Römer 1,13-17

Römer 1,13-17

Schamröte? Entsorgen, aufschauen und sich hindurchatmen! | 3. Sonntag nach Epiphanias | 22.02.2023 |Röm 1, 13-17 | Manfred Mielke|

Liebe Gemeinde,

die Christbaumkugeln haben wir längst verstaut. Jetzt haben wir den Blick wieder frei für die nachhaltigen Wirkungen des Weihnachtsfests. Es liegt schon einen Monat zurück. Mehrere Wochen brauchen auch die drei Weisen aus dem Orient für ihren Rückweg – und noch länger für die Verarbeitung ihrer Eindrücke. Die Schätze, die sie mit nach Hause nehmen, sind neue Ideen und Gewissheiten. Sie haben dem Messias der Juden gehuldigt und dem König Herodes bewusst nicht gehorcht. Dabei orientierten sie sich, für welche Art des Friedens sie sich in ihrer heidnischen Heimat einsetzen können.

Gott entmachtete an Weihnachten die verlogenen Kräfte zugunsten eines befreiten Lebens. Paul Gerhardt textete und sang dazu: „Sünd und Hölle mag sich grämen, Tod und Teufel mag sich schämen, wir, die unser Heil annehmen, werfen allen Kummer hin.“ Unseren Kummer hinzuwerfen beginnen wir meistens zögerlich. Doch je bewusster wir ihn loslassen, nimmt in uns die Leichtigkeit zu. Und umso beherzter wir allen Kummer wegschleudern, tun wir es in der Kraft neuer Zuversicht. Ist die Scham unvermutet da, dann hilft uns zunächst das Trennen der Ursachen. Das lässt uns durchatmen und konsequent zu bleiben.

Als Gott durch die Geburt Jesu sowohl den Herodes wie die Hölle beschämte, weitete er den Raum für unseren Mut. Mit Paul Gerhardt können wir dann beobachten, wie die Chaoskräfte sich grämen und schämen. Die biblische Botschaft verknüpft die Blamage der Unterwelt mit dem Frieden für uns Menschen und der Ehrerbietung für Gott. In dieses Kraftfeld begeben wir uns, wenn wir das Evangelium als Heil annehmen.

Auch der Apostel Paulus wirft seinen Kummer weg und lässt sich vom Heil prägen, wenn er schreibt: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht!“ Gegen die Scham spürt er eine Kraft, die nachhaltig hilft. Sie kommt aus der Dynamik der Auferstehung, die anderes absterben lässt und uns lebendig und stabil macht. Auch wenn uns Unverständnis entgegenkommt, bleiben wir im Zutrauen Gottes geborgen.

Paulus schämt sich des Evangeliums nicht, weil es seine Überzeugung geworden ist. Er hat die Schubkraft des Evangeliums zu eigenen Kräften gemacht gegen Kummer und Scham. Denn bis zu der Klarstellung: „Ich schäme mich nicht der Kraft Gottes, die selig macht!“ durchlief er einen längeren Lernprozess. Blitzschnell springt mich die Scham an. Um ihr etwas gegenzuhalten, hilft mir die Inanspruchnahme der Beistandspflicht Gottes, der mir zusagt: „Rufe mich an in der Scham, so will ich dich erretten, und du wirst mich preisen.“

Zuerst als Saulus, dann als Paulus, wird er viele Kränkungen verarbeitet haben. Auch Unterstellungen, bei denen sich sein Gesicht verfärbte. Er half sich, indem er den Psalmvers befolgte: „Die auf Gott sehen, werden strahlen vor Freude, und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden.“ Dazu einige Stationen: Als Halbstarker hielt Saulus die Gewänder des Stephanus, der als Märtyrer gesteinigt wurde. – Als Student erlebte er, wie christliche Wanderprediger zur Steinigung verurteilt wurden. Sein Professor, der Rabbi Gamaliel, intervenierte erfolgreich. Seitdem wusste Saulus, wie gefährlich es werden kann, wenn man sich des Evangeliums nicht schämt und wie befreiend Mut wirken kann. – Als Heißsporn denunzierte er abtrünnige Juden. Gott blendete ihn und stürzte ihn von seinem Reittier. In einem safe-house segnete ihn ein mutiger Christ. Dabei wieder sehend geworden, ließ er sich taufen. Diese Umwandlung seiner Identität geschah in großer Hilflosigkeit, die sein überhebliches Ego beschämte. Doch die Taufe gab ihm die Gewissheit, vor dem Christengott bestehen zu können, und er legte in ungeahntem Freimut los. Wo er auftrat, erfuhr er meist blanke Wut. Im Rückblick schreibt er: „Fünfmal erhielt ich von Juden die neununddreißig Stockhiebe; dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See.“ Das liest sich wie ein fast stolzer Katalog, und nicht jedes Mal war das pure Evangelium die Ursache. Aber insgesamt scheint doch die Scham hindurch, so oft an den Pranger gestellt worden zu sein.

Paulus erlebte auch mentale Kränkungen, von einer erzählt Lukas in seiner Apostelgeschichte. Auf dem Marktplatz der Metropole Athen predigte er. „Einige Philosophen aber, Epikureer und Stoiker, stritten mit ihm und spotteten: Was will dieser Schwätzer sagen? Andere drohten ihm: Wir brauchen keine fremden Götter! Die meisten winkten ab: Komm morgen wieder, Du Komiker!“ Paulus zog den Kopf ein und verschwand schweigend. Sein Fazit: „Meine Predigt vom Kreuz ist für die Juden eine Gotteslästerung und für die Barbaren zu pazifistisch und für die Griechen blanker Unsinn.“

Mit diesen Worten gesteht er sich sein Scheitern ein in seiner Außenwirkung. Zugleich nehmen interne Streitigkeiten zu; ausgelöst durch Fragen wie: Ist Mose verstaubt oder visionär? Gelten die Reinlichkeits-Gebote auch für Getaufte? Bleiben wir eine jüdische Untergruppe oder machen wir jetzt „auf Kirche“? Nur Christus verehren, was ist dann mit dem Kaiserkult? Wieso sterben einige, wo doch der Auferstandene zurückkommen wollte? – Paulus kritisiert die Lagerbildung dazu und ist doch selbst Streitführer. Er verdächtigt sogar einzelne Christengruppen, verhext zu sein. Er muss sich neu erfinden, zumindest sich zurückziehen. Vielleicht im Westen, da, wo die Hauptstadt liegt; oder weiter, wo die Sonne untergeht?

Im Frühjahr 56 gastiert er im griechischen Korinth. Er denkt über die Provinz Hispanien nach – als neues Missionsgebiet. Dafür wäre Rom ein guter Zwischenstopp und eine ertragreiche Basis. Doch er weiß: Er ist zwar ein brillanter Schreiber, aber durch seine Streitlust in den zurückliegenden 20 Jahren eilt ihm ein problematischer Ruf voraus. Den muss er korrigieren, denn er braucht den Support der Hauptstadtchristen, um letztlich Spanien missionieren zu können. In einem Brief kündigt er sich bei ihnen an. Nach ein paar netten Zeilen kommt er zur Sache: „Ich will euch aber nicht verschweigen, liebe Brüder, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter anderen Heiden. Ich will den Gebildeten, den Ignoranten und auch euch in Rom das Evangelium predigen. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn im Evangelium offenbart uns Gott seine Gerechtigkeit, die vor ihm gilt. Diese entsteht aus Glauben in Glauben.“

Noch ahnt Paulus nicht, dass er gar nicht als freier Mann nach Rom kommen wird. Er lotst einen Christen mit in den Jerusalemer Tempel, darauf steht die Todesstrafe. Die Römer nehmen ihn umgehend in Schutzhaft, verschiffen ihn nach Rom und stellen ihn unter Hausarrest. Doch wie in einer Vorahnung stellt er 3 Jahre zuvor seine Unerschrockenheit nach vorne. Er will seine Scham unterdrücken können, falls er wegen seiner Verkündigung vor Gericht kommt. Wir aber befinden uns in einer anderen Gegnerstellung: „Unglaub und Torheit brüsten sich frecher jetzt als je; Gott wird uns Kraft verleihen und uns ganz befreien von aller Menschenscheu.“

Welche Kräfte sind es nun, die wir verliehen bekommen? Im weiteren Verlauf des Römerbriefs finden wir Beispielsätze wie: „Weißt Du nicht, dass dich Gottes Güte zur Umkehr leitet? – Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes! – Es gibt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind, denn durch die Taufe sind wir mit ihm begraben, um mit ihm aufzuerstehen! – Du aber lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ Diese Kernsätze binden uns ein in Frage und Antwort. Mit der Angst vor Verdammnis greift Paulus die wohl tiefste Scham auf. Dagegen empfiehlt er uns Gottes Güte und seine Liebe so vertraulich, dass sie bei uns seelsorgerisch wirken. Er macht für uns nachvollziehbar, wie ihm sein Glaube unter die eigene Haut geht. Dadurch werden wir widerstandsfähig, falls ein Schwall von Scham uns entgegenschwappt und wir hindurchkommen wollen. Dann hilft entsorgen, aufschauen und sich hindurchatmen.

Wir suchen weitere Zusagen gegen die Scham, jedoch hören wir einige Basiswahrheiten des Glaubens nur noch leise. In Gesprächen zwischen Gemeindepfarrern und Berufsschulpfarrern bekennen diese, dass sie das Kreuz Christi konsequent nicht mehr „unterrichten“. Es gehöre ausrangiert, so wie beim G7-Treffen im November 2022 in Münster, als Beamte des Auswärtigen Amts das Holzkreuz heraustrugen, unter dem 1648 der Friedensschluss den 30jährigen Krieg beendete. Wir schämen uns bereits, bevor die Brüskierung eintreten kann.

Als inneren Kompass bejahen wir durchaus die 10 Gebote und die Seligpreisungen, aber wir haben auch einige Schambereiche in unserem Glauben. Dazu gehören vermutlich der Schöpfungsbericht in 7 Tagen, die Jungfrauengeburt, der Richter im Weltgericht und die Auferstehung von den Toten. Zu solchen Themen kommen wir ungern aus der Deckung. Wir verstehen sie mittlerweile anders und andere Themen sind uns wichtiger, aber der mainstream steht uns entgegen. Ebenso in unserem Handeln. Da beugen wir lieber der Schamröte vor, anstatt sie durchzustehen und sie als sichtbares Zeichen unserer Überzeugungen auszuhalten. Wir erröten, weil wir eigene Werte verletzt haben, die andere partout nicht teilen. Wir erröten für andere, die es vorziehen, blass zu bleiben.

Reue und Scham haben auch eine reinigende Wirkung. Wo sie ohne Konsequenzen bleiben, wenden sich Menschen ab und treten aus der entsprechenden Wertegemeinschaft aus. Mit der Formulierung „Wir werden uns noch viel zu verzeihen haben!“ wird im politischen Raum die Schamlosigkeit angekündigt, die sogar Korruption begünstigt. Und ein Kölner Karnevalskomiker prahlt hochmütig zur Beichte: „Selbst in der Buße sind wir spitze!“ – Was Scham ist, ändert sich rasant und ist in diversen Kulturen sehr unterschiedlich. Bei anderen fordern wir schnell, sie müssten doch vor Scham im Boden versinken. Dabei stehen wir bisweilen schon selbst im Morast. Dann brauchen wir eine vom Evangelium gestützte Aufrichtigkeit „jedem gegenüber Rede und Antwort zu stehen, der von uns Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die uns erfüllt.“

Wir haben oft einen schwachen Puls für die Hoffnung, die uns erfüllt. Doch wenn wir die Verheißungen, die uns helfen, nach außen tragen, werden wir uns wegen anderer Defizite schämen. In einem Lied für eine Konfirmation textete und sang unsere Jugendband: „Ich schäme mich der Dummheit, die Gott ausgetrieben hat. Ich schäme mich der Schwachheit, die Gott ausgehalten hat. Ich schäme mich des Hasses, der Gott lebensnötig macht. Doch ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft, die uns lebendig macht!“ Amen

Liedvorschläge

EG 39 Kommt und lasst uns Christus ehren

EG 136 O komm, Du Geist der Wahrheit

EG 398 In dir ist Freude, in allem Leide

EG 351 Ist Gott für mich, so trete

Singt Jubilate 160 Kein Wort, das ihn verfügt

Singt Jubilate 130 Dort, wo alles sinnlos aussieht

Vorschlag Meditation; auch singbar mit Melodie 351 Ist Gott für mich, so trete

1 Ein Mensch zu sein auf Erden in dieser bösen Zeit

heißt ganz auf Gnade leben, weitab von Ewigkeit,

heißt auf die Stimme hoffen, die einst vom Himmel fuhr,

und so wie Jesus werden, tasten in seiner Spur.

2 Ein Mensch zu sein auf Erden und irdisch zu bestehn

heißt aus dem Wasser kommen und in die Wüste gehn

nicht Gott im Kreis der Götter, noch Engel ohne Blut,

nicht Tier und blinder Töter – nur Mensch, in Wind und Glut.

3 Ein Mensch zu sein auf Erden und mit dem Staub verwandt

heißt seinen Tod annehmen und Hunger, Frost und Brand,

die Tage und die Nächte, den Frieden und den Streit,

die Fragen und die Ängste, Durst nach Gerechtigkeit.

4 Ein Mensch zu sein auf Erden in dieser argen Welt

heißt Gottes Geist annehmen, der auf die Schwachen fällt,

heißt Menschenbrüder lieben, auch wenn sie irregehn,

und mit „Es steht geschrieben“ dem Bösen widerstehn.

(Text von Wilhelmus Barnard 1920-2010)

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.

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