Predigt zu Titus 2,4-9

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Predigt zu Titus 2,4-9

Aufgeweckt und aus Gottes Schule geplaudert | Christnacht | 24.12.2021 | Predigt zu Titus 2,4-9 | verfasst von Rudolf Rengstorf |

Erschienen ist die die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und erzieht uns, dass wir absagen dem gottlosen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands, Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig ist zu guten Werken. (Titus2,4-9)

Liebe Leserin, lieber Leser!

„Erschienen ist“- das ist ein kräftiger Fanfarenstoß. Mitten in der stillen heiligen Nacht. Ein mächtiges Signal, das die Menschen aus Ruhe und Besinnlichkeit herausholen und in helle Aufregung versetzen will. „Erschienen ist“ schallte es im römischen Weltreich, wenn ein neuer Kaiser den Thron bestieg. Er allein hatte das Sagen darüber, wohin es jetzt in der Welt gehen würde. Aufgeregt fragten die Leute: Was weiß man schon von ihm? Wird er die Herrschaft seines Vorgängers fortsetzen oder alles ganz anders machen?  Und was wird dann aus mir?

Bei dem „Erschienen ist“ in der Heiligen Nacht geht es noch um viel mehr, Hier wird die Herrschaft dessen angekündigt, der auch den mächtigsten Mann der Welt in der Hand hat, ihn mit jedem Atemzug am Leben hält und es ihm im Handumdrehen nehmen kann. Der Schöpfer Himmels und der Erden, allmächtig von Ewigkeit zu Ewigkeit, um ihn geht es. Er hat sich allerdings immer nur andeutungsweise gezeigt. Und viele Menschen meinen: vielleicht gibt es ihn gar nicht. Vielleicht bilden religiöse Menschen sich das nur ein. Nun aber endlich kommt sein „Erschienen ist“. Und was genau ist von ihm erschienen, wie zeigt er sich? Wenn man bedenkt, was die Menschen aus der Welt gemacht haben, die im Anfang so gut war, dann ist nichts Gutes von ihm zu erwarten Und Recht behalten würden jene, die in Gottes Namen ein fürchterliches Strafgericht angekündigt haben, vor allem an denen, die nichts von ihm wissen wollten.

Ach Unsinn, das hätten wir ja längst mitgekriegt. Erschienen ist seine Gnade, die es gut meint mit allen Menschen. Auch mit denen, die nicht an ihn glauben. Alle will er sie heil und froh machen. Und woran merken wir das? Wo ist zu spüren, dass in unserer Welt, in der es oft so gnadenlos zugeht, die Gnade Gottes tatsächlich erschienen, zu sehen und zu greifen ist? Seine Gnade hat Hand und Fuß, Herz und Sinne angenommen, verkörpert sich in einem Menschen, hat einen Namen. Angefangen hat es mit ihm in einer Zeit und an einem Ort, in dem sich ganz andere einen Namen gemacht hatten: der Kaiser Augustus und Kyrenius, sein Statthalter in der jüdischen Provinz. Weil es den beiden gefiel, eine Volkszählung durchzuführen, mussten die Menschen sich überall auf den Weg in ihre Heimatorte machen. Und es wurde keine Rücksicht darauf genommen, ob sie sich das leisten konnten oder ob Frauen hochschwanger waren. Auf diese gnadenlosen Herren hat die Gnade Gottes sich eingelassen. Denn sie will dort erscheinen, wo niemand sie erwartet: Wo es keinen Platz gibt für ein Paar mit seinem Neugeborenen. Das „Erschienen ist“ – dargebracht von den himmlischen Heerscharen – bekommen Männer zu hören, mit denen keiner zu tun haben will.

Das ist sozusagen die Ouvertüre zu dem Stück, in dem das Neugeborene als Erwachsener namens Jesus von Nazareth die Hauptrolle spielt. Von Anfang bis zum Ende gehört er zu denen, die keinen festen Wohnsitz haben und auf Großherzigkeit und Gastfreundschaft angewiesen sind. Aber er hatte auch etwas zu bieten. Er hatte Geschichten, so anschaulich und zu Herzen gehend, dass man sie behalten und weitererzählen kann. Von dem Vater, der seinen verkommenen Sohn mit offenen Armen aufnimmt. Von dem Samariter, der wie man meinte, den falschen Glauben hatte; der aber mehr praktische Nächstenliebe an den Tag legt als rechtgläubige Tempelbeamte. Von dem Weinbergbesitzer, der auch die mit nur kurzer Teilzeit Beschäftigten so bezahlt, dass sie leben können wie die Vollbeschäftigten. Immer fallen seine Geschichten aus dem Rahmen. Und immer leuchtet in ihnen die Welt auf, wie Gott sie haben will. So hat Jesus nicht nur erzählt, so hat er auch gelebt: immer bei denen, die nicht mitkamen, nicht mitzählten, nicht dazugehörten. Ihnen ist er nachgegangen, hat ihnen Augen, Ohren und Mund gegeben und sie wieder auf die Beine gebracht. Immer und überall als Zeichen dafür, wie es zugeht in der Welt, in der allein Gott das Sagen hat. Darauf hat er sich am Ende festnageln lassen. Wie ein Verbrecher, für den es keine Gnade gibt, ist er gestorben. Doch in der anderen Nacht, die der Nacht seiner Geburt gegenübersteht, in der Osternacht hat Gott ihn aus dem Tode herausgeholt und dafür gesorgt, dass er lebendig geblieben ist und lebendig bleibt mit dem, was er gesagt und getan hat. Damit zeigt sich die Gnade Gottes, wie es eindeutiger nicht geht. Denn heil kann diese Welt nur werden, wenn die zu Verlierern und Opfern geworden, die aus dem Rahmen Fallenden zu ihrem Recht und zu ihrer Würde kommen.

Und diese Gnade – heißt es – „erzieht uns, dass wir absagen dem gottlosen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben.“ Himmel, klingt das anstrengend, und alle Weihnachtsfreude geht da flöten! Aber nur, solange wir die Gnade als vorwurfsvolle Besserwisserin mit erhobenem Zeigefinger sehen. Eine gute Pädagogin, eine gute Erzieherin aber ist keine sauertöpfische Spielverderberin. Sie macht etwas mit ihren Schülerinnen und Schülern. Sie macht neugierig, weckt Interesse an dem, was sie vormacht, und sie hilft, es ihr nachzutun. So geht es zu in der Schule Gottes, in der wir uns befinden. Die meisten von uns begleitet der Glaube an Gott von Kindesbeinen an. Voll drauf haben wir ihn immer noch nicht, geben bisweilen fast auf, fangen wieder an. Immer von neuem wird sie geweckt, die Sehnsucht nach ihm und seiner Freude, die Hoffnung darauf, dass es doch noch gut wird mit dieser Welt. Und nie und nimmer werden wir danach trachten, Gott los zu sein. Und weltliche Begierden, die Gier, alles für uns haben zu müssen und Spaß zu haben, koste es, was es wolle – nein, da machen wir nicht mit. Und damit sind wir nicht allein. Das wird überall um uns herum gerade bei jungen Leuten geübt und trainiert. Gegen den Strom einer Gesellschaft zu schwimmen, die davon lebt, dass andere Gesellschaften ausgebeutet werden. Bedacht und vernünftig, maßvoll umzugehen mit dem, was wir zum Leben brauchen, darin werden wir geübt. Und ebenso darin, gerecht zu leben: darauf zu achten, dass Menschen, die bei uns leben, zu ihrem Recht kommen. Wer in diesem Unterricht mitmacht, kann auch als älterer Mensch noch viel bewirken.

Und wie ist das mit dem „fromm leben“? Verbindliche Traditionen, in denen Frömmigkeit gelebt hat, verschwinden. Heute will sie gelernt und trainiert werden in einer Atmosphäre weltanschaulicher Beliebigkeit. Und da lernen wir, mit alle n anderen, Andersdenkenden und Andersglaubenden mit Respekt zu begegnen. Und wir lernen, den eigenen Standpunkt, den eigenen Glauben zu finden und ihm Ausdruck zu geben. Das sieht bei jedem Menschen, auch schon bei unseren Kindern, wieder anders aus. Doch tragfähige Brückenpfeiler der Frömmigkeit haben sich in allem Abbruch und bei aller Beliebigkeit erhalten: Ich denke an das Vaterunser, und ich denke an den Segen. Und deshalb heißt frommsein heute wie zu allen Zeiten: Im Zeichen des Vaters im Himmel und seines Willens zu leben und, mich einbeziehen zu lassen in den Segen seiner Gnade und ihn weiterzugeben. Amen.

 

 

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