. Das ist auch in anderen Religionen bekannt. In Japan kennen wir 200 Jahre Christenverfolgung durch Buddhistische Gläubige. Wenn wir im Christentum in die Vergangenheit sehen, dann kennen wir auch dunkle Kapitel wie zB. die Zwangsmissionierung, Inquisition, Kreuzzüge, Konfessionskämpfe.

Religionen können Konflikte auslösen, sie anheizen oder die Grundlage für ein friedliches Miteinander sein. Die Frage, die sich heute stellt, ist: wie kann man das Friedenpotential der Religionen in unserer zerrütteten Welt wirksam machen?

Auch Jesus wusste darum, dass der Glaube an ihn und der Weg der Nachfolge Konflikte mitbringen. Unser heutiger Predigttext steht am Ende der Aussendungsrede Jesu an seine Jünger. Die Worte sind an die Jünger gerichtet und wollen sie darauf vorbereiten, welche Folgen ihr Auftrag, das Lehren und Wirken in Vollmacht und in der Nachfolge mit sich bringen wird.

Jesus sagt:

34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.

36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.

37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.

38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.

39 Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

(Matthäus 10,34-39)

Liebe Gemeinde, das sind sehr harte Worte von dem Mann, denn wir bald zu Weihnachten als Friedefürst besingen, von dem, der in der Bergpredigt, wenige Kapitel vor unserem Bibelwort sagt «Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes heissen». Jesus hat auf den Frieden hingearbeitet, hat uns den Weg in Richtung Frieden gewiesen. Gleichzeitig aber wusste er, dass die christliche Botschaft in den Menschen Reaktionen auslösen wird: positive und negative. Das ist auch heute so.

Und für die Leser des Matthäusevangeliums war das was Jesus sagte konkrete Lebenserfahrung. Als sie sich der neuen Glaubensbewegung anschlossen, waren sie oft zu Außenseitern in ihrer Familie geworden. Aus der Perspektive der Familie betrachtet: Wenn nicht das ganze Haus die Entscheidung für die Nachfolge Jesu Christi mitvollzog, brachte die Taufe Unfrieden und Spaltung in die Familie. Ja sogar Lebensgefahr. Denn Christen wurden ja nach dem Tod von Jesus verfolgt. In der Nachfolge Jesu zu leben, das war im Urchristentum zeitweise weder friedfertig noch familienfreundlich.

Und auch heute ist das Bekenntnis zu Jesus ist nicht selbstverständlich gemeinsames Eigentum ganzer Familien. Jungen Christen wird es oft schwer gemacht, wenn sie als Konfirmanden vor der Kirchentür zum Gottesdienst abgeliefert werden, und sie dabei den Eindruck haben, Vater und Mutter brauchen das nicht – die gehen in Ruhe Kaffee trinken. Oder wenn in mancher Freundschaft über den gespottet wird, dem der Glaube an Gott ein Kraft ist und etwas Heiliges.
Umgekehrt belächeln Jugendliche die Großmutter, wenn ihr der Kirchgang und die Sonntagsheiligung selbstverständlich sind. An mancher Arbeitsstelle gibt es Spott für die, die sich als Christen zu erkennen geben. Sie gelten als Außenseiter. „Du bist doch sonst ein ganz normaler Kollege. Und glaubst an Gott?“ Es tut weh, wenn solche Gräben durch die eigene Familie oder durch Freundschaften gehen. Es ist unangenehm, wenn Familie oder Freunde das, was einem wichtig und heilig ist, für belanglos oder überflüssig und völlig weltfremd ansehen.
Man soll bei ihm lernen, das Kreuz auf sich zu nehmen, sagt Jesus. In bestimmten Ländern ist es auch heute noch lebensgefährlich, sich als Christ zu bekennen. Bei uns nicht. Aber um Jesu willen zu erdulden, dass man nicht verstanden wird oder mit seinem Glauben in einer glaubenslosen Umgebung lebt, das muss mancher und manche auch heute bei uns ertragen. Was wir hier im Matthäusevangelium in so unbequemen Worten lesen, wird immer wieder auch bei uns aktuell.
Auch im größeren Maßstab. Mit uns leben Mitbürger, die dem Islam oder anderen Religionen angehören. Wenige sind dabei Fanatiker, die einen Gottesstaat auch in Europa errichten möchten, in dem die Ungläubigen, also auch die Christen, unterdrückt werden. Die meisten leben ihren Glauben unauffällig und unaufdringlich. Aber verleugnen würde ihn wohl keiner und keine. „Ich bin Muslim“, das wird viel eindeutiger gesagt als „Ich bin Christ“.

Zu den christlichen Tugenden gehört die Toleranz. Wir wollen anderen mit Respekt begegnen und ihre Glaubensüberzeugung achten. Toleranz heißt wörtlich „etwas tragen können“, tragen und ertragen können. Christen müssen es ertragen können, dass andere einen anderen Glauben haben und dass viele Menschen sich vom christlichen Glauben gelöst oder ihn nie angenommen haben. Toleranz und Respekt den andern gegenüber dient dem Frieden und ist im Sinne von Jesus.

Das besondere unseres Predigtwortes ist jedoch, dass Jesus noch einen Schritt weiter geht, und zwar zurück zum Licht. Er sagt: «Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden». Ein sonderbarer Satz. Ich verstehe ihn so. Neben den negativen Erfahrungen tut sich für uns als Glaubende aber auch die Schönheit und die Stärke unseres Glaubens an Gott auf und das ist ein so grosser Gewinn, dass es die negativen Erlebnisse überstrahlt.

Das Wort Religion meint im Lateinischen «re-ligio» – «Rückbindung». Meine Religion, mein christlicher Glaube bedeutet für mich, ich bin an Gott rückgebunden. Mein Leben ist mit ihm verwoben, ist Teil des sinnhaften Ganzen. Ich habe ein Du und bin nie einsam. Ich habe ein Du – Gottes Du – mein Gegenüber. Freundliche Augen, die über mir wachen. Einen wachen Geist, der meinem standhält. Ein Du, das neue Perspektiven eröffnet. Eine Hand, die für mich offen ist und ich kann  – selbst wenn ich versage oder Fehler mache – nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Ich habe ein Du – das zu mir Ja sagt.

Fulbert Steffensky hat das einmal wunderbar ausgedrückt: «Man kann auf Dauer nur an etwas glauben, das man schön gefunden hat. Das man würdig gefunden hat». Er muntert Menschen dazu auf, sich gegenseitig von dem zu erzählen, was sie begeistert und was sie schön finden. Darin sieht er heute den besten Weg zum Frieden. Wenn Menschen sich begegnen, statt übereinander zu sprechen, oder sich sogar zu verteufeln. Wenn Menschen miteinander reden, näher hinschauen aufeinander und zueinander, sich von dem erzählen, was ihnen wirklich wichtig ist, sie berührt und bewegt.

Und so möchte ich Sie und euch einladen, denkt darüber nach, was das Schöne, das Tolle an eurem Glauben ist. Auch dann noch, wenn es nur eine Ahnung vom Glauben ist. Und erzählt davon weiter. Ich glaube nämlich, wenn wir von der Schönheit unseres Glaubens erzählen, dann kann der Funke überspringen und auch andere anstecken. Dann kann Verständnis füreinander entstehen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus unserm Herrn.

 

Pfarrerin Dr. Marion Werner, geb. 1975

Lutherische Kirche Zürich

E-Mail: pfarrerin@luther-zuerich.ch

 

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