Lukas 7,36-50

Lukas 7,36-50

11. Sonntag nach Trinitatis | 28.08.22 | Lukas 7,36-50 (dänische Perikopenordnung) | Elof Vestergaard |

Kassia ist der Name eines Liederdichters und Komponisten, der im 9. Jahrhundert im byzantinischen Reich gelebt hat. Sie kam vom Hof in Konstantinopel war gut ausgebildet und wurde wegen ihres Wissens gepriesen. Sie wurde Nonne und gründete ihr eigenes Kloster. Kassia hat eines der bekanntesten Lieder geschrieben, in der Gattung eines „Sticheron“, ein liturgisches Prosagedicht über den Bericht im Evangelium dieses Sonntags. Das Lied Kassias ist eine Nachdichtung des heutigen Evangeliums, die Erzählung von der sündigen Frau, die in das Haus des Pharisäers kommt mit ihrem Alabasterkrug und die Füße Jesu salbt. IN Dänemark hat Grundtvig dieses alte Lied nachgedichtet, es steht im Gesangbuch unter Nr. 151. Er schuf damit noch eine Version einer Auslegung, wie sie sich weiterhin in den Evangelien findet.

Unmittelbar erscheint die Erzählung von der Frau mit dem Alabasterkrug mir ein wenig zu gefühlvoll. Das Bild von der Frau, die mit ihren Tränen die Füße Jesu wäscht, sie küsst und mit ihren Haaren trocknet, ist ziemlich sentimental. Besser wird das nicht in der Nachdichtung Grundtvigs, wo er andeutet, dass diese Frau errötet und dass ihre Tränen so zahlreich sind, dass sie geradezu als Tränenströme beschrieben werden, sie die Füße des Herrn überschwemmen. Wir sollten jedoch nicht den Hang der Evangelisten und Liederdichter in diesem Fall dazu beitragen lassen, dass die zentralen Anliegen des Evangeliums in den Hintergrund treten, nämlich die Hoffnung auf die Vergebung unserer Sünden, die Jesus so deutlich hervorhebt mit seinen Worten an diese Frau, indem er sagt: „Deine Sünden sind dir. Vergeben … Dein Glaube hat Dich erlöst. gehe hin in Frieden!

Sehe doch selbst in der Frau mit dem Alabasterkrug und handele wie sie!  Unsere Identifikation mit der Frau wird dadurch unterstützt, dass sie nicht namentlich genannt wird. In der Geschichte der Kirche hat man vor allem in der Ostkirche an ihrer Anonymität festgehalten, während man sie in der Westkirche schon seit Gregor dem Großen mit Maria Magdalene identifizierte. Es liegt aber eine starke Pointe darin, dass sie namenlos bleibt und wir nicht wissen, wer sie war. Diese Anonymität ist nicht ein Ausdruck dafür, dass sie niemand ist, ihre Namenlosigkeit dient vielmehr dazu, dass sich alle Menschen heute in ihr spiegeln und sich in ihr sehen können.

Das hat die Psalmistin und Komponistin Kassia in ihrem Lied aus dem 9. Jahrhundert deutlich im Blick. Sie bringt diese Frau mit Adam und Eva zusammen. Und vergleicht das Weinen der Frau mit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies in die Lebensverhältnisse, wie sie die Menschen heute kennen. Die Tränen, mit denen die Frau die Füße Jesu wäscht, sind nicht Ausdruck bloßer Rührung in der Situation, ein momentanes Gefühl, sondern sie berühren alles menschliche Leid und alle Trauer. Die Tränenströme, von denen Grundtvig spricht, sind der Schmerz über den Exit aus dem Paradies, der Mensch lebt hier in dieser Welt, wo Tod und Zerstörung herrschen. So schreibt Kassia in ihrem Lied: „Weine über deine Taten, die du heute getan hast. Denke daran, wie du einst in Reden völlig entlarvt wurdest und aus der etwaigen Freude verbannt. wurdest.“ (frei übersetzt).

Die Begegnung zwischen der Frau mit dem Alabasterkrug und Jesus ist somit ein wichtiges Bild für das Verhältnis und die Begegnung zwischen Gott und Mensch.

Gottes Sohn wurde Mensch mitten in dieser Welt, so weit weg vom Paradies. Der lebendige Gott ist hier und begegnet ihr mit Vergebung der Sünde, verwandelt sie aus einer schlimmen Sünderin in einen freien Menschen, der Vergebung empfängt.

Die Salbung Jesu durch die Frau ist dann die kleine Tat, man kann sie wohl eine kleine Schöpfung nennen, die eine Aufforderung an uns beinhaltet, nicht nur nostalgisch an das Paradies zurückzudenken, sondern auch umzukehren und uns Gott und unserem Nächsten zuzuwenden.

Dazu helfe uns Gott. Im Namen Jesu Amen.


Bischof Elof Vestergaard

Ribe – Dänemark

Email: eve(at)km.dk

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