Predigt zu Mt. 10, 34 – 39

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Predigt zu Mt. 10, 34 – 39

Familienkrach um Jesu willen | 21. Sonntag nach Trinitatis |  24. Oktober 2021 | Predigt zu Mt. 10, 34 – 39 | von Ulrich Pohl |

Mitunter trifft einen Menschen ein Ruf, und er weiß im gleichen Moment, das ist keine von den Verlockungen, mit denen uns diese Welt ständig in Aufruhr versetzt. Dieser Ruf ist etwas anderes und er kommt von woanders her. Ich soll dem, was bisher war, den Abschied geben und soll mich zu etwas Neuem aufmachen.

Viele Geschichten in der Bibel erzählen davon, wie Menschen solch einen Ruf vernommen haben, Noah, als er die Arche baute, Abraham, als er im hohen Alter aus seiner Heimatstadt Haran wegzog. Und natürlich die Jünger: Jesus lädt sie ein, folget mir nach!, und sie lassen alles liegen und stehen und gehen mit.

 

Allerdings wird in diesen Beispielen auch deutlich, es gibt vieles, was Menschen daran hindert, dem Ruf zu folgen. Dazu gehört, dass man sich verpflichtet fühlt, für andere zu sorgen. Dazu gehört, dass man Angst hat, ich bin dem nicht gewachsen, was an Ungewohntem auf mich zukommt. Dazu gehört auch der Satz, das haben wir schon immer so gemacht, wir wollen keine Veränderung!

Dieser Satz kommt nicht selten von Menschen, die einem besonders nahestehen. Am liebsten hätten sie, dass alles bleibt, wie es ist.

 

Jesus lenkt unseren Blick heute auf die Familie zu der wir gehören. Lange, nicht selten ein Leben lang haben wir hier bekommen, was wir brauchten, Liebe und das täglich Brot. Doch nun hören wir diese Stimme. Sie ruft uns heraus aus dem, was war. Zugleich fühlen wir uns dem Alten verpflichtet. Wir wollen uns lösen und zugleich wollen wir niemandem unnötig wehtun. Es ist schwer, Menschen zurückzulassen, mit denen das Leben untrennbar verbunden scheint. Untrennbar: Ja, manchmal trennt sich sogar das, wovon man dachte, es bleibt für immer eins. Die Trennung schmerzt. Zugleich sagt die Stimme: Es geht nicht anders, du musst dich lösen, du mußt dich auf den Weg machen, auf deinen eigenen Weg. Und wir wissen: Wenn ich diesem Ruf nicht folge, bleibt in meinem Leben etwas Entscheidendes ungelebt.

 

Jesus, der viele Menschen in seine Nachfolge gerufen hat, wußte um die große Bindekraft der Liebe und der Familie. Zu seiner Zeit hatte die Familie noch viel größere Bedeutung, als heute. Ohne seine Familie, ohne seine Großfamilie, war ein Mensch buchstäblich nichts. Man hatte keine Chance, allein zu überleben, es sei denn, man war jemand absolut außergewöhnliches. Wollte ein junger Mensch etwas lernen, dann ging er bei dem Onkel in die Lehre, jemand anders nahm ihn nur gegen viel Geld. Wurde jemand krank, stand die Familie für ihn ein. Wollte man heiraten, war das keine Frage von Liebe, sondern davon, was stärkt die Familie nach innen und nach außen? Auch in Glaubensdingen war man von vornherein festgelegt.

Die Familie, zu der man gehörte, schrieb jedem einzelnen eine bestimmte eine bestimmte Aufgaben und eine bestimmte Rolle zu. Und wenn der Rat der Alten etwas beschlossen hatte, war klar, für den Einzelnen gab es nur Gehorsam. So war die Großfamilie einerseits das Umfeld, in dem man gesichert leben konnte. Andererseits war das Leben des Einzelnen wie in Beton gegossen.

 

Über diesen Familien-Beton hat sich Jesus einige Male richtiggehend aufgeregt, unser Bibelabschnitt gibt etwas davon wieder: Ich bin gekommen, um das Schwert in die Familien zu bringen!
Jesus hat mehr als einmal erlebt, wie seine eigene Familie versucht hat, ihn zu vereinnahmen. Spuren davon finden wir in den Evangelien. Zum Beispiel die Geschichte, wie die Familie Jesu ihn nach Hause holen wollte: In Galiläa hatte sich damals herumgesprochen, dass der Sohn Josefs mit dem, was er sagte, die Menschen dazu brachte, vom normalen Glauben abzufallen. Einige einflussreiche Männer sind dann wohl zur Familie gegangen und haben gesagt, hört mal, was habt ihr da für einen rumlaufen! Fangt den mal wieder ein! Sorgt mal dafür, dass der zur Vernunft kommt. Sonst fällt das, was er sagt und tut, auf eure Familienehre zurück, schlimmer noch, auf unsere ganze Stadt! Wollt ihr das?

Nein, das wollten sie natürlich nicht!  Also machten sie sich auf die Suche, seine Mutter und seine Brüder. Jesus war gerade zu Gast in einem Dorf nicht allzuweit entfernt, und seine Familie nimmt Aufstellung vor dem Haus, in dem er sich befindet. Sie fordern ihn auf, herauszukommen, doch Jesus ignoriert sie – vollständig! Er läßt ihnen durch jemand anders eine Antwort ausrichten und läßt sie dann draußen stehen. Als jemand sagt, Meister, das kannst du nicht machen, das sind deine eigenen Leute, zeigt Jesus auf die, die mit ihm im Raum sind und ihm zuhören und sagt: Das hier sind meine Brüder und Schwestern.

 

Das, was Jesus im Bibelabschnitt für die Predigt heute sagt, ist im Grunde genau so ein Skandal: Des Menschen eigene Hausgenossen werden seine Feinde sein!

 

Was soll das?
Konflikte gibt es in unserer Gesellschaft ohnehin schon genug. Brauchen wir die auch noch in unseren eigenen vier Wänden? Das Zuhause soll doch ein Hort der Ruhe sein. Ein Ort, wo alle zusammen halten, sich gegenseitig helfen und zueinander stehen. Familie, das ist doch etwas schönes, was Halt gibt! Nicht umsonst ist das, was die meisten Kirchengemeinden sich besonders wünschen, ein schöner Familiengottesdienst! Soll das heißen, Jesus ist dagegen, wenn alle zusammenkommen und sich fühlen als wären sie, naja, eben eine Familie?!

 

Jesus sieht und schätzt gewiss die Mühe, die wir uns füreinander und miteinander geben. Aber er sieht eben auch die Kehrseite: Eine Familie stellt immer ein Rollengeflecht dar. Und wenn man lange dazu gehört, wächst man unweigerlich in bestimmte Rollen hinein. Solche Festschreibungen können einen unwiderruflich prägen und in der persönlichen Entwicklung blockieren. Und wenn es soweit ist und der Ruf kommt, folge mir nach, dann ist man nicht mehr in der Lage, ihm zu folgen.

 

Dreißig Jahre nach dem Tod Jesu hatte das Christentum begonnen, sich im Mittelmeerraum auszubreiten. Es war eine moderne Region, sie war monotheistisch. Der Glaube an den einen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, brachte für viele ein neues Lebensgefühl mit sich. Sie spürten, sie waren auf einmal mit einer Kraft verbunden, die die ganze Welt umfasst und die zugleich einen Plan mit ihnen selbst hat, mit ihnen ganz persönlich. Sie erlebten, da ist jemand, der sieht mich, der sieht uns alle und der liebt uns alle. Das zu wissen und zu erfahren, gibt ein Gefühl großer Freiheit, und diese Freiheit will man festhalten. Man will zu denen gehören, die zu diesem Gott gehören und diese Freiheit teilen. Man will dem Ruf in die Freiheit folgen.

 

Das führte viele junge Christen damals tatsächlich in schwere Konflikte, in Konflikte mit ihren Familien. Denen konnte nicht egal sein, was eines ihrer Mitglieder glaubte. Manche dieser Familien waren sehr angesehen. Seit Jahrhunderten waren sie in ein und der selben Stadt ansässig. Man war stolz darauf und man huldigte natürlich auch voller Überzeugung der Gottheit, die die Mauern der Stadt bisher geschützt hatte. Damit verbunden waren auch Geschäftsbeziehungen. Einheimische schlossen keine Verträge mit Leuten, die ihren Eid auf andere Götter schworen.

Nun gab es plötzlich welche, die sich von alledem lossagten, in den eigenen Reihen! Um Ihrer Freiheit willen. Was sollte das werden? Man verlangte von ihnen, ihre Entscheidung rückgängig zu machen. Als sie sich weigerten, wurden viele Christen aus ihren Familien ausgestoßen. Manche wurden aus der Stadt verjagt, und wenige Jahre später wurden die ersten Christen verfolgt und umgebracht.

 

Der Evangelist Matthäus, der seine frohe Botschaft für die frühen christlichen Gemeinden schrieb, erinnert sich daran: Jesus ist gekommen, um das Schwert zu bringen. Es wird Auseinandersetzungen geben. Wenn sie euch Vorwürfe machen, ihr seid undankbar und ihr macht mit eurem Verhalten alles kaputt, dann dürft ihr auf euren Herrn zeigen. Er hat gewußt, dass es so kommt. Er hat es geweissagt: Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen. Und wenn sie euch ausgrenzen und bedrohen, dann sollt ihr euch daran erinnern, auch euer Herr ist seinen Weg unter dem Kreuz gegangen.

 

Mitunter trifft uns von einem Moment auf den anderen ein Ruf, und wir spüren sofort, dies ist keine von den Verlockungen, mit denen uns diese Welt ständig neu in Aufruhr versetzt. Dieser Ruf kommt von woanders her, und wir wissen: Wenn ich es nicht schaffe, diesem Ruf zu folgen, bleibt das Entscheidende in meinem Leben ungelebt.

Dann nehmen wir all unseren Mut zusammen und machen uns auf den Weg. Wir sollen wir das getrost tun, auch wenn wir traurig sind um das, was wir zurücklassen. Es kann nicht anders sein. Wir gehen unter dem Kreuz. Unser Herr Jesus geht uns voran. Wir folgen ihm nach. Er führt uns in sein Reich. Amen.

 

 

Lieder: „Vertraut den neuen Wegen“ EG 395 umschreibt den Ruf Gottes als „Wege, au die der Herr uns weist“. Es macht Mut, ihnen zu folgen.
„Ein Schiff, dass sich Gemeinde nennt“ EG 604 beschreibt die Gemeinde als mitunter geschlossenes System, das  nicht bereit ist, dem „Ruf zur Ausfahrt“ (Strophe 2) zu folgen.

 

Pfarrer Ulrich Pohl
Neuss
Email: Ulrich.Pohl@EKiR.de

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