Psalm 46

Psalm 46

„Gott ist unsre Zuversicht und Stärke“ | Gedenktag der Reformation | 31.10.2022 | Psalm 46 | Rainer Stahl |

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

Bei der Vorbereitung dieser Predigt standen Sie alle vor meinen Augen: Nämlich in Gestalt der Gemeinschaft eines Familientreffens, für das ich zum Thema des Reformationsfestes eine Andacht vorbereiten konnte. Für Menschen, die traditionell und bewusst zu unserer evangelisch-lutherischen Kirche gehören und nicht nur aus Deutschland, sondern auch zum Beispiel aus den USA und aus Italien zu diesem Treffen zusammenkommen werden. Schon in den Zoom-Konferenzen, mit deren Hilfe das Treffen vorbereitet wurde, war der Wunsch, das Reformationsfest zu begehen, ganz deutlich. Deshalb ist es wichtig, die Bedeutung des Datums „31. Oktober“ zu erkennen und zu verstehen:

I.

1517 hatte Martin Luder seine 95 Thesen über den Ablass verfasst. Er oder Verantwortliche seitens der Universität hatten diese Thesen an die Türen der Kirchen Wittenbergs angeschlagen – besonders auch an die Tür der Schlosskirche. Und er hatte sie zusammen mit Begleitbriefen an die Bischöfe geschickt, die für Wittenberg zuständig waren – besonders an den Erzbischof von Mainz, Albrecht Kardinal von Brandenburg / von Hohenzollern. In seinen Briefen änderte er seinen Namen erstmals auf entscheidende Weise.

Um das zu verstehen, müssen wir uns bewusst machen, dass damals Angehörige der Elite oft ihren Namen nach Griechisch oder nach Lateinisch hin änderten. Zum Beispiel Philipp Schwartzerdt, der seinen Namen ins Griechische übersetzt hatte: Melanchthon.

Martin Luder machte das Folgende: Er änderte das „d“ seines Namens in „th“. Warum? Er wollte einen Bezug herstellen zum griechischen Wort „ελευθερος“ oder zum lateinischen Wort „Eleutherius“ – der „Befreite“. Seine theologischen Einsichten hatten ihn von alten Gesetzen und Vorschriften zu einer neuen Existenz als christlich glaubender Mensch befreit. Deshalb war es ganz wichtig, dass die Kirche des 17. Jahrhunderts entschied, die Lutherische Reformation an diesem Termin zu feiern: Weil die Thesen am Abend vor dem Allerheiligentag, dem 1. November, veröffentlicht worden waren, genau diesen Tag des 31. Oktober als „Reformationstag“ zu begehen!

II.

In diesem Jahr wird ein großartiger Vorschlag für den Predigttext gegeben: Nämlich Psalm 46! Dieser Psalm hat für uns besondere Bedeutung – weil Martin Luther ihn im Jahr 1529 nutzte, um sein wichtiges Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ zu dichten: die „Marseille Hymne der Reformation“ – wie der deutsche und jüdische Dichter Heinrich Heine dieses Lied genannt hatte –, oder die „Marseillaise des Bauernkrieges“ – wie es Friedrich Engels genannt hatte –, oder der Guten-Tag-Gruß ungarischer lutherischer Mitchristen: „Erős vár a mi Istenünk!“ [„Erösch vār o mi Ischtenünk!“] – „Ein feste Burg ist unser Gott!“

Ich will folgenden Weg gehen: Zuerst schauen wir auf den Psalm in der deutschen Übersetzung, die Martin Luther und seine Kollegen erarbeitet hatten. Und dann hören wir das Lied, das Martin Luther geschrieben hatte.

III.

„Gott ist unsre Zuversicht und Stärke

eine Hilfe in den großen Nöten,

die uns getroffen haben.

Darum fürchten wir uns nicht,

wenngleich die Welt unterginge“

(Ps. 46,2-3a).

„Ein feste Burg ist unser Gott

ein gute Wehr und Waffen.

Er hilft uns frei aus aller Not,

die uns jetzt hat betroffen.

Der alt böse Feind mit Ernst er’s jetzt meint;

groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist,

auf Erd ist nicht seinsgleichen“

(EG 362,1).

Hier hat Luther eine wichtige Vorstellung zum Ausdruck gebracht, die so gar nicht im Psalm vorkommt:

„Der alt böse Feind mit Ernst er’s jetzt meint;

groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist,

auf Erd ist nicht seinsgleichen.“

Der Psalm hatte über mögliche Gefährdungen und Katastrophen auf der Erde gesprochen: die „großen Nöten, die uns getroffen haben“. Aber Luther hatte diese Nöte personalisiert: „der alt böse Feind“. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte mein Vater dieses Wort als Aussage über die Römisch-Katholische Kirche und über den Papst in Rom verstanden. Aber das habe ich nie wirklich geglaubt. Und wenn wir in Übersetzungen ins Englische schauen, lernen wir eine korrekte Interpretation: “the old satanic foe” – „der satanische Widersacher“, oder: “the old evil foe“ – „der alte böse Widersacher“. Dasselbe gilt für die russische Fassung. Sie legt offen, um wen es geht: «Враг древний …» – „Der alte Feind / Teufel“. Den hatte Luther nämlich hier gemeint: wirklich den Teufel!

IV.

„Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben […],

da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.

Gott ist bei ihr drinnen,

darum wird sie fest bleiben; […]

Der Herr Zebaoth ist mit uns,

der Gott Jakobs ist unser Schutz“

(Ps. 46,5a.c.6a.8).

„Mit unsrer Macht ist nichts getan,

wir sind gar bald verloren;

es streit’ für uns der rechte Mann,

den Gott hat selbst erkoren.

Fragst du, wer der ist?

Er heißt Jesus Christ,

der Herr Zebaoth,

und ist kein andrer Gott,

das Feld muss er behalten“

(EG 362,2).

Hier hatte Martin Luther in zweifacher Weise über Jesus Christus gesprochen:

Zuerst: Jesus Christus war der richtige Mann. Er war die Person, die Gott ausgewählt hatte: „es streit’ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren“.

Dann aber hatte er zum Ausdruck gebracht, dass Jesus Christus Gott selbst ist. Hier nutzte Luther einen spezifischen hebräischen Ausdruck: «יהוה צבאות»– „’Adonaj Zeba‘oth“ – „der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott“.

Beide Aussagen sind für die gesamte Christenheit eindeutig und klar, für alle Kirchen:

Jesus Christus war wirklich ein Mensch, der auf Erden in einer typischen Zeit gelebt hatte – wohl von 6 vor Christus bis 30 nach Christus oder vom Wechsel zwischen den Jahren 6 zu 7 nach Christus bis in das Jahr 34 nach Christus[i]–. Und Jesus Christus war wirklich ein Mensch, der in einer konkreten Gesellschaft gelebt hatte, über die wir Forschungen anstellen können – in derjenigen der jüdischen Gesellschaft im Römischen Reich.

Und Jesus Christus ist wirklich der einzige Gott.

Wir werden zu Christinnen und Christen, wenn wir beginnen, diese beiden Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen und zu glauben. Und hierbei muss ich in die Gegenwart wechseln, denn über Gott können wir nicht ausschließlich in der Vergangenheit reden: Weil Gott wirklicher Partner aller Zeiten ist, zu allen Situationen unserer Welt.

V.

„Kommt her und schaut die Werke des Herrn […],

der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt,

der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt.“

(Ps. 46,9a.10).

Es hat mich bei meinem Nachdenken und Prüfen der Texte richtig erschreckt, dass Martin Luther diese zusätzliche große Hoffnung im Psalm gar nicht in seinem Lied aufnimmt, obwohl er sich doch immer wieder konkret für Frieden eingesetzt hat und einsetzen wird – so gegen die Gefahr eines zwischensächsischen Krieges im Jahr 1542: „Deshalb ist dieses das erste Gebot, dem [zu gehorchen] Eure Kurfürstliche und Fürstliche Gnaden schuldig sind: Vor allen Dingen auf Frieden aus zu sein, zum Frieden zu raten und zu helfen […]. […] Und ich gebe dazu den gewissenhaften Rat: Wer als Soldat unter einem solchen kriegslüsternen Fürsten steht, der laufe aus dem Felde, was er laufen kann. Der errette seine Seele und lasse seinen rachgierigen, unbelehrbaren Fürsten allein kämpfen […].“[ii] Wie viele Männer in Russland haben ohne es zu wissen diesen Rat beherzigt… Dass das nötig werden wird, war mein Gedanke schon im März dieses Jahres! Diese Hoffnung darf doch nicht unterschlagen werden! Wie können wir ihr nachspüren?

Für manchen wurde die Vernichtung von Kriegsgerät nach dem Ende der DDR zu einer konkreten Verwirklichung dieser großen Hoffnung: Panzer, Haubitzen, vielleicht auch Kampfflugzeuge wurden verschrottet. Wenn wir diese Entwicklungen erinnern, dann nehmen wir die entscheidende Grundbedingung dieser Hoffnung in Psalm 46 mit auf: Militärpersonal, Soldaten werden nicht verhaftet oder hingerichtet. Gott wird die Menschen am Leben erhalten, ja: zu neuem und besserem Leben befreien. Aber: Gott wird die Kriegstechnik beseitigen. Wohl genauer: Gott wird die Menschen verändern, so dass sie die Kriegstechnik beseitigen. „Bogen“, „Spieße“, „Wagen“ – das wären heute Maschinengewehre, Raketen und Drohnen, Panzer und Militärlastwagen. All das wird nicht mehr gebraucht werden. All das kann zu neuer Verwendung „umgeschmiedet“ werden:

„Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen

und ihre Spieße zu Sicheln.

Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben,

und sie werden hinfort nicht mehr lernen Krieg zu führen“

(Jesaja 2,4 und Micha 4,3).

Halten wir diese phantastische, gegen so viele aktuelle Erfahrungen gerichtete Hoffnung doch auch heute fest! Auch, wenn wir nicht ahnen können, wie das zu verwirklichen wäre. Diese große Hoffnung wollen wir nicht vergessen: Gott wird den Krieg überwinden! Gott wird eine neue Welt vorantreiben, in der Militär nicht mehr nötig sein wird – in der wir Menschen diese neue Welt ohne Waffen gestalten werden.

VI.

„»Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin!« […]

Der Herr Zebaoth ist mit uns,

der Gott Jakobs ist unser Schutz“

(Ps. 46,11a.12).

“Und wenn die Welt voll Teufel wär                  Das Wort sie sollen lassen stahn

und wollt uns gar verschlingen,                        und kein‘ Dank dazu haben;

so fürchten wir uns nicht so sehr,                     er ist bei uns wohl auf dem Plan

es soll uns doch gelingen.                                 mit seinem Geist und Gaben.

Der Fürst dieser Welt,                                      Nehmen sie den Leib,

wie sau’r er sich stellt,                                     Gut, Ehr, Kind und Weib:

tut er uns doch nicht;                                       laß fahren dahin,

das macht, er ist gericht‘:                                 sie haben’s kein‘ Gewinn,

ein Wörtlein kann ihn fällen.                            das Reich muss uns doch bleiben“ (EG 362,3-4).

Nachdem ich den abschließenden Aussagen des Psalms die Strophen 3 und 4 des Liedes Luthers zugeordnet habe, wollen wir auf eine besondere Einzelheit schauen:

„[…] das macht, er ist gericht’:                          […] Das Wort sie sollen lassen stahn

ein Wörtlein kann ihn fällen.                            und kein’ Dank dazu haben […]“ (EG 362,3b.4a).

Was ist dieses „Wörtlein“. Und welche Beziehung können wir bestimmen zwischen dem „Wort“ und diesem „Wörtlein“?

Dieses „Wörtlein“ mag zum Beispiel das Wort „Amen“ sein. Ein kleines Wort, mit dessen Hilfe wir unser Vertrauen auf Gott zum Ausdruck bringen – gegen alle Mächte der Erde, die unser Vertrauen haben wollen. Nein: Wir vertrauen auf Gott – nicht auf irdische Mächte. Und der Inhalt dieses „Wortes“ eröffnet eine besondere Beziehung: Dieser Satz Martin Luthers ist nicht bezogen auf einen möglichen „Dank“, sondern auf eine Vorstellung, auf einen Gedanken! In seiner Sprache hatte Luther das Wort „Gedanke“ zu „Dank“ gekürzt und wollte sagen: Wir sollten keine zusätzlichen Vorstellungen bemühen, keine zusätzlichen Ideen zum „Wort Gottes“ traktieren, sondern wir sollten es einfach akzeptieren!

Was Martin Luther mit diesem Satz hatte zum Ausdruck bringen wollen – „und kein’ Dank dazu haben“ –, hat dann der erste bedeutende Kirchenmusiker der lutherischen Reformation – Johann Walter – mit Hilfe der ersten Strophe seines Liedes „Allein auf Gottes Wort“ aus dem Jahr 1566 ausgesprochen:

„Auch menschlich Weisheit will ich nicht dem göttlich Wort vergleichen,

was Gottes Wort klar spricht und richt’, dem soll doch alles weichen.“

Amen.

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“

Liedvorschlag:

EG 195,1-3 – „Allein auf Gottes Wort…“

Dr. Rainer Stahl

Erlangen

rainer.stahl.1@gmx.de

[1951 geboren, Studium der Theologie in Jena, Assistent im Alten Testament, 1981 ordiniert, Pfarrer der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, zwei Jahre lang Einsatz beim Lutherischen Weltbund in Genf, dann Pfarrer in Altenburg, Alttestamentler an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig, Referent des Thüringer Landesbischofs in Eisenach, seit 1998 Dienst für den Martin-Luther-Bund (das lutherische Diasporawerk) in Erlangen, seit 2016 im Ruhestand.]

[i]  Für die erste Datierung vgl. besonders die Forschungsarbeit von Folker Siegert: Das Leben Jesu. Eine Biographie aufgrund der vorkanonischen Überlieferungen, Schriften des Institutum Judaicum Delitzschianum, Bd. 8/2, Göttingen 2010, S. 19-22. Für die zweite Datierung vgl. Uwe Jochum: In der Mitte der Zeit. Die neue Chronologie des Lebens Jesu, Hildesheim, Zürich, New York 2021, S. 56 und S. 101-103

[ii]  Martin Luther an Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Moritz zum Streit um Wurzen, in: Martin Luther Taschenausgabe, Band 5: Christ und Gesellschaft, bearbeitet von Hubert Kirchner, Berlin 1982, S. 198-204, Zitate: S. 200 und 204.

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