Wunder, Wasser, Wein

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Wunder, Wasser, Wein

Predigt über Joh 2, 1-11 | verfasst von Dörte Gebhard | 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus.                                                                                                 Amen.

Liebe Gemeinde

Nicht einmal Abendmahl ist derzeit möglich,

ist da eine Predigt über ein Weinwunder nötig?

Selbst Kirchenkaffee im mittelgrossen Kreis ist abgesagt,

ist da das Partygeflüster von einer grösseren Hochzeitsfete angesagt?

Wenn wir sogar das gemeinsame Singen lassen müssen,

soll da Partymusik durch die Kirche tönen?

Es geht aber um mehr als das Nötige.

Es geht sogar um mehr als das Mögliche.

Es geht um das Gute von Gott.

Davon gibt es immer mehr als genug.

Darum hören wir in diesem Gottesdienst nicht nur Partysound, sondern aus dem Johannesevangelium (Joh 2, 1-11 aus der Zürcher Bibel) über die Hochzeit in Kana:

Die Hochzeit in Kana

1 Und am dritten Tag war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war dort. 2 Aber auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit geladen. 3 Und als der Wein ausging, sagt die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. 4 Und Jesus sagt zu ihr: Was hat das mit dir und mir zu tun, Frau? Meine Stunde ist noch nicht da.

5 Seine Mutter sagt zu den Dienern: Was immer er euch sagt, das tut. 6 Es standen dort aber sechs steinerne Wasserkrüge, wie es die Reinigungsvorschriften der Juden verlangen, die fassten je zwei bis drei Mass.

7 Jesus sagt zu ihnen: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis oben. 8 Und er sagt zu ihnen: Schöpft jetzt und bringt dem Speisemeister davon. Und sie brachten es. 9 Als aber der Speisemeister das Wasser kostete, das zu Wein geworden war, und nicht wusste, woher es war – die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wussten es -, da ruft der Speisemeister den Bräutigam 10 und sagt zu ihm: Jedermann setzt zuerst den guten Wein vor, und wenn sie betrunken sind, den schlechteren. Du hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten.

11 Das tat Jesus als Anfang der Zeichen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn.

I

Liebe Gemeinde

Sie haben keinen Wein …

Das scheint ihr Problem zu sein. Aber in Wirklichkeit gehen die grossen Wunder in dieser Geschichte schon mit diesen Worten los.

Wie diskret die Mutter Jesu das sagt! Nur zu ihrem Sohn, sie hängt es nicht an die grosse Glocke. Ob sie noch total nüchtern war?

Sie haben keinen Wein … Weiter nichts.

Die Frau nennt keine Schuldigen. Sie nennt gar keine Namen. Es ist eh’ peinlich, wenn man Gäste nicht richtig bewirten kann. Aber es muss hier kein Sündenbock gefunden und überliefert werden. Damit er tausend Tode stirbt, so oft jemand die Geschichte erzählt oder hört oder liest.

Hier ist unser Glaube an Wunder schon gefragt. Es gibt sie wirklich, auch wenn wir nicht immer davon überzeugt sind: Lösungen für Schwierigkeiten – ohne vorher die Schuldigen zu suchen. Man kann peinliche Momente beenden und vorübergehen lassen, ohne sie heraus zu posaunen, ohne sie auf insta zu posten, ohne sie damit noch peinlicher zu machen.

Es ist wahr: Man muss sich nicht jedesmal die Mühe machen, festzustellen, wer ganz genau schuld ist an einer Misere.

Was ist das Schönste an diesem ersten Wunder? Wir können es Jesus leicht nachmachen! Es ginge ungefähr so:

Vielleicht ist der Bräutigam ein kleiner Tölpel, das geht mich aber nichts an! Oder die Schwiegermutter hat es nicht richtig berechnet, aber ich bin nicht verpflichtet, mich darüber aufzuregen. Es wird auch nicht meine Schwiegermutter. Oder die Gäste haben für einmal tiefer als erwartet in die Gläser geschaut, mag auch sein.

Oder es geht so:

Eine Bestellung ist vergessen gegangen, ich denke jetzt dran und kümmere mich in genau der Zeit darum, in der ich sonst ein Rundmail geschrieben hätte, um herauszufinden, wer zuständig gewesen wäre, eigentlich, in der Zeit, in der ich herumtelefoniert hätte, um zu erfahren, wo es untergegangen ist, ehe es jetzt wiederauftauchte. Das hat Vorteile; es ist dann gemacht und parat, wenn es gebraucht wird.

Es wäre wunderbar, wenn viele mitmachten beim Problemlösen ohne vorher Schuldige zu suchen. Das war das erste Wunder, das zweite folgt sogleich.

II

Sie haben keinen Wein mehr.

Seit gut 13 Jahren lebe ich in der Schweiz und kann es mir nicht verkneifen, bei diesem Satz noch etwas anderes zu denken.

Denn ich habe es inzwischen sehr verinnerlicht:

«S’hett solang’s hett!»

Dazu leicht mit den Schultern zucken.

Ziemlich unerbittlich gucken.

Etwas seufzen und nochmals wiederholen:

«S’hett solang’s hett!»

Aber diesen Spruch kann die Mutter Jesu nicht kennen, sie ist keine reformierte Schweizerin gewesen, sondern war als Orientalin sicher mit rauschenden Festen bestens vertraut. Diese Weisheit stimmt nur hier, auf keinen Fall da. Bei manchen Neutestamentlern ist von Festivitäten die Rede, die sieben Tage dauern konnten. Das übersteigt eigentlich meine Vorstellungskraft.

«Einisch isch fertig …»

Sie haben also keinen Wein mehr und meine nächste, ironische Regung war: Dann möchte ich gern einen Moment ihre Sorgen haben und die aktuellen Probleme der Welt für einen kleinen Augenblick tauschen.

Das zweite Wunder in der Geschichte ist für uns leicht zu überlesen: Jesus sagt zu ihnen: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis oben.

Sie haben also reichlich Wasser, ungefähr 600-700 Liter, je nachdem, wie gross die sechs Krüge waren.

Aber ich muss an alle Menschen denken, die täglich darauf warten, dass sich irgendetwas in Wasser verwandelt, vor allem in Trinkwasser, das erreichbar ist und nicht krank macht. Menschen warten auf «Verwandlung» von Salz- in Süsswasser, von schmutzigem in gereinigtes Wasser, von einer ausgetrockneten Wasserstelle in einen neuen, tieferen Brunnen, von dürrem Boden in fruchtbares Land …

2,2 Milliarden Menschen weltweit haben keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser, teilt unicef mit. Eine unfassbare Zahl, ich kann sie mir nicht wirklich vorstellen.[1] Wasser sollte «sicher» sein, sonst breiten sich vermeidbare, aber tödliche Krankheiten rasant aus.

Dauernd die Hände waschen müssen ist lästig, aber überhaupt die Hände waschen können ist Luxus!

Laut UN verfügt jedes vierte Krankenhaus weltweit über kein fliessendes Wasser und keine Seife zum Händewaschen. 21% haben nicht einmal einfachen Toiletten. Wohlgemerkt: Die Rede ist nicht von irgendwelchen Behausungen, von Notunterkünften, von Hütten und Zelten, sondern von Spitälern!

Unicef berichtet von jungen Mädchen in abgelegenen Regionen Äthiopiens, die täglich bis zu acht Stunden zu Fuss gehen, um für ihre Familie wenige Liter Trinkwasser zu holen. Zeit für Schule bleibt dann keine, so etwas wie Kindheit findet gar nicht statt.

Sehnsucht nach noch mehr Wein haben sie wohl nicht; genügend Wasser wäre Wunder genug!

Auch beim zweiten Wunder, dass es genügend Wasser hat, können wir wenigstens mitwirken. Unsere Gemeinde unterstützt mit ihrem Gemeindehilfsprojekt via mission21 und eine einheimische Partnerorganisation in einer sehr abgelegenen Region von Bolivien Kleinbäuerinnen und -bauern. Sie müssen sich gegenwärtig zusätzlich zu allen anderen Sorgen auch auf den Klimawandel einstellen.

Für viele Menschen auf der Welt wären wohl bis hierher genug Wunder geschehen: Probleme lösen ohne Schuldige zu suchen und gefüllte Wasserkrüge haben, bis oben.

III

Aber aller guten Dinge und Wunder sind drei. Die Geschichte geht weiter, auf dass der Wein erfreue des Menschen Herz (vgl. Psalm 104, 15). Denn der Wein fliesst schliesslich reichlich und gut, beeindruckend und glaubwürdig für die jungen Jünger Jesu.

Was sie wohl beim Blauen Kreuz dazu sagen? Auch diese Frage konnte ich nicht unterdrücken.

Das Blaue Kreuz setzt sich seit 1877 für Suchtkranke ein und engagiert sich seither auch in der Prävention von Alkoholmissbrauch.

Das Blaue Kreuz Schweiz wirbt gerade jetzt, nach dem Jahreswechsel, dafür, an der weltweiten Bewegung teilzunehmen und empfiehlt:

«Trocken durch den Januar rocken»[2].

Die Challenge wird witzig beworben, beeindruckend und glaubwürdig für junge Leute heute

Und das Blaue Kreuz warnt vor den Nebenwirkungen im trockenen Januar:

  • Mehr Energie
  • Besserer Schlaf
  • Mehr Geld auf dem Konto
  • Weniger Kilos auf der Waage.

Das Blaue Kreuz ist eine äusserst bunte Truppe; Junge, Alte, Strenge und Gemässigte – alle gehören dazu, wie bei den ChristInnen insgesamt auch. Es ist sehr gut, dass sie so viele Verschiedene sind. Sie werden alle gebraucht, denn jede fünfte Person in der Schweiz trinkt missbräuchlich Alkohol, das heisst regelmässig oder sporadisch zu viel, zu oft oder zur falschen Zeit. Eine Viertelmillion Menschen hierzulande sind alkoholabhängig.

Einige wenige vom Blauen Kreuz habe ich persönlich zum Weinwunder in Kana gefragt. Die einen vermuteten, es sei in Kana auch nur Saft gewesen. Die anderen fanden, auf keinen Fall, denn den Saft hätte man ja gar nicht haltbar machen können. Wieder andere sagen, für Saft und Wein habe es nur ein einziges Wort gegeben – und der Übergang zwischen den beiden Getränken sei wohl ziemlich «fliessend» gewesen, noch dazu bei Hitze.

Die einen finden, man solle überhaupt keinen Alkohol trinken – sehr nachvollziehbar im Blick auf die grosse Zahl von Suchtkranken, um die es bei der Hochzeit zu Kana aber nicht geht. Die anderen legen Wert auf das rechte Mass und meinen, bei Hochzeiten ist es etwas ganz anderes als regelmässig, im Alltag und womöglich allein zu trinken, aus Frust und Einsamkeit.

Eine Frau, die sich beim Blauen Kreuz schon Jahrzehnte engagiert, schreibt: «Es war ganz bestimmt Wein. … Dieser ‘Anfang der Zeichen Jesu’ zeigt mir einen Jesus, der es gut meint mit uns. Er gönnt uns das Allerbeste – nicht nur Wasser – den allerbesten Wein. … Jesus kann helfen, immer! … Die Geschichte zeigt mir einen Jesus, der die Menschen liebt, der ihnen etwas Gutes gönnt, der Humor hat und kein Spielverderber ist.» Und: «Es gibt ja noch so viele ‘alkoholfreie’ Wundertaten Jesu.»

Was ist das Beste am dritten Wunder, Wasser in Wein zu verwandeln, für uns? Wir können es nicht so leicht nachmachen, wir müssen eben doch erst einen Weinstock anpflanzen, ein paar Jahre giessen, hacken, jäten und können erst dann ernten, keltern und geniessen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich dieses dritte Wunder für meinen Glauben am wenigsten nötig.

Ausserdem sind wir mit den anderen zwei Wundern, dem Vergeben und dem Vergessen nach Schuldigen zu suchen und für alle für volle Wasserkrüge, bis oben, zu sorgen, wohl noch ein Weilchen vollauf beschäftigt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, stärke und bewahre dabei unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.                                     Amen.

Pfarrerin Dörte Gebhard, Schöftland

Mail: doerte.gebhard@web.de

[1]  Vgl. zum Thema „Wasser ist ein Wunder“: www.unicef.de, Stichwort: Weltwassertag 2020 – 10 Fakten über Wasser, abgerufen am 7. 1. 2021.

[2] Vgl. Dry January CH auf facebook oder instagram; dort auch die flotten Sprüche zur Kampagne.

de_DEDeutsch