Johannes 4,46-53

Johannes 4,46-53

Das Zeichen ist der Grund des Glaubens | 21. Sonntag nach Trinitatis | 24.10.21 | Johannes 4,46-53 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Margrethe Dahlerup Koch |

Mir hat noch niemand erklärt, warum die Leute in dem Dorf Tim, wo ich früher gewohnt habe, wenn sie in die nächste Stadt Holstebro wollen, sagen, dass sie „runter nach Holstebro“ wollen. Obwohl sie sich nach Norden bewegen und zwischen den beiden Orten kein Höhenunterschied existiert, so liegt Holstebro also im Bewusstsein im Verhältnis zu Tim „unten“.

Man geht auch von Kana „runter“ nach Kapernaum. Der königliche Beamte, von dem wir gerade gehört haben, ist nach Kana gekommen, um Jesus zu bitten, da „hinab“ zu kommen, erzählt Johannes. Hinab nach Kapernaum, wo der Sohn des Beamten im Sterben liegt. Und so wie es von großem lokalem Selbstbewusstsein zeugt, dass man in einem kleinen Dorf die nördliche Stadt „unten“ ansiedelt, so sagt es auch etwas über Kapernaum, dass man sich offenbar hinab begeben muss, um dahin zu kommen. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass da tatsächlich ein Höhenunterschied von 300 Metern zwischen Kana und Kapernaum besteht. Das ist etwas anderes als eine geographische Information, um die es geht. Es handelt sich darum, dass beide Orte zwei unterschiedliche Zustände repräsentieren. In Kana verwandelte Jesus Wasser in Wein, erzählt Johannes einleitend. In Kapernaum befindet sich ein Junge, der im Sterben liegt. Kana ist der Ort des Lebens und des Wunders, wo der Sohn Gottes ist. Kapernaum ist ein Ort des Todes und der Verzweiflung, wo sich der Sohn des königlichen Beamten befindet. Deshalb muss man hinab, und deshalb ist man unten, ganz unten am Boden, wenn man in Kapernaum ist.

Und deshalb muss man Zeichen und Wunder sehen um zu glauben, wenn man von dort unten kommt.

„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht“, sagt Jesus zu dem königlichen Beamten, der Jesus darum bittet, seinen Sohn zu heilen. Wenn Jesus so etwas in den anderen Evangelien sagt, bei Markus, Matthäus und Lukas, dann ist das immer in einem irritierten, vorwurfsvollen Ton gesagt – und immer an Pharisäer und Schriftgelehrte gerichtet. Als eine Zurechtweisung und als Protest dagegen, ein unterhaltsamer Wundertäter zu sein. Aber hier ist es Johannes, der erzählt. Und der hat eine ganz anders positive Sicht auf das Wort „Zeichen“. Wenn Jesus sagt, dass es ohne Zeichen und Wunder keinen Glauben gibt, dann ist das nicht als saurer, zorniger oder unwilliger Vorwurf gemeint. Im Gegenteil. Jesus wirft dem angstvollen, verzweifelten Vater nicht etwas vor. Es ist eine der entscheidenden Pointen im Johannesevangelium, dass Glaube Zeichen braucht.  Und deshalb schließt das heutige Evangelium auch mit der Feststellung, dass das Wunder und das Zeichen, die Heilung des Jungen, die Ursache dafür wird, dass der Vater und sein ganzer Hausstand zum Glauben kamen.

Glaube setzt voraus, dass wir etwas sehen und erfahren. Und das tut der Glaube, weil wir nur an das und an den glauben können, die glaubwürdig sind.

Man kann nicht blind glauben. Wenn Menschen das dennoch versuchen, werden wir zu Henkern. Das hat die Geschichte gezeigt, und das zeigt sich noch immer überall nah und fern in der Welt, wo der Fundamentalismus Leib und Seele beherrscht. Ob das nun Fundamentalismus in islamischer, jüdischer, christlicher oder kommunistischer Ausgabe ist. Menschen, die blind glauben, gehorchen auch blind. Deshalb tun sie dann das Werk des Teufels.

Glaube braucht Zeichen. Damit Glaube in uns entstehen kann, müssen wir etwas oder jemanden sehen und hören und erfahren, etwas oder jemanden, die glaubwürdig sind. Das Zeichen ist der Grund des Glaubens.

So ist es zwischen Menschen. Man glaubt nicht von dem geliebt zu werden, von dem man nie ein Zeichen der Liebe empfangen hat.

Wenn ein Mensch keine Lebens-Zeichen von sich gibt, sehen wir keinen Grund, daran zu glauben, dass der Betreffende am Leben ist. Wenn der Politiker bzw. die Politikerin nicht glaub-würdig auftritt, besteht kein Grund, daran zu glauben, was er bzw. sie sagt, und dann wählen wir jemand anderen.

Der Glaube ist kurz gesagt nicht etwas, was wir selbst wählen, sondern etwas, was andere in uns hervorrufen. Der Glaube entsteht in uns, wenn wir einen Grund sehen zu glauben.

So ist es, wenn wir an einander glauben, und so ist es, wenn wir an Gott glauben. Wir können und sollen nicht blind an Gott glauben. Deshalb, so beginnt Johannes sein Evangelium, „wurde das Wort, das Gott ist, Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit“. Gott gab sich zu erkennen, ließ sich sehen, und Gott zeigte sich glaub-würdig, indem er zur Weihnacht Mensch wurde in einer Ecke des mächtigen Weltreichs von Augustus. Gott gab ein Lebenszeichen von sich und ein Zeichen der Liebe in Jesus. Jesus ist das Kenn-Zeichen Gottes. Jesus ist der Grund dafür, dass wir glauben können, dass Gott barmherzig ist, gegenwärtig, fordernd. Denn das war Jesus, und wo er war, entstand das Leben, das sonst gestorben wäre; da kamen die Menschen wieder zu Kräften, das zu tragen, an dem sie nun einmal zu tragen hatten; und wo Jesus war, erhielten Unwürdige wieder ihre Würde.

Gott ist nicht der unbekannte Faktor in der komplizierten und unberechenbaren Gleichung des Daseins. Gott ist keine Stimmung, nicht ein Gefühl oder ein innerer friedvoller Zustand. Gott ist nicht anonym. Wir können Gott an Jesus erkennen. Wir können Gott an den Worten und Zeichen und Wundern erkennen, die Jesus tat. Wir können Gott überall wiedererkennen, wo die Worte, Zeichen und Wunder wieder geschehen. Überall, wo Schwache Stärke erhalten. Wenn die phantasievolle, tüchtige Pflegerin in dem ansonsten verwirrten oder verschlossenen Blick des Dementen die Freude des Wiedererkennens weckt. Wenn der Suchende das geduldige und aufrichtige Mitgefühl eines anderen Menschen erlebt. Wenn der, der sich gelobt hat, nie mehr seine Finger zu verbrennen, trotzdem die Wärme spürt, sich zu verlieben. Überall, wo Hoffnungslosigkeit auf Widerstand stößt und wo der Tod in allen seinen Formen Widerspruch erfährt und deshalb seinen Griff auf Menschen aufgeben muss, da gibt Gott sich zu erkennen. Als sichtbare, hörbare, erfahrene Wirklichkeit. Da „sehen wir seine Herrlichkeit“. Und wir können nicht genug auf die Orte aufmerksam sein, wo das vor unseren Augen geschieht.

Und dann sind da die Orte und Gelegenheiten, wo das nicht geschieht. Wo wir weder Lebenszeichen noch Zeichen der Liebe sehen können, die von Gott und seiner Gegenwart zeugen. Wo wir keinen Grund sehen zu glauben. Wo wir sehen und erfahren, dass das, was Jesus sagte und zeigte, nicht glaubwürdig ist, weil unsere Wirklichkeit nicht so aussieht. Wir sehen und erfahren ja nicht nur, dass Freude, Leben und Hoffnung Trauer, Tod und Missmut überwinden. Wir sehen und erfahren auch das Gegenteil. Dass das Geschwür bösartig war. Das die Scannung das zeigte, was wir befürchtet haben. Dass das furchtbare Unglück geschah. Dass das ein anderer war.

„Ja, wir glauben, aber Zweifel klebt wie eine Echse an unserem Glauben“ heißt es in einem Lied von Grundtvig, „der Tod spielt uns auf unseren Lippen, wo wir unter schatten wohnen“. Ein anschauliches Bild – der Tod, der auf den Lippen spielt, also uns zum Narren hält, der sagt: „Ha-ha, was habe ich gesagt?“ Das ist eine treffende Beschreibung, wie die Erfahrungen von Niederlage und Verlust von uns erlebt werden. Man macht sich lächerlich, ist zu gutgläubig, zu dumm.

Und man fragt sich, ob die Furcht, zu gutgläubig zu sein, nicht auch den königlichen Beamten überfiel, als er umkehrte und sich aus dem Kana der Freude hinab in das Kapernaum der Unsicherheit und der Schwachheit begab. „Geh hin, dein Sohn lebt“, sagte Jesus. Und der Vater glaubte dem Wort Jesu und ging hin. Aber das ist ein langer Weg von Kana nach Kapernaum. Auf der Landkarte 30 km. Und das ist ein schrecklich langer Weg in uns von Kana nach Kapernaum. Ganz gleich ob man sich durch die physische oder seelische Landschaft bewegt, da ist reichlich Zeit und Grund, in Zweifel zu geraten, ob die Worte: „Geh hin, dein Sohn lebt“, nun auch glaubwürdig genug sind, dass man mit ihnen seinen Weg gehen kann.

Und deshalb sind da im Evangelium einige ganz entscheidende, wichtige sonstige Personen, die man nicht übersehen darf. Denn die sind es, mit, denen wir andere uns identifizieren dürfen und die uns entgegenkommen, wenn wir es sind, die zweifeln. Das sind die Knechte. Die Knechte des Beamten. Sie kommen von da unten, wo der kranke Sohn lag. Sie kommen selbst aus Kapernaum. Aber sie kommen von dort mit dem Wort des Lebens und nicht mit den höhnischen und hoffnungslosen Worten des Todes. Sie kommen dem Vater entgegen mit einer kurzen und klaren Predigt: Sie erzählen, dass sein Sohn lebt.

Es sind die Knechte des Beamten, aber sie werden auch zu Knechten Gottes. Denn sie sind ausgesandt, um seine Osterbotschaft zu widerholen. Sie tun das, was seitdem auch unsere Aufgabe gewesen ist: Zeugnis abzulegen und auf die Wirklichkeit Gottes zu verweisen für die, die zweifeln. Dem höhnischen Spiel des Todes auf den Lippen zu widerstehen, nicht nur weil wir es besser wissen, sondern weil wir das Beste glauben: Zwar geht es bergab auf unserem Weg, aber es ist auch der Weg nach Hause. Zum Leben. Amen.

Pröpstin Margrethe Dahlerup Koch

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