Was ist Glück?

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Was  ist Glück?

 

Göttinger

Predigten im Internet | hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Was

ist Glück?
Gottesdienst und Predigt(en)
von Thomas Ehlert

Erläuterung

Die Predigten und
die Bausteine sind 1998 entstanden im Rahmen der Vorbereitung eines
Spezialgottesdienstes zum Thema „Was ist Glück ?“ Die
Texte sind jetzt leicht überarbeitet worden. Die Predigten sind
sehr lang. Sie lassen sich als Fortsetzungspredigten verarbeiten, könnten
aber auch gut als „homiletische Fundgrube“ Verwendung finden,
um der Suche nach Antworten und den Antworten selber Gestalt zu geben.

I Bausteine
für einen Gottesdienst

1. Einführung
ins Thema

„Viel Glück“,
so sagen wir gerne und wünschen uns damit ein gutes Gelingen.
Die Symbole des Glücks aus Kohlenwasserstoff, Marzipan und Metall
kennen wir auch: Glücksklee, Glücksschwein, Glückspfennig.
Wir wünschen uns am Jahresanfang ein glückliches neues Jahr.
Wir sagen „Glück gehabt“, wenn etwas besonders gut geklappt
hat. Dieses Wort scheint richtig Konjunktur zu haben, und es ist klar:
Glück will jeder haben. Aber was ist eigentlich Glück? Die
Plakataktion der EKD bietet Antworten wie „Eine Gehaltserhöhung“
oder: „Wieder mal bei Oma Erdbeerkuchen essen“ oder „Gesundheit“
oder „Ein Ticket für die Fußball-WM“ an. Das ist
Antworten, die zum Weiterdenken einladen sollen. Und gerade dieses Weiterdenken
wird spannend: Ist das Glück nur Rausch oder Traum, ist es machbar
oder bleibt es immer ein Ziel? Oder geht es nicht nur ums Glückhaben,
sondern auch ums Glücklichsein? Tausend fragen um das Glück.
In diesem Gottesdienst wollen wir versuchen, dem heute auf die Spur
zu kommen und können vielleicht auch entdecken, was die christliche
Religion, der Glaube zu dieser doch „heißen Frage“ des
Glück zu sagen haben. Natürlich kann nicht alles gesagt werden,
wohl aber können Denkanstöße gegeben werden.

2. Einleitung
zum Psalmgebet (126)

„Weißt
du noch?“, so fragen wir manchmal.
Wer erinnert sich nicht gern an die Augenblicke reinen Glücksgefühls:
der erste Kuß, die Hochzeit, das Abiturzeugnis, das erste Kind,
der erste Enkel im Arm, der Fall der Mauer, nach langer Anreise der
erste Blick übers offene Meer. Dem kurzen Moment der reinen Freude
folgt ein langes Gedenken. Erinnern kann man sich als einzelner und
als Volk. Und aus der Erinnerung an geschenktes Glück folgt die
Hoffnung auf zukünftiges Glück:
Das Volk Israel hat sich immer wieder erinnert an Gottes Rettungstat
und dabei auch die Kraft geschöpft, getrost nach vorne zu schauen:
Wir beten mit Worten des 126. Psalms:
(Gute Nachricht)

3. Zum Sündenbekenntnis
mit anschließendem Freispruch

Ein Konfirmand
hat es einmal ganz direkt gesagt: „Glück ist, wenn man Mist
gebaut hat und alles wieder gut wird“.
Lasten loswerden können, Gott sagen, was einen belastet, auch als
Schuld bedrückt, und den Freispruch hören können- das
hat nach biblischer Anschauung auch mit Glück zu tun, daß
man an seiner Schuld nicht verkümmern muß.

4. Anspiel zum
Thema „Glück“

1. Sprecher (mit
dem Fernrohr): Ich suche nach dem großen Glück: Vielleicht
finde ich es! Aber wo soll ich eigentlich suchen?

2. Sprecher: Mal
sehen, ob ich bei der Goldenen 1 gewinne, ob ich Glück habe, mein
Los ein Glückslos ist!

3. Sprecher: Wenn
ich in den Urlaub fahren kann, bin ich richtig glücklich!

4. Sprecher: Ich
bin richtig glücklich.Ich habe einen Menschen gefunden, der meine
Liebe erwidert.

5. Sprecher: Ich
war gerade beim Zahnarzt. Nun habe ich endlich keine Zahnschmerzen mehr.
Ich war richtig glücklich, als ich die Praxis verlassen konnte.
Glück, das ist schon, wenn man keine Schmerzen hat!

6. Sprecher: Wenn
man eine schwere Krankheit oder ein schlimmes Erlebnis hinter sich hat,
dann kann man vielleicht die Tage bewußt genießen, Wichtiges
vom Unwichtigen unterscheiden. Glück, das ist für mich die
Normalität des Alltags.

5. Biblische
Lesung

Mt.6, 25-34

6. Lieder

EG 451,1-3+7-10
;452,1-3+5; 427,1-3; 322; 361; 371,12

II Predigt(en)
zur Frage des Glücks

Teil A

Liebe Gemeinde!

Jeder Mensch möchte
Glück haben und glücklich leben! Und das Glück, es hat
tausend Gesichter: Glück zu haben, das kann heißen, im Lotto
zu gewinnen, bei einem Verkehrsunfall heil und unverletzt heraus zu
kommen. Dieses Glück verknüpft den Menschen mit dem Zufälligen
und macht aus dem Leben ein Lotteriespiel. Dann kennen wir das Glück,
das ein küssendes Liebespärchen in den siebten Himmel hebt;
es gibt Augenblicke rauschhaften Glücks: es hat mit Freude, Erregung
und Lust zu tun. Und es gibt das kleine Glück: der Duft einer Blume
oder ein Ritual, dessen Wiederkehr einen immer wieder neu erfreut. Es
kann barfuß laufen sein oder ein Geschmack auf der Zunge, ein
netter Anruf, schöne Musik, ein Moment der Erkenntnis, der Anblick
eines Kunstwerks.

Und schließlich
gibt es das grundsätzliche Gefühl eines erfüllten und
gelungenen Lebens- auch das ist Glück. Glücklich leben und
glücklich sein. Natürlich lassen sich mit der Sehnsucht nach
Glück auch Geschäfte machen: Wenn versucht wird, uns mit einer
Kaffeemarke oder einem Auto ein bestimmtes Lebensgefühl zu verkaufen.
Aber ob man sich mit dem scheinbar richtigen Kaffee oder mit dem angeblich
tollen Auto wirklich glücklich fühlt, das ist ja noch die
Frage. Was man besitzt, verliert sehr schnell seinen Reiz. Ich kann
es bei mir beobachten: habe ich ein Ziel erreicht, oder was Schönes
gekauft, so ist das besondere beglückende Gefühl von kurzer
Dauer, hinterher folgt meistens eine Leere, und schon ist das nächste
Ziel im Blick: Ich denke, das kanns doch nicht gewesen sein, das Glück,
das muß doch mehr sein, muß doch tiefer gehen als diese
außergewöhnlichen Momente: denn wer schafft das schon, von
einem Höhepunkt des Erlebens zum nächsten zu hüpfen?
Ich ahne: Glück ist eigentlich mehr und anders: Ich möchte
weg von dieser Sucht nach immer tolleren Erlebnissen, um daran das Glück
festzumachen: Ich möchte weg von der Oberfläche, bei der man
glückliches Leben mit Spaß und Vergnügen verwechselt.
Ich möchte in der Tiefe auf die Suche gehen, um nicht mit lauter
Träumereien im Kopf blind zu sein für das, was mir vor den
Füßen liegt; denn wir sind immer versucht, das Glück
bei dem zu finden, was wir nicht haben, und vielleicht versäumen
wir dabei, glücklich zu sein mit dem, was wir haben.

Ich versuche zu
graben in den Schätzen biblisch- christlicher Tradition. Wenn Bibel
und Gesangbuch was mit dem Leben zu tun haben, werden sie mir Sehhilfen
geben, um wirklich schärfer sehen zu können, um die Elementarbausteine
des Glücks in meinem Leben zu entdecken.

Ein Baustein des
Glücks ist das Geschenk eigener Gesundheit: „Daß unsere
Sinnen wir noch brauchen können, und Händ und Füße,
Zung und Lippen regen, das haben wir zu danken seinem Segen. Lobet den
Herren“, so heißt es in einem Gesangbuchlied (EG 447,3).
Wenn man plötzlich Sinne, Hände und Füße, Zunge
und Lippe nicht mehr bewegen kann, dann weiß man, was einem verloren
gegangen ist, man trauert vergangenem Glück nach.

Im Alten Testament,
in der Weisheitsliteratur, wo die Lebenserfahrung von Generationen eingeflossen
ist, gibt es Verse, die versuchen, Glück und gelingendes Leben
auf den Punkt zu bringen: Es heißt dann dort: „Wohl dem Mann“-
wir könnten heute auch sagen: „Wohl der Frau“, und wenn
wir das modern übersetzen, dann etwa so: „Glücklich ist,
wer… Und da lese ich dann: „Glücklich ist, wer einen Freund
gewonnen hat“, oder: „Glücklich ist, wer eine kluge Frau,
wir können auch sagen, einen guten Mann hat.“ Oder: „Glücklich
ist, wer Freude an seinen Kindern hat“ (siehe: Sirach 25). Im Jeremiabuch
heißt es, in der Rückschau: “ Wir hatten Brot genug,es
ging uns gut und wir waren glücklich.“ (44,17) Das sind sehr
einfache Glücksgüter, von denen hier die Rede ist: elementare
Dinge des Lebens wie Nahrung, Freundschaft und gute familiäre Beziehungen.
Entscheidende Bausteine des Glücks. Im Alten Testament kommen noch
andere Bausteine vor: „Du wirst dich nähren von deiner Hände
Arbeit, wohl dir, du hast es gut.“; so heißt es in Psalm
128.(V.2) Arbeit gehört ganz selbstverständlich zum Menschsein
(Ps.104,23),kann das Gesicht von Mühsal, Vergeblichkeit und Qual
annehmen (Gen.2), aber gut ist es, wenn ich sagen kann, „daß
mein Herz fröhlich (ist) von meiner Mühe.(Pred.2,10). Wenn
wir das für heutige Verhältnisse übersetzen,- wo nicht
mehr die Landwirtschaft für alle Menschen zum Nahrungserwerb dient,
es auch Erwerbslosigkeit gibt,dann bedeutet das: Der Mensch, der für
sich ein sinnvolles Tun entdeckt hat, ganz gleich, ob als Erwerbsarbeit
oder unbezahlte Arbeit, wer für sich eine erfüllende Tätigkeit
gefunden hat, der hat ein Stück Glück gefunden. Und das bestätigen
auch Glücksforscher: Eine häufige Sonderform des Glücks
könnte der „flow“ sein, ein Zustand der Selbstvergessenheit,
in den gerät, wer sich völlig in die Konzentration auf eine
Handlung hingibt: der Chirurg bei der Operation, der Künstler am
Werk, der Kurzstrecken- oder Langstreckenläufer beim Lauf.

Glücksgüter
kennt die Bibel, einige Mosaiksteinchen, so wie sie unser Alltagsverstand
auch kennt, nämlich: Nahrung, Einkommen und Auskommen, Gesundheit,
gute Beziehungen und Freundschaften, erfüllende Tätigkeiten.
Wenn wir beim Glück nur auf die Güter schauen, dann wird uns
sofort bewußt, daß wir das Mosaik wohl nie so zusammenkriegen,
daß es ganz und gar vollständig wäre. Es fehlt immer
noch was zur Vollkommenheit. Vollkommenes Glück- das wäre
was! Aber das gibt es nicht. Der große Philosoph und Theologe
des Mittelalters, Thomas von Aquin, unterschied einmal die unvollkommene
Glückseligkeit von der vollkommenen Glückseligkeit. Auf unser
Lebenswanderschaft wird es von den Gütern des Glücks immer
unvollkommen bleiben: „Vollkommene Glückseligkeit“- ohne
jegliche Behinderung, Mangel und Belastung, sieht er in dem Zustand
nach der Auferstehung, wo wir vom Glauben ins Schauen übergegangen
sein werden, und Gott unmittelbar begegnen werden, dann, wie Thomas
sagt, „wenn wir sein werden wie die Engel im Himmel, vgl. Mat 22,30“.

Bei der Frage des
Glücks wollen wir natürlich nicht sofort an die Ewigkeit denken.
Ich möchte eigentlich noch ein Stück weiter kommen, um das
mögliche Glück im Hier und Jetzt noch klarer auf den Punkt
zu bringen. „Wahres Glück“, so sagte mir mal ein Kirchenältester
im Gespräch, kommt von innen“- ich fand, daß das ein
sehr kluger Satz war. Und das bestätigt auch die Psychologie.“Aus
psychologischer Sicht, so der Glücksforscher Philipp Mayring, haben
glückliche Menschen ein positives Selbstbild, hohe Selbstachtung
und ein befriedigendes Identitätsgefühl. Sie sind offen für
positive (Gefühlsregungen) wie Freude und Lust, und empfinden,
bezogen auf ihr Leben, Zufriedenheit. Untersuchungen über einen
längeren Zeitraum haben ergeben, daß sich der Grad an persönlichem
Lebensglück wenig ändert, auch wenn die Lebensumstände
völlig wechseln.“ (DS 20 am 15. Mai 1998)

Zufriedenheit zu
gewinnen, scheint das Schlüsselwort des Glücks zu sein. Im
Wort Zufriedenheit steckt das Wort Friede. Ein zutiefst biblischer Begriff.
Im Alten Testament heißt der Friede: „Schalom“- darin
schwingt mit: Ganz- sein, Intaktsein einer Familie, eines Volkes, Harmonie,
Friede mit sich selber, mit Gott und seiner Umwelt.

Teil B

Zum inneren Frieden
zu finden, das wäre gut. Darum sagt die Weisheitsliteratur: „Wohl
dem, der kein schlechtes Gewissen hat“ (Sirach 14,2)- denn mit
Gewissensbelastungen kann man keinen Frieden finden.

Zum Frieden finden,
zur Versöhnung finden: auch mit Gott und seiner eigenen Geschichte:

Wie ist das eigentlich, wenn ich zurückblicke? Kann ich sagen:
Es war alles schön? Oder trauere ich verwehrtem Glück nach?
Manchmal kann man wohl erst sehr viel später begreifen, daß
Gott auch auf krummen Zeilen gerade schrieb. (Hier könnte eine
Lebenserinnerung oder ein Lebensbericht seinen Platz haben)

Oft denken wir
über die Vergangenheit nach, sind mit der Gegenwart unzufrieden
und erträumen uns das Glück für die Zukunft. Zählen
sie auch schon die Tage bis das Flugzeug oder die Bahn sie ins Ferienparadies
entführt? Sehnen sie sich im September schon die Ferienzeit herbei?
Am Montag schon den Sonntag? Glück immer nur in der Zukunft? Moment
mal! Hat das nicht alles noch gute Weile? Und sind die Tage und Stunden
dazwischen weniger wert? Hat nicht jeder Tag seine eigene Plage, seine
eigene Freude und seine besonderen Möglichkeiten, die es zu ergreifen,
festzuhalten und auszukosten gilt? Wir sagen : „Wenn erst, dann…“
Ein lockendes Wort. Ist das Leben dann schöner, leichter und erfüllter
als heute? Das wissen wir doch gar nicht! Zwischen gestern und morgen
liegt die Gegenwart und sie ist es, die wir auskaufen nützen und
erleben sollen. Ein bißchen Glück bringt jeder Tag; Heute
leben wir. Morgen hoffen wir, noch etwas tun zu können, übermorgen
ist schon ungewiß.

Glück hat
entscheidend damit zu tun, die Gegenwart aus der Hand Gottes genießen
zu können: Manchmal da muß man freilich auch, wenn man unzufrieden
ist, einen lohnenden Vergleich aufmachen: Als „Robinson Crusoe“
nach dem Untergang seines Schiffes langsam begriff, daß er auf
eine einsame Insel ohne große Aussicht auf Rettung wird bleiben
müssen, da ist er er zunächst todunglücklich. Aber er
findet einen Weg sein Unglück zu überwinden. Er teilt ein
Blatt Papier in zwei Hälften: Auf der einen Seite steht die Überschrift
„Schlimm“: Darauf schreibt er: Ich bin auf eine einsame Insel
verschlagen, habe keine Hoffnung, wieder fortzukommen, bin ein aus der
menschlichen Gesellschaft Verbannter. Daneben schreibt er, was gut ist:
„Aber ich lebe und bin nicht ertrunken wie meine Schiffsgefährten.
Und ich bin nicht verhungert und muß nicht an einem unfruchtbaren
Ort leben, de keine Nahrung bietet. Schließlich zieht er Bilanz:
„Von nun an begann ich zu denken, mich in meiner verlassenen Lage
glücklicher zu fühlen, als es vermutlich in irgendeinem anderen
Zustand auf Erden jemals der Fall gewesen ist.“ Um Frieden mit
sich selber und mit Gott finden, könnte solch ein Vergleich helfen.
Sie können auch ein anderes Gedankenexperiment machen: Sehen Sie
sich einen Menschen an, den Sie für glücklich halten. Und
dann fragen Sie sich bitte einmal, ob Sie wirklich mit ihm tauschen
möchten. Denn auch wer glücklicher aussieht, hat doch irgendwo
sein Kreuz zu schleppen. Und auf einmal beginnen Sie vielleicht, ihr
eigenes Leben mit anderen Augen zu sehen.

Manchmal, da versäumen
wir auch das Glück der Gegenwart, weil wir uns nur noch um die
Zukunft sorgen. Jesus sagt: „Sorget nicht um euer Leben und was
ihr essen sollt.“- Er ist wahrlich kein weltfremder Spinner, sondern
weist unserer Sorge den richtigen Stellenwert zu.

Jesus sagt zwar:
„Sorgt euch nicht!“, keinesfalls sagt er aber „Kümmert
euch nicht!“ Hier liegt ein feiner Unterschied. Wer sich kümmert,
der bleibt im Umkreis dessen, was er übersehen kann und was ihm
zugänglich ist. Wer sich kümmert, tut das, was die tägliche
Arbeit und unsere Pflichten uns aufgeben. Jemand kümmert sich darum,
daß Essen gekocht wird, jemand kümmert sich um die Kinder,
jemand kümmert sich ums Tagesgeschäft oder holt Aufträge
rein. Wenn man sich kümmert, bleibt man im Bereich dessen, was
man übersehen und berechnen kann. „Sich sorgen“ ist dagegen
etwas anderes. Wer sich sorgt, stellt mit Zittern und Zagen die bange
Frage, wie es denn werden soll- und das Schmerzliche ist, ich kann nichts
tun, ich muß warten. Während ich warte, ist die Zukunft voller
bedrohlicher aber auch guter Möglichkeiten, die ich nicht in der
Hand habe. Wer weiß denn, was morgen ist? Hast du das, was morgen
sein wird, wirklich in deiner Hand? Kannst du mit deiner Sorge, mit
dem, was du nicht in der Hand hast, die Zeit deines Lebens nur um einen
halben Meter verlängern? Jesus sagt hier ganz weise: Schaut zu,
wieviel ihr wirklich bewältigen und verkraften könnt: „Es
ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat.“ Alles Schritt
für Schritt. Es reicht, eines nach dem anderen anzugehen. Es wäre
gut, wenn wir es hinkriegten,so zu leben, ja, im Hier und Jetzt zu leben,nach
der Regel: „Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart!“
Aber wir kriegen es so selten hin, weil die Angst und Sorge unsere ständigen
Begleiter sind. Es gibt viele Ängste. Gesunde Ängste, die
uns daran hindern, halsbrecherische Dinge zu unternehmen, aber es gibt
auch andere, ungesunde Ängste, die Energie abziehen, den inneren
Frieden zerstören und Kraft blockieren.Es gibt dann die uns ganz
vertraute Angst, zu kurzzukommen, die Angst, nicht genug zu haben und
genug zu bekommen, die Angst, etwas nicht zu schaffen. Deshalb ist es
unser Bestreben, Vorsorge zu treffen, z. B. Vorräte anzulegen,
in die Scheunen zu sammeln, wenn möglich zu sparen und einen „Notgroschen“
zu haben. So ist es unsere Art, aber jede Sorge ist damit nicht aus
der Welt: da kann ich beispielsweise ein gut gefülltes Bankkonto
haben und weiß trotzdem nicht, was die Zukunft bringen wird. Angst
und Sorge bleiben als Begleiter. Ist dagegen ein Kraut gewachsen? Schauen
wir darauf, was Jesus als Arzt unserer Seele tut.

Er handelt als
kluger Therapeut. Er weiß genau: Im Laufe eines Lebens verwandelt
man sich oft in das, was man angestarrt hat. Schaust du auf das Bedrohliche
oder auf das, was Mut macht? Jesus möchte unseren Blick in eine
mutmachende Richtung lenken und uns Sinn und Geschmack für das
Vertrauen zu Gott vermitteln: „Seht die Vögel unter dem Himmel
an. Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln keine Vorräte
in Scheunen. Euer Vater im Himmel ist es, der sie ernährt. Seid
ihr nicht viel kostbarer als sie?“ Wenn Gott sich schon um Vögel
kümmert, um wieviel mehr wird er sich um euch kümmern!“
Jesus empfiehlt als Medikament gegen die Sorge und Angst das Vertrauen.
Eine Kraft, die der Angst entgegenarbeiten kann, ist die Macht des Glaubens.
Ein erster Lernschritt des neuen Denkens und Fühlens könnte
so aussehen: Ich stelle mir vor: Die Zukunft ist ganz und gar offen.
Es kann noch viel geschehen, was ich noch nicht kenne, auch viel Rettendes
und Helfendes. Ich bin also gespannt, was morgen sein wird. Ich baue
keine Mauer um mich herum, sondern lebe auf einem offenen Feld, wo der
Wind aus allen Richtungen zu mir kommt. Ich erwarte trotz aller Gefahren,
daß etwas geschehen kann, das mir neu ist und die Lage ändert.
Paul Gerhardt, einer der größten Lieddichter unser Kirche
hat es in die Worte gefaßt, die wir vorhin gesungen haben: „Befiehl
du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege,
des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden, gibt Wege, Lauf
und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß laufen kann.“
Eine großartige Zusage: Du bist nicht alleine, Gott sorgt für
dich und kümmert sich. Er wird Wege finden, auf denen dein Fuß
gehen kann. Eine großartige Zusage , aber manchmal ist unser Herz
zu verzagt, um uns wirklich einzulassen. Es ist doch so, wenn wir ehrlich
sind: Wir sorgen uns meist nicht darum, ob wir in der Hand Gottes geborgen
bleiben,was auch diese Hand mit uns tun möge; sondern wir sorgen
uns um die Art und Weise, eben um die Mittel, mit denen Gott uns helfen
soll. Wir haben es uns meist partout in den Kopf gesetzt , daß
uns nur auf diese oder jene Weise geholfen werden soll. Gott soll uns
eben nur so helfen, daß er uns die Tür öffnet, auf die
wir gerade blicken, er soll uns so helfen, daß er das Hilfsprogramm
verwirklicht, das wir uns gerade ausgedacht haben. Es ihm selber zu
überlassen, wie er helfen wird, das erscheint uns denn doch zu
abenteuerlich. Daß Gott in seinen höheren Gedanken sich eben
selber Gedanken machen könnte, wie er uns helfen wird, und daß
er seine Hilfe gegen alle unsere Programme und Überlegungen, also
in Gestalt von Überraschungen hereinbrechen läßt, das
kommt uns unglaublich vor. Und doch sind wir immer wieder in unserem
Kleinglauben beschämt und überrascht, wenn auf die unglaublichste
und pünktlichste Weise kommt, was wir brauchen.

Jesus will uns
zum Gottvertrauen ermuntern. Er will unseren Blick und unser Zutrauen
richten auf die unendlichen Möglichkeiten Gottes und redet uns
immer wieder zu: Gott sorgt für dich, er weiß, was du brauchst,
und das vielleicht sogar besser als du selber es weißt. Eine Ermutigung
sich überraschen zu lassen. Wenn Gott, die Tür, auf die du
gerade schaust, nicht aufmacht, dann macht er zumindest für dich
irgendwo ein Fenster auf. Schau dich um.

Als guter Therapeut
gibt uns Jesus auch eine Übung gegen unsere Angst und Sorge mit
: das Beten. Nicht umsonst ist weiteren Zusammenhang der Bergpredigt
vom Gebet die Rede: beim Beten entsorge ich meine Lasten zu Gott hin,
werfe meine Sorge auf ihn und hoffe auf seine Wegweisung. Mir kommt
dabei eine Kraft zu, die mir einen guten Blick durch meine Sorgen schenkt.
Und manchmal bekomme ich auch eine Energie, die mich wieder mit Leben
erfüllt, obwohl mich vieles zu Boden reißt.

Liebe Gemeinde,
wir alle bleiben immer wieder neu Schüler und Patienten Jesu, die
er auf den Weg des Vertrauens bringen möchte. Heute morgen und
alle Tage. Die idyllische Rede Jesu von der Sorglosigkeit der Vögel
und Blumen auf den Feld, ist keine Dichtung von Urlaubsstimmung, sondern
ein Rezept zur Gelassenheit hin, das man sich aufschreiben, auf den
Nachtisch und auf den Schreibtisch legen sollte.

Dem Glück
auf die Spur kommen- ich denke, es hat mit Seh- Übungen zu tun.
Das im Alltag entdecken, was mir an Gutem zugefallen ist und immer noch
zufällt, und dafür auch Gott Danke zu sagen. Es hat mit Zufriedenheit
zu tun- für sein Leben erfüllende Tätigkeiten suchen
und pflegen. Es hat mit der Kunst zu tun, sich ein Netz von guten und
gelingenden Beziehungen aufzubauen und dieses Netz zu pflegen. Glück,
das kann auch heißen Frieden mit Gott, mit mir selber, meiner
Geschichte und meiner Umwelt zu finden. Die positive Kraft für
den Alltag, die mir aus dem Glauben erwachsen kann, ist wichtig. Erlauben
Sie Gott, Ihnen bei den Schwierigkeiten und Dunkelheiten des Alltags
zu helfen; vergessen Sie nie, daß er Sie liebt, und sich für
Sie einen maßgeschneiderten Weg überlegt hat, auch wenn Sie
ihn jetzt vielleicht nicht verstehen.

Amen

Pfarrer Thomas
Ehlert, Berne
Landeskirchlicher Beauftragter für die Lektorenarbeit in der Ev.-luth
Kirche in Oldenburg
Cundtehlert@aol.com

 

 

 

 

 

 

 

 

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