Was ist Heiliger Geist in Coronazeiten?

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Was ist Heiliger Geist in Coronazeiten?

Predigt in Anlehnung an Apostelgeschichte 2,1-21 | verfasst von Ulrich Wiesjahn

 

Liebe Pfingstgemeinde in Coronazeiten!

 

Da haben wir sie eben wieder gehört: die gute alte und doch so jugendliche Pfingstgeschichte. Sie gehört zu den wichtigsten Nachrichten des Christentums und regt immer wieder zum Nachdenken an. Wie ist es möglich, die Einheit in der Vielheit, das gemeinschaftliche Verstehen in der Verschiedenheit der Sprachen und Kulturen zu erleben? Das wird die Menschheit immer beschäftigen und ist das Thema des Heiligen Geistes. Und auch die Frage der Trinität, der Dreifaltigkeit Gottes, gehört zu Pfingsten. Wie gehören denn Gott, Mensch und Verstehen in einem Raum des Vertrauens zusammen? fragt unsere Seele.

Pfingsten ist also das Fest der wichtigsten geistigen Fragen. Und da müsste es doch möglich sein, so mein Gedanke, etwas Geistliches in dieser Zeit der Nötigung, der Coronaseuche, der Angst und der Ratlosigkeit zu finden. Gerade wo wir jetzt immer wieder an Grenzen stoßen, sind wir gezwungen, die Blickrichtung zu ändern und unseren Geist zu öffnen für ungeahnte Möglichkeiten.

Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes, fordert mich in diesem Jahr auf, nicht bloß das zu wiederholen, was ich täglich in der Zeitung lese oder in den Medien sehe oder was ich von Wissenschaftlern höre oder auch was mir meine eigenen Gefühle erzählen. Das wäre in einer solchen Situation zu anspruchslos. Was also wäre denn jetzt ein christliches Wort, ein Hinweis und Trost und eine Kraft?

Bei meiner Suche entdeckte ich als erstes, dass mir der Glaube einen großen inneren Raum aufschließt, in dem ich frei atmen und mich bewegen kann. Wenn man so an einer Grenze steht, muss man sich vielleicht nur einmal umwenden und in sich hineinsehen und dabei entdecken: ja, das ist der innere, der menschliche Raum, in dem der Glaube und die Hoffnung und die Liebe zu Hause sind. Es ist der Raum des Geistes und der Seele und des Gebetes. Es ist gleichsam der heilige Raum des Menschen. Jetzt gilt es, diesen Raum zu pflegen, zu säubern, zu schmücken und zu bewohnen. Pfingsten ist das Fest des schönen inneren menschlichen Raums, in dem die Freude wohnt.

Aber natürlich, das weiß ich auch, kann in demselben inneren Raum auch die Angst und die Sorge und die Verzweiflung wohnen. Das ist ja die Eigenart des Menschen: Raum zu bieten den verschiedenen Geistern, Gedanken und Gefühlen. Und da erinnere ich mich an Jesus, zu dessen wichtigsten Heilungen die Austreibung böser Geister gehört, also die Erlösung aus einer schrecklichen Angst. Im Glauben, so lerne ich, können wir frei werden von dem, was uns bedrückt, ängstigt und mutlos macht. Und das ist nun in diesem Jahr meine und deine Aufgabe: dem Heiligen Geist einen Raum zu gewähren. Auch wenn der eine Gabe ist, so ist er gleichzeitig eine Aufgabe. Ja, Heilung und Glauben, das ist Arbeit der Seele.

Bei meiner Suche nach religiösen, nach christlichen Aussagen und Erfahrungen in diesen beklemmenden Zeiten kam mir ganz unwillkürlich dieses und jenes Lied in den Sinn, das mir „wie aus der Seele gesprochen“ aufklang. Und da summte ich vor mich hin den Refrain des Irischen Reisesegens: „…und bis wir uns wiedersehn und bis wir uns wiedersehn, möge Gott seine schützende Hand über dir halten!“ Als ich das in meiner Umgebung weitersagte, hörte ich mehrmals: „Das ist so ein richtiger Ohrwurm, den ich den ganzen Tag vor mich hinsang“. Ach ja, der Segen, die guten Wünsche und Gedanken haben den Glanz des Heiligen Geistes. Das Leben ist immer eine Reise – und jetzt im Stillstand erst recht. Denn da zieht etwas an uns vorbei. Doch wenn wir segnende und fürbittende Gedanken in uns pflegen, dann werden wir zu Partnern Gottes und Förderern des lebendigen Lebens.

Aber natürlich, so muss ich mir noch einmal eingestehen, hat so eine bedrohliche Krankheit sofort ihre Einwände und Einschüchterung. Wie sollte ich ihr da begegnen? Und da fand ich wieder in einem Lied, das mitten im furchtbaren 30jährigen Krieg gedichtet wurde, ein paar stärkende und vernünftige Gedanken. Es stammt von Georg Neumark und heißt „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Das soll jetzt gleich nach der Predigt erklingen, singen dürfen wir es leider noch nicht, aber mitlesen und gedanklich miterleben können wir es sehr wohl. Ich mache jetzt nur auf einige Aussagen aufmerksam. In der zweiten Strophe steht der Satz: „Was helfen uns die schweren Sorgen … wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.“ Auch das ist eine Erkenntnis des Glaubens, dass man den eigenen Gefühlen und Stimmungen entgegensteuern sollte, wenn sie eine Situation verschlimmern. Dann muss der Heilige Geist an die Stelle des betrübten Geistes treten. Und in der dritten Strophe hat mich eine Wendung besonders angesprochen: „Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt.“ Diese Formulierung lässt mich ein wenig schmunzeln – und doch ist mir klar, dass die Ruhe in mir selbst, die Genügsamkeit in Gott, das Bei-sich-selbst-Vergnügt-sein ein großer innerer Reichtum ist, der dann ausstrahlt auf alle, denen wir begegnen.

Und das ist jetzt mein Pfingstwunsch für uns alle, dass wir vom heiligen und heilenden Geist erfüllt werden und in uns selbst vergnügt, also zufrieden und gelassen, ja und auch froh sein können.

A m e n.

Ein typisches Taizé-Gebet:

Heiliger Geist, Geist des lebendigen Gottes, du durchdringst die Seele bis auf den Grund. Dein Reich, dein Leben sind in uns. Wie gern möchten wir uns dir überlassen, dir alles anvertrauen, die anderen wie uns selbst.

 

Pfr.i.R. Ulrich Wiesjahn, Goslar

E-Mail:  ulrich.wiesjahn@web.de

Langjähriger Pfarrdienst in Berlin und Goslar, zuständig für ein Alten- und Pflegeheim bis heute. Autor verschiedener theologischer und schöngeistiger Werke und Verfasser des Blogs „kritischfromm.wordpress.com“ (auch: Der christliche Blogger) zu Fragen des Christentums in der Gegenwart.

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