Mt 26,36-46

Mt 26,36-46

Beten unter Gottes Schweigen | Sonntag Reminiscere | 13.03.22 | Mt 26,36-46 | Kira Busch-Wagner |

Da hilft nur noch beten, so haben die Kirchenältesten hier in Trinitatis (Karlsruhe Aue) mit Plakaten aufgerufen, die geöffnete Kirche zum Gebet zu nutzen in diesen Wochen des Krieges, den Russland in die Ukraine getragen hat.

Wir stehen mitten in Europa und die Zeitläufte führen uns ins Kriegsgeschehen. In Entscheidungen zu Rüstungsausgaben, Aufrüstung, Waffenverkäufen. Was gestern noch fremd war, wird heute Wirklichkeit.

Und alle fragen natürlich: was hilft? Spenden hilft. Gemeinschaft herstellen hilft. Kontakte helfen. Aufnahme von Flüchtlingen, ihre Begleitung, ein Rahmen von Normalität und Sicherheit vor allem für Kinder. Das hilft.

Viele Ukrainer sagen: Waffen helfen. Sanktionen helfen. Militärische Unterstützung hilft.

Was hilft beten? Was hilft der Ruf zu Gott? Immerhin heißt es in Luthers Übertragung der alten Psalmantiphon „Da pacem domine“: „Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten.“

Anders, als der oft gesungene resignierende Satz: „Es ist ja doch kein andrer nicht …“.

Hilft nur noch beten? Was hilft beten? Da liegt es nahe, uns biblisches Gebet anzuschauen. Ganz so, wie es unsere reguläre Ordnung mit dem Predigtabschnitt aufträgt. Wir stehen noch zu Beginn der Passionszeit. Und doch führen die Verse aus dem 26. Kapitel des Evangeliums nach Matthäus uns unmittelbar in die Nacht vor Karfreitag, in die Nacht vor dem Tod Jesu. Sie führen uns hinein in den Garten Gethsemane, in den Garten der Gat Schammaiim, den Garten der Ölpresse.

Der Ölbaum gehört zu den klassischen Sieben Früchten des Landes Israel. Er spielt eine wichtige Rolle nicht fürs Alltagsleben, etwa im Speiseplan – zur Zeit Jesu genauso wie heute. Das Öl des Ölbaums gehört grade noch zur Zeit Jesu auch zur  jüdischen Glaubenspraxis, zum Tempel. Ohne Öl keine Lichter, keine Leuchter, keine Menora.

Wenn Jesus im Johannesevangelium sagt: Ich bin das Licht der Welt, dann setzt das voraus: Ich bin das Öl, gewonnen vom Ölbaum, aus seinen zerstoßenen, zerpressten, ausgequetschten Früchten.

Im Garten Gethsemane, im Garten der Ölpresse, steht Jesus bevor, zerstoßen, zerschlagen zu werden Er weiß das. Er geht drauf zu.

Er will beten. Er will allein sein. Aber nicht ganz. Jesus hat sich ja öfters zurückgezogen zum einsamen Gebet. Umso auffälliger, dass er diesmal einige seiner Schüler ausdrücklich drum bittet, ihn zu begleiten. Drei sollen mitkommen. Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes. Es sind die drei, die bei seiner Verklärung auf dem Berg Horeb mit dabei waren. Drei, die ihm wichtig sind, von denen er sich vielleicht besonderes Verständnis erhofft. Vielleicht auch, denen er etwas zeigen möchte. Vielleicht auch – wie auf dem Horeb – die er als Zeugen der Geschehnisse dabei haben will.

Wieso nehmen wir denn zu einem schwierigen Gespräch jemanden mit?

Oft, damit es offizieller, objektiver wird.  Weil man dem Gegenüber nicht allein, nicht ungeschützt vor Augen treten will. Dass mehr als die beiden Gesprächspartner drauf hören, dass es zum 6- oder 8-Ohren Gespräch wird. Tatsache ist bei Jesus: während später Dutzende von Menschen jede Szene der Passion Jesu mitverfolgen, Gefangennahme, Verhöre, Folterung, das Hin und Her zwischen den verschiedenen Machthabern und Behörden – Hoher Rat, Pilatus, Herodes und wieder zurück – die Szene im Garten bleibt, da die Jünger schlafen, ohne Zeugen.

Manchmal nimmt man ja auch jemanden mit in ein Gespräch, um sich selbst am Riemen zu reißen. Um nicht die Contenance zu verlieren, die sachliche ruhige Haltung. Um nicht Dinge zu tun oder zu sagen, die man hinterher bereut.

Wenn Jesus die Jünger dabei haben will – fürchtet er eine Flucht? Die übrigens so schwierig nicht gewesen wäre – einfach über die Hügelkette des Ölbergs auf die andere Seite, die der Stadt abgewandt ist, also Richtung Wüste. Immerhin scheint jetzt am Pessachfest der Frühlingsvollmond. Er fände schon einen Pfad.

Oder fürchtet Jesus sein eigenes Gebet? Den Widerspruch zum Vater? Die Aufkündigung seines Weges? Fürchtet er die Aussichtslosigkeit seines Gebets?

Fürchtet er, der Stille ausgesetzt zu sein? Keine Resonanz von Gott her wahrzunehmen? Hätte er die Jünger gern mit dabei, damit sie wirken wie zusätzliche Radargeräte, die vielleicht jene Schwingungen aufnehmen könnten, die er fürchtet zu überhören, wenn sie eintreffen?

Und es ist ja tatsächlich so: Jesus legt alles Gott vor die Füße. Und er hört keine Antwort. Keine Himmelsstimme erschallt. Kein Zeichen erscheint. So bleibt es. Das ganze Leidensgeschehen hindurch bis zum Tod am Kreuz, bis in die endgültige Verlassenheit.

Dass die Jünger schlafen, lässt nicht einmal den Gedanken aufkommen: „Ich kann im Wirken von Menschen Gottes Wirken erkennen.“ Die Jünger schlafen und geben keine Antwort.

Dreimal hofft Jesus auf Rettung, dass der Kelch vorübergehe. Dreimal wirft er sich hinein ins Gebet.

Dann sind alle Gelegenheiten verstrichen, keine 24 Stunden mehr hat Jesus zu leben. Er stirbt – so schreibt Matthäus – mit dem Ruf: „Mein Gott! Warum hast du mich verlassen?“

Was für eine Tat der Evangelisten, so von Jesus zu schreiben. So vom Schweigen Gottes zu schreiben. Was muten die Evangelisten uns da zu. Man könnte es ja geradezu für gefährlich halten, von so furchtbarem Schweigen Gottes Zeugnis abzulegen. Und es mag zugleich für manche etwas sein, das sie kennen: von Gott ohne Antwort zu bleiben.

Unsere Predigtordnung auf biblischen Spuren mutet es uns zu, uns dem zu stellen. Dass wir selbst ohne Antwort bleiben auf unser Gebet. Und dass andere neben uns ohne Antwort bleiben, und wir doppelt dran leiden. Und nicht helfen, nichts herbeizwingen können.  

Es gibt eine seltsame Passage im Matthäusevangelium nach dem Verlassenheitsschrei Jesu und unmittelbar nach seinem Tod. Da zerreißt der Vorhang im Tempel. Die Erde birst. Tote auferstehen. Kleidung zu zerreißen ist Zeichen der Trauer. Für mich das Zeichen: Vom Tod Jesu ist Gott selbst zutiefst getroffen. Gottes Schmerz reicht bis ins Innerste des Tempels, ins Innerste seiner selbst. Die ganze Erde bebt, so erschüttert ist Gott. Die Auferstandenen bestätigen: hier ist Christus, hier der Messias Gottes, hier ist messianische Zeit – allem zum Trotz bricht sie an.

Die Evangelien richten uns aus auf das Leben Jesu jenseits des Todes. Die Evangelien erzählen von der Sehnsucht nach Erlösung vom Bösen, nach Reich Gottes, Sehnsucht nach messianischem Frieden, nach Leben dem Tod zum Trotz. Sehnsucht, wie Jesus sie gehabt hat, wie Jesus sie gelebt und gelehrt hat. Auf diesen Weg wollen die Evangelien uns mitnehmen. Auch mit unserem Gebet. Und indem wir gegenseitig helfen, die Trauer Gottes zu tragen. So lasst uns beten, mit Jesus zu Gott rufen und uns  aufmachen – durch die Passionszeit, hin auf Ostern.  

Und der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, bewahre unser Hoffen und Sehnen im Christus Jesus. Amen

Kira Busch-Wagner, Pfarrerin Karlsruhe Durlach-Aue, Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de

Kira Busch-Wagner, geb. 1961, geprägt vom „Studium in Israel“, derzeit Vorsitzende der ACK Karlsruhe, Mitautorin seit Gründung der „Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext“, Mitautorin des „Messbuch. Butzon und Bercker“.

Liedvorschläge:

Korn, das in die Erde … EG 98

Bleibet hier und wachet mit mir ….

Aus „Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder“:

Gott, du gingst fort …  45

Wir gehn hinaus nach Jerusalem … 217

Warum leiden so viele Menschen ….  208 – ganz besonders gut zu verbinden mit dem Ausschnitt aus den Klageliedern (z.B. als Klagepsalm) 1, 12-13:

12 Euch allen, die ihr vorübergeht, sage ich:

»Schaut doch und seht,

ob irgendein Schmerz ist wie mein Schmerz,

der mich getroffen hat;

denn der HERR hat Jammer über mich gebracht

am Tage seines grimmigen Zorns.

13 Er hat ein Feuer aus der Höhe

in meine Gebeine gesandt und lässt es wüten.

Er hat meinen Füßen ein Netz gestellt

und mich rückwärts fallen lassen;

er hat mich zur Wüste gemacht,

dass ich für immer siech bin.“

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Literaturhinweis:

Magnus Striet: Gottes Schweigen. Auferweckungssehnsucht – und Skepsis.

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