Predigt zu Psalm 90

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Predigt zu Psalm 90

Ja sagen zur Endlichkeit | Ewigkeitssonntag | 21.11.2021 | Predigt zu Psalm 90 | verfasst von Barbara Pfister |

Der Tod fordert uns heraus. Er verändert unser Leben grundlegend. Der Partner, die Mutter, das Kind, der Bruder oder die Freundin – sie fehlen uns schmerzhaft. Die Lücke, die sie hinterlassen ist spürbar und sichtbar. Der Schmerz begleitet uns – manchmal still, manchmal aber auch laut schreiend und bedrängend. Der Tod fordert uns nicht nur heraus – er überfordert uns. Vielleicht ist dies ein Grund, weshalb wir ihn aus unseren Gedanken und dem öffentlichen Leben verdrängen, ganz nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Heute, wenn wir den „Toten- oder Ewigkeitssonntag“ feiern, stellen wir uns dieser unangenehmen und schmerzhaften Herausforderung. Wir wollen einerseits dem Tod ins Auge schauen (Lupe) und andererseits weit über unsere Endlichkeit hinaus in Gottes Ewigkeit spähen (Fernglas), um unseren Blick für das Hier und Jetzt zu schärfen (Brille).

  1. Ein Blick zurück – Gott von Ewigkeit her (Fernglas)

Herr, ein Hort warst du uns von Generation zu Generation. Noch ehe Berge geboren wurden und Erde und Erdkreis in Wehen lagen, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. … In deinen Augen sind tausend Jahre wie der gestrige Tag, wenn er vorüber ist und wie eine Wache in der Nacht. (Psalm 90,1b;2;4)

Berge stehen für Beständigkeit und Unveränderlichkeit. Doch unser Psalm kehrt das Bild um. Nicht die Berge sind das ewig verlässliche, sondern der, der sie hervorbringt. Wir werfen einen Blick weit zurück, vor alle Zeit: Mit dem drastischen Bild von Geburtswehen geht die Schöpfung aus Gott hervor. Sie hat einen Anfang, während ihr Schöpfer ohne Anfang und Ende, von Ewigkeit zu Ewigkeit ist. Darum übersetzen Juden und Christen, den alttestamentlichen Gottesnamen auch mit „der Ewige“.

Unvergänglich, über Raum und Zeit stehend – das ist unfassbar für uns Geschöpfe, die wir Raum und Zeit unterworfen sind. Wir können Ewigkeit nicht denken. Jedenfalls dürfen wir „ewig“ nicht mit „zeitlos“ verwechseln, wie uns z.B. Designermöbel angepriesen werden. Auch können wir Ewigkeit nicht vergleichen mit einer unendlich langen Zeitdauer, wie uns das Warten auf den Bus vorkommen mag. Ewigkeit ist nicht eine immer weitergehende Abfolge von Kalendertagen oder die Verlängerung unserer Zeit. Ewigkeit steht für das Leben in Fülle. Und Fülle meint hier nicht Quantität, sondern Qualität.

Nur weil Gott selbst das Leben ist, kann er allem Geschaffenen das Leben geben. Es gibt kein Leben ausserhalb von Gott. Darum empfiehlt uns der Psalmbeter, Gott als Wohnung oder Aufenthaltsort zu wählen. Wer Lebensfülle und -qualität sucht, tut gut daran, Gottes Nähe zu suchen, sich bei ihm aufzuhalten (Vgl. Amos 5,4) und sogar in ihm Wohnung zu nehmen. Sein Zuhause in Gott zu finden und Anteil an seinem ewigen Leben zu haben, ist nicht nur die ursprüngliche Bestimmung für uns Menschen, sondern auch das, was christlichen Glauben ausmacht und in der Taufe seinen sichtbaren Ausdruck findet: Wenn also jemand in Christus ist, dann ist das «neue Schöpfung» (2Kor 5,17).

Die Zürcher Bibel beschreibt diesen Aufenthaltsort in Gott als Hort, was mir als langjähriger Hortleiterin natürlich besonders gefällt. Es handelt sich da nämlich nicht nur um irgendeinen Aufenthaltsort, sondern um einen Schutz- und Zufluchtsort, wo man Geborgenheit und Zuwendung findet – wo jemand da ist, wo man erwartet wird und nicht sich selbst überlassen bleibt. Und genau so hat das Volk Israel seinen Gott erlebt, von Generation zu Generation. Soweit menschliches Erinnerungsvermögen reicht, gibt es keine Zeit, wo Gott nicht Hort und Zufluchtsort für die Menschen war.

Von diesem fernen Blickwinkel von Gottes Ewigkeit her, nimmt der Psalmbeter nun aber die von ihm erlebte Realität unter die Lupe:

  1. Die menschliche Vergänglichkeit unter die Lupe nehmen (Lupe)

[Gott,] Du lässt die Menschen zum Staub zurückkehren… Sie sind wie Gras, das vergeht. Am Morgen blüht es, doch am Abend welkt es und verdorrt. All unsere Tage gehen dahin unter deinem Zorn, unsere Jahre beenden wir wie einen Seufzer. Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hochkommt, achtzig Jahre und was an ihnen war, ist Mühsal und Trug. Denn schnell ist es vorüber, im Flug sind wir dahin. (Psalm 90, 3a; 5b; 6; 9+10)

Zwischen den Marksteinen von Geburt und Tod ereignet sich all das, was wir Leben nennen. Während Ewigkeit für uns weder vorstellbar noch messbar ist, orientiert sich unser Zeitbegriff an der Spanne eines Menschenlebens, also um die 80 Jahre. Als junge Menschen mag uns das sehr lange vorkommen. Wir haben doch noch alles, was wir sehen, ausprobieren und erleben möchten vor uns. Doch als ältere Menschen oder solche die heute auf das Leben einer verstorbenen Person zurückblicken, geht es uns vielleicht ähnlich wie dem Psalmbeter: nur zu schnell ist oder war es vorbei. Die Jahre vergingen wie im Flug.

Nichts ist uns allen so sicher wie der Tod. Wir sind nicht ewig, sondern endlich. Die Zeit ist wie ein Fliessband, wir sitzen alle fest angeschnallt darauf und fahren mit derselben Geschwindigkeit. Wir können die Zeit nicht stoppen, nicht überspringen, nicht ausleihen und nicht speichern – irgendwann haben wir unseren Platz auf dem Fliessband bekommen und irgendwann müssen wir denselben auch wieder verlassen. Keiner weiss wann. Auch das Psalmbild vom Gras, das am Morgen aufblüht und am Abend welkt oder die Herbstbäume draussen, die im Moment ihre letzten Blätter abwerfen, zeigen uns unser Leben im Zeitraffer. So kurz ist das Leben: Wie der kleine Bindestrich, der auf Todesanzeigen zwischen dem Geburts- und dem Todestag steht, wie ein Hauch in der kalten Herbstluft oder ein Seufzer, der fast unhörbar und echolos verklingt. Ist denn alles sinnlos, vergeblich, ertrags- und nutzlos? Ein Haschen nach Wind? (Vgl. Koh 2,11) Wenn wir die Vergänglichkeit unseres Lebens unter die Lupe nehmen, bleiben fast nur Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht, Mühsal und Erschöpfung übrig. Macht es Sinn, dass wir die Tatsache, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist, unter die Lupe nehmen? Macht uns das nicht nur passiv, verzweifelt oder gar depressiv?

Ich bin froh, dass sich mitten im Psalm eine Scharnierstelle befindet, die uns die Tür aus der Verzweiflung einen Spalt weit öffnet. Der Psalmist setzt uns eine Brille auf, um mit korrigierter und geschärfter Sicht vom Ende her auf unser Leben zu blicken.

  1. Mit geschärftem Blick vom Ende her leben (Brille)

Unsere Tage zu zählen, lehre uns [Gott], damit wir ein weises Herz gewinnen. (Psalm 90,12)

Den Tod nicht verdrängen, sondern ihn ins Leben einbeziehen, indem wir über ihn nachdenken – das ist die vorgeschlagene Sichtkorrektur. Den Tod aber auch nicht in den Griff bekommen zu wollen, indem wir unseren Todeszeitpunkt selbst in die Hand nehmen, sondern uns Gott anzuvertrauen im Leben wie im Sterben. Dazu fordert uns der Psalm auf.

Wer sonst, wenn nicht der ewige Gott, der selbst das Leben ist, könnte es besser wissen, wie unser Leben gelingen kann? Die Bitte „Lehre du uns, Gott“, ist das Eingeständnis, dass wir im Blick auf unser Sterben überfordert sind. Und gleichzeitig ist es auch die Bitte um ein tiefes Vertrauen in den Gott, der ewig und unsterblich ist. So, wie es das Lied ausdrückt, das wir oft an Abschiedsgottesdiensten singen: „So nimm denn meine Hände und führe mich, bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich kann allein nicht gehen, nicht einen Schritt, wo du wirst gehen und stehen, da nimm mich mit.“ (RG 695)

Oder in einem Lied, das ich früher in der Jungschar oft gesungen habe: „Lehr mi zelle Herr, mis Läbe, Tag und Schtund. … Uf das wos achunnt, das lehr du mich, das wo würklich zellt, das bruchen ich.“ (Dänu Wisler)

Erkennen, worauf es ankommt und dann das tun, was zählt, was bleibt und überdauert – um das geht es doch im Leben. Die uns noch bleibende Lebenszeit weise und bestmöglichst zu nutzen. Das ist Weisheit. Eine Weisheit, die wir nicht in der Schule vermittelt bekommen und lernen können mithilfe von Vokabelkärtchen. Jeden Tag, der uns zum Leben bleibt, als Kostbarkeit ansehen. Von unserer Endlichkeit her zu denken, wichtige Dinge nicht aufschieben, innehalten und überlegen, was will ich bewirken mit meinem Leben und was soll in Erinnerung bleiben, wenn ich sterbe? Wir brauchen eine Sichtkorrektur durch Gott. Er lehrt uns, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und auf das zu setzen was Ewigkeitswert hat und somit nicht der Vergänglichkeit unterworfen ist.

An meinem Kühlschrank hängt ein Bild, auf dem das Wort „verwendete Zeit“ zu lesen ist. Eigentlich steht da „verschwendete Zeit“, doch das „sch“ ist mit einem Kreuz durchgestrichen. Das Bild ist mir eine Gedankenstütze an eine Lektion, die mich Gott vor gut 10 Jahren angefangen hat zu lehren. Nämlich, dass aus seiner Perspektive vieles, was ich als „verschwendete“ Zeit abwerte, sehr wohl wertvoll und für die Ewigkeit gut „verwendete“ Zeit ist. Auch Zeiten der Trauer, sich erinnern, innehalten, oder blockiert sein; für jemanden da sein, schweigen, mittragen, loslassen und vergeben; mit Gott hadern und kämpfen und sogar eine schlaflose Nacht – das muss alles nicht verschwendete Zeit sein, sondern, kann von Gott verwendet werden, so, dass es Ewigkeitswert bekommt.

  1. Ein Blick voraus – Gott bis in alle Ewigkeit (Feldstecher)

Etwas hat Ewigkeitswert – Das führt uns zurück zum Anfang des Psalms, zum ewigen Gott.

Herr, ein Hort warst du uns von Generation zu Generation. …  du bist Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit (Psalm 90,1b)

Hoffnung bricht durch, wo wir den Blick weg von unserer Begrenztheit, hin zu Gottes Möglichkeiten lenken; weg von unserer Sterblichkeit und Vergänglichkeit hin zu unserem Leben, das seine Zuflucht im ewigen Gott hat. Diese Hoffnung und der feste Glauben, dass Gott durch uns Dinge bewirken kann, die Bestand haben, lässt den Psalm mit einer Bitte an den Ewigen enden:

 [Gott], gibt dem Werk unserer Hände Bestand, ja, gib dem Werk unserer Hände Bestand. (Psalm 90,17)

 

Wenn wir in Gott Wohnung genommen haben und sein ewiges Leben in unserer begrenzten Endlichkeit zum Ausdruck kommt, dann muss auch unsere ganz normale, mühselige Arbeit, das, was wir im Hier und Jetzt anpacken, nicht sinnlos und vergeblich sein, weil das vergängliche Werk unserer Hände, insbesondere Liebe und Gerechtigkeit und Dienst am Nächsten, Bestand hat in Ewigkeit. Das ist eine Hoffnung, die weit über die Psalmen hinausgeht und uns nach vorne, ins Neue Testament zu Jesus Christus weist. Er, der ewige Gott wurde ein sterblicher Mensch. Als er starb, schien es klar, dass der letzte, unausweichliche Feind, der Tod, nun auch den ewigen Gott besiegt hatte. Doch mitten im Tod kehrt Gott die Machtverhältnisse um – mitten in der alten, begrenzten Zeit der sterblichen Schöpfung bricht die Neuschöpfung des ewigen Lebens an. Ostern ist die Geschichte des Sieges über den Tod. Der Tod ist nicht der Einzige, der auf uns wartet, denn auch Jesus Christus wird dabei sein, wenn der Tod nach uns greifen wird. Er bleibt bei uns, durch den Tod hindurch. Ihm kann der Tod nichts mehr anhaben.  Darum lesen wir im 1. Brief an die Christen in Thessalonich:

Geschwister, ihr braucht nicht traurig zu sein wie die Menschen, die keine Hoffnung haben. Wir glauben doch, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Ebenso gewiss wird Gott auch die Verstorbenen durch Jesus und mit ihm zusammen zum ewigen Leben führen. (1Thess 4,13f)

Wer an Jesus Christus glaubt hat das ewige Leben (Vgl. Joh 3,36). In ihm haben wir als sterbliche Menschen bereits jetzt Anteil am göttlichen Leben. Doch ein Anteil ist erst ein Teilstück vom Ganzen, das uns in Zukunft erwartet und wir jetzt erst umrisshaft, wie durch ein Fernglas sehen (1Kor 13,12). Unsere Hoffnung geht weit über Raum und Zeit hinaus, sie hat Ewigkeits-Qualität, wie es die Offenbarung, das letzte Buch der Bibel beschreibt:

„Gott, wird ´immer [und ewig]` bei ihnen sein. Er wird alle ihre Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es werden keine Angstschreie mehr zu hören sein. … Ich, [der Ewige], bin Anfang und Ziel. Allen Durstigen werde ich Wasser aus der Quelle des Lebens schenken.“

(Offb 21,4+6; ZB und Hfa)

 

Amen

VDM Barbara Pfister
Bubikon
E-Mail: barbara_pfister@gmx.ch

Barbara Pfister, geb. 1977, Pfarrerin Stellvertreterin in der ev. ref. Kirche Wetzikon (Zürich) seit September 2020. Diese Predigt wurde im Freitagsgottesdienst vor dem Ewigkeitssonntag 2021 im Alterszentrum Wildbach gehalten.

 

Liedvorschläge:

Herr, unsere Zuflucht seit den ersten Jahren ((reformiertes Gesangbuch der Schweiz 48)
Jesus, meine Zuversicht (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 478)
Nun sich das Herz von allem löste (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 777)
Meine Hoffnung und meine Freude ((reformiertes Gesangbuch der Schweiz 704)
Wer nur den lieben Gott lässt walten ((reformiertes Gesangbuch der Schweiz 681, Strophe 1+7)
Harre meine Seele ((reformiertes Gesangbuch der Schweiz 694)

Kontext:

Schriftlesung aus dem Neuen Testament: 2. Korintherbrief 4,16-5,6a

(zusammengestellt von der Lektorin ES am 24. November 2019 aus der Bibel in gerechter Sprache, Zürcher Bibel und am Schluss Jörg Zingg «Womit wir leben können»)

Deshalb verlieren wir den Mut nicht.
Wenn auch unser äusseres Menschsein verbraucht wird, so erneuert sich doch das Innere Tag um Tag.
Denn die Last unserer gegenwärtigen Bedrängnis ruft für uns einen über alles Mass hinausgehenden göttlichen Glanz hervor, der Zeiten und Welten umfasst – für uns, die wir nicht nur das Sichtbare im Blick haben, sondern auch das Unsichtbare. Das Sichtbare gehört ja dem Augenblick, doch das Unsichtbare der Unendlichkeit.

Wir wissen doch, wenn unser irdisches Haus abgebrochen wird, dann bekommen wir von Gott einen Ort zum Wohnen, einen Ort, den Gott uns bereitet, ein nicht von Menschenhand gebautes, sondern ein Zeiten überdauerndes Haus im Himmel.

Wir sehnen uns danach, die himmlische Wohnung wie ein Kleid zu überziehen.
Gott wird uns mit einem himmlischen Leib bekleiden.
Woher wissen wir, dass Gott das tun wird? Von ihm selbst.

Er hat uns den Glauben gegeben. Er hat uns selbst den heiligen Geist verliehen, gleichsam als Anzahlung auf den Reichtum, den er uns schenken wird.

So sind wir allezeit guten Mutes.

de_DEDeutsch