Römer 8,26-30

Römer 8,26-30

Zwischenzeit | Exaudi | 29.05.2022 | Röm 8,26-30 | Nadja Papis |

Die Prüfung überstanden, aber noch nicht bestanden.

Die Krankheit ist vorbei, aber so richtig gesund und fit fühle ich mich noch nicht.

Die Katastrophe ist durch, die Aufräumarbeiten fangen erst an.

Der Trotzphase knapp entwachsen, kommen die ersten Vorläufer der Pubertät.

Die Vorbereitung ist erledigt, aber das Vorbereitete noch nicht durchgeführt.

Wir befinden uns in einer Zwischenzeit.

Kennen Sie das?

Das eine ist vorbei, das andere noch nicht da.

Wir warten.

Wir erwarten.

Es ist eine angespannte Zeit.

So ging’s damals den Jüngern und Jüngerinnen: Christus ist weg, ja, an Auffahrt mussten sie Abschied nehmen von ihm. Ein anderer Abschied als am Karfreitag – die erschütternde Macht des Todes war gebrochen. Sie hatten Hoffnung und eine konkrete Erwartung. Konkret? Nein, nicht konkret, eher vage. Christus versprach ihnen den Geist, also eine Kraft, die in und unter ihnen wirkt.

Und jetzt warten sie.

Der eine fragt sich vielleicht: Was ist das denn, dieser Geist? Wie werde ich ihn erkennen? Werde ich ihn spüren? Und wozu wird er mich ermächtigen?

Die andere fragt sich: Was bedeutet das für meine Zukunft? Wie werde ich leben? Und wo?

Sie warten auf das Unverfügbare.

Warten auf etwas, das sie nicht kennen, von dem sie nichts wissen, über das sie nicht sprechen können.

Ich stelle mir vor: Kein entspanntes Warten. Auch kein erschüttertes. Eher so etwas zwischendrin.

Dieses Zwischendrin bringt mich immer wieder zum Nachdenken. Unser Leben enthält viele Zeiten zwischendrin. Die sind oft unsichtbar und vernachlässigt. Herausstechen tun die Höhepunkte und die schweren Stunden, aber das zwischendrin, das wird nie erzählt, nie erwähnt, nie überdacht. Oder haben Sie in einem Lebenslauf mal so den ganz normalen Alltag erwähnt? Oder bei einer Beerdigung gehört, wie der Verstorbene tagtäglich lebte – über Jahre?

Am heutigen Sonntag widme ich mich darum dieser Zwischenzeit. Und einem Text von Paulus, den ich hier gerade vorlese:

Röm 8,26-30

26 Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will. 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. 29 Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Wir wissen nicht, wie beten.

Wir wissen: Denen, die Gott lieben, verhilft alles zum Guten.

Schon wieder diese Spannung. Wissen wir nun oder wissen wir nicht? Sind wir unseres Glaubens sicher oder nicht? Haben wir Worte oder haben wir sie nicht?

Paulus sucht inmitten der Wortlosigkeit, inmitten der Hilflosigkeit nach Zuspruch und Hoffnung.

Wir wissen nicht, wie beten. Finden keine Worte. Fühlen uns schwach, vielleicht auch unwürdig.

Der Geist aber tritt für uns ein – mit wortlosem Seufzen oder unaussprechlichem Stöhnen, wie es in einer anderen Bibelübersetzung heisst.

Was für ein Bild oder eher was für Töne: unaussprechliches Stöhnen, wortloses Seufzen.

Kennen Sie das?

Dieses grosse Seufzen angesichts einer bald überstandenen Krise?

Irgendwie erleichtert trotz dem Wissen darum, dass die Krise noch einiges kosten wird.

Oder das Stöhnen beim Aufstieg auf einen Berg – einfach mal so zwischendrin, kurz, erlösend, auch wenn noch nicht ganz. Der Berggipfel ist ja noch nicht erreicht.

Zwischenseufzen – Zwischenstöhnen – wortlos, unaussprechlich, aber meist gehaltvoller als viele Worte.

Dieses Seufzen und Stöhnen lösen die Spannung der Zwischenzeit gerade so viel, dass wir weitergehen können. Und das macht es sehr wertvoll, ja, noch mehr, überlebenswichtig. Um durchhalten zu können, braucht es ab und zu ein Seufzen oder Stöhnen, einen wortlosen Ausdruck der Zwischenzeit: noch nicht da, aber auch nicht mehr weit weg.

Immer wieder spricht Paulus die Lebenssituation der Christinnen seiner Zeit an: Sie empfinden sich durch die Taufe als zu Gott gehörig, aus der Welt erlöst und sind doch noch mitten in der Welt. Sie erwarten die Wiederkehr Christi und den Beginn des Himmelreiches, ganz konkret und zeitnah, aber sie müssen doch ihr Leben gestalten im Alltag der Welt. Sie wissen, was kommt, und wissen es doch nicht. Und vor allem ist es noch nicht da oder nur in Ansätzen. Wie sollen sie sich verhalten? Wie mit der Spannung zwischen der Welt und dem Himmlischen umgehen?

In dieser Situation gibt es keine Worte, nur Stöhnen und Seufzen, der Geist macht es vor. Die Zeitgenossen von Paulus hatten kein schönes Leben: Verfolgungen, Unsicherheit, Unklarheit prägten das damalige Christentum. Keine Worte, nur Stöhnen und Seufzen.

Und diesen starken Satz, den Zuspruch, den Paulus gefunden hat für die Zwischenzeit; «wir wissen aber: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten».

Und heute?

Wir sind weit weg von dieser Zeit. Das Himmelreich ist keine allgegenwärtige Erwartung mehr. Unser Leben – jedenfalls hier – meistens gesichert, schön, lebenswert.

Und doch kennen wir sie: Diese Zeiten des Stöhnens und Seufzens. Diese Zwischenzeiten, die unbeachtet vorübergehen, wortlos.

Dazu kommt für mich ein wichtiger Gedanke:

Ein paar Verse vorher schreibt Paulus: Die ganze Schöpfung stöhnt und liegt in den Wehen bis jetzt (V22).

Nicht nur wir Menschen warten auf die Erlösung, auf das endgültige Abfallen aller Spannung, auf das Ende der Krise, sondern auch die Schöpfung. Das ist für Paulus klar. Die Schöpfung ist immer mitgedacht. Und in diesem Gedanken begegnet uns das nächste Bild für diese spannungsvolle Zwischenzeit: die Schwangerschaft. Voller Vorfreude, aber auch mit Ängsten, Unsicherheit und körperlichen Belastungen verlangt die Zeit von der Zeugung bis zur Geburt einiges ab von der Mutter und manchmal auch vom Vater. Es gibt Worte für diese intensive Erfahrung und doch bleiben wir wortlos. Ein Stöhnen, ein Seufzen muss reichen.

Wir wissen: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten.

Das ist der Zuspruch, den Paulus für die Stöhnenden und Seufzenden gefunden hat.

Es ist ein starker Zuspruch.

Nehmen wir ihn ernst?

So richtig?

Wie oft verharmlosen wir das Stöhnen und Seufzen. Sei nicht so selbstmitleidig! Hör auf zu klagen! Jammern bringt dich auch nicht weiter.

Und genauso oft nehmen wir die Hoffnung nicht ernst. Ach, das ist ja nur wieder so ein netter Spruch! Davon hat ja niemand was!

Wir wissen: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten.

Für mich ist die Hoffnung, die in diesem Satz steckt, zentral für meinen Glauben. Ich nehme nicht nur den Zuspruch, sondern auch die Situation, in die er hineingesprochen wird, sehr ernst.

Wir wissen: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten.

Das haben Menschen gesagt, die in der Aussichtslosigkeit, in der Hoffnungslosigkeit steckten. Die keine Worte und schon gar keine Taten mehr fanden, sich nicht zu helfen wussten, weder vorwärts noch rückwärts konnten. Ja, sie wussten nicht mal mehr, wie beten. Der Geist musste für sie einspringen, seufzen und stöhnen wie die ganze Schöpfung, die leidet und mitleidet.

Und dann: Wir WISSEN

Die wussten – trotz allem, in allem, mitten in der Spannung: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten.

Sie konnten mitten in der Hoffnungslosigkeit der Welt auf Gottes Heil hoffen. Moderner gesagt: Es gibt Hoffnung trotz allem. Die Hoffnung auf eine Zukunft, die Hoffnung auf Veränderung hin zum Besseren, die Hoffnung auf Gerechtigkeit. Und in unserer Welt wohl etwas vom Dringendsten: die Hoffnung auf eine Chance angesichts der drohenden ökologischen Katastrophe.

Gott, erhöre den Ruf meiner Stimme! Erhöre mich! (Psalm 27,7)

Dieser Psalmvers hat dem heutigen Sonntag den Namen gegeben: Exaudi!

Gott, erhöre den Ruf meiner Stimme! Erhöre mich! (Psalm 27,7)

Auch zwischen den Zeiten, auch in den wortlosen Momenten, auch im Stöhnen, Seufzen, Klagen und in der Angst, auch in der Spannung und Erwartung dessen, was kommt.

Amen

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Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch

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Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

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