Römer 11,(32) 33-36

Home / Bibel / Neues Testament / 06) Römer / Romans / Römer 11,(32) 33-36
Römer 11,(32) 33-36

Geheimnis «Gott» | Trinitatis | 12.06.2022 | Röm 11,(32) 33-36 | Nadja Papis |

Lesung des Predigttextes als Doxologie (eindringlich, mit viel Kraft und Ton)

O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis «gottes»! Wie unergründlich sind «gottes» Entscheidungen und wie unerforschlich die göttlichen Wege! Wer hat den Sinn «gottes» erkannt? Wer ist Ratgeber «gottes»? Wer hat «gott» etwas geliehen, das von «gott» zurückgegeben werden müsste? Aus «gott» und durch «gott» und auf «gott» hin ist alles. «gott» sei Ehre in Ewigkeit.

Amen

Wie ein Loblied ertönt der heutige Predigttext und füllt die Kirche mit würdigem Klang. Nicht nur heute, sondern wahrscheinlich auch im Ursprung des Textes: ein rühmender Text zum Vorsprechen, auf den die Gemeinde mit einem kraftvollen und bejahenden «Amen» antwortet. Worte, die ganz klar darauf zielen, «gott» zu ehren, zu preisen, zu loben (ev. wie vorher unser Gemeindegesang mit dem Lied XY).

O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis «gottes»! Wie unergründlich sind «gottes» Entscheidungen und wie unerforschlich die göttlichen Wege!

Bereits im ersten Vers wird klar: «gott» – was auch immer damit beschrieben wird – ist zu hoch für mich, unergründlich, unerforschlich. Ich habe keine Ahnung, um was es überhaupt geht, wenn die Bezeichnung «gott» fällt.

Und so geht es auch weiter: Wer hat den Sinn «gottes» erkannt? Wer ist Ratgeber «gottes»? Wer hat «gott» etwas geliehen, das von «gott» zurückgegeben werden müsste?

Die Antwort ist allen klar: Niemand!

Niemand kann sich anmassen, göttliche Gedanken zu erkennen, «gott» einen Rat geben zu wollen oder etwas von «gott» zurückzuverlangen.

Niemand, wirklich niemand.

Denn – hier kommt die Begründung: Aus «gott» und durch «gott» und auf «gott» hin ist alles.

Alles hat in «gott» seinen Ursprung, besteht durch «gott» und hat in «gott» sein Ziel. Es gäbe kein Leben, keine Lebendigkeit und schon gar keinen Lebenssinn ohne «gott». Die grossen Fragen unseres menschlichen Lebens, können alle mit «gott» beantwortet werden: Woher komme ich? Wozu bin ich da? Wohin werde ich gehen? Aus «gott» und durch «gott» und auf «gott» hin ist alles.

Und der fulminante Schluss: Ehre sei «gott» in Ewigkeit! Amen

Sie bemerken, ich bekommen nicht genug von diesem staunenden Lobpreis, von diesem würdigen, kraftvollen Text. Ich stelle mir Trompetenstösse, Hörnerschall, das volle Orgelregister vor – so muss das tönen, so muss das dröhnen, so muss das die Kirche erfüllen und beinahe sprengen. Die Mauern sollen erzittern vor Ehrfurcht. Und wir Menschen mit ihnen.

Ist Ihnen das unangenehm?

Wir hier sind ja nicht gut in diesem lautstarken Lobpreis. Lieber still beten, lieber andächtig schweigen, lieber eine durchdachte Predigt hören. Gut, wir singen schon, aber bescheiden. Unser Glaube ist nicht ekstatisch, sondern eher vernünftig. Exponierte Anbetung, das überfordert uns schnell, oder?

Ich erinnere mich an meine Ambivalenz in den amerikanischen Gottesdiensten während meiner Seelsorge-Ausbildung in San Diego. Fasziniert bemerkte ich die enthusiastischen Zwischenrufe der Gemeindemitglieder: «Praise him!», «Yes, God ist great!» und «Glory to God!». Fasziniert, aber auch leicht beschämt. Ich hätte das nie gekonnt und nie gemacht. Und doch schmeckte es nach Befreiung, irgendwie.

Nun zurück zum Text.

Paulus zitiert diese lobenden Worte zum grössten Teil. Sie alle sind in der Haltung einer staunenden Anbetung geschrieben und sicher auch ausgesprochen worden. Staunend, weil das, was sie anbeten, zu gross für unseren Verstand ist, und anbetend, weil es trotzdem irgendeine Ahnung von Verbundenheit gibt. «gott» erschliesst sich uns nicht, sondern bleibt ein Geheimnis, unergründbar, unerforschlich, zu hoch, als dass ich es fassen könnte. Und trotzdem ist dieses unerreichbare Göttliche erreichbar geworden – laut Paulus im Kreuzesgeschehen, in der Heilstat Christi.

«gott» – ein Geheimnis?

Wirklich?

Mir scheint, dass wir Menschen allzu oft Aussagen über das Göttliche machen, Feststellungen, nicht Fragen, absolute Wissenssätze, nicht Ahnungen.

Das macht mir Mühe.

«gott» – ein Geheimnis!

Das gefällt mir.

Es weckt Neugier, es ist befreiend: Ich muss nicht wissen, nicht beschreiben, nicht festhalten, was oder wie das Göttliche ist. Es ist, was es ist, und wird sein, was es sein wird – so lautet schon die Botschaft der Begegnung, die Mose im brennenden Dornbusch erlebte. Das Göttliche ist, was es ist – und wird sein, was es sein wird. Da ist viel Dynamik drin, da ist auch Geheimnisvolles drin, da ist vor allem eines klar: Was auch immer «gott» ist, es lässt sich nicht festlegen. Und sicher nicht von uns Menschen.

Und doch machen wir es immer wieder. Wie oft hören wir zum Beispiel im Gottesdienst Sätze aller Art über das, was Gott ist oder macht oder denkt oder fühlt. Gut gemeinte Sätze, oft auch Zusprüche, wohl meistens biblisch belegt.

Gott ist Liebe. Das ist einer meiner Lieblingssprüche. Aber weiss ich das wirklich?

Gott ist gütig. Und wenn ich das anders erlebe?

Gott ist dein Hirte. Aber ich will doch kein Schaf sein!

Im Namen Gottes, des Vaters. Wie schrecklich für diejenigen, die vom Vater ignoriert oder noch schlimmer geschlagen und missbraucht worden sind.

Gott segnet dich. Wirklich? Und womit? Auch mit der unheilbaren Krankheit?

Gott nimmt uns alle an. Woher weiss ich denn das, was ich in praktisch jeder Predigt sage?

In der Bibel stehen zudem ein paar Dinge über «gott», die mir die Haare zu Berge stehe lassen.

Gott will die Vernichtung der Feinde nach dem Sieg im heiligen Krieg – ja, das überlesen wir oft, wenn wir die action-geladene Geschichte der Schlacht bei Jericho und das grosse Wunder der durch Schall und Rhythmus einstürzenden Mauern bejubeln.

Gott teilt die Menschen in Gerettete und Verlorene ein und schickt die letzteren in die Feueröfen.

Es schaudert mich. Und das Bild der Öfen in Ausschwitz schiebt sich in den Vordergrund.

Es sind Menschenworte, es sind menschliche Bilder, es sind Vorstellungen, wie menschliche Hirne sie sich machen.

Und Gott?

«gott» bleibt ein Geheimnis, unergründlich, unerforschlich. Niemand kann sich anmassen, «gott» zu kennen, über «gott» Bescheid zu wissen, «gott» in ein Wort, eine Vorstellung, ein Bild einzusperren. Es ist, was es ist. Es wird sein, was es sein wird. Ein Geheimnis.

Aber… Ja, genau: Aber…

Darf ich denn gar nicht mehr über «gott» reden? Muss ich meine mir lieben Gebetsanreden weglassen? Soll es keine Zusprüche oder Segensworte mehr geben?

Doch! Ja, es soll und es darf und es muss sogar.

Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen es für unseren Glauben, dass wir «gott» anreden können, dass wir miteinander austauschen können, dass wir Zusprüche direkt und ohne umschreibenden Firlefanz bekommen.

Nur muss ich jederzeit und immer wieder überprüfen, wie ich das mache, was ich sage und welche Haltung hinter dem Gesprochenen steckt. Bilde ich mir ein, «gott» zu kennen und zu begreifen, was die göttlichen Wege sind? Brauche ich Bilder, die für andere verletzend, traumatisierend, abschreckend, ja, schädlich sind? Spreche ich vielfältig von «gott», in Vergleichen und Bilder, in Ahnungen und Vorstellungen oder in festgesetzten Dogmen?

Staunende Anbetung – das Bewusstsein für die Unergründbarkeit «gottes» – die Unterscheidung des grossen Geheimnisses «gott» und der menschlichen Bilder dafür…

Ein uraltes Weisheitsthema und gleichzeitig topaktuell. Die kirchliche Sprache braucht eine Erneuerung, sie spricht zu wenige Menschen in ihrem Glauben an. Und mit Sprache meine ich nicht nur unsere Worte, auch die Musik, unsere liturgischen Formen, das Feiern, unsere Borschaft…

Vielleicht würde uns ja ein bisschen mehr Dröhnen und Ekstase guttun, auch wenn es mich doch definitiv verwirren würde, wenn Sie jetzt plötzlich mit «Praise the Lord!» oder «Yes, Got ist great!» meine Predigt befeuern würden.

O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis «gottes»! Wie unergründlich sind «gottes» Entscheidungen und wie unerforschlich die göttlichen Wege! Wer hat den Sinn «gottes» erkannt? Wer ist Ratgeber «gottes»? Wer hat «gott» etwas geliehen, das von «gott» zurückgegeben werden müsste? Aus «gott» und durch «gott» und auf «gott» hin ist alles. «gott» sei Ehre in Ewigkeit.

Amen

Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch

Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

de_DEDeutsch