War der Jesus denn ein Superzauberer?

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War der Jesus denn ein Superzauberer?

  Predigt zu Mk 8,1–9 | verfasst von  Dietz Lange| 

Liebe Gemeinde!

Wenn Sie diese Geschichte einem 8-jährigen Jungen erzählen, werden Sie auf ungläubiges Staunen stoßen. „Von sieben Brötchen und zwei kleinen Fischen 4000 Leute satt machen, und dann soll da sogar noch viel mehr übrigbleiben? Das geht doch gar nicht!“ Sollten Sie antworten: „Aber Jesus konnte das trotzdem“, so wird der Junge fragen: „War der Jesus denn ein Superzauberer?“ Dann wären Sie in Verlegenheit. Sie können ja schlecht Ja sagen. Denn da würde Ihr kleiner Sohn denken: „Also sind all die Geschichten von Jesus bloß Märchen. Ich bin aber schon acht Jahre alt, ich glaub‘ nicht mehr an Märchen.“ Ohnehin hätte ein Zauberer, der vor 2000 Jahren ein Kunststück vollführt hat, für uns heute bestenfalls einen gewissen Unterhaltungswert. Für eine Predigt im 21. Jahrhundert würde er sich nicht eignen.

Was also will uns Markus mit dieser Geschichte sagen? Merkwürdigerweise scheint gerade sie ihm sogar besonders wichtig zu sein. Er hatte sie nämlich kurz zuvor schon einmal in etwas anderer Fassung erzählt. Da waren es sogar 5000 Leute und nur 5 Brote, und es blieben 12 Körbe mit Brocken übrig. Offenbar hat er dabei eine viel ältere Erzählung im Sinn gehabt, die er aus dem Alten Testament kannte. Da steht nämlich, der Prophet Elisa habe einmal 100 Leute mit 20 kleinen Gerstenbrötchen gespeist. Markus wollte also zunächst einmal zum Ausdruck bringen, dass Jesus viel größere Vollmacht von Gott hat als früher der Prophet. Aber warum tut er das so, dass er das Unwahrscheinliche noch mehr auf die Spitze treibt? Nun, die Menschen alter Zeit nahmen Wundergeschichten viel lockerer als unser 8-jähriger Junge von vorhin. Die Eltern und die Lehrer unter Ihnen wissen, dass bei Kindern in diesem Alter der Verstand so richtig erwacht und dass sie dann oft besonders kritisch sind. Andererseits waren die Leute in der Antike aber nicht dümmer als so ein Junge, auch wenn ihre Wissenschaft noch nicht so weit war wie unsere. Sie konnten nämlich durch solche Geschichten gewissermaßen hindurchgucken und den eigentlichen, tieferen Sinn hinter dem so unglaublich Erscheinenden entdecken. Wir modernen Menschen dagegen halten uns eher bei dem Sensationellen auf und schreien dann gleich: Fake news! Damit klappen wir dann automatisch die Augen zu vor dem, worauf es wirklich ankommt.

Worauf kommt es denn an in dieser Geschichte? Erstens: Jesus hatte drei Tage lang gepredigt, schreibt Markus. Auch hier gilt: Bitte nicht nachrechnen: Drei mal 24 ergibt 72 Stunden – da muss er doch völlig heiser und außerdem todmüde gewesen sein. Das ist wieder nur die Oberfläche, ein bisschen orientalisch übertrieben, wenn Sie wollen. Gemeint ist: Die Leute hatten Jesus lange Zeit wie gebannt zugehört. Das erzählt Markus so ganz nebenbei. Dabei war es ja eigentlich auch für ihn die Hauptsache. Denn was Jesus zu sagen hatte, ging damals und geht bis heute die Menschen an. Gott rückt uns auf den Leib. Es kommt wirklich darauf an, was wir mit unserem Leben anfangen. Da gibt es kein „Weiter so“: kein weiter so die Zeit im Internet vertrödeln, kein weiter so die Schöpfung Gottes mit unserer Energieverschwendung ruinieren. Zugleich will Gott uns mit seiner Liebe auffangen und uns zu aufmerksamen und achtsamen Zeitgenossen machen.

Es war auf jeden Fall eine leidenschaftliche Rede Jesu gewesen. Dabei konnte man nicht eben mal ein Nickerchen machen. Es muss anstrengend, ja geradezu aufwühlend gewesen sein, ihm zuzuhören. Nun waren die Menschen ganz erfüllt davon, aber auch erschöpft. Da stellt Jesus ganz sachlich fest: „Wenn ich sie jetzt hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten.“ Etwas moderner ausgedrückt: Sie würden reihenweise schlapp machen. Darum jetzt das Zweite: Die Leute tun Jesus leid, und er sorgt dafür, dass sie zu essen bekommen. Blicken wir durch die phantastischen Zahlenangaben hindurch, dann sehen wir. worauf es ankommt: Jesus lässt es nicht dabei bewenden, von der Liebe Gottes zu sprechen; er übt sie auch praktisch aus. Er dankt Gott, bricht das Brot und teilt es aus, heißt es da. Manche Ausleger haben gemeint, Markus wolle damit auf das Abendmahl anspielen. Das glaube ich nicht. Jesus tut einfach nur, was jeder jüdische Hausvater vor einer Mahlzeit in seiner Familie tut. Er verteilt das, was Gott seinen Leuten als Lebensunterhalt geschenkt hat. Unser Glaube ist keine Theorie, sondern er wirkt Leben, bei uns und bei anderen.

Versteht man es so, dann begreift man, warum unsere Kirche diese Geschichte für das heutige Erntedankfest als Predigttext vorgeschlagen hat. Das ist ein Fest, an dem wir Gott in besonderer Weise für unsere Nahrung danken. Darüber hinaus danken wir ihm für alles, was er uns sonst noch an Lebensnotwendigem täglich zuteil werden lässt: für nahestehende Menschen um uns herum, die uns Geborgenheit geben, für Lebensenergie und Gesundheit – gerade in dieser Corona-Zeit besonders wichtig – und für sinnvolle Arbeit, die unserem Leben einen Inhalt gibt. So bekommen auch die großen Zahlen unserer Geschichte plötzlich einen neuen Sinn. Es gibt auf Gottes Erde so unglaublich viele Menschen, und trotzdem ist für alle genug Nahrung da. Oder richtiger: Es wäre so, wenn wir denn für eine gerechte Verteilung sorgen würden. Es ist kein Naturgesetz, dass so viele Menschen in Afrika hungern müssen. Wenn wir in der reichen Welt nicht aus lauter Gier viel mehr Nahrungsmittel produzierten, als wir verbrauchen können, und dann mit den Überschüssen die Märkte auf der Südhalbkugel überschwemmten und kaputt machten, würde es tatsächlich für alle reichen. Eine höchst aktuelle politische Konsequenz, von der der Evangelist Markus noch nichts geahnt hat, die aber in seiner Geschichte schon drinsteckt.

Dazu kommt ein Drittes. In unserer Geschichte heißt es, die Beschaffung von Nahrung für die vielen Leute sei deshalb so schwierig gewesen, weil man sich an einer einsamen Stelle befand. Sonst hätte man ja eben zum Bäckerladen an der Ecke laufen und reichlich kaufen können. Das Wort, das da im griechischen Urtext für die „einsame Stelle“ steht, bedeutet auch „Wüste“. Der Erzähler hat sich sicher mit Absicht so ausgedrückt. Denn die Wüste erinnert an eine andere Geschichte aus dem Alten Testament, an die Wanderung des Volkes Israel durch die Sinaihalbinsel. Das war eine Hunger- und Durststrecke sondergleichen. Der alte Bericht erzählt davon, dass der ganze israelitische Flüchtlingstreck gemurrt und gemeutert hat, ja sogar am liebsten in die Sklaverei in Ägypten zurückgekehrt wäre. Denn da hatte man ja jedenfalls genug zu essen gehabt. Daraufhin soll dann Gott auf Bitten des Mose Brot vom Himmel haben regnen lassen, das berühmte Manna.

Kümmern wir uns auch hier nicht um die Frage, wie es denn möglich sein soll, dass es vom Himmel Brot regnet statt Regentropfen oder Tau. Das wäre wieder bloß die Sensations-Oberfläche. Von Interesse ist die Erinnerung daran, dass Gott für sein Volk sogar in der Wüste gesorgt hat, wo außer ein paar Kakteen und Gestrüpp gar nichts wächst. Auch die Wüste hat für uns eine Bedeutung angenommen, von der Markus in seiner Erzählung noch nichts ahnen konnte, die sich uns heute aber aufdrängt. Nach mehreren viel zu trockenen Sommern beginnt bei uns allmählich das Wasser knapp zu werden. Noch leben wir nicht in einer Steppe oder Wüste, aber sie droht auf uns zuzukommen. Das wäre aber dann eine Wüste, die nicht von Natur aus einfach da ist, sondern eine von uns Menschen gemachte Wüste. Noch ernährt uns Gott reichlich trotz unserer schändlichen Umweltsünden. Aber wir sollen aus der alten Geschichte von der Speisung der 4000 nicht den Schluss ziehen, er werde schon irgendwann ein Wunder tun und uns bis dahin weiter sorglos unsere giftigen Abgase in die Luft pusten lassen. Denn wir sind ja für die heute drohende Versteppung selbst verantwortlich und durchaus in der Lage, sie zu verhindern. Es ist wirklich nicht selbstverständlich, sondern ein Wunder, dass wir immer noch ernten können, was wir zum Leben brauchen. Dafür wollen wir Gott von Herzen danken. Aber wenn dieser Dank ehrlich ist, dann bringt er uns zu wirklich durchgreifender Fürsorge für diese schöne Erde, auf der wir leben dürfen. Gott hat uns ja auf ihr angesiedelt, nicht damit wir sie rücksichtslos plündern, sondern damit wir sie „bebauen und bewahren“, wie schon der kluge Erzähler der uralten zweiten Schöpfungsgeschichte geschrieben hat.                                                        Amen.

de_DEDeutsch