Wasser und Wein…

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Wasser und Wein…

Wasser und Wein als Zeichen für Juden und Christen | Predigt zu Joh. 2,1–11 | verfasst von Dietz Lange | 

Liebe Gemeinde!

„Auf Hochzeit Hektoliter Wasser in Wein verwandelt! Bild sprach mit Zauberer“. Mit einer solchen Balkenüberschrift hätte unser größtes Boulevardblatt diese Geschichte vermarktet, wenn es damals schon existiert hätte. Der Reporter hätte Jesus bedrängt, ihm den Trick zu verraten, wie er das denn gemacht hätte. Und er hätte ihn gefragt, ob er nicht Sorge hätte, dass die Gäste sich fürchterlich betrinken und vielleicht sogar randalieren würden. Dazu hätte er selfies mit Jesus gemacht.

Verrückte Idee, auf diese Weise eine Predigt anzufangen, werden Sie denken. Sie haben Recht. Ich habe es trotzdem getan, um auf die so ganz andere Art aufmerksam zu machen, in der Johannes diese Geschichte erzählt. Der Evangelist, den wir Johannes nennen, war natürlich kein Reporter. Er lebte erst mehrere Jahrzehnte nach Jesus. Den Kern dieser Geschichte hatte er aus mündlicher Überlieferung, die er dann auf seine Art sehr frei gestaltet hat. Diese Art ist ganz anders, als es einer sensationsgierigen Zeitung gefallen würde. Wieso Maria zuerst da war, wieso Jesus mit seinen Jüngern zu einer privaten Feier außerhalb seiner Heimatstadt eingeladen wurde, darüber hören wir nichts. Und das, was uns als heutige Zeitungsleser besonders interessieren würde, wie denn die Verwandlung des Wassers in Wein vor sich gegangen sein soll, und wie die großen Mengen Alkohol auf die Gäste gewirkt hätten, auch davon keine Silbe. Das Einzige, was nach einer Sensation klingt, ist die riesige Menge Wein. Ein kluger Mensch hat einmal nachgerechnet, wie viel das denn gewesen sein müsste, und ist auf irgendwo zwischen 240 und 700 Litern gekommen. Das ist in der Tat gewaltig. Aber wenn man bedenkt, dass orientalische Hochzeiten damals riesige Veranstaltungen waren, die sich über mehrere Tage hinzogen, und dass jeweils das ganze Dorf und noch jede Menge auswärtige Verwandte und Freunde daran teilnahmen, dann klingt das schon anders.

Kurz: Johannes erzählt die Geschichte nicht, um unsere Neugier zu befriedigen. Er will auch nicht Jesus als großen Zauberer hinstellen. Er hat zwar sicher geglaubt, dass dies Ereignis sich wirklich zugetragen habe, was die meisten von uns modernen Menschen sich gar nicht vorstellen können. Aber das, worauf es ihm ankommt, ist etwas anderes. Man muss nur ein bisschen genauer hingucken.

Johannes schließt seine Erzählung mit dem Satz: Dies tat Jesus als das erste von seinen Zeichen. Es war der Auftakt zu seiner ganzen Wirksamkeit, sozusagen im Voraus eine Zusammenfassung von allem, was noch kommt. Ein Zeichen ist ein Hinweis. Worauf will der Evangelist mit seiner Erzählung hinweisen? Da braucht man nicht lange zu suchen. Denn eine Hochzeit ist in der Bibel ein Bild für das Reich Gottes, für Gottes Herrschaft. Jesus hat dieses Bild in seinen Gleichnissen immer wieder gebraucht. Eine Hochzeit ist ein fröhliches und ausgelassenes Fest. Sie ist im Idealfall der Beginn einer glücklichen Gemeinschaft von zwei Menschen, die sich lieben, für das ganze weitere Leben. Hochzeit als Gleichnis bedeutet die Freude darüber, dass Gott uns nahe ist, dass er von nun an unser ganzes weiteres Leben mit seiner Liebe bestimmen will. Ebenso gehört dazu, dass Gott uns miteinander verbindet, so wie das Ehepaar und die Gäste auf solch einer Feier.

Nun sagt uns aber die Erzählung, dass auf der Feier der Wein ausgegangen ist. Nur Wasser ist noch zu haben. Das beeinträchtigt die Laune der Gäste beträchtlich. Das verstehen wir sofort. Wasser trinken wir zwar durchaus, wenn nichts anderes da ist, weil zu wenig Flüssigkeit im Körper gefährlich für die Gesundheit ist. Aber wer möchte denn auf einem großen Fest Wasser trinken? Das ist eine verständliche Frage. Doch hier ist etwas anderes gemeint. Das Wasser sei nicht zum Trinken gedacht, sagt uns Johannes, sondern zur Reinigung der Hände vor dem Essen. Das tat man nicht bloß der Hygiene willen, sondern weil es die religiöse Sitte der Juden so vorschreibt. Das Wasser stellt also bloß die Vorbereitung zu dem Festmahl dar. Zu dem Hochzeitsessen selbst gehört der Wein. Dann bedeutet also das Wasser für die Händereinigung die jüdische Religion, der alle Menschen angehören, von denen hier die Rede ist. Sie bereitet den christlichen Glauben vor, der die Gabe Jesu, den Wein empfängt.  Der ist Wein ist also ein Sinnbild für die Ankündigung Jesu, dass mit ihm Gott den Menschen auf ganz neue Weise nahekommt.

Das klingt einfach, ist jedoch immer wieder missverstanden worden, nämlich so, als ob das Christentum die jüdische Religion – oder gar die jüdischen Menschen selbst – verdrängen und vernichten sollte. Wohin das führen kann, wissen gerade wir Deutschen aus unserer Geschichte nur allzu genau. Es sieht zwar so aus, als wollte Johannes in diese Richtung gehen. Wenn Jesus seine Mutter schroff zurechtweist, als sie ihn bittet, für Abhilfe zu sorgen, könnte einen das auf diese Spur bringen. „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen?“ klingt ja ziemlich unfreundlich. Man könnte es so verstehen: „Maria, du denkst, diese Feier solle noch in den Bahnen der alten Tradition verlaufen. Ich bin radikaler: Ich will dieser Tradition ein Ende bereiten.“ Aber das wäre ein grobes Missverständnis. Denn Jesus fügt hinzu: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Er will also nur sagen: Was ich jetzt – und in meiner ganzen Wirksamkeit von nun an – zu tun habe, das darf ich mir nur von Gott selbst sagen lassen.

Was ist das, was Gott ihm sagt und was er dann tut? Das ist die Verwandlung von Wasser in Wein. Also wenn das Wasser die religiöse Reinigungssitte des Judentums bezeichnet und der Wein die eigentliche Hauptsache der Feier, die neue Wirksamkeit Gottes durch Jesus, dann könnte man sagen: die Verwandlung des jüdischen Glaubens in den christlichen. Nicht seine Ersetzung durch das Christentum! Das Wasser wird ja nicht weggekippt, sondern verwandelt. Ohne Bild: Das Christentum entsteht aus dem Judentum, und es bewahrt dabei vieles, was den Juden heilig ist, als weiterhin gültig. Man braucht ja nur an unseren gemeinsamen Glauben zu denken, dass Gott uns Menschen und die ganze Welt geschaffen hat.

Nun ist da noch der Speisemeister, wie Luther übersetzt. Das ist hier sicher nicht der Koch, oder gar nur der Kellner, wie manche Ausleger gemeint haben. Dafür steht er mit dem Bräutigam auf viel zu vertrautem Fuß. Eher ist er einer der Gäste, der die Organisation übernommen hat und sich darum kümmert, dass alle Festteilnehmer immer gut versorgt sind. Dieser Mann lobt den neuen Wein als viel, viel besser als alles, was bisher serviert wurde, und er wundert sich, warum der Bräutigam den so lange zurückgehalten hat. Mit dieser Frage hört die Geschichte auf; auf eine Antwort warten wir vergebens. Auch diese Szene, mit der Johannes den Auftakt zu Jesu Wirken enden lässt, hat einen tieferen Sinn. Wein ist das, was die Menschen bei der Hochzeitsfeier so fröhlich macht – hier also, am Beginn von Jesu Mission, der ganze Inhalt seiner Botschaft an die Menschen. Was er zu sagen hat, ist demnach besser als alle Heilslehren, die andere Religionen zuvor in die Welt gebracht haben. Davon gab es schon viele vor Jesus; erst jetzt ist er gekommen. Am Ende dieser Geschichte steht also die Frage, warum Gott Jesus nicht schon viel früher gesandt hat. Dann hätte er den Menschen viele vergebliche Experimente erspart, und auch all die schrecklichen Glaubenskriege unserer Geschichte hätte es dann nicht gegeben. Über dieses Problem haben die alten Christen auch sonst manchmal nachgedacht, und einige haben auch eine Lösung versucht. Darauf kann ich jetzt nicht mehr eingehen. Das Johannesevangelium jedenfalls bietet keine Antwort an, sondern bricht an dieser Stelle abrupt ab. Das ist ein beredtes Schweigen. Es soll besagen: Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, warum Gott die Welt so regiert, wie er das tut. Wer bist du denn, Mensch, dass du Gott Vorwürfe machst, weil er nicht deinen oberschlauen menschlichen Vorstellungen gefolgt ist?  Freu dich doch lieber über das, was er dir geschenkt hat, und mach etwas Gutes daraus. Eine Hochzeit ist wie das erste „Zeichen“ Jesu ein Anfang. Sieh zu, dass nicht eine Scheidung darauf folgt, eine Scheidung von deinem Partner oder eine Scheidung von Jesus und damit von Gott selbst. Gott will, dass die Gemeinschaft, die mit der Hochzeit beginnt, ein Leben lang hält. Genauso dauerhaft soll die Freude über die Gemeinschaft mit Gott sein. Sie kann sogar die schweren Stunden ertragen helfen, die es in jedem Leben auch gibt.

Amen.

Prof. em. Dr. Dietz Lange

Insterburger Weg 1

D-37083 Göttingen

E-Mail: dietzclange@online.de

Dietz Lange, geb. 1933, 1977–1998 Professor für Systematische Theologie in Göttingen, seit 1988 ehrenamtlicher Prediger an St. Marien

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