Sehnsucht nach Befreiung

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Sehnsucht nach Befreiung

Predigt über Eph 4, 22-32 | von Reinhard Gaede |  Auferstehungskirche Herford-Laar |  

22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. 23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn 24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Weisungen für das neue Leben

25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. 26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen 27 und gebt nicht Raum dem Teufel. 28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. 29 Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören. 30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. 31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. 32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.  

Liebe Gemeinde!

Der Epheserbrief wurde im Namen des Paulus geschrieben, etwa um 90 n.Chr., wie die Forschung schätzt. Der erste Teil spricht in feierlich-liturgischer Rede von Gottes Plan zur Erlösung der Welt durch Christus. Sein Haupt-Anliegen ist die Einheit der Kirche von Menschen aus Israel und Menschen aus den übrigen Völkern. Christus garantiert Frieden und Einheit.

Aus dem zweiten, dem Teil über Ethik der Christ(inn)en haben wir Mahnungen gehört. Sie richten sich an Menschen, die früher einmal Heiden waren, bis sie die christliche Botschaft angenommen haben. Und das ist gleichbedeutend mit einem neuen Leben. Menschen, die Christen werden, fangen ein neues Leben an. Das alte Leben mit seinen „trügerischen Begierden“ und Bosheiten legen sie ab, wie man ein schlechtes Gewand ablegt und schlüpfen in ein schönes Gewand. Mit der Taufe in ihrem Taufkleid werden sie „neue Menschen“ nach dem Willen Gottes, wie Paulus gesagt hat: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur (neue Schöpfung); das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden.“ (2.Kor. 5,17)

Und was bedeutet das im Alltag? Christ(inn)en sollen die Wahrheit sagen, nicht lügen. Zornig werden ist manchmal nötig. Aber noch vor Sonnenuntergang soll Versöhnung möglich werden. Die Zunge sollen wir im Zaum halten, keine bösen Gerüchte in die Welt streuen.

Ja, Worte sind mächtig. Worte können Mut machen, trösten, liebevoll sein. Aber auch sehr verletzen. Beliebt ist das Lästern. Bei Jung und Alt, in Schulklassen, am Arbeitsplatz, in Wohnhäusern, in Internet-Foren. Verletzende Worte bringen Ärger, Streit, Zerstörung von Gemeinschaft. Manche Pfarrer hatten die Idee, das klar zu machen. Ihre Gemeindeglieder, die Lust auf das Lästern hatten, erhielten die Weisung, sie sollten einmal ein Federkissen am offenen Fenster aufschlitzen und dann die Federn wieder einsammeln. Unmöglich. In alle Windesrichtungen waren sie zerstreut. So geht es auch mit bösen und unwahren Geschichten, die über andere erzählt werden. Kleine schwarze Federn sind es, die niemand wieder einsammeln kann.

Scheitern

Freilich, damit dass wir Christinnen und Christen sind, sind nicht alle Lebensprobleme gelöst. Sektenprediger, die das behaupten, führen nur noch tiefer in die Enttäuschung und in die Verzweiflung, die sagt: „Gott fordert, dass ich ein neuer Mensch werde, aber ich bin immer noch der alte geblieben. Ich habe etwas angerichtet, was ich gar nicht wollte.“ Und dann gibt es Menschen, für die keiner mehr Hoffnung zu haben scheint. Gewalttätige Jugendliche z.B., die immer wieder zuschlagen, weil sie sich provoziert fühlen, ihre Probleme mit Gewalt lösen wollen oder einfach nur einen Rausch von Macht erleben wollen, die immer wieder von der Polizei aufgegriffen werden, freigelassen werden und von neuem Straftaten beginnen. Gerade in Wahlkampfzeiten werden dann bei Serien-Tätern immer härtere Strafen gefordert. Aber es gibt Alternativen: Z.B. Abenteuerurlaub mit Pädagogen. Wer im Dschungel Überlebenstraining übt, lernt besser, sich selbst zu beherrschen. Oder schwer erziehbare Jugendliche lernen bei einem Pädagogen in einsamer Gebirgsgegend in der Gruppe soziales Verhalten und werden willig, etwas zu lernen. Jugendliche, die mit Gewalt gegen Menschen mit Migrationshintergrund in unserm Land vorgehen, können Achtung vor Mitmenschen lernen, wenn sie selbst einmal in einem anderen Land zu Gast sind.

Freiheit, davon träumen wir. Was wäre das für eine Befreiung, was wäre das für eine Erlösung, wenn diese Men­schen das erleben dürften. Die eigene Angst, das eigene Unvermögen, die innere Unfreiheit einfach ablegen zu können. Ein für allemal. So wie der Sklave sein Sklavengewand ablegen konnte. Um dann das Gewand eines freien Menschen anziehen zu können. Der frei ist von aller Enge und Angst. Frei von aller Neigung, eigenes und fremdes Leben zu beschädigen und zu ent­werten. So dass ein neues Leben beginnt. Ein Leben, das diesen Namen verdient. So wie der Erfinder des Lebens es ursprüng­lich gemeint hat.

Eine tiefe Sehnsucht ist das, die vielleicht zum Kost­barsten gehört, was wir in uns haben. Eine Sehnsucht, die darum auch sozusagen einer liebevollen Pflege und eines verantwor­tungsvollen Umgangs bedarf.

Befreiung

Wer hat noch Hoffnung, dass wir Menschen mit unseren Fehlern und Schwächen uns ändern, dass skandalöse Zustände sich ändern? Der Apostel Pau­lus hat in seinem Ringen, ein guter Mensch zu sein, doch offen über den möglichen Rückfall gesprochen: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Und dann ausgerufen: „Wer wird mich erlösen?!“ Wer so fragt, stößt auf die Befreiung, die Gottes Wort verkündigt: „Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus“, sagt der Apostel. Unser Verhalten untereinander soll widerspiegeln, was Gott in seiner Güte uns zukommen lässt. Deshalb kann der Apostel die Mahnungen aussprechen: Richte im Zorn nichts Böses an, lass die Bitterkeit los, gib der blinden Wut keinen Raum. Du lebst ja nicht von der Anerkennung, die der Erfolg bringt. Und auch das Vermögen, Geld und Gut, das du hast oder erwerben willst, bestimmt nicht deinen Wert. Sogar Lob oder Tadel anderer ist nicht entscheidend. Sondern davon lebst du, dass Gott in Christus dir vergibt und Dich mit neuen Aufgaben seinem Willen entsprechend betraut.

Es begann damit, als wir klein waren und zur Taufe getragen wurden. Zur Taufe ziehen Eltern dem Kind ein besonderes Kleid an, kein Alltags-Gewand. In manchen Familien gibt es das noch: Ein Kleid, das vererbt wird, ein Taufkleid. Und auch unsere Jugendlichen, die getauft werden, sind festlich gekleidet. Das neue, schöne Gewand ist ein Sinnbild des Herrschaftswechsels. Nun gehören wir zu Christus. Mit anderen Getauften bilden wir eine Gemeinschaft, die dem Herrn Christus angehört. Wenn wir als Ältere müde oder traurig sind, dürfen wir die Freude anziehen wie ein Festkleid, die Freude, dass wir zu Christus gehören. Das meint das schöne Sinnbild: Den neuen Menschen anziehen.

Christus ist der neue Mensch, der Mensch, wie Gott ihn haben will:

Er stellte sich zur Ehebrecherin, als sich alle von ihr distanzierten. Er kehrte bei dem Zöllner ein, als sich alle über ihn empörten. Er rief die Kinder zu sich, als alle sie wegschicken wollten. Er vergab dem Petrus, als der sich selbst verdammte. Deshalb ruft der Apostel zur Erneuerung, weil er von Christus als dem neuen Menschen spricht. Christus kam in die Welt, in der Menschen sich nicht verzeihen und sich aus Angst vor einander wutverzerrt und hinterlistig begegnen. Er hat seinen Folterern und Mördern am Kreuz verziehen. Christus, der Güte und Vergebung vorlebte, möchte uns teilnehmen lassen an seiner Art zu leben, möchte uns hineinziehen in sein neues Leben.

Wenn all das, was uns Sorgen bereitet, was uns ängstigt, was uns zu zwanghaftem Verhalten treibt, ganz vorbei ist, wird das der Tag der vollkommenen Erlösung sein, der Tag, an dem wir geborgen sind in der Nähe Gottes und bei ihm Friede und Freude haben.

Aber diesen Tag der vollkommenen Befreiung feiern wir schon heute. Denn die Urkunde unserer Befreiung ist heute schon unterzeichnet und „gesiegelt“. So ist im Brief an die Epheser von der Taufe die Rede: als einem Siegel für den Tag der Erlösung. Und alle, die das hören und lesen, ruft er auf, das Leben im Licht der Befreiung zu sehen. Was uns ängstigt und einengt, sollen wir nicht für das Schlimmste und Letzte halten. So hat Martin Luther an Tagen großer Mutlosigkeit und Schwäche sich mit Kreide auf den Tisch geschrieben: Ich bin getauft. Dass Gott uns als seine Kinder annimmt, ist Grund für Zuversicht und Freude unser Leben lang.

„Pfannkuchen“ heißt eine Geschichte von Josy Eichhorn (gestern. heute und morgen,

1992, Nr. 46) Ein junger Mann, mit 23 Jahren arbeitslos, schlendert ziellos durch die Stadt. Weil es regnet, will er sich in eine Kirche unterstellen. Eine kleine Marienstatue sieht er dort. „Ziemlich wertvoll“ denkt er abschätzend – und hat sie schon in seiner Hand. „Ist sie nicht schön?“ hört er da eine sanfte Stimme. Erschreckt fährt er herum. Eine kleine weißhaarige Frau steht vor ihm. „Schön, nicht wahr?“ sie deutet auf die Statue in seiner Hand. Er beeilt sich, die Statue wieder zurückzustellen. „Haben Sie vielleicht um ein Wunder gebetet?“ fragt das Weiblein in vertraulichem Ton. „So kann man es auch nennen“, antwortet der junge Mann sarkastisch. „Arbeitslos, wie?“, fragt sie. „Sie haben recht“, erwidert er missmutig. „Schwer für Sie“, sinniert die Frau. Nach einer Weile sagt sie plötzlich: „Mögen Sie Pfannkuchen?“ „Nun ja“, sagt er zögernd. „Dann kommen Sie mit!“, drängt ihn die Frau. Schon sitzt er in ihrer Küche, sieht, wie sie Eier aufschlägt, goldgelbe Pfannkuchen mit köstlicher Füllung. Beinahe hätte er sich mit Heißhunger darauf gestürzt, doch er bezwingt sich, er musste ja sein Gewissen erst entlasten. Doch die gütige Frau kommt ihm zuvor. „Natürlich weiß ich“, sagt sie verschmitzt, Sie dachten einen Moment, die Statue mitgehen zu lassen. Aber Sie taten es ja nicht vorsätzlich. Wer einmal den Krieg miterlebt hat und Hunger gelitten hat, urteilt milder über die Angelegenheiten von mein und dein. Zudem glaube ich, dass die Vorsehung uns zusammengeführt hat. Sie sind das Wunder, um das ich gebetet habe.“ „Wie käme ich dazu?“, antwortet er belustigt, während er schmaust. „Doch“, beharrt die Alte. „Sie wurden mir von oben geschickt. Sie wissen doch sicher, dass es hier ein Heim für chronisch Kranke gibt. Die Leiterin ist verzweifelt. Alles ältere und überarbeitete Pflegerinnen. Dabei werden junge, kräftige Männer gebraucht. Es ist so schade, dass die meisten kein Interesse haben für diese erfüllende Tätigkeit, und nun…“, sie schweigt. „Haben Sie an mich gedacht?“ ergänzt ihr Gast. Die alte Frau sieht den jungen Mann fragend an. Er nickt, kaum merklich. Da geht die Frau zum Telefon, wählt eine Nummer und sagt: „Das Wunder ist geschehen. Er kommt morgen.“

Ein Wunder ist das, sagt uns die Geschichte, wenn ein Mensch sich ändert.

Aus Schuld und Versagen wird ein Auftrag, im Namen Gottes Menschen zu helfen. Das ist der Weg der Nachfolger Jesu.

Dem Dichter Lothar Zenetti ist das Anfangen großer Aufgaben im Lebensraum der Vögel zum Gleichnis geworden. „Herzklopfen“ nennt er seinen poetischen Text.

Im Vogelhaus des zoologischen Gartens / sah ich fasziniert, wie aus einem Hühnerei / unter wärmendem Licht ein Küken ausschlüpft. /

Von innen klopft es / mit seinem Schnabel / an die weiße Schale / und will ans Licht.

Daran muss ich denken, / als ich predigten hörte, / der Heilige Geist, der weiße Vogel, / wohne in mir und wolle kommen / in die Welt.

Mein Herzklopfen / vor einer mir zugemuteten neuen Aufgabe / muss ich das deuten / als das drängende Klopfen / eines unsichtbaren Schnabels in mir?

Der Heilige Geist bewirkt, dass wir im Glauben und in der Liebe wachsen. Der Heilige Geist erinnert uns immer im rechten Augenblick an unsere Taufe: Dass unser Leben neu wird und wir frei und fröhlich werden. Dass wir täglich die Aufgaben finden, die wir wahrnehmen sollen als Kinder Gottes.

Amen

Pfarrer i.R. Dr. Reinhard Gaede


Lieder 19. So. n. Trin. 2020

EG 681, 1-3 Gelobt sei deine Treu

EG 324. 1, 3, 13 Ich singe dir mit Herz und Mund (Wochenlied)

EG 390, 1-2 Erneure mich, o ewigs Licht

EG 575 Segne und behüte


Fürbitten

Wir wenden uns zu dir, Gott, mit unsern Sorgen und Bitten.

Für uns und andere wollen wir beten.

Von allen Seiten erfahren wir Unglück und Leiden.

Kriegsvorbereitungen erschrecken uns.

Menschenrechte werden verletzt.

Wir bitten dich: Gib Mut zum Neubeginn,

Kraft zum Leben, stärke den Willen zur Gerechtigkeit

Und wecke den Geist zur Versöhnung zwischen Feinden.

Wir beten für die Menschen, die unter Ungerechtigkeit und Hass leiden,

die von ihrer Heimat vertrieben, fliehen müssen.

Wir bitten dich: Gib Mut zum Neubeginn,

Kraft zum Leben, wecke Hilfsbereitschaft für die Notleidenden.

Wir beten für die Menschen, die vom Coronavirus in Angst versetzt werden,

erkrankt sind und leiden, dass sie wieder gesund werden,

dass die Pandemie uns nicht ganz niederdrückt.

Wir bitten dich: Gib Mut zum Neubeginn, Kraft zum Leben,

neue Erkenntnisse für gesunde Lebensbedingungen.

Wir bitten für alle Menschen: für die Fröhlichen, dass ihr Lachen auch anderen Freude macht, für die Traurigen, dass sie neuen Lebensmut fassen.

Wir beten für alle, deren Namen uns vertraut sind,

in der Stille kommen sie uns nahe.

Für sie und für uns bitten wir:

Gib Mut zum Neubeginn, Kraft zum Leben, den Geist zur Versöhnung,

dass wir uns öffnen für dein kommendes Reich.

Wir beten, wie Christus uns gelehrt hat:

Vater unser

Segen

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