Was macht mich gesund?

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Was macht mich gesund?

Gottesdienst für den 8.S.n.Tr. – II – 2.8.2020 | Joh 9,1-12 | Suse Günther |

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

 

Joh 9,1-12

Jesus ging vorrüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. DA fragten ihn seine Jünger: Meister, wer hat gesündigt, er oder seine Eltern?

Jesus antwortete: Weder er noch  seine Eltern haben gesündigt, sondern es sollen die Werke Gottes an ihm offenbar werden. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist. Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.

Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. Und er sprach zu ihm: „Geh zum Teich Siloah – das heißt übersetzt ‚gesandt‘ und wasche Dich.

DA ging er hin und wusch sich und kam wieder.

Die Nachbarn und die, die ihn früher als Bettler gesehen hatten sprachen: Ist das nicht der Mann, der da saß und bettelte? Einige meinten: Ja, das ist er. Andere sagten, nein, der sieht ihm nur ähnlich.

Er selbst aber sprach: Ich bin es. Da fragten sie ihn: Wie sind deine Augen aufgetan worden? ER antwortete: Der Mensch, der Jesus heißt, machte einen Brei und strich ihn auf meine Augen und sagte: Geh zum Teich Siloah und wasch Dich.

DA ging ich hin und wusch ich und wurde sehend.

Da fragten sie ihn: Wo ist er?

Er antwortete: Ich weiß es nicht.

 

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

In Israel zur Zeit Jesu gehörten sie zum Alltag. Menschen, die durch seelische oder körperliche Krankheit keinem Beruf nachgehen konnten und sich ihren Lebensunterhalt also erbitten mussten.

Auch in unserem Straßenbild gibt es sie: Die Bettler und Bettlerinnen. Meist empfinden wir sie sie als störend.

Es gibt die aus Osteuropa, bei denen wir zurecht vermuten, dass sie zum Betteln gezwungen wurden. Es gibt die, die wir als Brüder der Landstraße bezeichnen – Menschen, die irgendwie nicht die Kurve bekommen haben. Es gibt die, die einmal ein ganz normales Leben hatten und durch irgendeine Sache den Boden unter den Füßen verloren haben.

ES gibt die, die schlicht durch unser soziales Netz gefallen sind. Körperlich und seelisch verletzte Menschen.

Künstler, die in diesem Jahr ganz ohne Einkommen auskommen müssen, treten in unseren Fußgängerzonen auf, so dass ich mir Brahms ungarische Tänze mal eben vor dem DM Markt anhören kann.

In Norddeutschland begegnete mir vor kurzem eine Seniorin, die mit ihrer Altflöte vor einer Buchhandlung sehr hörenswert  spielte. Ich hörte ihr eine Weile zu und fragte sie dann, für welchen Zweck sie spiele. Ihre Antwort: Ich bessere meine Rente auf, die hinten und vorne nicht ausreicht.

In der Gegenwart sehen wir auch eine ganz neue und große Gruppe von Menschen, die auf Almosen angewiesen sind, bisher nur im Fernsehen: In Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, leben inzwischen, durch Corona verarmt, ganze Familien auf der Straße.

Alle diese Menschen stören aus vielerlei Gründen. Aber besonders aus einem: Sie erinnern uns daran, wie zerbrechlich menschliches Leben ist. Wie schnell der Absturz kommen kann. Und dass es vielleicht auch uns treffen könnte.

Genau diese Angst bewegt die Jünger zu ihrer Frage an Jesus: „Wer ist schuld daran, er oder seine Eltern?“ Diese Frage nach der Schuld von Krankheit kommt uns so antiquiert vor, dass wir es ebenfalls gerne weit von uns weisen würden. Dabei stellen wir sie uns unbewusst doch selbst immer wieder, wenn wir Krankheit und Leid begegnen.

Wie konnte das passieren? Was hat der oder die falsch gemacht? Wir stellen uns diese Frage deshalb, weil es und dann möglich ist, das alles weit von uns zu weisen und unsere eigene Angst in Schach zu halten.

„Warum hat der Krebs? Der hatte ja mit Schadstoffen zu tun, das kann mir nicht passieren.“

Warum hatte die einen Herzinfarkt? Na, kein Wunder, sie hat sich ja auch nie bewegt.“

Warum haben die Streit in der Familie? Na, die haben sich ja auch nicht um ihre Kinder gekümmert, klar, dass das schief geht.“

Die Reihe lässt sich fortsetzen.

Wir stellen uns diese Frage nicht, weil wir so hartherzig wären. Sondern weil wir Angst haben.

Mit einfachen Antworten lassen sich Ängste manchmal bannen. Bis wir ihnen wieder begegnen.

Die Jünger haben Angst. Auch sie leben von der Hand in den Mund und am Rand der Gesellschaft. Deshalb fragen sie.

Auch die Fragen nach der Schuld der Eltern ist uns durchaus vertraut. Spätestens seit Siegmund Freud, beim aufmerksamen Lesen des alten Testamentes aber schon sehr viel früher, wissen wir, dass sich schlimme und unverarbeitete Erfahrungen über Generationen hin ihren Weg bahnen: Bis ins dritte und vierte Glied, so heißt es in der Bibel.

Und in der Aufarbeitung des zweiten Weltkrieges gibt es ganze Regalbretter voll von Literatur, die sich mit den Kindern und den Enkeln der Kriegskinder befasst.

Als Pfarrerin im Gemeindepfarramt klingelte fast täglich bei mir jemand mit der Bitte um ein Almosen, einer kam regelmäßig und bestand darauf, mir seinen Ausweis zu zeigen, bevor er mit der Bitte um Geld kam. Er wollte damit wohl beweisen, dass er ein ordentlicher Mensch sei. Ich habe mir deshalb den Ausweis, den ich ja schon kannte, jedesmal angesehen und jedes Mal sein Geburtsdatum gelesen: Dresden, 13.2.1945.

Wir wissen, dass Dresden in dieser Nacht in Schutt und Asche gelegt wurde. Und man kann sich seine Gedanken darüber machen, was es bedeutete, dort zu diesem Zeitpunkt geboren worden zu sein.

Ja, wer ist schuld?

Wir fragen so. Wir dürfen so fragen und unsre eigene Vergangenheit unter diesem Blickwinkel betrachten. Aber bringt es uns weiter?

Und was antwortet Jesus? NEIN

Jesus macht hier einen Schnitt. Er stoppt das Fragenkarussell. Schluss. Es ist völlig gleichgültig, warum eine oder einer in diese Lage gekommen ist. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu wühlen.

Die Frage, die Jesus stellt, ist eine andere: „Was kann ich jetzt tun? Wie kann ich jetzt und an diesem Menschen Gottes Willen befolgen. Wie kann ich hilfreich sein.

Jesus hilft. Er heilt. Er bringt Licht in die Welt. Nicht nur in die Welt dieses Blinden. Sondern in unser aller Welt. Jesus bringt Licht in die Welt, weil er selbst das Licht ist. Er richtet uns und unsere Fragen ganz neu aus.

Nicht mehr die Frage: Was hat mich krank gemacht?

Sondern die Frage: Was macht mich gesund, was hält mich gesund. Was brauche ich, was hilft mir, um gesund zu leben?

Vieles mag uns da einfallen. Ein mit anderen fühlendes Herz gehört sicherlich dazu. Einem Bettler ein Geldstück hinwerfen ist wohl ein erster Schritt. Ihn dabei ansehen ein zweiter. Einem Musiker auch zuhören und nicht gleich weiter rennen, ein dritter. Und wahrnehmen, dass wir hier ebenfalls beschenkt werden, ein vierter. Die Begegnung mit einem bittenden Menschen nicht als Hinabsehen auf jemanden empfinden, sondern auf Augenhöhe.

Nicht stöhnend, weil schon wieder jemand etwas von mir möchte, sondern dankbar, dass meine Lebensumstände ein Geldstück zulassen.

Das ist der Unterschied, den Jesus macht. Er sieht nicht auf Menschen herab, er sieht Menschen an. Dann ist Heilung möglich. Nicht nur der Blinde wird sehend. Auch die Jünger werden es. Sei begreifen neu, sie sehen. Wir sehen.

Das ist das ganz Besondere an Jesus: Er lehrt uns, die Welt mit neuen Augen sehen.

Was hält mich gesund? Eine wichtige Frage in diesen Tagen.

Was brauche ich, über Vorsicht und Abstand hinaus, um gesund zu bleiben?

Ich brauche den neuen Blick auf meine Mitmenschen. Die Fürsorge füreinander. Ein Anruf, ein Brief, vielleicht auch finanzielle Hilfe, Mitgefühl. Ich brauche die Dankbarkeit dafür, wie gut  mir das selbst tut.

Und ich brauche es, mein Leben in Gottes Hand zu legen.

Gott hilf mir, hilf uns allen auf dieser Welt, dass wir lernen zu sehen, worauf es ankommt. Gott, lass mich heil werden mit meinen berechtigten Ängsten. Mit meiner durch die Krankheit erzwungenen Lebeumstellung und vielleicht auch Einsamkeit.

Wer ist schuld an Corona? Wer hat gesündigt? Wir oder unsere Eltern? Bringt uns diese Frage weiter?

Stellen wir die Frage anders: Wer oder was heilt uns. Wie können wir miteinander leben heute und in Zukunft.

„Lebt die Werke Gottes, der mich gesandt hat“ so sagt Jesus. Mitten hinein in unsere zerrissene Welt, in unsere Ängste, in unsere Fragen öffnet er uns  die Augen. Wollten wir das, war es nicht einfacher, die Schuld bei anderen zu suchen, als uns selbst mit Jesus auf den Weg zu machen?

AMEN

de_DEDeutsch