Von dem Lichtstreifen…

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Von dem Lichtstreifen…

Von dem Lichtstreifen inmitten der Tragödie namens „Judas“ | Predigt zu Johannes 13, 21-30  | verfasst von Ulrich Kappes |

Herr Jesu, deine Angst und Pein  … (EG 89,1)

Jesus hatte allen Jüngern die Füße gewaschen. Danach sagte er (sinngemäß), dass er den Menschen „Brot“ gebe und von manchen dafür ‚mit Füßen getreten’ werde. Es folgt unser Predigttext, in dem es zu Beginn heißt, dass Jesus „erschüttert“ war, genauer übersetzt: „im Geist durcheinandergebracht wurde“. I1I Offenbar sah er sich ‚im Geist‘ am Boden liegen und mit Füßen getreten.

Wer war Judas Iskarioth? „Judas“ heißt wörtlich „Jehuda“ und das bedeutet ins Deutsche übertragen: „einer, der Gott lobt“. I2I Iskarioth bezieht sich auf Kerioth. Das war ein Ort in Südjudäa. I3I

Judas gehörte – wie wir heute sagen würden – zu den „Gründungsmitgliedern“ des Zwölferkreises, den „Aposteln“ (Joh, 13,16). Er war ein praktischer Mann, der mit Geld umgehen konnte. Seine Sparsamkeit, die bisweilen in Geiz ausartete, war es, weshalb ihm die Aufsicht über die gemeinsame Kasse übertragen wurde.

Judas, der Mann aus Kerioth, wurde zum „Verräter“ und sein Verrat bestand darin, dass er der Priesterschaft verriet, wo sich Jesus aufhielt und eine sichere Gefangennahme möglich war.

Als Jesus nach der Fußwaschung die Worte sagte: „Einer unter euch wird mich verraten“. machte das alle Jünger fassungslos.

Versuchen wir uns schrittweise dem Predigttext des heutigen ersten Sonntages in der Passionszeit anzunähern! Da ist Judas und da sind wir, die Gemeinde. Wo ist der mögliche Berührungspunkt zwischen Judas und …uns? Ich spreche eine Vermutung aus.

Nach den spärlichen Worten, die uns die Evangelien überliefern, muss man wohl über Judas sagen, dass er eine Art „Mitläufer“ im Kreis der Zwölf war. Er hatte seinen Platz und seine Funktion, aber sein Herz blieb unberührt. Ein einziges Mal offenbart er sein Inneres. Das war, als eine Frau teures Salböl über Jesus ausgoss und er sich über die diese „Verschwendung“ aufregte. (Matth. 26, 6-13)

Er zog mit den anderen an der Seite von Jesus durch das Land, war sozusagen „äußerlich“ dabei. In dieser Hinsicht war er, physisch gesehen, ein Nachfolger. Innerlich stand er, so meine Vermutung, distanziert und verschlossen Jesus gegenüber. Die Evangelien berichten oder deuten an keiner Stelle an, dass er an diesen Jesus Christus „glaubte“. I4I

Das heißt: Judas konnte diesen Verrat nur begehen, weil er zwar Teil des 12er-Kreises war, aber, so meine Vermutung, nie eine innere Beziehung zu Christus hatte.

Noch einmal: Was heißt das in Blick auf uns?

Es gibt durch die Jahrhunderte in der Geschichte der Kirche bis heute eine „Frömmigkeit“, bei der das Herz und die Seele nicht zum Schwingen kommen. Eine Verwurzelung dieses oder jenes Jesuswortes im Menschen erfolgt nicht. Etwas, wo das Herz schneller schlägt, weil es einen in seiner Existenz berührt, ist nicht zu spüren. Alles ist äußerlich und es gibt keine Betroffenheit. Hier sind Menschen nicht nur laue Christinnen und Christen, sondern in Wahrheit gar keine. Dafür steht, so meine ich, Judas. Weil es in seinem Herzen keinerlei Bindung an Jesus gab, war diese schreckliche Wandlung vom Jünger zum Verräter möglich.

So gesehen, kann die erste Frage dieses Evangeliums an uns sein, wieviel „Herzblut“ in unserem Glauben steckt. Worin besteht unsere bzw. meine innere Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus? Angesichts der unabweisbaren Resignation darüber, dass wir immer weniger und immer älter werden, droht unser Christsein zu einer Formsache zu werden. „Die Hauptsache ist durchzuhalten und die Reihen zu stärken.“ Die Frage, was Jesus mir bedeutet, ob ich ihn über alles stelle, kann in einem pflichtgemäß praktizierten  Christentum enden, das schon morgen in einen Abschied vom Christentum umschlagen kann.

„Da von dem eignen Jünger gar, der Herr zum Tod verraten war“ (EG 223,2)

Relief aus dem Westlettner des Domes zu Naumburg /S. © Vereinigte Domstifter, Foto: Matthias Rutkowski

„Was du tust, das tue bald!“, sagt Jesus zu Judas. Der Evangelist fügt die Worte an: „Und als er den Bissen nahm, fuhr der Satan in ihn … Er ging alsbald hinaus. Und es war Nacht.“

Aus den verschiedenen Darstellungen dieses Geschehens in der Bildenden Kunst will ich auf eine besonders hinweisen. Wer den Dom in Naumburg an der Saale besucht und zu den berühmten Stifterfiguren, der Uta und dem Ekkehard, geht, muss diesen Weg unter den Armen des Gekreuzigten hindurch gehen. Rechts und links von dem Kreuz sind Bildwerke zu sehen, die eine Chorschranke zum Westchor bilden. Das ist der „Naumburger Lettner“.

Eine der Szenen, die in Stein gehauen wurden, ist die Erzählung aus dem Johannesevangelium, die wir heute gemeinsam bedenken. Ich beschreibe in aller Kürze diese Bildtafel.

Jesus schiebt Judas einen auffällig großen Brocken in den Mund. Er nimmt wie in Trance den Bissen aus Jesu Hand und greift gleichzeitig gierig in die Schüssel mit dem geschnittenen Weißbrot vor sich. Er ist kleiner als die andren Jünger.

Neben Jesus sitzt der Jünger, von dem gesagt wird, dass Jesus ihn lieb habe. Er weist mit einem ausgestreckten Finger auf seinen Herrn. Petrus umfasst einen Fisch, der in einer Schüssel liegt. Er blickt in die Ferne, irgendwohin weit weg. Sieht man sich die Jünger und Jesus nacheinander näher an, so drängt sich der Eindruck auf, dass jeder in großer Betroffenheit in eine imaginäre Ferne blickt. „Was geschieht hier? Wessen Zeuge bin ich eigentlich?“

Vergleichen wir das Naumburger Kunstwerk mit dem bekannten Abendmahlsbild von Leonardo da Vinci, so liegen Welten dazwischen. Alle Jünger diskutieren bei Leonardo erregt über die Worte: „Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten.“ Nichts ist davon bei dem Naumburger Meister zu bemerken. Es liegt über der ganzen Szene alles andere als eine wilde Aufregung.

Was soll uns übermittelt werden? Aus meiner Sicht und auf den Punkt gebracht hat hier der Naumburger Meister den Akzent auf die Worte gelegt: „Als Judas das Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn.“ Die Lähmung der Jünger angesichts des „Satans“ sollte dargestellt werden. Das wird mit dieser Atmosphäre des Entrückten ausgedruckt, die über allen Figuren schwebt. Es gibt etwas, das nicht in Worte zu fassen ist und dem Leben eine schreckliche Wendung gibt, ist die Botschaft des Bildhauermeisters.

„Und als er den Bissen nahm, fuhr der Satan in ihn … Er ging alsbald hinaus. Und es war Nacht.“ Vorhin sagte ich, dass Judas dem Christusgeschehen entfremdet war und das ein Grund für seinen Verrat war. Der Evangelist redet in einer anderen Dimension. Warum ist ein Mensch so abgestürzt, so böse, so hinterhältig, in seinem Verhalten wie Judas? Warum? Johannes sagt, dass es der „Satan“ war.

Wir können von der Geschichte des Sündenfalls bei Adam und Eva bis hin zu Judas eine rote Linie ziehen. Die Bibel weist uns mit allem Nachdruck darauf hin, wie gefährdet der Mensch ist, dem „Satan“ zu widerstehen.I5I

 Ich denke, der „Satan“ kommt nicht von außen in unser Leben, sondern ist eine Metapher für das, was in unserem Inneren lebt, so wie es Jesus sagte: „Denn von innen, aus dem Herzen des Menschen kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Dieberei und Mord …. All diese bösen Gedanken kommen von innen heraus (Mk 7,21/ Matth.15,19 par) Das kann so stark und schlimm und wütend wie ein Orkan sein, der einen Menschen überschwemmt.

Was ist zu tun? Worin besteht ein Ausweg, wollen wir nicht einem Fatalismus verfallen, der uns dem Bösen ausliefert?

Unserem Predigttext mit seinem tragischen Ausgang für Judas steht als Antipode das Evangelium von der Versuchung Jesu gegenüber. Heute haben wir erst recht beides zusammen zu denken. Wir sollten neben unseren Predigttext als Gegenüber das Evangelium dieses Sonntages stellen und ihn von hier aus verstehen. Der HERR ist stärker als der Satan und das ist für uns ein Lichtstreifen am Horizont. Auf ihn, nicht auf die breite Spur des Bösen in der Geschichte der Menschheit gilt es zu sehen-

„Wachet und betet!“ (Matthäus 26,41) sagt er zu uns. An ungezählten Stellen wiederholt die Schrift diese Mahnung, wachsam zu sein gegen jene zumeist unscheinbaren Anfänge, die sich bis hin zu einem Judas auswachsen können.

Ach sucht doch den, lasst alles stehn … (346,3)

Wir erinnern uns, dass Jesus im „Geist erschüttert“ war, gebrochen von der Vision dessen, was vor ihm lag.

Die Worte zu Judas: „Was du tun willst, das tue bald“, sind dann aber nach meinem Empfinden Ausdruck einer Wandlung in Jesus selbst. Sie zeigen uns, dass an die Stelle der „Erschütterung“ die Annahme des Unausweichlichen getreten ist. „Was du tun willst, das tue bald“ … und so ergänze ich: ‚Ich, Jesus, werde es auf mich nehmen und ertragen.‘

Wer ist Jesus nach unserem Predigttext?

Gerade darin, dass der Evangelist nicht kommentiert, wie es in Christus zu einer Wandlung kam und er bereit wird, das Leiden anzunehmen, liegt die Pointe. Das Ungesagte ist das Sprechende. Am Schluss steht ein Christus, der ohne Aufheben annimmt, was anzunehmen ist. Das allein sollte unser Augenmerk finden.

Ich schränke ein: Wir sehen keinen souveränen Christus und erst recht keinen heroischen. Er schultert nicht in heldenhafter Pose die Annahme des Unausweichlichen. Es geht alles still, geradezu selbstverständlich zu. Daran anzuknüpfen werden wir eingeladen.

Es gibt verschiedene Formen mit Leid und Angst umzugehen Wir leben seit einem Jahr mit der Angst vor Corona, die bei jedem und bei jeder anders ist. Werden wir damit konfrontiert, wie Menschen in den Pflegeheimen und Intensivstationen leiden und ggf. ein in jedem Fall einsames und wohl auch schweres Sterben durchmachen, so sind wir erschüttert. Hören wir, dass sich die Lieferung der Spritzen beschleunigt, atmen wir ein wenig durch. Nehmen wir die Schilderungen über die neue Coronamutation zur Kenntnis, beschleicht uns ein grummelndes Unbehagen. Hören wir, dass die Zahl der Infektionen in unserem Landkreis fällt, wird die Angst weniger.

Der Predigttext stellt uns Jesus in seiner stillen und gefassten Weise, das Kreuz zu tragen, vor Augen. Das ist der Gegenpart oder besser. ER ist der Gegenpart – den wir gegen die Angst haben.

In unserer Bibel lesen wir von Abraham, Hiob, Paulus und vielen anderen Gestalten. Sie sind alle durch große Tiefen gegangen, haben sehr viel ausgehalten. Jesus ist aber mehr und anders als sie. Er ist nicht allein ein Vorbild, sondern „etwas“, in das ich mich hineinbegeben kann und  … davon nicht unberührt bleibe. „Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein.“ (Joh. 12,26b) Das ist mit beiden Händen zu ergreifen und fest zu halten.

ANMERKUNGEN

I1I Nach Johannes Wengst, Das Johannesevangelium, Stuttgart 2019, S. 110.

I2I Nach Johannes Block, Der Verrat an der Kirche aus der Mitte der Kirche, in: Göttinger Predigtmeditationen 75. Jahrgang, Göttingen 2020/2021, S. 208.

I3I Nach Udo Schnelle, Das Evangelium nach Johannes, Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, Leipzig 2016, S. 285. Anders Block S. 208 nach Friedrich Weinreb, Innenwelt des Wortes im Neuen Testament. Eine Deutung aus den Quellen des Judentums, Weiler im Allgäu 1988, 61.209f.

I4I „Die Sünde des Judas ist, dass er Jesus nur als äußeres Phänomen kennt, als ‚nun ja, auch so ein Rabbi‘. Er hat ihn veräußert, verkauft, weil er ihn eben veräußerlicht hatte … Er  hat nicht verstanden, dass Jesus eine Gestalt der Ewigkeit ist.“ Weinreb 1988, 221.224. Zitiert nach Block, S. 208.

I5I „Der Predigthörer wird seiner Selbstgefälligkeit oder seiner Unbedarftheit überführt, insofern die Figur des Judas Iskarioth als ‚eine verborgene Möglichkeit im Menschen‘ sprechend wird.“ Johannes Block in: Block S. 211.

Pfr. em. Dr. Ulrich Kappes / Luckenwalde / Brandenburg / ulrich.kappes@gmx.de

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