Predigt zu Lukas 14,1-11

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Predigt zu Lukas 14,1-11

Das Gesetz des Dschungels und das Gesetz der Liebe | 17. Sonntag nach Trinitatis | Lukas 14,1-11 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Peter Fischer-Møller |

In dieser Predigt geht es um zwei Gesetze, die viel in unserem Alltag miteinander bedeuten: Das Gesetz des Stärkeren und das Gesetz, das besagt: Du sollst nicht denken, dass du etwas ganz Besonderes bist, einerseits – und dann das Gesetz, das Jesus verkündigt: Das Gesetz der Liebe, Paulus nennt es das Band der Vollkommenheit.

Die Worte Jesu, die wir eben gehört haben: „Wer sich selbst erniedrigt, wird er höht werden“, die haben uns geprägt – jedenfalls wenn wir in die Kirche gehen. Wenn ich in den Kirchen Seelands in einer Kirche am Gottesdienst teilnehme, sitzen da oft viele Leute ganz hinten auf den Bänken, während die vorderen Bänke oft leer sind, wo man eigentlich besser hören und sehen kann. Andererseits halten wir uns nicht zurück, wenn wir aus der Kirche kommen. Da konkurrieren wir eifrig um einen Platz an der Sonne. Vielleicht haben wir den Sinn der Worte Jesu nicht richtig verstanden – oder vielleicht haben wir keine Lust, sie zu verstehen und uns nach ihnen zu richten.

Lasst uns das näher hinterfragen!

Es war nicht immer so, dass man sich in der Kirche demütig zurückhielt. Wir sehen das deutlich im Dom von Roskilde, wo es eine imponierende Sammlung phantastischer und prächtiger königlicher Grabmäler gibt. In der Tat, alle regierenden Könige und Königinnen seit der Reformation 1536 sind hier begraben. Vielleicht waren sie demütig, aber dann in einer so subtilen Art und Weise, dass sie sich dafür entschieden, ihre Demut unter den spektakulärsten Grabmälern zu verbergen.

Wo die Herrschaften in alten Tagen mit der größten Selbstverständlichkeit die vordersten Bänke für sich reserviert hatten, verhalten wir uns heute anders. Heute ziehen die meisten Erwachsenen die hintersten Bänke vor. Vielleicht aus Demut.

Vielleicht weil das berühmte Gesetz des dänischen Dichters Aksel Sandemose: „Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist“, und: „Du sollst jedenfalls nicht glauben, dass du besser bist als wir“ – uns im 20. Jahrhundert geprägt hat.

Oder vielleicht geht es um eine ganz banale praktische Frage: Wenn man nicht so oft in die Kirche kommt, dass ist es praktisch, so zu sitzen, dass man an denen vor einem sehen kann, wann man sich erheben muss und wann man sich wieder hinsetzen darf.

Viele Dänen brauchen übrigens auch gerne einen konkreten Anlass, in die Kirche zu gehen. Denn wenn man in die Kirche geht, nur weil es Sonntag ist, könnten die Nachbarn ja glauben, wir würden meinen, in Bezug auf Gott etwas Besonderes zu sein, dass wir im Begriff sind, uns als Heilige zu fühlen! Und das war in einigen Generationen etwas vom Schlimmsten, was einem vorgeworfen werden konnte. Reine Pharisäer wie die, die Jesus im Evangelium heute zurechtweist.

Ich möchte dafür plädieren, dass wir unsere Demut in der Kirche etwas weniger demonstrativ zur Schau stellen, dass wir uns weiter nach vorn setzen und dass wir im Übrigen so oft wie möglich in die Kirche kommen, um besser zu hören, was Jesus eigentlich auf dem Herzen hat – als Anregung für das Leben, in das wir gehen, wenn wir aus der Kirche kommen.

Und hier komme ich auf das zweite von den beiden Gesetzen zu sprechen, von denen ich anfangs sprach: dem Gesetz des Stärkeren, dem Gesetz des Dschungels. Darwin hat es in seiner Evolutionstheorie formuliert als eine generelle Gesetzmäßigkeit in der Natur: Der Bestgeeignete überlebt.

Auch wenn wir in unseren skandinavischen Ländern versucht haben, dem Gesetz des Dschungels etwas entgegenzusetzen, in dem wir unseren Wohlfahrtsstaat aufgebaut und damit allen Menschen erträgliche Lebensverhältnisse gesichert haben und nicht nur den Stärksten, ist dennoch die Konkurrenz für viele stark. Ein klares Symptom ist, dass viele an Stress leiden. Auch können wir feststellen, dass der Unterschied zwischen Reich und Arm in unserer Gesellschaft und global in diesen Jahren wächst.

Für uns in Skandinavien geht es beim Gesetz des Dschungels für die meisten nicht um das konkrete Überleben, sondern um den Selbstwert. Wir kämpfen um Aufmerksamkeit und Anerkennung. Wir kämpfen darum, etwas zu sein in den Augen anderer und vor uns selbst. Wir kämpfen um einen Platz an der Sonne und sind verbittert, wenn wir das Gefühl haben, dass andere uns in den Schatten stellen. Wir gestalten unser Leben so als wären wir leitende Direktoren in unserem eigenen Leben. Dabei ist unsere Aufmerksamkeit streng auf das Endresultat gerichtet, das in diesen Jahren Authentizität heißt. Oder wir sind verzweifelt, wenn wir nicht mithalten können. Wir sollen authentisch sein, einzigartig und ganz bei uns selbst, so wie alle anderen. Das ist die alte Geschichte von unserer unglücklichen Neigung, uns selbst und das Unsrige wieder zum Mittelpunkt der Welt zu machen.

Und hier stellt sich Jesus heute an die Seite derer, die keine Chancen hatten, sich in der Konkurrenz zu behaupten, ein Mann mit Wasser im Körper. Jesus übergeht die religiösen und gesellschaftlichen Normen, um unsere Augen und Herzen für ein anderes Gesetz im Dasein zu öffnen als das Gesetz des Dschungels bzw. das Gesetz des Stärkeren.  Um uns mit seiner Liebe zu erreichen, die das Band der Vollkommenheit ist.

Jesus hat gekämpft mit sich selbst und seinem Leben als Einsatz, hat dafür gekämpft, uns einen Freiraum zu verschaffen, wo wir zusammen sein können, ohne uns ständig aneinander zu messen, einen offenen Ort, wo Platz ist für alle, einen Ort, wo unsere Aufmerksamkeit nicht uns selbst gilt, sondern der Freigiebigkeit Gottes und dem, was andere beizutragen haben oder was sie brauchen.

Für euch und für mich hat Jesus die ordentlichen Menschen provoziert im Hause des Pharisäers an diesem Tag. Für sie und für uns hat er die Anwesenden provoziert, indem er ihre kleinen Machtkämpfe miteinander zur Schau stellte. Im Reich Gottes geht es nicht um Regeln und Rangordnung. Das Reich Gottes ist dort, wo sowohl das Gesetz: Denk nicht, dass du etwas Besonderes bist, als auch das Konkurrenzdenken einem anderen und wichtigeren Gesetz weichen muss, wo es nicht um unsere eigenen Projekte und unseren eigenen Erfolg  und unsere Vortrefflichkeit oder den Mangel an diesen Dingen geht, sondern um das Leben, wie es sich zwischen uns entfaltet – und um die, die uns und unseren Einsatz brauchen – wie nun z.B. ein kranker Mann mit Wasser im Körper.

Die Alten, die im Mittelalter Kirchen bauten, besaßen Selbsteinsicht und Sinn für das Praktische. Deshalb versahen die die Kirche mit einem „Waffenhaus“, wie man in Dänemark den Eingang bzw. die Vorhalle einer Kirche nennt. Das war ein Zugeständnis, dass wir im Alltag mit einander streitbare Gemüter sein können und dass wir hier in die Kirche kommen, um uns ein eine andere Verhaltensweise mit einander einzuüben, ohne Kampf um die Plätze – weder die vordersten noch die hintersten. Nun waren es ja meisten die Männer, die damals Schwert und Spieß trugen, und deshalb lag das „Waffenhaus“ am südlichen Eingang der Kirche, der für die Männer vorgesehen war, die ihre Waffen ablegen mussten. Am nördlichen Eingang für die Frauen brauchte man kein Waffenhaus, vielleicht aber wohl eine Mahnung, die verborgenen Messer im Arm und das Gift in den Mundwinkeln abzulegen, ehe man in das Kirchenschiff hineinging. Wenn Jesus von Demut spricht, davon, sich selbst zu erniedrigen, um den Gegensatz von Demut zu entlarven, den Hochmut, dass wir hart um die Plätze kämpfen, dass wir fast komisch darum kämpfen, gesehen zu werden und uns zu profilieren. Im Mittelalter versuchte man, den Charakter Menschen zu kategorisieren. Man sprach von den sieben Todsünden. Die Hauptsünde unter den Todsünden war der Hochmut. Der Hochmut, der Übermut war die Wurzel alles Bösen, sagte man. Denn der Hochmut stellt uns selbst in den Mittelpunkt und bringt uns dazu, Gott und unsere Mitmenschen zu vergessen. Wenn der Hochmut Macht über uns gewinnt, dann glauben wir, dass wir Herr über uns selbst sind, oder wir verzweifeln darüber, dass uns dies nicht gelingt. Jesus entlarvt den Hochmut und weist de Hochmütigen zurecht. Nicht indem er das Gesetz predigt: Glaube nicht, dass du etwas Besonders bist. Sondern indem er sagt: Du sollst nicht glauben, dass du ein Etwas bist. Du bist nämlich vielmehr als ein Etwas, du bist ein Jemand. Du bist viel mehr als deine Kämpfe und Platzierungen, deine Erfolge und Niederlagen. Du bist ein Mensch Gottes und ein Mitmensch deines Nächsten.

Das Evangelium will uns nicht heruntermachen oder uns in eine Ecke stellen. Es will vielmehr, dass wir entdecken, dass die Sonne nicht nur für mich scheint, sondern auch für meinen kranken Nachbarn und für den türkischen Gemüsehändler und den Flüchtling aus Afghanistan. Die Sonne Gottes scheint über uns, und wir können einander erkennen nicht als Gegen-Menschen, sondern als Mit-Menschen.

Das ist das Gesetz der Liebe, das uns zusammenbindet mit seinem vollkommenen Band. Dort ist unser Platz, das Band, in dem wir willkommen sind. Amen.

Bischof Peter Fischer-Møller

Roskilde

Email: pfm(at)km.dk

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