Psalm 24

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Psalm 24

Kontrast | 1. Advent | 03.12.2023 | Ps 24 | Nadja Papis |

Liebe Gemeinde,

endlich ist wieder Advent! Die erste Kerze brennt am Adventskranz, es glitzert und funkelt: Die Wartezeit hat begonnen und bald, ja, bald ist Weihnachten. Endlich können wir wieder singen: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich. (RG 363)

Sind Sie schon in Stimmung dafür? Begeistert, vorfreudig, ergriffen?

Oder sind Sie am Ende schon durch mit der Vorfreude? Hat die Festtagsmüdigkeit schon eingesetzt?

Wenn ich meine Töchter frage, was die Weihnachtsbotschaft ist, sagen sie lachend aus einem Mund: «Das, was du immer predigst: Alle haben Stress mit all dem Drumrum, dabei brauchte das Göttliche fast nichts, um in die Welt zu kommen».

Ja, die Geburt im Stall ist für mich ein deutlicher Kontrast, eine Gegenbotschaft zu dem, was damit verkündet wird, zu dem, was wir Christen und Christinnen daraus gemacht haben und auch zu dem, was in der damals gängigen Messiasvorstellung erwartet wurde.

Diese Gegensätzlichkeit, dieses Kontrastreiche fordert mich immer wieder heraus – auch schon im Advent.

Es muss ein überwältigender Moment gewesen sein:

Am Morgen früh – die Tempeltore sind offen. Die Menschen, wahrscheinlich Priester, haben sich vorbereitet, gereinigt, innerlich und äusserlich. Ich stelle mir vor, sie singen Hymnen, ganz leise noch, denn noch ist es nicht so weit. Die Vorfreude steigt. Gleich wird etwas Wunderbares geschehen.

Und dann erscheint das erste Leuchten der Sonne über dem Horizont, das Licht erhellt mit jeder Minute mehr von der Welt, bis die Strahlen direkt durch die Tore ins heilige Gebäude scheinen. Die gesungenen Hymnen werden lauter und gipfeln in einem Freudengesang. Sie preisen Gott in seiner Herrlichkeit als Glanzkönig, als Herr über alle, als König aller Königreiche. Ein gewaltiges, mächtiges Gottesbild: die schöpferische Kraft, welcher die Erde gehört vor all unseren Besitzansprüchen; die richtende Kraft, die gleich der Sonne alles anleuchtet und sichtbar macht; die glänzende Kraft, deren Strahlen wir nur in kleinen Portionen aushalten. Wow!

Darauf warten wir im Advent. Und kommen wird ein Säugling, geboren in einem ärmlichen Stall, schwach und hilfsbedürftig. Erwachsen wird er heilen, Menschen erlösen, mit Vollmacht predigen, mächtig auftreten – und dann elend am Kreuz sterben, einsam, verachtet und verspottet.

Diese Gegensätzlichkeit, dieses Kontrastreiche fordert mich heraus – jetzt im Advent.

Vor einigen Jahren übernachteten wir auf dem Pilatus in der Zentralschweiz. Wir genossen den sonst so touristisch geprägten Berg in der Stille der einbrechenden Nacht. Grund für unseren Aufenthalt war aber der Sonnenaufgang am frühen Morgen. Als der Wecker klingelte, war es draussen noch stockdunkel. Nur ganz wenig Licht schien zur Sicherheit am Rand der Treppe zum Aussichtspunkt. Oben angekommen hüllte uns die Dunkelheit ein. Wir warteten, aneinander gelehnt, um ein bisschen Wärme nach dem abrupten Erwachen zu finden. Und dann zeigte sich der erste Schimmer über den schwarzen Silhouetten der Bergrücken der Umgebung. Dieses erste Licht war ein ganz feines, zartes. Nichts im Vergleich mit dem farbgewaltigen Aufgang der Sonne ein paar Momente später, ja, ein Kontrast dazu. Mich hat beides tief berührt – dieser alles überstrahlende Glanz und das schwache Schimmern.

Diese Gegensätzlichkeit, dieses Kontrastreiche fordert mich heraus – und verbindet doch auch das Wesentliche in meinem Leben. Denn es ist nicht das einzige Kontrastreiche, das ich erlebe. Da ist die Liebe, die mich so stark und überwältigend vereinnahmen kann und an anderen Tagen fast unbemerkbar einfach da ist. Da ist mein Glaube, der manchmal so kraftvoll trägt und in anderen Zeiten unbemerkt untergeht. Da sind bewusst gelebte Freude, intensive Dankbarkeit und auch Trauer oder überschäumende Wut neben Tagen, die einfach so praktisch emotionslos vergehen.

Der Advent hat für viele Menschen etwas Kontrastreiches: Ist es jetzt eine Zeit der glitzernden Vorfreude oder des besinnlichen Wartens? Geniessen wir all die Vorbereitungen oder nehmen sie das Besondere des kommenden Festes vorweg? Hetzen wir durch die Tage oder erholen wir uns in diesem lebendigen Miteinander?

Ich merke bei mir: Oft lebe ich in beiden. Und vielleicht ist das auch die moderne Variante des Advents: nicht eine Zeit des Fastens und Ausharrens auf das grosse Fest wie früher, sondern eine Zeit, diese Kontraste und Gegensätze bewusst wahrzunehmen und auch auszuhalten. Oder sogar zu verbinden. Denn sowohl das schwache Schimmern als auch das überwältigende Licht gehören zum Sonnenaufgang. Genauso wie sowohl die machtvolle Präsenz als auch die hilflose Schwäche zum christlichen Messias gehört. Und Menschen das Göttliche sowohl im alles überstrahlenden Glanz erleben als auch im ganz leisen Flüstern eines Windhauches.

Macht hoch die Tür, die Tor macht…

Wie auch immer wir den Advent erleben, diese Aufforderung bleibt: Öffne dich dem, was kommen möchte! Und hier hört für mich persönlich der Wert des Gegensätzlichen auf: Wenn ich vor lauter Adventsstress keine Zeit und Ruhe mehr finden, mein Herz zu öffnen, dann ist meine Grenze erreicht. Wenn ich nur noch an den Menschen vorbei haste, statt ihnen zu begegnen, Termine abspule, statt zu feiern, Geschenke erzwinge, statt sie liebevoll vorzubereiten, dann muss ich innehalten, mich bewusst dem Licht zuwenden und einen Moment die Kerzen am Adventskranz betrachten. Auch sie scheinen sanft und still in diese bewegte Zeit hinein und erinnern mich an das feine Schimmern, das leise Flüstern, den mächtigen Auftritt und den überwältigenden Glanz – an all die Wege und Möglichkeiten, die sich das Göttliche sucht, um mein Herz zu erreichen – um uns zu berühren und zu befreien. Und in uns neu geboren zu werden.

Amen

Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch

Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

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