Wenn uns der Himmel…

Wenn uns der Himmel…

Wenn uns der Himmel auf den Kopf fällt… | Predigt zu Apg 2, 1-21| verfasst von Verena Salvisberg Lantsch

 

Lesung Apg 2,1-13

 

Vor langer Zeit, weit weg von hier – so wird erzählt – ist die ganze Welt Teil des Imperiums eines mächtigen Herrschervolkes. Die ganze Welt? Nein, es gibt da ein kleines Dorf… da herrscht der Geist der Freiheit. Das kleine Dorf ist bevölkert von unbeugsamen und furchtlosen Menschen, die ihre Freiheit und Unabhängigkeit verteidigen.

 

Klar, Sie kennen es: Es ist das Dorf von Obelix und Asterix. Unzählige Bände dieser Comicreihe folgen demselben Schema: Es beginnt mit dem beschaulichen Leben.

Obelix geht auf die Wildschweinjagd. Eigentlich hat er überhaut fast nur Wildschweine im Kopf. Asterix sein kleiner, gewitzter Freund, begleitet ihn. Miraculix, der Druide, schneidet Misteln. Majestix, der Chef, ist ein Pascha, der sich von seiner Frau die Füsse baden oder von seinen Trägern auf dem Schild herumschleppen lässt.

Rund um das Dorf ein schützender Palisadenzaun. Ennet dem Zaun das römische Lager, die Besatzer, von denen sich niemand in die Nähe der Gallier traut. Das Leben nimmt seinen Gang. Vielleicht fast zu friedlich, deshalb wird ab und zu eine Schlägerei angezettelt, die Abwechslung bringt.

Alle paar Wochen gibt es eine Ablösung bei den Besatzern, frische Römer, die noch nicht Bescheid wissen, die einfach einmal in die Schranken gewiesen werden müssen.

Danach ist wieder alles beim Alten.

Jedes Abenteuer endet damit, dass sich die Dorfbewohner ihre Freiheit und Unabhängigkeit bewahren können. Dabei kommt jeweils der Zaubertrank zum Einsatz, der ihnen übermenschliche Kräfte verleiht.

Auch der Schluss der Geschichten ist immer gleich. Alles ist wieder normal. Die Dorfbevölkerung feiert die Freiheit mit einem grossen Bankett. Alle dürfen dabei sein. Nur Troubadix, der vor Begeisterung singen will – leider falsch – sitzt daneben, geknebelt.

So meistern die Helden jede Herausforderung, jede Begebenheit, die ihre Freiheit gefährden könnte. Es gibt nur etwas, wovor sie Angst haben: Nämlich, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt.

 

Liebe Gemeinde

Kommt Ihnen das nicht auch bekannt vor? Ja, natürlich, Asterix und Obelix, die kennen Sie wahrscheinlich.

Aber ich meine auch das Leben hinter den Palisaden. Die Beschaulichkeit, wo alles seinen Platz hat, seine Ordnung und seine Richtigkeit.

Im Dorf, in der Stadt, in der Kirchgemeinde. Falls es einen Aufruhr gibt, sind tapfere Helden zur Hand, ergreifen Massnahmen. Damit alles wieder wird wie immer und wie es sich gehört. Sie leiten, ermutigen und mahnen uns. Und sie werden uns auch wieder zurück zur Normalität führen.

Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit (2Tim 1,7). Das Bibelwort aus dem zweiten Timotheusbrief ist seit Beginn der Corona-Zeit das Motto der Hilfestellung für die Kirchgemeinden zum Corona-Virus, die die Berner Kirche regelmässig nach den neusten Verlautbarungen des Bundesrates verschickt. Das inzwischen 50seitige Papier legt die BAG-Weisungen für die Situation in der Kirche aus. Im Text sind die Neuerungen freundlicherweise gelb markiert, so dann man nicht jedes Mal alles lesen muss.

 

Seit zehn Tagen also wissen wir, dass wir wieder «richtig» Gottesdienst feiern dürfen, im Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit und vor allem: mit Schutzkonzept.

 

Sie schützen sich vor dem Mitmenschen, der potentiell eine Gefahr ist für Sie. Ihr Name wird auf einer Liste festgehalten. Sie halten Abstand zu den Mitfeiernden und zur Pfarrerin. Dazu setzen Sie sich nur auf die markierten Plätze und meiden die gesperrten Bänke. Sie unterlassen das Singen, denn die durch das Singen ausgestossenen Aerosole verteilen das gefährliche Virus auf besonders effektive Weise. Keine Angst, es gibt nichts zu essen und zu trinken, nicht das kleinste Schlückchen Wein oder der winzigste Bissen Brot.

Und jetzt kann es losgehen: feiern Sie! Pfingsten!

Das Schutzkonzept bewahrt uns. Wovor sollen wir uns also noch fürchten?

 

Damals in Jerusalem.

Die Freunde und Freundinnen Jesu beisammen. Einige erinnern sich an das Wort Jesu zum Abschied: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samaria und bis an die Enden der Erde. (Apg 1,8)

Wie soll das gehen? Es fehlt doch die Kraft.

Was dann mit dem verzagten Häuflein Galiläer passiert, was ist das anderes, als dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt?

Ein Brausen vom Himmel, ein Tosen. Wie ein Sturm. Feuer und Geist. Sie reden in allen Sprachen. Die Leute strömen zusammen, sind fassungslos, ratlos. Was soll das? Auch peinlich ist es. Ob die wohl betrunken sind?

Nein, sagt Petrus, das ist es nicht. Und auch er findet mit dem Zitat aus dem Propheten Joel drastische Worte:

Petrus aber trat vor, zusammen mit den elfen, erhob seine Stimme und sprach:

Ihr Juden und all ihr Bewohner Jerusalems, dies sei euch kundgetan, vernehmt meine Worte!  

Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist doch erst die dritte Stunde des Tages.  

Nein, hier geschieht, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist:

Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da werde ich von meinem Geist ausgiessen über alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure jungen Männer werden Gesichte sehen, und eure Alten werden Träume träumen.

Und auch über meine Knechte und über meine Mägde werde ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgiessen, und sie werden weissagen. Wunder oben am Himmel werde ich wirken und Zeichen unten auf Erden: Blut und Feuer und qualmenden Rauch. Die Sonne wird Finsternis werden und der Mond Blut, ehe der grosse und herrliche Tag des Herrn kommt.

Und so wird es sein: Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.

 

Geist und Blut und Feuer und qualmender Rauch. Die Sonne finster, der Mond Blut.

Die Angst davor, der Himmel könne einem auf den Kopf fallen. Sie hat schon ihre Gründe. Beschaulich ist das nicht, das ist klar. Leben wird auf den Kopf gestellt. Da ist Zumutung und Herausforderung. Aber auch Kraft.

 

Liebe Gemeinde, ich kann keinen Hehl daraus machen: Mich ängstigt, dass ich mich vor meinem Mitmenschen schützen muss und Sie vor mir. Ich möchte nicht Abstand halten, sondern Ihnen die Hand geben, bei der Begrüssung Ihren Namen nennen, nicht auf einem Papier festhalten. Ich möchte Sie beieinander sehen. Ich bräuchte eine Nachbarin, die mir kräftig ins Ohr singt und die Gemeinschaft, die meinen Glauben beflügelt. Ich sehne mich nach der Stärkung durch das Liebesmahl, das uns verbindet mit Jesus, mit unseren Vorfahren im Glauben und miteinander.

Und darum kann ich an diesem Pfingstfest 2020 nicht anders als einstimmen in die alte Bitte: Veni Creator Spiritus! Komm, Schöpfergeist.

 

In einem schon etwas älteren Neuen Geistlichen Lied heisst es[1]:

 

Wenn der Himmel uns auf den Kopf fällt,

und ein Mensch mehr als alles Geld zählt,

wenn die Erde neue Frucht bringt

und ein Saatkorn durch den Beton dringt,

dann gehen wir dem Himmel entgegen und alle gehen mit.

 

Wenn die Nahrung für alle ausreicht

und ein Regen das Harte aufweicht,

wenn die Blinden wieder Land sehn,

und die Lahmen nicht mehr am Stock gehn.

Dann gehen wir dem Himmel entgegen und alle gehen mit.

 

Wenn ein Sommer Rosen blüh’n lässt,

und die Liebe Menschen glühen lässt,

wenn es Frieden gibt auf Erden,

und die Waffen verschrottet werden.

Dann gehen wir dem Himmel entgegen und alle gehen mit.

 

Wenn die Wüsten Gärten tragen,

und die Toten zu tanzen wagen,

wenn der Himmel uns auf den Kopf fällt,

und ein Mensch mehr als alles Geld zählt.

Dann gehen wir dem Himmel entgegen und alle gehen mit.

 

 

Im gallischen Dorf lebt Majestix, der Chef. Seine einzige Angst ist, dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt. Wenn uns der Himmel auf den Kopf fällt, ist alles aus, sagt er.

Wenn uns der Himmel auf den Kopf fällt, fängt alles erst an, sagen Christinnen und Christen.

Und darum hoffe ich, dass wir, wenn einer singen will, ihm bald das Maul nicht mehr stopfen müssen, sondern einstimmen können, und Geist und Atem strömen lassen: Komm, o komm, du Geist des Lebens![2]

Amen

 

[1] Text: Wolfgang Poeplau; Musik: Ludger Edelkötter. In: Troubadour für Gott. Neue Geistliche Lieder. Würzburg, 1999.

[2] RG 509

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