Wo Er uns begegnet

Wo Er uns begegnet

Osternacht | 4. April 2021 | Predigt zu Matthäus 28,1-10 | verfasst von Rudolf Rengstorf |

 Als der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.  Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.

 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.

Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.  Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen. (Matthäus 28,1-10)

Liebe Leserin, lieber Leser!

Über kein anderes Ereignis werden in der Bibel so viele Geschichten erzählt wie über Ostern. In jedem Evangelium finden sich mindestens zwei Ostergeschichten. Und keine ist so wie die andere.

Bei Karfreitag ist das ganz anders. Da wird von allen vier Evangelisten fast wie aus einem Munde berichtet. Nirgendwo sonst stimmen sie so überein wie bei der Erzählung von der Kreuzigung. Und auch Historiker geben zu, dass die Evangelisten in diesem Punkt recht zuverlässig sind.

Ostern hingegen macht auch den gutwilligsten Historiker ratlos. Von vielfachen Erscheinungen Jesu wird da erzählt, die sich durchaus nicht auf einen Nenner bringen lassen. Einerseits – heißt es – ging der Auferstandene offenbar körperlos durch geschlossene Türen. Andererseits konnte Thomas seinen Leib sogar betasten, und andere aßen mit ihm. Wie reimt sich das zusammen?

Imd dann gibt es obendrein noch die Erzählungen von Frauen am leeren Grab. Und dass Frauen viel reden, wenn der Tag lang ist und man davon höchstens die Hälfte glauben kann, davon waren die Männer schon damals überzeugt. Frauen also sollen das leere Grab entdeckt haben, und jeder Evangelist beschreibt das anders. Bei Markus ist die Geschichte noch recht schlicht. Bei Matthäus – Sie haben es eben gelesen – ist sie voll wunderhafter Züge. Da erbebt die Erde, ein Engel steigt vom Himmel, die Wächter fallen in Ohmacht. Und am Schluss erscheint der Auferstandene selbst.

Man sollte meinen, wir Christen hätten es leichter, wenn es von Ostern nur eine Geschichte gäbe. Eine Geschichte, die sich mit historisch nachweisbaren Tatsachen deckt, möglichst von den damaligen Behörden noch beglaubigt. Etwa so: „Hiermit bestätige ich, dass am ersten Tag der Woche nach dem Passahfest im 17. Regierungsjahr von Kaiser Tiberius der zwei Tage zuvor gekreuzigte und vom Leben zum Tod gebrachte Jesus von Nazareth um 4:30 Uhr oströmischer Zeit vor den Augen der von mir bestellten Grabeswächter aus dem Grab gestiegen ist. Nach seinem Auftreten vor dem Volk auf dem Marktplatz ist er in meiner Residenz erschienen, um sein Leben von mir beglaubigen zu lassen.  Gezeichnet und gesiegelt von Pontius Pilatus, römischer Statthalter in Jerusalem.“

Aber offenbar hatte Gott kein Interesse daran, Ostern auf diese Weise zu Protokoll zu geben, wie er sich ja überhaupt allem Feststellen und Festhalten-Wollen entzieht. Und ich kann nur sagen: Alle Achtung vor den Evangelisten und denen, die ihre Berichte im Neuen Testament zusammengestellt haben, alle Achtung davor, dass sie der Versuchung widerstanden haben, uns ein Protokoll- oder Polizeibericht-Ostern vorzumachen. Das hat wohl damit zu tun, dass sie Ostern nicht als eine Tatsache der Vergangenheit erlebt haben, sondern als quicklebendige und fortdauernde Wirklichkeit. Als eine Wirklichkeit, die nicht zur Kenntnis genommen und abgehakt, sondern beherzigt werden und weiterwirken will.

Als Tatsache feststellbar ist Jesu Tod am Karfreitag. Sein Leben aber ist nicht zu fassen, weil es voller Bewegung ist und in Bewegung bringt.  Und deshalb kommt es den Ostergeschichten darauf an, die Hörerinnen und Hörer mit hineinzunehmen in das Leben des Auferstandenen, immer wieder anders. Und so lassen Sie die heutige Ostergeschichte noch einmal auf sich  zukommen und sich  auswirken.

Frauen gehen zum Grab Jesu. Gegenüber den Männern mit den starken Sprüchen haben sie sich als die anhänglichsten Nachfolger Jesu erwiesen. Und das wohl nicht nur damals, sondern durch die ganze lange Geschichte des Christentums hindurch. Sicher, das Sagen hatten immer die Männer, aber dass die Geschichten vom Herrn Jesus den Menschen lieb geworden sind, daran hatten die Mütter den entscheidenden Anteil.

Jetzt nach dem Tode Jesu wollten sie durch die Pflege des Grabes dafür sorgen, dass er nicht in Vergessenheit geriet und die Verbindung, die Hinterbliebene noch heute an den Gräbern ihrer Lieben empfinden, erhalten blieb. Erstaunlich vieles bleibt von einem Gestorbenen in der Trauer der Hinterbliebenen bewahrt. Aber spätestens mit deren Tod wird es dann auch ganz ruhig um ihn. Das Weiterleben in Erinnerungen hat seine Zeit und endet meist sehr viel schneller, als in Nachrufen zugesichert wird..

Bei diesem Grab aber ist alles anders, ja genau umgekehrt. Die Frauen wollen dem Toten noch etwas von ihrem Leben abgeben. Und da erleben sie: Unter den Toten ist er nicht mehr zu finden. Er hat den Tod hinter sich, und er wird ihnen von neuem begegnen, um sie in sein Leben mit hineinzuziehen. Wo sie ihm nachtrauern wollen. da kommt er ihnen entgegen.  Wo sie innehalten wollen, um dem Toten noch etwas Raum in ihrem Leben zu geben, da werden ihnen Beine gemacht, dass sie von seinem Leben etwas mitbekommen. Das stellt doch alles auf den Kopf! Und da sollte die Erde nicht beben? Und das soll nicht wie eine wunderbare Erscheinung vom Himmel wirken? Ja, als was denn sonst? Wenn die Erde einen Toten nicht festhalten kann? Und da sollten  die Grabwächter nicht  stumm und dumm und starr werden, wo  Frauen aufgeht, dass  ihr Jesus unter den Toten nicht zu finden ist? Ist da nicht auch ein Lachen zu hören angesichts der Ohnmacht eines bewaffneten Haufens, der ausgezogen ist, um möglichen Gerüchten über eine Auferstehung einen Riegel vorzuschieben. Werden hier nicht alle Gewaltregimes mitverlacht, die den Christen im Laufe der Geschichte zwar Angst und Schrecken eingejagt haben und es immer noch tun, die aber doch ganz machtlos dagegen waren und sind, dass Christus sich viel lebendiger erweist als alle ihn totsagenden Herrschaften?

Also, unter den Toten ist Jesus nicht zu finden, so die Entdeckung der Frauen. Und diese Geschichte  wird auch deshalb weiter erzählt, damit wir aufhören, ihn unter den Toten zu  suchen oder ihn dort  zu lassen nach der Devise: ‚Er war ein vorbildlicher Mensch, Mehr aber auch nicht._ Ostern betont:  Er ist mehr, weil er anders als alle anderen nicht im Tode geblieben ist. Aber wo, bitteschön, ist der Auferstandene zu finden? Nun, genau darauf wollen die Ostergeschichten hinaus, uns Augen und Herzen dafür zu öffnen, wo er uns begegnet.  „Er geht vor euch hin nach Galiläa, da werdet ihr ihn sehen!“

Also in Galiläa, wo sie herkommen, wo sie Jesus kennengelernt haben, wo sie sich auskennen und ihr Leben zu bestehen haben. Der Auferstandene begegnet seinen Leuten  also nicht an besonders bedeutsamen  Orten oder in heiligen Räumen, nicht  zu besonderen Festzeiten. Ostern schickt zurück in das alte Leben mit dem bekannten Jesus.

„Und sie gingen eilend vom Grabe mit Furcht und großer Freude“ – nicht voll großer neuer Erkenntnisse, aber mit einem in Bewegung geratenen Herzen. Voller Freude darüber, dass Jesus nicht tot geblieben ist und Christen keine Denkmalspfleger Jesu sein müssen. Freilich, Jesus in meinem gewohnten Leben vor mir zu haben, das kann auch ganz schön ungemütlich werden, kann sich durchaus als Zumutung erweisen.  In jedem Fall ist es beruhigender, ihn zurücklassen zu können oder ihn in sicherer Verwahrung der Kirche zu wissen. Ihn vor mir haben in meinem alltäglichen Leben, bin ich dem wirklich gewachsen?

In diese durchaus berechtigte Furcht seiner Anhängerinnen hinein tritt Jesus mit der entlastenden Zusage: „Fürchtet euch nicht!“ Er schickt sie zu seinen Jüngern, die ihn verleugnet und verlassen haben und erklärt diese ausdrücklich zu seinen Brüdern.

Das gehört zu Ostern genauso wie der Sieg über den Tod, dass Jesus sich hinwegsetzt über das Versagen seiner Leute und sie nicht im Schatten des Todes belässt, in dem es raunt und wispert: Ich bin doch viel zu unbedeutend für ihn, viel zu unzuverlässig, habe zu viel Zweifel, um wirklich  mit ihm leben zu können. Er traut uns das zu, ihm zu begegnen und ihm zu folgen.

Wie,  und wo? So wie wir ihn kennen. In den vielen Gestalten der Liebe, die sich dem Leben verschreibt. Da ist Ostern schon lange im Gange. Kommt, lässt es uns nicht verpassen! Amen.

Der Autor war Gemeindepastor, Hörfunkbeauftragter beim NDR und Superintendent in Stade.

Der Ruheständler  ist Vorsitzender Hildesheimer Blindenmission e.V.

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