Predigt zu Matth. 8,5-13

Home / Bibel / Neues Testament / 01) Matthäus / Matthew / Predigt zu Matth. 8,5-13
Predigt zu Matth. 8,5-13

Was die Welt zusammenhält | 3. Sonntag nach Epiphanias | 23. 01. 2022 | Predigt zu Matth. 8,5-13 | verfasst von Rudolf Rengstorf |

Als Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. Jesus sprach zu ihm: Ich soll kommen und ihn gesundmachen?

Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s.

Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

 

Liebe Leserin, lieber Leser!

Die Geschichte spielt in dem Ort, in dem Jesus zu der Zeit zu Hause war. Kapernaum hatte er zu seinem Wohnsitz gemacht (Mt.4,13), Kapernaum betrachtete er als „seine Stadt“ (Mt. 9,1). Doch was er in seiner gewohnten Umgebung erlebte, war neu für ihn und völlig überraschend. Den Hauptmann, der da auf ihn zukam, mag er zwar gekannt haben. Die römischen Besatzungssoldaten und ihre Offiziere gehörten zum Stadtbild. Doch sie führten ihr Eigenleben und hielten sich fern von der einheimischen Bevölkerung. Für die Römer waren das hier kleinkarierte Provinzler, deren Sprache sie nicht verstanden und deren Sitten sie belächelten. Dass einer ihrer Offiziere auf einen Juden mit einer Bitte zutrat, fiel absolut aus dem Rahmen. Doch der Hauptmann befand sich in einer verzweifelten Situation. Er hatte einen Leibburschen, der ihm rund um die Uhr zu Diensten war. Doch der, ohne den eigentlich nichts ging, konnte sich plötzlich nicht mehr bewegen, war gelähmt und litt entsetzliche Schmerzen. Unter den Römern gab es niemanden, der helfen konnte. Keinen Helfer mehr zu haben und das Leiden mit ansehen zu müssen, das hielt der Mann nicht länger aus.

Hatte er da nicht von dem Rabbi im Ort gehört, der sich ganz in den Dienst des Judengottes gestellt hatte und auf dessen Vollmacht, wie es hieß, Verlass war? Also nichts wie hin und den Rabbi Jesus um Hilfe bitten. Doch statt sich geschmeichelt zu fühlen, reagierte Jesus irritiert. „Erwartest du wirklich, dass ich in das Haus eines Heiden komme?“  Zum einen würde ein Jude sich durch das Betreten des Hauses eines Heiden verunreinigen. Und zum andern war Jesus davon überzeugt, dass sein Dienst für Gott auf Israel beschränkt war und diese Grenze nicht überschritten werden sollte (Mt. 15,24).

Während solche Widerstände sich in ihm aufbauen, kommt der Hauptmann ihm zu Hilfe: „Lieber Herr, es ist gar nicht nötig, dass du zu mir kommst. Ich weiß doch, dass wir Heiden es für euch Juden nicht wert sind, unter unser Dach zu treten. Aber du brauchst nur ein Wort zu sagen, und mein Bursche wird wieder gesund.“ Nur ein Wort? Ein Wort allein kann die entscheidende Wende bewirken? „Ja, sagt der Hauptmann, ich weiß, wovon ich rede. Beim Militär lebe und arbeite ich in einem System, in dem jeder sich auf das Wort des anderen verlassen kann und entsprechend handelt. Meine Vorgesetzten können sich darauf verlassen, dass ihre Anweisungen von mir befolgt werden. Und wenn ich meinen Soldaten Anweisungen gebe, werden sie aufs Wort befolgt. Und ich vertraue darauf, dass auch du ein Mann bist, dessen Wort gilt und wirkt.“

Bevor das vom Hauptmann erwartete Wunder geschieht, zeigt Jesus sich überrascht und verwundert. „Solchen Glauben, stellt er fest, habe ich in Israel noch bei keinem gefunden.“ Er hat bei dem heidnischen Hauptmann den Glauben entdeckt, dass Worte Wunder wirken können. Und das ist der Glaube, den Jesus sucht, den er für entscheidend hält. So entscheidend, dass er zum Kennzeichen derer wird, die am Ende am Tisch Gottes im Himmelreich sitzen. Ein Glaube, der von Gott gar nicht redet, ihn nicht ausdrücklich bekennt. Weil Gott offenbar in diesem Glauben selbst anwesend ist.

Also: Glaube, Wort und Wunder gehören zusammen. Nicht jedes Wort bewirkt Wunder. Aber das Wort eines Menschen, dem ich glaube, dem ich vertraue, bewirkt Wunder, verändert das Leben auf heilsame Weise.

So leben Freundschaften davon, dass einer sich auf den anderen verlassen kann. Und wo dieses Vertrauen erschüttert ist, werden Hilfsbereitschaft und Solidarität schwinden. Und eine Ehe lebt davon, dass das Eheversprechen gilt und Treue gehalten wird. Da ist Glaube am Werk, der Menschen in guten wie in bösen Tagen zusammenhält. Und Gott ist dabei, auch wenn von ihm nicht die Rede ist.

Vor einiger Zeit wurde ich auf die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie gerufen. Weil ich dort regelmäßig Besuche mache, kannten mich einige der Patienten. Einer von ihnen verweigerte eines Tages entschieden die weitere Einnahme von Medikamenten. Die Schwester sagte am Telefon; „Er braucht diese Medikamente unbedingt. Wenn er sie verweigert, wird er in kurzer Zeit in eine gefährliche Psychose abrutschen. Doch plötzlich hat er Angst, wir wollten ihn vergiften. Kein Arzt kann ihn überzeugen. Der Pastor soll kommen, hat er gesagt!“ Als ich kam, war der Patient sehr laut auf der Station. Er beruhigte sich dann schnell. Ich sagte ihm: „Sie können das ruhig einnehmen. Das wird ihnen helfen.“ Er gab jeden Widerstand auf und nahm das Medikament. Das Wort eines vertrauenswürdigen Menschen wirkte Wunder.

Ein anderes Beispiel: Eine Großfamilie war über lange Jahre zerstritten wegen einer Erbauseinandersetzung. Einer der Geschwister stand im Verdacht, die anderen betrogen zu haben. Seitdem hatte er alle Kontakte zu den Familien der Geschwister abgebrochen. Ich habe versucht zu vermitteln – vergeblich. „So lange ich für die anderen ein Betrüger bin“, sagte er mir, „sind die für mich gestorben.“ Eines Tages bekam er einen Brief von dem Bruder, der den Betrugsvorwurf direkt geäußert hatte. „Wenn ich dir Unrecht getan haben sollte“, hieß es da. „tut mir das leid, und ich bitte um Entschuldigung.“ Dieses eine Wort, auf das der Adressat sehnsüchtig gewartet hatte, brachte das Eis zum Schmelzen. Ohne viel weitere Worte wurden Kontakte wieder aufgenommen. Selbst gemeinsame Feste sind wieder möglich.

Und schließlich: Warum kann der eine Arzt mir helfen, und der andere nicht? Fachlich qualifiziert sind sie beide. Die Medikamente, die sie verschreiben, sind die gleichen. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass ich mich bei dem einen angenommen und gut aufgehoben fühle. Bei dem anderen aber hatte ich den Eindruck, ein Fall ohne Gesicht und Seele zu sein.

Wie das Wort Jesu in einem Haus wirken konnte, das er gar nicht betreten hat, bleibt mir rätselhaft. Was ich aber mitnehme ist dies: Unser Leben wird getragen von Worten, auf die wir uns verlassen können. Gott sei Dank!

 

———–

 

Rudolf Rengstorf war Gemeindepastor, Rundfunkbeauftragter und Superintendent in Stade.

Seit seiner Pensionierung lebt er in Hildesheim

de_DEDeutsch