Predigt zu Matthäus 15,21-28

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Predigt zu Matthäus 15,21-28

Eine Lektion für Jesus | 17. Sonntag nach Trinitats | 26.09.2021 | Predigt zu Matthäus 15,21-28 | verfasst von Rudolf Rengstorf |

 

Und Jesus ging weg von dort und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon.  Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Er aber antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. 24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!  Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.  Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

(Matthäus 15,21-28)

 

Liebe Gemeinde!

Jesus zog sich zurück. So beginnt diese Geschichte.

Das kennt man ja von ihm. Wenn das Gedränge um ihn herum zu arg wurde, suchte er einen Ort, wo er allein war. Allein mit sich und allein mit Gott. Gewiss, die Not der Menschen um ihn herum ging ihm nahe. Doch auffressen ließ er sich nicht davon. Er brauchte Abstand und Ruhe zum Gebet, um sich seines Auftrags gewiss zu bleiben und weitermachen zu können.

Diesmal ging es um einen längeren Rückzug. Nicht nur für einige Stunden sucht er die Einsamkeit. Nein, er geht außer Landes. Sehr weit braucht er nicht zu wandern, um die nördliche  Grenze Galiläs zu überschreiten, die das Land seines Volkes vom heidnischen Umland trennte. Im Unterschied zu seinen sonstigen Rückzugsgewohnheiten hat er seine Jünger mitgenommen.

 

Nun war er drüben und hatte seine Ruhe. Denn hier unter den nichtjüdischen Bewohnern Palästinas – den Kanaanäern, wie man sie damals nannte, oder Palästinensern, wie wir heute sagen – hier waren sie Fremde. Und Juden wie sie würden hier auch Fremde bleiben. Denn die Einheimischen mochten sie nicht die Juden. In früheren Zeiten hatten sie das ganze Land beherrscht. Und die Einheimischen hatten sie dabei wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Weil sie andere Götter hatten, die die Juden verächtlich als „Götzen“ abtaten. Nein, mit diesen unduldsamen und arroganten Brüdern wollten die Kanaanäer nichts zu tun haben.

 

Doch plötzlich war es vorbei mit der Ruhe. Eine einheimische Frau näherte sich der jüdischen Männergruppe. „Was willst du denn von denen?“ rief man ihr nach. „Bleib hier. Und mach dich und uns nicht lächerlich!“ Doch die ließ sich nicht beirren, fing sogar noch an zu schreien und einen von ihnen anzuflehen: „Ach, Herr, du Sohn Davids!“

War die denn von Sinnen? Wie konnte sie einen Juden als Herrn anreden und dann auch noch als Sohn Davids! Auf den warteten die ja wie auf einen Erlöser. Für Kanaanäer aber war der Name des Königs David ein Gräuel. Stand er doch für die Zeit, in der die Juden ganz Palästina besetzt hatten.

Das alles war der Frau jetzt egal. Wenn dieser Mann, wie sie gehört hatte, den Juden helfen konnte, warum dann nicht auch ihr? „Hab Erbarmen mit mir“, rief sie. „ Denn meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.“ Was für eine Not, ein Kind zu haben, das von Sinnen ist und nicht zur Vernunft kommt. Fehlschaltungen im Gehirn sagt man heute. Auch die engsten Menschen wie Mutter und Vater haben keinen Einfluss darauf. sind dem hilflos ausgeliefert. Wie alle anderen auch möchte man sein Kind fördern, ihm helfen, seine Gaben zu entfalten und seinen eigenen Platz im Leben zu finden. Und dann erleben zu müssen, wie sich das alles ins Gegenteil verkehrt, wie alle Hilfen abgewehrt werden, die Gaben verkümmern, das Kind mit den Jahren immer weiter zurückgeworfen wird und die Unselbständigkeit zunimmt. Wer das erlebt, der pfeift auf Schicklichkeit und Konventionen, geht jedes Risiko ein, wenn sich auch nur ein Schimmer von Hoffnung zeigt..

 

Doch Jesus reagierte überhaupt nicht, würdigte die Frau, die beherzt alles auf eine Karte setzte, auch nicht eines einzigen Wortes. So viel Unnahbarkeit ging sogar den Jüngern, die ihn sonst ja gerne abschirmten, gegen den Strich: „Nun tu doch was, damit wir sie wieder los werden. Die schreit ja den ganzen Ort zusammen. Und schließlich sind wir hier nicht zu Hause.“

Endlich kommt eine Reaktion von Jesus. Doch sie macht ihn noch unnahbarer, als er ohnehin schon erschien: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“, sagte er.  Für Heiden fühlt er sich also n icht zuständig. Gott hat nun mal nur Israel erwählt. Und sein Gesandter soll darauf achten, dass von ihnen keiner verloren geht. Das wars dann ja wohl. Gegenüber der Bitte um Mitmenschlichkeit werden von Jesus theologische Schranken hochgezogen.

Doch so einfach lässt die Frau sich nicht abwimmeln. Sie wirft sich ihm zu Füßen: „Herr, hilf mir!“ Die Überzeugungen, die du vertrittst, die Einwände, die du erhebst, sind jetzt nicht dran. Jetzt ist die Not dran, die mich zu dir getrieben und mich vor dich auf die Knie gezwungen hat. Und damit lasse ich jetzt nicht von dir ab.

Wer hätte hier noch widerstehen können? Jesus.

Er, dem Not und Leiden sonst an die Nieren gehen. Hier zeigt er sich völlig ungerührt. In der Erwählungslehre bleibt er gefangen. Sie hält sein Herz verschlossen. Ja mehr noch: Siee treibt ihn zu einer unglaublichen Diskriminierung der verzweifelten Frau.  „Es ist nicht gut“ schleuderter ihr entgegen, „es ist nicht gut, dass man den Kindern ihr Brot nimmt und wirft es vor die Hunde.“ Übler kann man einen Menschene nicht diskriminieren, als ihm, die Menschenwürde abzusprechen und ihn bzw. sie mit einem Hundevieh zu vergleichen. Das ist extremer Rassismus. Und das bei Jesus! Mitten im Evangelium!

Diese ungeheuerliche Beleidigung macht die Frau dennoch nicht mundtot. Im Gegenteil, erstaunliche Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit legt sie an den Tag: „Ja, Herr“, sagt sie. Das heißt: Wenn du uns schon mit Hunden vergleichst bedenke doch bitte: “Dennoch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“

Und damit ist Jesus geschlagen. was will er der Frau jetzt noch entgegensetzen: „Frau, dein Glaube ist groß“, sagt er und gesteht damit ein, dass er dazu gelernt hat. Und   er zeigt damit, nein, er war nicht das allwissende göttliche Wesen, für das man ihn oft ausgibt.  Er war ein Mensch und hatte wie alle Menschen einen beschränkten Horizont, den er nur durch Lernen und Dazulernen erweitern konnte. Und dazu gelernt hat er, dass rettender Glaube und Heil sich nicht begrenzen lassen. Er hat diese Lektion so gründlich gelernt, dass er am Ende des Evangeliums seine Jünger beauftragte: “Gehet hinjin in alle Welt und amcht zu Jüngern alle Völker.“

Und der Anstoß zur weltweiten Mission, zur Globalisierung des Evangeliums kam nicht von geweihten und hoch studierten Männern. Eine in Not geratene Frau und Mutter aus der Heidenwelt hat den Anstoß gegeben. Und ausgerechnet die christliche Konfession, die sich auf ihre weltweiten Ausmaße so viel zugutetut, sie hält Frauen immer noch vom Priesteramt fern. Gebe Gott, dass sie endlich dazulernen wie Jesus!

 

Doch ich will mit der Predigt vom Dazulernen bei uns bleiben. Gerade heute ist sie unverzichtbar. Denn heute entscheiden wir mit der Bundestagswahl über wichtige Weichenstellungen. Wie immer das Ergebnis ausfallen wird. Quer durch unser Volk und auch unsere Gemeinde werden die einen froh und erleichtert, die anderen skeptisch, enttäuscht, besorgt sein. Aber was für ein Segen, dass jede einzelne Stimme zählt und nicht Geld, Ansehen oder rohe Gewalt. Gewiss, die Mehrheit entscheidet am Ende. Doch die – und das werden wir wieder erleben – kommt nur zustande, wenn die Gewählten sich n icht als Erwählte betrachten, Einander auf Augenhöhe begegnen, miteinander lernen, Kompromisse zu schließen und die Rechte von Minderheiten zu wahren. Darauf kommt es an. Und so ist unser Gemeinwesen angelegt. Auf welcher Seite auch immer wir stehen, diesen Prozess des Aufeinanderzusgehens können und werden  wir nach Kräften unterstützen. Dazu helf uns Gott! Amen.

 

Vf. War Gemeindepastor, Hörfunkbeauftrager veim NDR und Superritendent in Stade.

Als Ruheständler lebt er in Hildesheim

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

de_DEDeutsch