Werdet wach und fangt an zu…

Werdet wach und fangt an zu…

Werdet wach und fangt an zu leben! | Jubilate 25.04.2021 | Predigt zu Apg 17,22-34 | verfasst von Udo Schmitt |

  1. Ein Fremder in der Stadt

Paulus ist durch Athen gegangen. Und es traf ihn wie ein Schlag. Was haben die hier alles rumstehen! An Götzen. Große und kleine. Gedrechselte, gekleidete, beschmückt und bemalt. In Gold und Marmor. Weiblich, männlich und halb Tier, mit Namen und auch den namenlosen und unbekannten Göttern haben sie einen Altar aufgestellt. Nur zur Sicherheit. Man weiß ja nie. Und bloß keinen vergessen! Das war die Angst des antiken Menschen: Bloß keinen Gott vergessen. Oder anders wie erzürnen und gegen mich aufbringen. Antike Götter konnten da sehr kleinlich sein und nachtragend. Und der „pursuit of happiness“, das Streben nach Glück hing davon ab, dass die Götter es gut mit einem meinten. Also besser allen opfern! Die Spenden gleichmäßig verteilen. Nicht alles auf eine Aktie setzen.

Die Pracht, die Farben hier – und das Befremden da. Das Befremden des Landeis in der großen Stadt. Das Befremden des ehemaligen Juden – obwohl… hätte er sich selbst so bezeichnet? Wie auch immer: Das Befremden eines Mannes, der mit dem Glauben an den einen unsichtbaren Gott aufgewachsen ist, und die Welt der Heiden da. Die Pracht, die schreienden Farben, die nur übertönen sollen, was dahinter steckt. Was sich verbirgt unter der bunten Vielfalt: die nackte Angst, etwas falsch zu machen und zu verpassen. Bloß keinen vergessen.

Paulus stellt sich auf einen öffentlichen Platz und beginnt eine Rede: „Ihr Männer von Athen hört mich an!“ Aber wie fängt man an? Am besten mit dem Offensichtlichen: „Ich sehe, dass ihr euch sehr für Religion interessiert, die vielen Altäre sind mir aufgefallen. Sogar für einen unbekannten Gott habt ihr einen Altar aufgestellt. Nun will ich euch sagen, wer der ist.“ – Der seltsame Fremde da will etwas über die Götter erzählen. Klingt interessant, obwohl… – er nimmt die Backen ganz schön voll. Aber man weiß ja nie, lass ihn mal!

  1. Ein Ab-Wendepunkt

Und nun macht Paulus drei Punkte: Gott, der Schöpfer allen Seins, lässt sich erstens nicht in Tempel einsperren. Er wohnt nicht darin. Gott, der Spender allen Lebens, ist zweitens nicht abhängig von den Menschen. Er braucht keine Opfer. Drittens aber hat er die Menschen nicht nur geschaffen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten. Sondern er ist ihnen auch nah. Einem jeden von uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir. Hier zitiert Paulus einen griechischen Autor und bis hierhin dürften ihm die Athener auch wohl gerne, wohlwollend gefolgt sein.

Nun aber kommt Paulus mit der eigentlichen Botschaft. „Nun aber“, das sagt Paulus nicht nur hier, sondern an mehreren Stellen. „Nun aber“, das ist seine feste Überzeugung, stehen wir an einem kritischen Punkt, an einem Wendepunkt des Weltgeschehens. Nun heißt es sich entscheiden. Für die Götzen, die falschen Götter, oder für Christus, den einzig Wahren. Ich fordere euch auf: Lasst die einen zurück! Werft sie weg! Und ergreift das Angebot des anderen. Den Glauben an die Auferstehung, die Auferweckung von den Toten.

Da lachten die einen, wendeten sich ab und gingen fort, die anderen taten es ebenso und meinten: Erzähl uns doch ein anderes Mal mehr davon! Und meinten es nicht ernst. Paulus ging auch fort, fort aus Athen. Er hatte dort nur wenig Erfolg gehabt. Dionysius, der eine aus dem Rat, wurde gläubig und eine Frau mit Namen Damaris, die andere. Und vielleicht noch ein paar andere auch. Aber viele waren es nicht.

  1. Alles offen…

Dionysos und Damaris, heute hießen sie vielleicht Toni und Tamara. Mehr nicht. In einer großen Stadt voller Menschen. So wenige. Und wir stehen in ihrer Nachfolge. Paulus ruft zur Entscheidung auf, er ruft in die Entscheidung. Jetzt oder nie! Hop oder top! Ein Ruf, der damals nicht gerne gehört wurde. Und auch heute nicht. Gerade heute. Gerade heute halten sich viele Menschen alles offen. Vermeiden die Festlegung. Möglichst lange.

Früher war fast alles fest vorgegeben: War dein Vater ein Bauer, dann wurdest auch du ein Bauer. Das eine Dorf war evangelisch, das andere katholisch. Hier durftest du heiraten, dort nicht. Schuster bleib bei deinen Leisten. Heute steht uns alles offen. Man kann in die Stadt ziehen, seinen Namen ändern, die Haarfarbe, die Religion, das Geschlecht, den Ernährungsstil, den Lebenspartner, den Fußballverein. Alles ist möglich. Egal. Mach, was du willst! Hauptsache, du wirst glücklich damit.

Aber. Aber, was soll ich denn wollen? Welche Entscheidung ist die richtige? Welche Aktie wirft Gewinn ab? Welcher Weg ist der Weg zum Glück? Bloß keine Chance verpassen! Denken sich heute viele. Und halten sich deshalb die Entscheidung für oder gegen etwas möglichst lange offen. Denn so lange ich mich nicht entscheide, steht mir ja noch alles offen. Ich habe noch alle Möglichkeiten. Theoretisch. Habe ich mich aber erst einmal entschieden, dann verengt sich der Weg. Die Kugel läuft in eine gewisse Richtung. Aber ist die die Richtige? Wer weiß? Und die anderen Richtungen stehen mir dann ja nicht mehr offen. Also zögere ich die Entscheidung möglichst lange hinaus.

  1. …oder nicht ganz dicht?

Niemals erwachsen werden. Immer jugendlich bleiben. Mit 40 Jahren als Mann noch nicht zu Hause ausgezogen, von Mutter bekocht werden. Als Frau mit 60 doch noch ein Kind kriegen, weil vorher keine Zeit dafür war und es heute denkbar. Und man liest es ja mal hier und da von der einen oder anderen Schauspielerin, die dann doch… Egal. Mach, was du willst! Hauptsache, du wirst glücklich damit. Alles scheint möglich.

Nun aber, ruft Paulus, entscheidet euch! Verlasst eure Spielsachen, lasst all den Quatsch und den Kram, mit dem ihr euch umgebt. Die Spinnereien, denen ihr nachhängt. Kill your idols! Und wendet euch dem einzig wahren Gott zu. Vertraut ihm. Vertraut dem Leben, das er uns schenkt durch Christus. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Bloß keinen Gott vergessen, das war die Angst des antiken Menschen. Bloß keine Chance verpassen! Das ist die Angst des Menschen von heute. Nichts auslassen. Alles mitnehmen. Und sich deshalb erstmal alles offen halten. Das ist der „pursuit of happiness“ heute. Das Streben nach Glück hängt davon ab, sich möglichst lange in der spätpubertären Kuschel-Comfort- und Wohlfühlzone aufzuhalten, in der alle Räume offen, alle Träume möglich scheinen. Und vielleicht werde ich eines Tages ja doch noch berühmt und ein Star, den alle Welt kennt. Eines Tages hinterm Regenbogen…

  1. Werdet wach und fangt an zu leben!

Werdet wach! Werdet erwachsen! Gott wartet auf euch. Wahrscheinlich ist er ja geduldig. Sehr geduldig sogar, schließlich gehört ihm ja die Ewigkeit. Aber vielleicht wartet er nicht ewig. ER hat Zeit, das ja. Aber habt ihr sie? Wirklich? Habt ihr so viel Zeit zu säumen und zu träumen? Das Leben mit Erwägungen und Vertröstungen zu vertrödeln. Später. Vielleicht. Mal sehen. Erzähl uns doch ein anderes Mal mehr davon. Später.

Nein. Jetzt ist die Zeit. Jetzt ist die Stunde. Jetzt oder nie. – Aber wie?

Nun. So schwer kann es nicht sein. Er hat euch Menschen ja geschaffen, damit ihr ihn, Gott, suchen sollt, ob ihr ihn wohl fühlen und finden könnt. Er ist nicht fern. Er ist den Menschen nahe. Einem jeden von uns. Denn durch ihn leben wir, von ihm leben wir, in ihm leben, weben und sind wir. Fangt an ihm zu vertrauen. Vertrauen ist ein Anfang. Fangt an, diesen Weg zu gehen. Und der Rest wird sich finden. ER lässt sich von euch finden. Das will er ja. Sucht nach seinen Spuren und ihr werdet sie entdecken. In eurem Leben. Vielleicht heute schon. Werdet wach und fangt an zu leben!

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Liedvorschläge:

Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde (Erdentöne-Himmelsklang 139)

Gott gab uns Atem, damit wir leben (EG 432)

Nun aufwärts froh den Blick gewandt (EG 394)

Aufstehn, losgehn, Schritte wagen (Himmel und Erde 309)

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Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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