Vom vierfachen Ohr

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Vom vierfachen Ohr

7. Februar 2021 | Predigt zu Lk 8,4–8(9–15) | Verena Salvisberg Lantsch |

Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Liebe Gemeinde

Ein seltsamer Satz. Ohren zu hören. Gibt es auch Ohren, die nicht zum Hören da sind?

Vielleicht Ohren daran zu ziehen? Oder Ohren heiss zu werden? Oder Ohren zu wackeln?

Vier Ohren gibt es, hat der Psychologe Friedemann Schulz von Thun[1] in den 1970ger Jahren behauptet und anhand dieses Bildes ein Kommunikationsmodell entwickelt, das heute sehr bekannt ist. Sein Anliegen war, Missverständnisse in der Kommunikation zu verstehen und zu vermeiden.

Mit dem Hören ist es nicht so einfach. Weil man abgelenkt ist. Weil die Ohren nicht mehr gut funktionieren. Weil das Hörgerät eine neue Batterie braucht. Weil die Pfarrerin undeutlich spricht. Wir alle könnten unzählige Gründe dazu legen, warum das so ist mit dem Hören.

Ein weiterer Grund dafür ist, dass wir dasselbe auf vier verschiedene Arten hören, eben mit den verschiedenen Ohren.

Eines dieser vier Ohren nach Schulz von Thun ist das Sach-Ohr. Dieses hört die reine Information, die eine Nachricht enthält. Es geht dabei um Fakten, um Daten, um den Inhalt einer Äusserung.

Ein anderes Ohr ist das Beziehungs-Ohr: Indem wir etwas sagen, gestalten wir auch Beziehung. Wir sagen: Ich schätze dich. Der oder die Hörende fühlt sich ernst genommen, geachtet, gedemütigt oder abgelehnt.

Ein weiteres Ohr ist das Selbstoffenbarung-Ohr. Mit diesem Ohr hört man, dass der andere etwas über sich selbst sagt, wie er sich fühlt, was er denkt oder was er für Bedürfnisse hat.

Und schliesslich das vierte, das Appell-Ohr. Hört die Hörende eine Nachricht mit dem Appell-Ohr, fühlt sie sich aufgefordert, etwas zu tun.

Ein kleines Beispiel von Schulz von Thun illustriert das Modell mit den vier Ohren.

Ein Ehepaar sitzt im Auto. Der Mann sagt zu seiner Frau: «Du, da vorne ist grün».

Wetten, Sie haben wie vermutlich die Ehefrau gerade ihr Beziehungsohr aktiviert! «Fährst du oder fahre ich?» Oder das Appell-Ohr: «Worauf wartest du noch? Fahr endlich los!»

Es ist faszinierend, dass dieser simple Satz auf so viel verschiedene Weise gehört werden kann. Es wäre auch möglich, dass die Frau den Satz mit dem Sach-Ohr hört. Vielleicht ist sie von der Sonne geblendet oder die Ampel ist durch ein Hindernis verdeckt. Dann ist sie froh über Information: «Die Ampel ist nicht mehr rot, sie ist grün».

Oder mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr. Sie nimmt zur Kenntnis, dass der Mann nicht schläft, sondern wach ist. Er kann rot und grün unterscheiden. Er ist ein aktiver Beifahrer.

Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Ich vermute, dass wir Biblisches gerne und oft vorschnell mit dem Appell-Ohr hören. Darum lade ich Sie heute ein zu einem kleinen Experiment. Versuchen wir die Geschichte vom vierfachen Acker, die wir vorhin in der Lesung gehört haben, mit allen vier Ohren zu hören.

Spitzen wir das Sach-Ohr, nehmen wir zur Kenntnis, dass Jesus in einem Gleichnis zum Volk spricht. Das Volk ist von überall her zu ihm geströmt, um seiner Predigt zu lauschen.

Es geht im Gleichnis um das Schicksal des Saatguts, das von einem Sämann gesät wird.

Ein Teil fällt auf den Weg und wird zertreten und von den Vögeln aufgepickt.

Ein Teil fällt auf Felsen und verdorrt, weil es keine Feuchtigkeit hat.

Ein Teil fällt auf guten Boden, geht auf und bringt Frucht, hundertfach. Jesus ruft zum Schluss: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Für das Sach-Ohr eine Irritation. Was hat das denn jetzt mit dem Samen zu tun?

Offenbar ist das auch für die Jünger nicht klar, denn sie fragen Jesus nach der Bedeutung des Gleichnisses. Und das ist gar nicht so schwer: Der Same ist das Wort Gottes.

Die auf dem Weg hören das Wort. Aber der Teufel kommt und nimmt es ihnen weg, damit sie nicht glauben und gerettet werden.

Die auf dem Felsen hören das Wort. Aber das Wort wird erstickt.

Die auf dem guten Boden hören das Wort, behalten es, und bringen Frucht.

Soweit die Facts.

Hören wir mehr mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr, bekommen wir einiges von Jesus selbst mit.

Er kennt sich aus in der bäuerlichen Umwelt seiner Zuhörerinnen. Er ist ein spannender Erzähler und traut offenbar den Geschichten einiges zu, kann aber auch erklären. Er ist nachsichtig und geduldig mit seinen begriffsstutzigen Hörern.

Gehen wir mit Hilfe des Beziehungs-Ohrs an die Geschichte heran, bekommen wir etwa folgendes zu hören: Viel Volk kommt zusammen. Sie sind Jesus aus allen Städten zugeströmt. Sie haben Erwartungen an diesen Wanderprediger. Vielleicht dass er auch für mich etwas Heilsames zu sagen hat?

Offensichtlich gibt es verschieden Personengruppen. Eben das Volk. Die Jünger. Jesus sagt zu ihnen: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, obwohl sie ihn grad vorher gefragt haben, wie das Gleichnis zu verstehen sei. Und dann gibt es die anderen, die sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen. Zu welcher Gruppe gehöre ich? Zu denen, die Jesus nahestehen? Wie sieht meine Beziehung zu ihm aus? Wie habe ich es mit dem Teufel, dem Diabolos, dem Durcheinanderwirbler? Habe ich Wurzeln, die mich auch durch schwierige Zeiten hindurch im Grund verankern? Bin ich verloren im Gestrüpp der Zerstreuungen und Ablenkungen des Lebens?

Und das Apell-Ohr. Allerspätestens durch die Aufforderung: Wer Ohren hat zu hören, der höre, wird es aktiviert. Ich soll hören. Ja klar, dazu wird das Wort Gottes verkündigt, dass es gehört werde. Aber eben auf eine bestimmte Art muss ich hören. Mit dem Appell-Ohr höre ich: Schau darauf, wie du hörst! Bewahre, was du gehört hast. Lass es dir nicht madig machen durch andere. Achte auf deine Wurzeln, dass sie tief und fest sind. Ablenkung und Zerstreuung sind schlecht und gefährden den Glauben. Höre das Wort mit gutem und rechtem Herzen, bewahre es, sei geduldig. Bringe Frucht.

Ich gebe es zu, vielleicht habe ich jetzt ein bisschen übertrieben. Es wäre aber doch ein ziemliches Missverständnis, dieses Gleichnis nur als Aufforderung zum richtigen Tun zu verstehen und dabei die Informationen, das Beziehungsangebot, und das Offenbarungsgeschehen zu überhören.

Der Sämann: Gott? Jesus Christus?, sät den Samen. Es ist ein unglaublicher Überfluss an Samen da. Da wird nichts optimiert. Es wird nicht der Boden untersucht und mit den richtigen Mitteln gedüngt. Er steckt den fruchtbaren Teil des Ackers nicht ab. Der Sämann sät im Überfluss. Dabei fällt notgedrungen einiges auf ungeeigneten Untergrund, aber ein Teil fällt auf fruchtbaren Boden, wächst, gedeiht, trägt Frucht. Hundertfach!

Das Thema des heutigen Sonntags Sexagesimä ist das Hören auf Gottes Wort.
Mit dem Hören ist es nicht einfach. Mit allen Wörtern teilt das Wort Gottes das gleiche Schicksal: Es wird überhört, nicht verstanden, geht vergessen.

Dann und wann aber trifft es plötzlich, unvermittelt, mitten ins Herz. Es ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert wie es im Hebräerbrief heisst (Hebr 4,12), oder: meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem Wege im Psalm (Ps 119, 105). Allzuoft scheint es nicht zu wirken, setzt sich aber dann doch fest und wächst im Stillen. Die Botschaft der Liebe ist grosszügig ausgestreut. Auch wenn wir sie ignorieren. Sie gilt.

Meine Predigt also ein Plädoyer, alle Ohren aufzusperren. Und eine Einladung, das mit dem Hören und dem Säen so gelassen und voll Gottvertrauen anzugehen, wie jener Sämann im Gedicht von Friedrich Rückert[2], welches ich Ihnen zum Schluss vorlesen will. Der Sämann wird von König Salomo, der ja in Sachen Weisheit gewiss eine Instanz ist, aufmerksam gemacht auf die Ineffizienz seines Tuns.

Im Feld der König Salomon
Schlägt unter’m Himmel auf den Thron;
Da sieht er einen Sämann schreiten,
Der Körner wirft nach allen Seiten.

„Was machst du da?“ der König spricht,
„Der Boden hier trägt Ernte nicht.
Lass ab vom törichten Beginnen,
Du wirst die Aussaat nicht gewinnen.“

Der Sämann, seinen Arm gesenkt,
Unschlüssig steht er still und denkt;
Dann fährt er fort, ihn rüstig hebend,
Dem weisen König Antwort gebend:

„Ich habe nichts als dieses Feld,
Geackert hab‘ ich’s und bestellt,
Was soll ich weiter Rechnung pflegen?
Das Korn von mir, von Gott der Segen.“

Amen

Pfrn. Verena Salvisberg Lantsch, Roggwil

E-Mail: verenasalvisberg@bluewin.ch

Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Pfarrerin seit 1. Dezember 2018 in Roggwil BE, vorher in Laufenburg und Frick.

[1] Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Störungen und Klärungen. Rowohlt 2008, S. 44ff.

[2] Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 290.

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