Psalm 34

Psalm 34

Übergang – Jakob am Jabbok | Schiffsgottesdienst | 10. So. n. Trinitatis | 21.08.2022 | Psalm 34 | Catherine McMillan |

Gottesdienst mit gesamtem Ablauf

 „Ich suchte den Herrn, und er hat mich erhört. Von allen Ängsten hat er mich befreit.“ (Psalm 34)

Liebe Schiffsgemeinde,

wir befinden uns heute Morgen ausserhalb – mitten auf dem See. Irgendwo dazwischen. Im Übergang.

Hier im Limbo, sozusagen, wenden wir uns Gott zu.

Gott begleitet uns unsichtbar, hört uns zu und befreit uns von unseren Ängsten.

Schriftlesung: Genesis 32,23-32 (Markus Tanner)

Jakobs Kampf am Jabbok

Noch in jener Nacht aber stand Jakob auf, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde und seine elf Kinder und ging durch die Furt des Jabbok. Er nahm sie und brachte sie über den Fluss. Dann brachte er hinüber, was er sonst noch hatte. Jakob blieb aber allein zurück.

Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte hinaufzog. Und er sah, dass er ihn nicht bezwingen konnte, und berührte sein Hüftgelenk, so dass sich das Hüftgelenk Jakobs ausrenkte, als er mit ihm rang.

Und er sprach: Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich.

Da sprach (der Fremde) zu ihm: Wie heisst du?

Und er antwortete: Jakob.

Da sprach er zu ihm: Du sollst nicht mehr Jakob heissen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gestritten und hast gesiegt.

Und Jakob fragte und sprach: Bitte nenne mir deinen Namen.

Er aber sprach: Was fragst du nach meinem Namen?

Und dort segnete er ihn. Und Jakob nannte die Stätte Penuel. Denn, sagte er, ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin mit dem Leben davongekommen.

Und als er an Penuel vorüber war, ging ihm die Sonne auf. Er hinkte aber wegen seiner Hüfte.

 

Liebe Schiffsgemeinde,

Wir haben eine Fluss-Geschichte gehört. Jakob kämpft die ganze Nacht mit einem unheimlichen Unbekannten am Ufer eines Flusses mit Namen Jabbok, im heutigen Jordanien. Jakob ist nach vielen Jahren auf dem Weg in die Heimat zurück, wo sein Bruder, den er mal betrogen hat, immer noch auf ihn wütend ist. Warum? Das ist eine lange Geschichte. Es spielt hier nicht so eine Rolle.

Ich kenne Menschen von heute, die seit Jahrzehnten mit ihren Geschwistern im Streit liegen oder gar keinen Kontakt mehr haben – wegen einem Betrug, einer Erbgeschichte, sogar wegen einer Beleidigung.

Wenn jeder auf seiner Position, auf seiner Sicht der Dinge verharrt, ist keine Veränderung möglich.

Aber Jakob strebt eine Veränderung an.

 

Er spürt einen Ruf Gottes in die Heimat zurück.

Er verlässt seine Arbeitsstelle beim Onkel,

nimmt seine grosse Familie mit

und zieht durch die Wüste,

einer ungewissen Zukunft entgegen.

Jakob muss mit seiner Karawane durch eine Furt,

wo der Fluss besonders flach ist,

um in das Land seiner Geburt zu gelangen.

Er bringt seine Familie und sein Vieh und sein ganzes Hab und Gut über den Fluss.

Dann bleibt er zurück, um die Nacht allein zu verbringen.

Er braucht Zeit für sich.

Er befindet sich nämlich im Übergang.

Sein Leben ist im Fluss.

Die Konturen haben sich aufgelöst.

Er hat Sehnsucht nach seiner Heimat, nach seinem Bruder, aber auch Angst.

Was, wenn sein Bruder ihn immer noch umbringen will?

Er ist nicht mehr so selbstsicher wie früher.

Er schwimmt.

Alte Problemlösungsroutinen greifen nicht mehr.

Früher hat er betrogen und getrickst, um durchs Leben zu kommen. Der Name Jakob bedeutet sogar „Betrüger“.

Jetzt kann er sich nicht mehr helfen.

Er ist mit seinem Latein am Ende.

Er kann keine Tricks mehr aus dem Ärmel schütteln.

Er kann nur noch beten.

Und so betet er:

Gott meines Vaters Abraham und Gott meines Vaters Isaak, du hast mir gesagt, dass ich in meine Heimat zu meiner Verwandtschaft zurückkehren soll.

Du hast mir versprochen, dass es gut wird.

Ich verdiene es gar nicht, dass du mich immer wieder gerettet hast und mich sogar reich gemacht hast.

Rette mich bitte noch einmal.

Rette mich aus der Hand meines Bruders,

dass er mich und meine Familie nicht umbringt!

 

Das Beten macht ihm zwar Mut,

auf seinen Bruder zuzugehen – den ersten Schritt zu machen.

Aber jetzt ist es wieder Nacht geworden.

Und er ist immer noch innerlich zerrissen.

Vielleicht kennen Sie das Phänomen, dass Sie sich im Unterbewusstsein vor etwas fürchten.

Dann träumen Sie.

Bei Lehrern ist es der erste Schultag nach den Ferien.

Völlig unvorbereitet stehen sie vor der Klasse.

Bei Pfarrern geht der Traum so: Sie stehen vor der Gemeinde auf der Kanzel, und alle Notizen fliegen weg.

Jakob fürchtet sich noch vor seinem Zwillingsbruder Esau.

Und vielleicht auch vor Gott.

Wird Gott sein Versprechen, ihn zu beschützen, wirklich halten?

Plötzlich wird er in der Dunkelheit von einem fremden Mann angegriffen.

Der Mann ist unheimlich stark,

aber sein Gesicht kann er nicht sehen.

Ist es Esau, der Bruder, der ihn umbringen will?

Ist es ein Engel oder ein Dämon, der ihn von seinem Weg abhalten will?

Ist es Gott selbst?

Die Geschichte ist mehrdeutig. Sie lässt vieles offen.

Aber auf einer Weise kämpft Jakob mit Gott selber – das ist am Ende klar.

Jakob kämpft gegen das Schicksal,

als Zweiter geboren worden zu sein.

Das kleinere Los gezogen zu haben.

Er kämpft gegen seine eigene Schuld – den Betrug am eigenen Vater, den Betrug am eigenen Bruder, den Betrug an seinem Onkel.

Alles, was er nicht wieder rückgängig machen kann.

Er kämpft gegen die Angst.

Und er kämpft immer noch um den Segen.

Der Unbekannte verletzt ihn am Hüftgelenk.

Aber Jakob kämpft weiter.

Er gibt alles.

Er hält an Gott fest.

„Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich.“

Vielleicht haben Sie auch schon mit Gott gerungen.

Wegen einer Krankheit, wegen einem Verlust.

Nach vielen loyalen Jahren in einer Firma, wird man doch auf die Strasse gestellt.

Nach vielen Ehejahren, die Trennung – für Sie oder für Ihren Partner aus heiterem Himmel. Ein Schock.

Ein Kind stirbt.

Mit ihm geht eine Welt ins Grab.

Vielleicht der ganze Lebensinhalt.

Man kämpft gegen Gott – man will Gott bestrafen,

Gott besiegen, einen anderen Ausgang erzwingen,

die Uhr der Geschichte zurückdrehen.

Und gleichzeitig will man Gott um jeden Preis bei sich haben.

Man will gehalten werden, getragen, gesegnet, geheilt …

Dorothee Sölle schreibt:

Wenn wir beten lernen, einfach, mit Gott sprechen,

dann kommen wir vielleicht diesem Ringen von Jakob etwas näher.

Es ist ein Du da, es hört jemand zu.

Ich kann das nicht begründen, ich glaube es.

Ich glaube es aus meinem eigenen Leben,

aus der Erfahrung der Kirche,

aus der Tradition

und auch dann, wenn ich denke, ich bin vollkommen allein, dann erinnere ich mich daran, dass jemand zuhört.

Schon das ist ein Segen.

Schon, wenn wir nur jammern oder klagen oder schreien,

auch das hört Gott.

 

Der Fremde am Jabbok hat kein erkennbares Gesicht – er bleibt unverfügbar, Geheimnis.

Er segnet nicht sofort,

sondern fragt zurück, fordert heraus:

„Wie heisst du?“

Das bedeutet:

Es geht letztlich in diesem Kampf um Jakobs Identität.

Diese wird verändert, umgeformt.

Vom Betrüger zum ehrlichen Kämpfer.

Vom Zweitgeborenen zum Erzvater des Gottesvolks.

Gott sagt: „Du sollst nicht mehr Jakob heissen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und Menschen gekämpft und hast gesiegt.“

Er ist in einem Transformationsprozess.

Er kommt in seine Berufung hinein.

Jakob fragt seinerseits nach dem Namen des Fremden.

Zu wissen, wie einer heisst, ist eine Art,

Macht über ihn zu haben –

im guten Sinne (in der Liebe, in der Beziehung)

und im schlechten Sinne (durch Kontrolle).

Aber der Fremde bewahrt sein Geheimnis.

Er bleibt unverfügbar.

Er sagt: „Was fragst du nach meinem Namen?“

Dann segnet er ihn.

Er segnet ihn, aber er nimmt ihm die Verletzung nicht weg.

Die Sonne geht auf und der Fremde verschwindet.

Jakob hinkt über den Fluss zu seiner Familie zurück.

Er ist vom Kampf mit Gott gezeichnet.

Er ist erkennbar schwach geworden.

Das ist aber auch eine Gnade.

Viel später erkannte der Apostel Paulus, dass Gott gerade in unserer Schwachheit mächtig ist.

Jakob geht auf seinen starken Bruder Esau zu.

Esau ist von 400 Soldaten umgeben.

Jakob hinkt.

Und er verbeugt sich vor Esau, er wirft sich sieben Mal zur Erde nieder.

Das hätte er früher niemals gemacht, der Stolze, der listige Streber.

Spürt Esau plötzlich deswegen Erbarmen mit seinem Bruder?

Es wäre möglich.

Esau läuft ihm entgegen und umarmt ihn.

Er fällt ihm um den Hals und küsst ihn.

Und sie weinen beide.

Und Jakob sagt: „Wenn ich dein Gesicht sehe, ist es, wie wenn ich Gottes Gesicht sähe, weil du mich freundlich aufnimmst.“  (Gen. 33,10)

Die Begegnung mit Gott und die Begegnung mit dem Bruder überlappen sich.

So geht Transformation im christlichen Sinne.

Niemand hat Gott je geschaut.

Wenn wir aber einander lieben, bleibt Gott in uns,

und seine Liebe ist unter uns zur Vollendung gekommen“

so im 1. Johannesbrief. (4,12)

Falls Sie sich in einem Übergang befinden,

möchte ich Ihnen Mut zusprechen.

Streiten Sie ruhig mit Gott,

oder lassen Sie sich in Gottes Arme fallen.

Vertrauen Sie, dass es gut kommt.

Lassen Sie sich Zeit.

Neuland erwartet Sie.

Ein Neuanfang.

Vielleicht eine neue Identität,

ein tieferer und weiterer Glauben,

andere Prioritäten,

neue Aufgaben,

neue Beziehungen

oder alte Beziehungen neu.

Amen


Ablauf:

Eingangsspiel

Begrüssung

Lied 700, 1-2 „Weit wie das Meer ist Gottes grosse Liebe“

Gebet

Musik

Schriftlesung

Musik

Ansprache

Musik

Fürbitten

Unser Vater

Lied 702, 1-5 „Kum ba yah, my Lord“

Mitteilungen

Lied 349, 1-3 „Segne und behüte“

Segen

Ausgangsmusik


Liedvorschläge:

  • Lied 700, 1-2 „Weit wie das Meer ist Gottes grosse Liebe“
  • Lied 702, 1-5 „Kum ba yah, my Lord“
  • Lied 349, 1-3 „Segne und behüte“

Gebet

Ich lade Sie ein, sich in die Situation eines Menschen hinein zu versetzten, der in einer Krisenzeit

keinen Zugang mehr zur „grossen Liebe Gottes“,

zum „ewigen Daheim“ findet.

Gebet von Antje Sabine Naegeli:

Aus eigener Kraft,

Herr,

vermag ich es nicht,

aber in der Kraft deines Geistes

gebe ich dir aufs Neue mein Ja.

 

Dir will ich angehören

mit ungeteiltem Herzen.

Mitten in meiner unerträglichen Situation bekenne ich:

 

Du bist mein Gott.

Du bist mir verborgener denn je,

aber ich will dir vertrauen.

 

Auswegloser als jetzt

habe ich mein Leben nie erfahren,

aber du weisst den Weg.

 

Ich spüre deine Liebe nicht,

aber ich will nicht auf meine Gefühle bauen.

 

Für alle Zeit bin ich dein.

 

Du ermisst die Tiefe meines Erschreckens

und weisst

um die Dürftigkeit meines Glaubens.

Du nimmst dich meiner Schwachheit an.

 

Selbst in der äussersten Verlassenheit

bist du da.

 

Ich werde nicht zerbrechen,

denn du wachst über mir.

Amen


Fürbitten:

Verborgener Gott,

manchmal haben wir das Gefühl,

vom Schicksal geschlagen zu werden.

Sollen wir wie Jakob dagegen ankämpfen?

Hilf uns, Verlust in unserem Leben zu verkraften.

Hilf uns zu erkennen,

dass alles Neue mit einem Ende beginnt.

Wir bitten dich besonders für alle,

die trauern,

für alle, die den festen Boden unter den Füssen verloren haben.

Für alle, die durch die Ereignisse der letzten Wochen und Monate wie gelähmt sind.

Schenke Halt und Vertrauen mitten in der Ungewissheit.

Rufender Gott,

Du suchst nach uns,

auch wenn wir nicht nach dir suchen.

Wir bitten dich für alle Menschen,

die in einer Krise stecken,

die nicht mehr wissen,

wer sie sind und was in ihrem Leben wichtig ist.

Das Eine gilt nicht mehr, das Andere noch nicht.

Hilf ihnen, sich selbst zu finden,

und damit auch ihre Identität in dir.

Gib uns Geduld und Verständnis dafür,

dass sie für sich mehr Zeit brauchen.

Bewirke in uns allen die Bereitschaft zur Versöhnung,

zur Toleranz und zum Frieden.

Segnender Gott,

wir bitten dich für alle, die dabei sind, sich neu auszurichten.

Bewahre uns davor, sie auf ihre Vergangenheit festzulegen.

Mache uns offen für das, was sie geworden sind oder werden wollen.

Wir denken besonders an Menschen, die fliehen mussten und neu anfangen müssen.

An Menschen, die einen Todesfall, ein Trauma, eine Sucht oder eine längere Auszeit hinter sich haben.

Gott, segne sie, segne uns

und lass uns einander zum Segen werden.

Alles, was uns noch beschäftigt, fassen wir zusammen in dem Gebet, das Jesus uns geschenkt hat:


Catherine McMillan

Pfarramt Reformierte Kirche Dübendorf-Schwerzenbach

Festnetznummer: 044 825 32 02
Mobile: 079 378 26 52
catherine.mcmillan@rez.ch

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