Psalm 73

Psalm 73

147, 1 + 2 Wachet auf, ruft uns die Stimme

Wochenspruch zum Gedenktag der Entschlafenen
„Herr, lehre uns bedenken, das wir sterben müssen, auf dass
wir klug werden.“

Psalm 73
Dennoch bleibe ich stets an dir;
Denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,
du leitest mich nach deinem Rat
und nimmst mich am Ende mit Ehren an.
Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit
meines Herzens Trost und mein Teil.

Kyrie – Gloria – Kollektengebet
Lesung: Offb.21, 1 – 7
Glaubensbekenntnis

397, 1 – 2 Herzlich lieb, hab ich Dich, o Herr.

(Kantate: Franz Tunder, Ach, Herr, laß Dein lieb Engelein)

Predigt

Liebe Gemeinde,
willkommen in der Gemäldegalerie vom Weltende, mit einer und einer
neuen Abteilung, eine Pinakothek von den letzten Zeiten der Menschheit.
Sie haben es sicher gemerkt: Wir haben heute schon einige Bilder betrachtet:

Am farbenprächtigsten das Bild vom Neuen Himmel und der Neuen Erde,
das neue Jerusalem! Siehe da, hatte der Seher Johannes gesagt: Die Hütte
Gottes bei den Menschen.

Aber auch der Eingangspsalm: Ein schönes, tröstliches Bild:
Gott hält mich bei meiner rechten Hand … und nimmt mich am Ende
freundlich, ja sogar in Ehren an!

Und dazu passte das Lied, passte die Kantate: Herzlich lieb, hab ich
Dich, o Herr … mit der dritten Strophe:
„Ach Herr, laß Dein lieb Engelein, an meinem End die Seele
mein, in Abrahams Schoß tragen. Der Leib in seim Schlafkämmerlein
gar sanft ohn alle Qual und Pein ruh bis zum Jüngsten Tage.
Alsdann vom Tod erwecke mich, daß meine Augen sehen dich in aller
Freud, o Gottes Sohn, mein Heiland und mein Gnadenthron. Herr Jesu Christ,
erhöre mich, erhöre mich. Ich will dich preisen ewiglich.“

Schöne, beruhigende, tröstliche Bilder vom Ende, ein ganzer
Raum in der Sammlung alter Gemälde, in jener alten Pinakothek, die
Bibel heißt.

Nun aber, liebe Gemeinde, treten wir in einen ganz anderen Raum ein und
haben eine Bildfolge zu betrachten, die einem Furcht einflößen
kann:

2. Petrusbrief, Kap. 3, 3 – 13. Dies ist der letzte Text in der allgemeinen
Ordnung der Predigttexte, wie sie in der Evangelischen Kirche in Deutschland
im Gebrauch ist:

„Ihr sollt vor allem wissen, dass in den letzten Tagen Spötter
kommen werden, die ihren Spott treiben, ihren eigenen Begierden nachgehen
und sagen: Wo bleibt seine verheißene Wiederkunft? Denn nachdem
die Väter entschlafen sind, bleibt es alles so, wie es seit Anfang
der Schöpfung gewesen ist. Denn sie wollen nichts davon wissen, dass
es früher schon einmal einen Himmel gab, dazu eine Erde, die durch
Gottes Wort aus Wasser und durch Wasser Bestand hatte; dennoch wurde damals
die Welt durch die Sintflut vernichtet. So werden auch der Himmel, der
jetzt ist, und die Erde durch sein Wort für das Feuer aufgespart,
bewahrt bis zum Tag des Gerichts und des Untergangs der gottlosen Menschen.
Eins aber sollt ihr nicht vergessen, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem
Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr zögert
die Erfüllung seiner Verheißung nicht hinaus, wie es manche
für eine Verzögerung halten; vielmehr hat er Geduld mit euch
und will nicht, dass jemand verloren geht, sondern dass alle zur Buße
finden. Der Tag des Herrn aber wird kommen wie ein Dieb; dann werden die
Himmel mit großem Krachen vergehen; die Elemente aber werden vor
ihrer Hitze schmelzen; und die Erde und alles, was darauf ist, werden
ihr Urteil finden.
Wenn nun das alles so vergehen wird, wie wichtig ist es dann, dass ihr
ein geheiligtes und frommes Leben führt und so den Tag Gottes erwartet
und seine Ankunft beschleunigt. Dann werden die Himmel in Feuer aufgehen
und die Elemente vor Hitze zerschmelzen.“

Ein später Beitrag aus der noch jungen Christenheit; Schreckensbilder
vom Ende der Welt: Sintflut, Endgericht, Untergang. Dieser späte
Beitrag zum Neuen Testament malt eigene Bilder, aber er verwendet bekannte
Motive: Die Sintflutgeschichte und den 90. Psalm 90, der eine Rechnung
mit 1000 Jahren, die wie ein Tag sind, enthält. Der Verfasser dieses
Petrusbriefs rechnet weiter; mag sein, daß er an Menschen geschrieben
hat, die aus der jüdischen in die christliche Gemeinde übergetreten
sind.

Diese Bilder wirken irgendwie deprimierend. Ich war unschlüssig,
ob ich diesen Predigttext überhaupt vorlesen sollte. Denn seine Bilder
bieten keinen Ausblick in eine hoffnungsvolle Zukunft, sondern scheinen
vor allem an der Bewältigung der Gegenwart interessiert: Disziplinierung
ist ihre Tendenz: „dass ihr ein geheiligtes und frommes Leben führt
… und so den Tag Gottes erwartet und seine Ankunft beschleunigt.“

Dieser Schlusssatz regt mich am meisten auf: Nicht genug, daß der
Autor mit dieser Bilderserie in Angst und Schrecken versetzt, verstört
und verschreckt wie ein Horror-Comic, so daß man alle Kraft schwinden
spürt. Er behauptet auch noch etwas, was ich mit meinen Eindrücken
von Gott, dem Vater Jesu Christi, nicht vereinbaren kann: Wir können
den Tag Gottes nicht beschleunigen: Die Menschen könnten zwar mittlerweile
alles Leben auf der Erde auslöschen, aber über den Tag Gottes,
wann er der Welt ein Ende setzt, daran können wir nun wirklich nicht
mitwirken, glaube ich.

Gute Bilder regen an, geben zu denken, lenken die Aufmerksamkeit auf
Möglichkeiten, eröffnen ein freies, weites Innenleben und Zusammenleben.
Davon war in der Kantate und im Psalm viel zu spüren, auch in der
Vision des Johannes: Die Hütte Gottes bei den Menschen, da möchte
man gleich zu bauen anfangen, eine Hütte, in der Gott sich wohlfühlen
würde.

Vertrauensbilder und Schreckensbilder haben wir gesehen, aber das war
natürlich längst nicht der ganze Bestand an Bildern in der alten
Gemäldegalerie: Gar nicht besichtigt haben wir ein anderes berühmtes
Motiv: Das Carpe Diem, ergreife den Tag; – aber das findet sich auch in
der neuen Galerie, deshalb konnten wir einstweilen darauf verzichten.
Auch Sisyphus und andere sagenhafte Schicksalsgestalten haben wir nicht
weiter beachtet. Zu unserem Thema: Bilder vom Ende des Lebens passen sie
nicht, weil sie diesen Gedanken ausschließen.

Verlassen wir also die alte und treten in die neue Pinakothek ein: Die
modernen Zukunftsbilder variieren vor allem das Motiv des individuellen
Endes: Gewaltsames, schnelles Sterben, langes Leiden, schmerzfreies Sterben,
und immer wieder der Kampf der Ärzte gegen das Ende.

Unübersehbar ist die Polarisierung zwischen Sterben durch Gewalteinwirkung,
durch Unfall oder Krieg, durch Hunger oder Krankheit, der böse schnelle
Tod, wie er auch in der Gegenwart viele trifft, – und das Sterben nach
langem Leiden, nach Siechtum über viele Jahre oder im hohen Alter.
Ein wahrhaft gnädiges Ende ist offensichtlich auch unter diesen Bildern
nicht zu finden: Alt und lebenssatt sterben möchte man, im Kreis
der Familie, mit wenig Schmerzen – und sogar gelegentlich nicht ohne Scherzen,
ist das ein gnädiges Ende?

Liebe Gemeinde!
Den Zukunftsbildern, die wir in der alten Galerie in Augenschein genommen
hatten, den realistischen, wie den fantastischen war – natürlich
– diese Grundspannung nicht fremd: Die Unerbittlichkeit des Todes und
die Sehnsucht sanft zu sterben. In der alten Pinakothek aber waren viele
Bilder doch noch mit einer Tiefendimension, ja mit einer Tiefenschärfe
ausgestattet, die in der Gegenwart kaum zu finden ist.
Zukunftsperspektiven über den Tod hinaus finden sich in der Neuzeit
praktisch gar nicht mehr, das Leben wird in der Fläche der Gegenwart
festgehalten, wie auf alten Tafelbildern vor Erfindung der Perspektive.

Dem Vordergrund hat sich das Hauptinteresse zugewandt, der scharf und
differenziert gezeichnet wird! Und dieser Vordergrund der Gegenwart beansprucht
alle Aufmerksamkeit – ohne Tiefenschärfe, ohne Perspektive. Neben
dem Kampf um die verbleibenden Tage steht aber auch die freundliche Gestaltung
des Sterbens, die Intensivstation neben dem Hospiz.

So finden sich in der neuen Pinakothek bizarre Bilder: Im Vordergrund
die glänzende medizinische Rettung vor dem Tod unabhängig von
Alter und Gesundheitszustand oder die einfühlsame Begleitung auf
dem letzten Weg – und verschwommen in der Tiefe des Raumes, das Ende derer,
die für teure Operationen oder Betreuung kein Geld haben, – so etwas
kommt auch in Deutschland heute schon vor, dass die Apparaturen nicht
reichen, Ersatzorgane nicht beschafft werden können, ein Hospizplatz
nicht zu bezahlen ist. Ganz schemenhaft am fernsten Horizont erkennt man
auf diesen Bildern gelegentlich das unsägliche Sterben der Millionen
an Hunger und Krankheit in anderen Teilen der Welt.

Solche Bilder wirken wie Fotografien, flächig, mit wenig Perspektive.
Sie geben dem menschlichen Auge und der Seele keinen Halt. Wie sollen
moderne Menschen in ihren eigenen Ängsten Ruhe finden, wenn sie in
den abstrakten Bildern vom Ende des Lebens und der Welt keinen Halt finden
können? Von Gnade am Ende jedenfalls keine Spur.

Liebe Gemeinde,
Um ein gnädiges Ende kann man nur beten, man kann es nicht schaffen.

Viele Gebete malen barmherzige Bilder vom Ende. Sie verbreiten Vorstellungen,
die nicht zwingen, nicht ängstigen, die nicht die eigene Angst vor
dem Ende über alle ausbreiten.
Und es sind nicht nur alte Bilder, ein besonders bewegendes Gebet um ein
gnädiges Ende, aus dem vergangenen Jahrhundert singen und sagen wir
ganz oft: Dietrich Bonhoeffers

„Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein Neues Jahr.“

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns schwerer Tage große Last
ach, Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen,
das Heil, für das Du uns bereitet hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch den bittern,
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar, ohne Zittern,
aus Deiner guten und geliebten Hand.

Hier malt einer in Angst und Not in seinem Gebet Vorstellungen von einem
gnädigen Ende – und das ist ein Ende, in dem er sich als einzelner
von Gott getröstet findet, wie im Psalter, so auch in Bonhoeffer
in den Worten, die ihm geschenkt werden in seiner Not. Die Zukunft dieses
Gebets wirft ein mildes Licht auf die Gegenwart, in die gar nicht gnädige
Gegenwart hinein, über Bonhoeffers gewaltsamen Tod hinaus auch noch
in unsere Gegenwart; die Zukunft tritt schützend zur Gegenwart hinzu:

„Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so laß uns
hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.“

Sage keiner, hier spricht ein Heiliger; auch Bonhoeffer war nur ein Mensch,
der mit seiner Angst umzugehen versuchte, und dabei über den Kampf
ums Dasein und um die Macht in der Welt hinaus nach einer versöhnten
Welt suchte – und sie in seinen eigenen Worten fand; wohl auch für
sich, aber erst recht für die, die sich diesem Trost anvertrauen.
Das ist wohl das gnädige Ende, wenn einem Menschen das Vertrauen
zuteil wird, daß sein Leben eine Perspektive hat, jetzt und von
Ewigkeit zu Ewigkeit.

Noch immer suchen und malen die Gebete der Menschheit die tragende und
tröstende Güte Gottes in vielerlei Gestalt und vielfältig
wirksam. Auch unter uns sind viele, die bei der Erweiterung unserer Gebetssammlung
mitwirken. (*) Darüber freuen wir uns.

Amen.

(*) In der Bonner Schloßkirche sammeln wir z. Z. unter dem
Titel „AMEN. Bonner Bürger beten“ – Gebetstexte und Erfahrungen
mit dem Gebet und bieten neben der Predigtreihe musikalische Veranstaltungen,
Vorträge und eine Kunstausstellung. Näheres dazu findet sich
unter www.amen-bonn.de
im Internet.

652, 1 – 3 Von guten Mächten (Melodie von Siegfried Fietz, 1970)

Abkündigungen

652, 4 – 6

Fürbitten – Vater unser – Segen

Orgelnachspiel: Gloria sei Dir gesungen.

 

 

 

Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost, Bonn
R.Schmidt-Rost@web.de

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