Predigt zu Mt. 10,26-33

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Predigt zu Mt. 10,26-33

Predigt zum Reformationstag 31.10.20 | verfasst von Uwe Tatjes |

Liebe Gemeinde,

in Berlin stehen Leute singend und schreiend – und bei einigen kann man das eine vom anderen nicht unterscheiden – auf der Strasse und haben einige Polizisten eingekesselt. Sie halten Schilder hoch wie „Masken töten“, „Keine Diktatur“, „Denkpflicht statt Maskenpflicht“. Eine Teilnehmerin hat sich einen durchsichtigen Plastikeimer über den Kopf gestülpt, darauf steht geschrieben: „Absolut sicher gegen das Verdummungsvirus.“

Es geht bizarr zu. Später auch ruppig. Es kommt zu Ausschreitungen.

Leute ohne Maske stürmen Einkaufscenter, wollen maskenfrei shoppen gehen. Es kommt zu Auseinandersetzungen mit dem Sicherheitspersonal.

Im Tivoli Einkaufscenter in Spreitenbach nahe Zürich feiert man das fünfzigjährige Jubiläum. Die Leute tragen zwar Masken. Aber Abstand hält hier niemand. Das wäre aufgrund des grossen Andrangs auch schwer. Als Rabattlose wie Konfetti in die Menge rieseln stürzen die Menschen ohne jede Rücksicht oder Abstand darauf wie eine ausgehungerte Meute.

Auf YouTube finde ich ein Video, in dem es heisst: „Sei Du die zweite Welle, setz Dir die Krone auf. Surfe auf der Welle der Freiheit, brich aus dem Kerker aus. Das Virus der Liebe infiziert Dein Herz, die Pandemie der Wahrheit tötet Angst und Schmerz“

Eine junge Freundin aus Stockholm ruft mich an. Sie hatte Corona. Sie gilt als genesen, aber sie klagt: „Manchmal stehe ich im Treppenhaus und ich schaffe es einfach nicht hoch, weil mir die Luft fehlt. Und immer öfter möchte ich etwas sagen, aber ich bekomme die Worte nicht heraus. Der Arzt sagt, das seien Spätfolgen. Vielleicht geht es wieder weg. Aber weisst Du, ich habe jetzt echt Angst.“

Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft voll auf dem falschen Fuss erwischt. Eine Krankheit, die fern scheint, ein Erreger, den man nicht sieht, bis die Krankheit einem dann doch auf die Pelle rückt, sei es durch Massnahmen, die mein Leben beschneiden oder dadurch, dass Corona auf einmal bei Menschen stattfindet, die ich kenne. Und immer diese diffuse Angst, es selber nicht zu bekommen. Viele Menschen überfordert das auch. Sie leiden unter dem Abstand, der plötzlich das Gebot der Stunde ist. Sie leiden unter der Einsamkeit oder dem unter der Angst, durch Corona Arbeit oder Perspektiven zu verlieren. Manche flüchten sich in wirre Theorien, verweigern sich allen Schutzmaßnahmen, sind nicht bereit Rücksicht zu nehmen. Sie sehen Corona als harmlose Grippe, als Erfindung, als eine Erzählung, um den Menschen Freiheiten zu nehmen.

Auf jeden Fall, auf so was waren wir nicht vorbereitet. Dass das Leben aus der Bahn und in Schieflage gerät. Das Sicherheiten wegbrechen und uns schlagartig bewusst wird, wie schnell sich eine Situation, ja, das ganze Leben ändern kann. Dass wir Dingen ausgesetzt sind, die jenseits unserer Verfügbarkeit liegen und tiefe Ängste in uns auslösen.

Für manchen schmeckt es in diesen Zeiten nach Krise oder gar Weltuntergang. Für andere nach Umbruch und Revolution. Diffuse Ängste und wilde Träume vermischen sich. Was man nüchtern betrachtet wohl sagen kann, ist: Corona setzt eine Zäsur. Die Welt wird nach Corona anders sein, als sie es vor Corona war.

Welt in Bewegung. Menschen auf der Strasse. Da schliesst sich – nicht nur heute – am Reformationstag doch die Frage an, wo denn die Kirche ist. Kirche, wo bist Du? Auch das ist nicht so klar. Klar ist, dass Kirche keine so grosse Rolle spielt in diesen Zeiten. Massnahmen nehmen auf die Bedürfnisse der Kirche keine grosse Rücksicht. In einer Umfrage las ich, dass den Kirchen kein grosser Beitrag zur Lösung der Coronakrise zugetraut wird und man sie in der Krise nicht besonders wahrnimmt. Verunsicherung macht sich breit. Was kann überhaupt noch laufen? Wie erreichen wir die Menschen? Und: wenn wir nicht stattfinden, wird man uns dann überhaupt vermissen?
Da ist der Reformationstag eine gute Gelegenheit, wo die Kirche denn stehen sollte. Und das führt uns zurück in die Ursprungszeit der Reformation, einer Zeit voller Umbrüche und Ängste, auch religiöser Verunsicherung, in der der junge Augustinermönch Martin Luther danach fragt, was die Grundlage des christlichen Glaubens sein kann und dabei auf die Bibel stösst. Hören wir also, was die Bibel uns zu sagen hat: Ich lese aus Matthäus 10, 26-33

26 Darum fürchtet euch nicht.

Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.

27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern.

28 Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. 29 Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. 30 Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. 31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.

32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. 33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.

Die Botschaft, die Jesus seinen Jüngern gibt, lässt sich kurz und knapp zusammenfassen. Fürchtet euch nicht. Standpunkt der Kirche und Botschaft können nur Vertrauen sein. Ein Vertrauen, das keine Rückversicherung braucht, ein Vertrauen, das sich auf Gottes Zuwendung alleine stützt. Auf den Zuspruch, den die Bibel gibt. Den Zuspruch, den uns Jesus heute morgen als lebendiges Wort Gottes zusagt.
Entgegen allen Ängsten, allen Verschwörungstheorien und Spekulationen, die in geschlossenen Zirkeln, hinter vorgehaltener Hand oder in geheimen Kreisen ausgebrütet und in die Öffentlichkeit getragen werden, steht das demonstrative Vertrauen der Christen. Nicht die Kirche als Institution ist es, die dieses Vertrauen begründet, nicht irgendwelches religiöse Geheimwissen, keine besonderen heiligen Zauberkräfte oder Rituale, sondern alleine Gott in seiner Zuwendung zur Welt begründet dies Vertrauen.

Und in aller Verunsicherung und Härte, vor die eine besondere Situation und Krise wie die Erfahrung und Corona uns stellt, könnte das auch genau der Beitrag der Kirche in dieser Zeit sein: Vertrauen zu haben, zu leben, auszustrahlen.

Dass es kein naives Vertrauen ist, kein Schulterklopfen oder „Es wird schon gut“, das ist auch hinreichend deutlich. Es wird uns nicht gesagt, dass es uns nicht treffen kann. Die Härten der Zeit treffen uns als Christen so wie alle anderen. Es gibt keine Garantie, als Christ kein Corona zu bekommen. Wie die ganze Gesellschaft wird auch die Kirche durch Corona betroffen und verändert. Wir erleben diese Zeit als eine dunkle Erfahrung. Etwas, in dem uns Gott selbst als dunkel und abgewandt vorkommen kann. Hier ist es vielleicht angemessen, den alten, fast vergessenen Begriff der Gottesfurcht zu bemühen. Als Christen fürchten wir allein Gott. Nicht in dem Sinne, dass er uns Angst macht, sondern in dem Sinne, dass er der Andere ist, unverfügbar bleibt. Aber sich in Christus gerade verfügbar macht, ansprechbar, sich einlässt auf unsere Welt, auch auf unser Leid und unsere Härten. Ihm bleibt, gerade in dem Sinne aller Dunkelheiten, Krisen und Ängste nichts verborgen. Er ist gleichzeitig der Geheimnisvolle, der Unverfügbare und doch der, der uns zugewandt ist und bleibt, der Mensch wird und unserer Hoffnung in Jesus ein Gesicht gibt. Wir müssen und können nicht alles verstehen. Wir können aber darauf vertrauen, dass Gott auch in dem, was wir nicht verstehen, immer noch der Gott ist, der sich uns zuwendet. Oder wie es Luther einmal sagt, dass, wenn wir dieses zugewandte Gesicht Gottes einmal nicht mehr sehen, es nur so ist, als habe sich eine dunkle Wolke zwischen sein Gesicht und uns geschoben. Wir werden auch als Christen weiter zweifeln und leiden, hadern und suchen, was uns als Kompass bleibt, ist das Vertrauen in den, der als Gekreuzigter der Retter ist. Er, der am Kreuz selbst ganz aus dem Vertrauen stirbt und lebt: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? (Mk 15,34) Vater ich befehle meinen Geist in deine Hände. (Lk 23,46)

Als Christen fürchten wir alleine Gott, nicht das, was uns Angst macht. Auch in den dunklen Erfahrungen bezeugen wir Gott als den, der zugewandt ist, dem wir vertrauen können.

Das also ist und bleibt das Fundament unseres Glaubens: Das Vertrauen in den Gott, der Mensch geworden ist und sich selbst ans Kreuz gegeben hat.

Aus diesem Vertrauen wächst dann alles andere. Zum einen: Jesus sendet seine Jünger. Sie sollen seine Botschaft bezeugen. Draussen in der Welt. Fürchtet euch nicht. Vertrauen kann man nicht befehlen. Darum sollen die Jünger es auch bezeugen. Oder einfacher gesagt, von dem reden, was sie selbst erfahren haben und woraus sie leben: Vertrauen. Jesus gibt den Jüngern kein Handbuch mit. Keine auswendig gelernten Sätze, die sie auf den Plätzen oder an den Haustüren aufsagen können. Die man von der Kanzel spricht. Aus dem Vertrauen zu Gott wachsen auch die Worte, die passen. Die gesagt werden können. Oder müssen. Gott traut uns zu, so aus dem Vertrauen zu leben, dass wir die richtigen Worte finden. Die richtigen Dinge zu tun. Natürlich hätten wir es lieber, wenn wir genau wüssten, was wir tun oder reden sollen. Aber so einfach macht es uns Jesus nicht. So wie er in die Welt mit all ihren Unsicherheiten und Fragen, mit ihren Zweifeln und Nöten eingegangen ist, so sollen wir das auch tun. Nicht wegschauen, wo es dunkel ist. Nicht schönreden, was uns Not macht. Wir müssen das nicht. Wir kennen auch die dunklen Seiten. Aber auch da beim Vertrauen bleiben. Nöte und Frage mit aushalten, mit anderen nach Antworten suchen. Erinnert ihr euch, wie das im Frühjahr war? Niemand von uns hat sich vorstellen können, dass Kirche plötzlich nicht mehr stattfindet. Im ersten Moment haben all die Einschränkungen sprachlos gemacht. Aber dann haben wir doch auch in der Gemeinde schnell Wege und Möglichkeiten gefunden, Menschen auch in dieser Situation zu begleiten und anzusprechen. Richtig kreativ ist es da an vielen Stellen geworden. So konnten wir unser Vertrauen, dass Gott immer noch da ist, auch hier bezeugen.
Das andere ist für mich: Als Christen kennen wir die dunklen Seiten der Welt und des Lebens. Wir kennen die Erfahrung, dass uns Gott fern scheint. Aber wir leben aus dem Vertrauen, dass Gott uns zugewandt ist. Dass eines Tages alles ans Licht kommt, dass uns eines Tages der Sinn von allem aufgeht. Darum beteiligen wir uns als Christen nicht an Spekulationen. Wir glauben nicht daran, dass dunkle Mächte diese Welt steuern, sondern der Gott, der uns zugewandt ist. Wir machen also nicht mit bei Verschwörungstheorien. Wir nehmen Ängste ernst und hören Menschen zu. Was wir geben können als Christen ist, dass wir aus dem Vertrauen leben. Wir laufen auch in dunklen Momenten nicht weg. Wir bleiben nüchtern und aufmerksam. Wir wissen um die Endlichkeit des Lebens, auch um die Endlichkeit kirchlicher Strukturen. Das schreckt uns nicht. Mit dem Vertrauen als Kompass machen wir uns auf die Suche nach neuen Wegen, die Gott uns weist. Reformation heisst dann: Immer wieder aus dem Vertrauen leben. Und Kirche reformiert sich da, wo sie aus dem Vertrauen zu Gott alleine lebt. Fürchtet euch nicht.

Amen

de_DEDeutsch