Überlebenskonzept

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Überlebenskonzept

Predigt zu 2. Mose 12,1–4(5)6–8(9)10–14 | verfasst von Pfarrerin Sabine Handrick |

 

Im Namen Gottes, der da war – der da ist – und der kommen wird. Amen

 

Liebe Gemeinde!

 

Willkommen heute Abend zur Andacht am Gründonnerstag 2020. Die Covid19-Pandemie zwingt uns zu Vorsicht. Die Gemeinde kann zurzeit nicht direkt zusammenkommen und so stehe ich leider allein an unserem Abendmahlstisch. Das Feierabendmahl, das hier in Düdingen in unserer Gemeinde bereits zu einer guten Tradition geworden war, kann nicht stattfinden.

Tradition ist ein gutes Stichwort. Meine Lieben, ich möchte Sie heute mit hineinnehmen in eine Tradition, die weit, weit zurückreicht. Es ist eine archaische Geschichte von Tod und Leben, von Krankheit und Rettung, von Blut und einem Gott, der rettet und verschont.

 

Liebe Gemeinde: Wir beten, wir hoffen und bitten sehr darum, dass das neuartige SarsCov2 – Virus nicht in unsere Häuser kommt. Aus tiefstem Herzen wünschen wir, dass es einen Bogen mache um die Menschen, die wir lieben… um uns selber. Wir versuchen, was wir können, um uns vor der Ansteckung zu schützen. Wir waschen und desinfizieren die Hände, wir vermeiden zu enge Kontakte zu anderen Menschen, wir tragen Masken oder selbstgemachten Mundschutz. – Wenn wir noch glauben würden, dass ein mit Blut bestrichener Türpfosten etwas nützt, dann würden wir auch die Türen unserer Häuser mit diesem Zeichen versehen. Doch auf Magie setzt heute kaum noch jemand.

Eine Krankheit geht um die Welt, der wir kaum gewachsen sind. Wir haben keine Impfung, die uns schützt, keine Medikamente, die sie kurieren – nur die aufopferungsvollen Pflegekräfte, Ärzte, Helfer, die das Möglichste tun, um Leben zu retten.

 

Meine Lieben, können Sie sich an einen Moment in Ihrem Leben erinnern, bei dem Sie die existentielle Gefährdung des Lebens so gespürt haben wie jetzt? Die Älteren sicher, die den Welt-Krieg erlebten. Meiner Generation kommt vielleicht das Kräftemessen zwischen Ost und West in den Sinn, als sich die nukleare Bedrohung zuspitzte. Die Jungen jetzt trieb die Sorge um das Klima auf die Strasse …

Und nun stehen wir im Frühling 2020 vor der Bedrohung durch ein Virus, dem Abertausende zum Opfer fallen … die Welle der Ansteckungen bekommt von Tag zu Tag mehr Energie. Manche vergleichen die Wucht dieser Pandemie mit einer Naturkatastrophe, einem Tsunami, also einer übermächtigen Ozean-Welle, der nichts gewachsen ist.

 

Ich möchte zunächst eine wahre Geschichte erzählen, bevor ich den Bogen schlage zur biblischen Botschaft: Bewohner einer abgelegenen Insel im Pazifik lebten in den 1940er Jahren ein einfaches, glückliches Leben. Ihr Tal war fruchtbar, von den Bergen kam frisches Wasser, die Fischer fingen genug Fische…

An einem Morgen bekam die Dorfschule einen Anruf. Tsunami, Tsunami hörten sie… und die Aufregung in der Stimme am anderen Ende der Leitung. Was sollte das bedeuten? Tsunami?! Sie hatten das Wort noch nie gehört, verstanden es überhaupt nicht.

Aber sie spürten den Ernst der Lage. Und was taten sie? Sie riefen alle Leute zusammen und befragten sich gegenseitig, ob irgendjemand etwas wüsste. Niemand konnte mit ‚Tsunami‘ etwas anfangen. Also beteten sie und verbanden sich mit der Kraft Gottes und der Kraft des Lebens. Sie stimmten sich auf Ungewisse ein und waren wachsam. Danach aber gingen alle wieder ihren gewohnten Arbeiten nach. Die Frauen wuschen in der Flussmündung die Wäsche. Die Kinder planschten. Als sie sahen, wie sich das Meer ungewöhnlich verhielt und sich zurückzog, alarmierten sie alle anderen. Die Bewohner zogen sich schnell auf die Hänge des Tales zurück. So überlebten sie den Tsunami, der dann mit ungeheurer Kraft kam und das ganze Tal verwüstete, die Brücke zerstörte und ihre Häuser sowieso. Für die Menschen dort war dies das einschneidendste Ereignis ihres Lebens. Von da an teilten sie ihre Erinnerungen in eine Zeit vor und nach Tsunami ein.

! Merken wir uns das, worauf es ankommt: zusammenstehen, das Wissen aller zusammentragen, beten, achtsam sein und entschlossen handeln, wenn‘s drauf ankommt. Ich finde, das ist ein gutes Überlebenskonzept.

 

Und nun möchte ich noch viel weiter zurückgehen zu einem Ereignis, das sich als „Auszug aus Ägypten“ ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat. Die Geschichte findet sich im 2. Buch Mose im 12. Kapitel.  Es ist die Begründungserzählung für das Pessachfest, das Israeliten und Juden feiern. Was sie erlebten in mythischer Vorzeit, war so einschneidend, dass sie es mit einem Gedenktag bewahren wollten für alle Zeit. Und meine Lieben, ich werde versuchen, die Linie zu ziehen bis zu uns, in unsere Zeit.

 

Wir gehen zurück zu den Anfängen, als die Israeliten beginnen, ihren Gott zu suchen und zu finden. Sie leben als Sklaven in Ägypten und sehnen sich danach, dieses Joch loszuwerden, nicht mehr den Schlägen der Aufseher ausgesetzt zu sein, nicht mehr diese unbarmherzig-harte Arbeit tun zu müssen. Doch der Pharao will auf seine billigen Arbeitskräfte nicht verzichten – „Let my people go“. Die Gospel-Songs transportieren diese Sehnsucht nach Freiheit und einem menschenwürdigen Leben.

Es braucht erst diverse Plagen, sozusagen Naturkatastrophen & Seuchen, bis ein Umdenken beim ägyptischen König einsetzt. Dass er es beim Gott des Mose und dieser Sklaven mit einer Macht zu tun hat, die stärker ist als er, das dämmert ihm erst nach und nach.

Es ist die Nacht der 10. Plage. Der Tod geht um und es sterben alle Erstgeborenen, Kinder, Männer, Lämmer, Vieh … eine grauenvolle Nacht…

Die Israeliten erinnern daran mit dem Pessach-Fest. Diese Nacht ist für sie das Vorübergehen wie pessach auf hebr. heisst, also das Verschont-werden, das Überleben.

 

Die Menschen, die auf den Gott Moses vertrauen, stehen zusammen.  Sie haben sich in den Häusern versammelt und hoffen, dass das blutrote Schutzzeichen am Türpfosten nützt, wenn der Tod durch das Land zieht. Sie sind wachsam und bereit. Sie haben das Nötigste gepackt, die Schuhe geschnürt, den Mantel gegürtet, den Wanderstock in der Hand. Fertig zum Aufbruch, beten sie miteinander und sie essen noch die letzte Mahlzeit: Ein Lamm über dem Feuer geröstet, grüne Kräuter dazu und ein schnell gebackenes, ungesäuertes Brot. Und dann gehen sie los. Die Bibel erzählt es sehr plastisch und ausführlich, beschreibt auch die Gefahren und Entbehrungen dieser Flucht. – Das wäre heute alles viel zu viel zum erzählen …

Aber dass sie es überlebt haben, dass sie bewahrt worden sind, als sie in Lebensgefahr waren, das ist wichtig. Diese Erinnerung soll bleiben für alle Zeit.  Es ist eine der grundlegenden Erfahrungen mit dem Gott der Bibel: Unser Gott hat uns aus Gefangenschaft und Tod gerettet und schliesslich in die Freiheit geführt!!!

An ihre Angst und den Mut, die Entschlossenheit und die Eile erinnern sie sich immer wieder, wenn sie das Pessach-Fest feiern. Da lebt alles wieder auf und ist präsent, als ob man dabei gewesen ist! „Esst hastig! Im Stehen.“ heisst es in den Anweisungen.

 

Meine Lieben, Sie spüren sicher den tiefen Ernst, der in dieser Tradition enthalten ist – genauso, wie wir jetzt den Ernst der Lage spüren, wenn wir die Nachrichten verfolgen.

 

Als Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden am Pessach-Abend zusammensitzt, ist ihnen der Ernst der Lage auch sehr bewusst. Die Freunde stehen zusammen in jener Nacht. Es ist gut, nicht allein zu sein, wenn man sich Sorgen macht. Das hilft und tröstet.

Die Gefahr des Todes ist nahe. Jesus ahnt, was auf ihn zukommt. Doch sie essen noch einmal miteinander, so wie sie es gewohnt sind, denn sie gehören zu dem Volk, das Gott aus Ägypten befreit hat. Sie fühlen sich vom rettenden und gegenwärtigen Gott umgeben, zu dem Jesus so innig Abba, lieber Vater sagt.

Sie essen Lamm, dünnes Brot und Kräuter, wie bei der letzten Mahlzeit vor der Flucht. Sie wissen, wie gefährdet ihre Freiheit ist. Sie fürchten, Gefangene zu werden, diesmal im eigenen Land. Umso mehr suchen sie Halt in der Erinnerung, an dem, was Gott für sie getan hat.

Und dann geschieht etwas Neues. Jesus nimmt das Brot und sagt: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird.“ Die Befreiung, die einst geschehen ist, wird immer wieder geschehen.

Er nimmt auch den Kelch mit dem Wein und sagt: „Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Mitten in der alten Feier des Vorübergehens, des Verschont-werdens, des Überlebens geschieht das NEUE, das mit Jesus beginnt.

Und weil diese Nacht nicht ist wie die anderen Nächte, wundern sich die Jünger auch nicht, als er sagt: „Tut dies immer wieder zu meinem Gedächtnis.“ – Ja, Das nehmen sie sich fest vor: Diesen Moment werden wir bewahren für alle Zeit und wir werden ihn vergegenwärtigen, wenn wir Brot und Wein teilen.

 

Liebe Gemeinde, bestimmt spüren Sie auch die Sehnsucht danach, dass Menschen wieder ungehindert zusammen kommen dürfen. Und auch als Gemeinde brauchen wir die Gemeinschaft und die Stärkung am Tisch Jesu.

Heute leben wir aus der Erinnerung und wir holen es in unsere Gegenwart, was Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ (Joh.6,35)

Meine Lieben, halten wir seine Worte in uns wach! Essen wir in den Häusern das eilige Brot des Aufbruchs! Halten wir zusammen und machen wir uns bereit, für den Weg ins Ungewisse. Lasst uns zusammenstehen und miteinander beten, wie Jesus seine Freunde in dieser letzten Nacht bittet: Bleibet hier und wachet mit mir, wachet und betet.

 

Musik:

 

Da wohnt ein Sehnen tief in uns

 

Bleibet hier und wachet mit mir

 

 

 

 

Pfarrerin Sabine Handrick

Ref. Kirchgemeinde Düdingen

pfarramt@refdue.ch

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