Von der Realität des…

Von der Realität des…

Von der Realität des Todes und des Lebens | Predigt über 1.Korinther 15,19-28 | Ulrich Wiesjahn |

Liebe Ostergemeinde!

Die wichtigste Kirche der Christenheit steht in Jerusalem. Sie überwölbt mehrere alte Stätten: zum einen den Totenfelsen Golgatha, auf dem Jesus gekreuzigt wurde, und zum anderen eine Grabanlage zur Bestattung von Toten, unter denen vielleicht Jesus war. Und nun hat mich eine Tatsache zur Verwunderung und zum Nachdenken gebracht: wir Europäer und Westler nennen diese Kirche „Grabeskirche“, während die Orthodoxen, die Griechen, Russen und andere dieselbe Kirche „Anastasis – Auferstehungskirche“ nennen.

Ja, so nah beieinander und doch so verschieden habe ich bisher nirgends diese Gegensätze benannt gefunden: den Tod und das ewige Leben – an einem Platz. Doch jetzt in der Pandemie, die wie ein Nebel über uns liegt und in Angst und Hilflosigkeit versetzt, erleben wir ganz seltsam und aktuell, wie dicht doch Leben und Tod beieinander liegen – beieinander liegen!

Ehe wir nun heute zum Osterfest über Jesu Tod und Auferstehung nachdenken, wollen wir erst einmal in uns selbst gehen und beides in uns nachfühlen. Ich bin inzwischen in einem Alter, in welchem ich den weitaus größten Teil meines Lebens hinter mir habe und das Ende mir vielleicht viel näher ist, als ich vermute. Aber auch für viele andere, ja für alle dürfte der Vers gelten „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende, hin geht die Zeit, her kommt der Tod“. Das hat mit Frömmigkeit und Glauben noch gar nichts zu tun, sondern mit der schlichten Realität meines Daseins.

Doch genau diese Realität gehört nun mitten hinein in den christlichen Glauben, der sich ja der menschlichen Realität bewusst widmet. Und da entdecken wir auf einmal, dass die Realität, also das wirkliche Leben, eine einzige Frage ist: Warum sterben wir? Warum haben wir davor Angst? Warum endet das schöne Leben so elend? Selbst unter ärztlicher und pflegerischer Begleitung ist das Sterben schwer genug; ich habe es kürzlich wieder miterlebt.

Und nun begeben wir uns in Gedanken noch einmal nach Jerusalem in die Grabeskirche Jesu, die eben auch Auferstehungskirche heißt. In ihr ist alles nah beieinander, als gehörte alles, was wir erleben, denken und fühlen, zusammen. Da gibt es übereinander zwei Kapellen: oben auf dem Felsen Golgatha befindet sich die Kreuzigungskapelle und direkt darunter in den Felsen gehauen die Adamskapelle. Der Gedanke dieser Anlage ist nun folgender: Adam, der erste Mensch und der Mensch wie jeder Mensch, wie ich und du, Adam ist gestorben. Doch darüber ist der andere Mensch, Jesus der Christus, gestorben. Und als dessen Blut in Adams Grab geflossen ist, da hat es den Toten berührt und gerettet. Als Christus auferstanden ist, da hat er alle sterblichen Menschen als Nachfolger mitgenommen in das ewige Leben Gottes.

Für uns sind das vielleicht seltsame Vorstellungen und Gedanken, die nicht ganz leicht zu fassen sind. Und warum? Nun, weil wir nur das eine kennen und erleben: die Sterblichkeit. Wir kennen mehr oder weniger gut das natürliche Leben – und der Tod am Ende scheint mit dem Leben Schluss zu machen.

Mit all diesen Gedanken und Vorstellungen sind wir jetzt darauf vorbereitet, was Paulus den Korinthern und uns, also wieder mir und dir, über die Auferstehung schreibt. Es ist erst einmal keine einfache Botschaft, aber es ist die wichtigste der christlichen Offenbarung. Und wir werden sehen, wo sich uns dafür eine Tür öffnet.

 

Lesung 1.Korinther 15,19-28

 

Liebe Gemeinde!

Das will ich jetzt nicht im Einzelnen auslegen, weil ich nicht klüger als der Apostel bin, sondern auch ein Hörer mit einem sehnsüchtigen, einem zitternden, einem hoffenden, einem gläubigen Herzen. Aber ich habe auch einen Verstand, der sich das alles umformulieren muss. Und da habe ich bei dem großen kritischen Philosophen Immanuel Kant diese vier Grundsätze gefunden, die jeden Nachdenklichen berühren: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?

Mit diesen Sätzen blicke ich nun in den Spiegel und bedenke mein Leben und stelle es in die Botschaft Jesu hinein. Wer bin ich? Und die Antwort lautet: Du bist wie Adam und Eva sterblich. Und was kann ich hoffen? Die Antwort, die aus einer ganz anderen Richtung kommt, lautet: Du bist in der Nachfolge Jesu ein Auferstandener, ein Erlöster, ein Fröhlicher in Gott. Dein Glaube soll keine Angstfrömmigkeit sein, sondern ein Vertrauen in einen ewigen Vater.

Und nun mache ich einen Schritt zurück in das ganz irdische Leben, das Jesus vor seinem Tod und seiner Auferstehung gelebt hat. Mitten im Alltag hat er immer wieder die Zeit mit der Ewigkeit verbunden. In seinen Gleichnissen hat er uns hundert Mal erzählt: Sieh hin! Da ist die Saat, da ist der Acker! Da sind deine Talente! Da ist deine Arbeit, da deine Ruhe, deine Sehnsucht! Das ist so alltäglich, so vergänglich, so sterblich – aber nein, das ist die Anzahlung für das Himmelreich und das ewige Leben. Merkst du nicht, dass im Wort „Leben“ immer schon Ewigkeit enthalten ist! Also lebe dein Leben, heile, stärke, richte auf, singe und bete! Jede Heilung und jede Erinnerung an die gute Schöpfung ist schon eine Auferstehung. Du erlebst in deinem äußeren und inneren Leben mehr als du weißt.

Und so komme ich immer mehr dazu, Ostern als das Fest des erfüllten Lebens zu verstehen und zu feiern. Ostern ist das Fest gegen die Angst vor dem Tod. Der Hauptsatz in der Bergpredigt Jesu lautet ja: „Sorgt euch nicht!“ Das ist der Satz des christlichen Glaubens. Aber den müssen wir alle immer wieder neu lernen, weil sich unser Verstand nur zu gern mit Sorgen umgibt. Und eine gläubige Sorglosigkeit ist jetzt meine Aufgabe nach meinem 80.Geburtstag. Denn so ein ganz Standhafter bin ich nämlich gar nicht. Aber ich will mit Immanuel Kant doch ein richtiger Mensch sein mit Wissen, Tatkraft und Hoffnung. Und dieselben inneren Kräfte wünsche ich jetzt uns allen in diesen beklemmenden Zeiten der Epidemie, die uns zu einer ungewohnten Gemeinsamkeit zwingt und befreit. Denn Ostern als Fest der Hoffnung ist nicht nur eine christliche Angelegenheit, sondern eine Offenbarung an die Menschheit: am Ende steht das Leben wie am Anfang.

Und so stelle ich an den Schluss meiner Gedanken das letzte schöne Bild, ja das letzte vertrauensvolle Gefühl, das Paulus in sich trägt und den Korinthern weitersagt: Das Ziel aller offenbaren wie auch dunklen Wege, auch meines und deines Lebens, ist, „dass Gott sei alles in allem“.

A m e n.

Pfr.i.R. Ulrich Wiesjahn, Goslar

E-Mail: ulrich.wiesjahn@web.de

Autor verschiedener theologischer und schöngeistiger Werke und Verfasser des Blogs „kritischfromm.wordpress.com“ (Der christliche Blogger)

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