Verachtet mir den Josef nicht!

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Verachtet mir den Josef nicht!

Christnacht, den 24. Dezember 2020 | Predigt zu Matthäus 1,18-25 | von Udo Schmitt |

  1. Ohne Josef geht es nicht.

Ohne Josef geht es nicht. Wir haben gerade das Stück gesehen, dass die Kinder gespielt haben. Die Heilige Familie ist bedroht, von Anfang an schwebt sie in Lebensgefahr, sie muss vor staatlicher Verfolgung fliehen, muss ins Ausland ausweichen.

Und nicht nur das – sie ist nicht nur von außen bedroht: Fast wäre es gar nicht zu einer Familiengründung gekommen. Der Vater – Josef – hatte massive Zweifel an seiner Vaterschaft, und spielte mit dem Gedanken, sich still und heimlich aus dem Staub zu machen. Warum Alimente zahlen und Windeln wechseln? Warum die Suppe auslöffeln, die ein anderer mir eingebrockt hat? Fast wäre Josef abgehauen, hätte Maria sitzen lassen. Wäre da nicht der Engel gewesen. Ihm im Traum erschienen.

Jesus – kann  man da nur sagen. „Jesus, nee – dat is ja gerade noch mal gut gegangen!“ Was wäre wohl passiert, wenn Josef nicht mitgespielt hätte? Maria als alleinerziehende Mutter,… das wär‘ wohl kaum gut ausgegangen. Wovon hätte sie leben sollen? Man weiß es nicht. Wer weiß? Vielleicht hätte ihre eigene Familie sie ja wieder aufgenommen. Aber vielleicht hätte die sie auch gar nicht mehr haben wollen, entehrt wie sie war.

Doch so – so war all das nicht nötig. Es war gerade noch mal gut gegangen – Gott sei Dank! Denn Josef hatte Jesus akzeptiert, adoptiert und angenommen. Jesus war damit ein eheliches Kind, ganz legal: Er wuchs in einer Familie mit Geschwistern auf, ganz normal, er wurde Zimmermann, und erlernte also den Beruf seines Vaters.

  1. Ja, Josef war sein Vater.

Ja, Josef war sein Vater. Er war nicht sein Erzeuger, nein, aber Josef war sein Vater. Er hat ihn auf dem Arm getragen als er klein war, er hat ihn beschützt, sich um ihn gesorgt, für ihn gesorgt, er war für ihn da – und also war er sein Vater.

Vater sein, heißt mehr als bloß der Erzeuger sein. Vater sein, ist weitaus mehr als bloß Kinder in die Welt setzen, es heißt die Vaterschaft auch annehmen, und also die Verantwortung und die Aufgaben, die damit verbunden sind.

Vater ist man nicht automatisch und von Anfang an, man wird zum Vater erst – und das nur mit der Zeit. Auch die leiblichen Väter müssen es lernen – und nach und nach begreifen, was es heißt und wie das geht: Vater sein. Auch die leiblichen Väter müssen ihre Söhne akzeptieren, adoptieren und annehmen.

Wo sie es nicht tun, da sind schreckliche Geschichten nicht weit. Wir hören davon in der Bibel, von Morden an Kindern aus Staatsräson. Wir hören davon im Märchen, wenn Kinder im Wald ausgesetzt werden, weil die Eltern kein Geld haben, um sie zu ernähren. Und wir hören davon Jahr um Jahr in den Medien.

Es sind wirkliche Geschichten und es sind wirklich schreckliche Geschichten von Kindern, weil da keiner ist, der sich ihrer annimmt, weil da keiner ist, der die Verantwortung übernimmt und die Aufgabe akzeptiert, die ihm zugedacht ist.

  1. Also verachtet mir den Josef nicht!

Also verachtet mir den Josef nicht! Ohne ihn wär die Sache bestimmt nicht gut gegangen. Ohne ihn wären wir heute nicht hier – und Weihnachten würd‘ nicht gefeiert – nirgendwo. Ohne Josef geht es nicht. Verachtet ihn mir nicht – wir können von ihm lernen: Unsere Gesellschaft heute bräuchte mehr Männer wie ihn, die nicht nur den eigenen Vorteil und den eigenen Nutzen suchen.

Wir könnten sie gut brauchen, Männer, die Verantwortung übernehmen, auch wenn es schwer fällt, Männer, die nicht weglaufen, wenn sie gebraucht werden. Rechthaber und Talkshowschwätzer haben wir genug, Linksblinker und Autobahndrängler haben wir genug, oder die Typen, die aus Bequemlichkeit vor dem Supermarkt mal eben schnell auf dem „Mutter und Kind“-Parkplatz stehen. Allesamt verwöhnte Blagen sind sie. Aber echte Männer können auch mal zurückstecken, nachgeben, können ein kleines Kind auf dem Arm tragen und sagen: „Ich sorge für dich, bis du es selber kannst“, können es wagen, Ja zu sagen und: Ich will dein Vater sein.

  1. Auch das ist Weihnachten.

Auch das ist Weihnachten. Nicht nur die wundersame Geburt – und der offene Himmel voller Engel, sondern auch das: Ein kleines Kind wird adoptiert. Klingt schlicht. Doch da ist noch mehr – in diesem kleine Kind wird, ja!, Gott selbst adoptiert,  – oder meinetwegen, wem das zu seltsam klingt: In diesem kleinen Kind wird Christus angenommen.

Und darum geht es. Nicht nur an Weihnachten. Ein Leben lang. Christus annehmen – das ist mehr als bloß annehmen, dass es ihn gibt, also: Gott, etwas irgendwo, da oben oder irgendwie in uns.

Christus im Glauben annehmen, heißt, ihn wie ein kleines schutzbedürftiges Kind im Arm halten, warmhalten, schützen. Ihn mit sich tragen wie ein Licht, das man in die dunkle Nacht hinaus trägt. Und es heißt, mit diesem Kind und diesem Licht seine Botschaft annehmen, in Empfang nehmen, für mein Leben annehmen, gelten lassen. Es soll Weihnachten werden. Es soll Weihnachten werden in uns. Und überall auf der Welt: Ehre sei Gott! Und: Friede auf Erden!

Frohe Weihnachten!

 

Dies für diejenigen, die eine komplette Predigt halten möchten. Wer in der Christmette lieber mehrere Lesende zu Wort kommen lassen möchte, mit Musik und Gesang dazwischen, dem empfehle ich diese Gestaltung:

Text 1

Im Evangelium des Lukas, im 1. Kapitel steht geschrieben:

Und im sechsten Monat wurde
der Engel Gabriel von Gott gesandt
in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth,
zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann
mit Namen Josef vom Hause David;
und die Jungfrau hieß Maria.

Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach:

Sei gegrüßt, du Begnadete!
Der Herr ist mit dir!

Sie aber erschrak über die Rede und dachte:

Welch ein Gruß ist das?

Und der Engel sprach zu ihr:

Fürchte dich nicht, Maria,
du hast Gnade bei Gott gefunden.
Siehe, du wirst schwanger werden
und einen Sohn gebären,
und du sollst ihm den Namen Jesus geben.

 

Text 2

Josef, der Mann im Schatten.
Ein Licht geht auf. Für alle Menschen.
Engel sind unterwegs.
Sprechen von Gnade, sprechen von Frieden
und großer Freude. Ihre Augen leuchten.

 

Gottes Boten, die den Menschen Geschichte
erklären – verklären
Lichtgestalten,
die das Licht gestalten.

Aber er, der einfache Mann,
der gar nichts dafür kann,
steht daneben,
ihn fragt keiner.

Er steht im Schatten
großer Ereignisse.

Immer dabei, dicht dran,
und doch immer irgendwie daneben.

Voll daneben! Muss er doch denken,
wenn sie von Gnade reden…
Gnade! Gnade!
Muss es ihm nicht Schande sein??

Schande.

 

Text 3

Im Evangelium des Matthäus, im 1. Kapitel steht geschrieben:

Als Maria,
seine Mutter, dem Josef vertraut war,
fand es sich,
ehe er sie heimholte,
dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist.

Josef aber,
ihr Mann, war fromm
und wollte sie nicht in Schande bringen,
gedachte aber,
sie heimlich zu verlassen.

Als er das noch bedachte,
siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach:

Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht,
Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen;
denn was sie empfangen hat,
das ist von dem Heiligen Geist.
Und sie wird einen Sohn gebären,
dem sollst du den Namen Jesus geben,
denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.

Als nun Josef
vom Schlaf erwachte,
tat er,
wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte,
und nahm seine Frau zu sich.

 

Text 4

Josef
wollte sie verlassen,
heimlich,
ohne viel Aufhebens zu machen,
er hob nicht die Hand,
er erhob nicht Anklage,
er hob keine Steine, sie zu strafen gesetzesgemäß.

Aber der Gehörnte sein,
wollte er auch nicht.

„Schwanger – und weiß nicht von wem?
Wem will sie das denn erzählen!“

Nein. Nicht mit mir.
Also heimlich gehen und wieder allein,
wieder allein.

Doch dann hat er einen Traum.
Josef,
nicht der Träumer, aber
ein Mann, der Träumen traut,
der sein Leben träumt
und seine Träume lebt.

Er bleibt.
Läuft nicht davon.

Stellt sich.
Zu ihr
und dem Kind,
das nicht von ihm.

 

Text 5

Im Evangelium des Lukas, im 2. Kapitel steht geschrieben:

Es begab sich aber zu der Zeit,
dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging,
dass alle Welt geschätzt würde.
Und diese Schätzung war die allererste
und geschah zur Zeit,
da Quirinius Statthalter in Syrien war.
Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe,
ein jeder in seine Stadt.

Da machte sich auf auch Josef
aus Galiläa,
aus der Stadt Nazareth,
in das jüdische Land zur Stadt Davids,
die da heißt Bethlehem,
weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,
damit er sich schätzen ließe
mit Maria, seinem vertrauten Weibe;
die war schwanger.

Und als sie dort waren,
kam die Zeit, dass sie gebären sollte.
Und sie gebar ihren ersten Sohn
und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe;
denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

 

Text 6

Josef – nimmt und gibt,
nimmt diese junge Frau mit sich,
und gibt ihr einen guten Ruf,
gibt ihrem Kind einen guten Namen.

Einen königlichen Stammbaum.

Einen ärmlichen Geburtsraum,
aber immerhin in Bethlehem,
der Stadt, aus der der König stammt.

Josef, – stand daneben, als das Kind da in der Krippe lag.
Als Hirten kamen und komische Dinge erzählten,
war er dabei. Stumm. Ungefragt.

Der Mann im Schatten.

Was er wohl gedacht hat, als sie wieder fort waren.
Was er wohl dachte, als Mutter und Kind schliefen,
und er wachte,
in dieser heiligen Nacht.

Wusste er, ahnte er
wie heilig diese Nacht war?

Oder war er zu beschäftigt?
Mit Wasser und Essen, Feuer und Stroh,
mit Kochen und so – und was so zu tun ist.

Fand auch er Frieden in jener Nacht
oder konnte er nicht ruhen?

Weil es immer so ist, auch in dieser Nacht,
dass einige arbeiten und wachen,
damit die anderen sicher schlafen.

 

Text 7

Im Evangelium des Matthäus, im 2. Kapitel steht geschrieben:

Der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten,
ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand,
wo das Kindlein war.
Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut
und gingen in das Haus
und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter,
und fielen nieder und beteten es an
und taten ihre Schätze auf
und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Als sie aber hinweggezogen waren, siehe,
da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach:

Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir
und flieh nach Ägypten
und bleib dort, bis ich dir’s sage;
denn Herodes hat vor,
das Kindlein zu suchen,
um es umzubringen.

Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich
nach Ägypten
und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes.

 

Text 8

Eine Patch-Work Familie,
eine ungeklärte Schwangerschaft
bei einer minderjährigen Mutter,
mit einem Vater, der nicht der Vater ist,
eine Geburt unterwegs,
unter prekären sozialen Bedingungen,

Geschenke von gutmeinenden Reisenden
helfen auch nicht weiter.

Eine Flucht ins Ausland,
ein Asylantrag im reichen Ägypten, ist zu erwägen.

Es muss eine Entscheidung getroffen werden,
was aus der kleinen Familie werden soll.

Gott sei Dank, ist Josef da,
der Mann, der nicht der Vater ist
und der doch Verantwortung übernimmt,

der Mann, der im Schatten bleibt, stumm bleibt,
schweigt, wo andere viele Worte machen.

Der Mann, der wacht und doch träumt
und der dann seinen Träumen traut,
Träume, die Leben retten.

Der Mann, der sein Leben träumt
und seine Träume lebt.

Gott sei Dank.

Wäre er nicht gewesen,
wären wir nicht hier.


Liedvorschläge:

Außer den üblichen Verdächtigen:

„Josef, lieber Josef mein“


Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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