Apostelgeschichte 6,8-14;7,54-60; Matthäus 10, 32-42

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Apostelgeschichte 6,8-14;7,54-60; Matthäus 10, 32-42

Christfest II | 26.12.23 | Apg 6,8-14;7,54-60; Mt 10, 32-42 (dänische Perikopenordnung) | Rasmus Nøjgaard |

Nostalgia

In memoriam Sancti Stephani[1]

Dieser Tag des Stephanus ist ein jähes Erwachen. Gestern am Weihnachtstag ging es um den Beginn aller Dinge mit der Geburt Jesu, die endlich das göttliche Licht in die Finsternis der Welt scheinen lässt, so dass wir nicht mehr warten müssen, sondern schon jetzt als geliebte Kinder Gottes leben können. Wo die Weihnachtstage mit den weißen und strahlenden Messgewändern gefeiert werden, ist die Farbe des Sankt-Stephan Tages rot. Das ist die Farbe des Blutes du des Feuers vom Heiligen Geist.

Dieser Tag ist all den Christen gewidmet, die im Laufe der Zeit wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. In unserem Teil der Welt haben wir eine starke Tendenz, die Unterdrückung und Verfolgung der Christen in anderen Ländern zu übersehen, wir konzentrieren uns viel mehr auf die Unterdrückung anderer religiöser Gruppen in Dänemark und anderen westlichen Ländern. Es ist auch richtig, erst vor der eigenen Tür zu kehren, ehe wir uns der Brüder und Schwestern in anderen Ländern annehmen. Auf den verlässlichsten Listen über Religionsverfolgung erscheint Nordeuropa als eine der sichersten Gegenden in der Welt für die Ausübung der eigenen Religion jeglicher Konfession. Auf die ganze Welt gesehen war es lange so, dass die am meisten verfolgten Gruppen Christen sind. Sie werden aktiv in einer Reihe von Ländern verfolgt, häufig mit tödlichen Folgen. Die zurzeit gefährlichsten Länder sind Nordkorea, Afghanistan, Somalia, Libyen, Pakistan, Sudan, Eritrea, Jemen, Iran, Indien Syrien und Westjordan, wo die sehr wenigen zurückgebliebenen Christen noch immer verfolgt werden und wo die Konversion zum Christentum nicht selten Strafe und Tod zur Folge hat. In anderen Ländern ist es mit großer Gefahr, physischer Verfolgung und politischer und sozialer Isolation verbunden wie z.B. im Irak, Saudi-Arabien, Ägypten, Myanmar, Vietnam, Türkei, China, Äthiopien, Nepal, Bhutan, Marokko, Katar und Kenia, während Länder wie Oman, die Vereinten Arabischen Emirate, Sri Lanka und Aserbajdjan mildere Formen der Christenverfolgung kennen. Weltweit nehmen direkte Christenverfolgungen ständig zu, und nichts deutet darauf hin, dass sich diese Tendenz in den nächsten Jahren ändert.

Wenn ich diese traurige Lage nenne und die einzelnen Länder erwähne, so nicht um anzuprangern und anzuklagen, sondern um die ernste Problemstellung zu konkretisieren, die wir Dänen, und mit uns der größte Teil der säkularisierten Welt, in fast überraschender Weise ignorieren. Unter den vielen NGO-Leuten, die mit Verfolgten arbeiten, gibt es überraschend wenige, die sich mit den Christen als verfolgter Gruppe beschäftigen. Wann hast du selbst von Christenverfolgung gehört – und von aktiver Hilfe für unsere christlichen Brüder und Schwestern? Die Bibelgesellschaft unterstützt viele verfolgte christliche Gemeinschaften mit Bibeln und Trauerbewältigung auf biblischer Grundlage, der ausgezeichneten Methode der biblischen Seelsorge (Trauma Healing), wo man auf der Grundlage des Glaubens und der Bibel Traumatisierten und anderen Leuten in existentieller Krise wieder aufhilft. Ansonsten sind es nur kleine NGOs, die in diesem Feld arbeiten, z.B. die internationale Organisation Open Doors.

Ich erwähne diese konkreten Dinge in Bezug auf verfolgte Christen heute, um einen konkreten Hintergrund für die Schriftstellen zu bieten, die mit dem zweiten Weihnachtstag verbunden sind, dem Sankt Stephanstag. Sie sind schwer zu verstehen, wenn wir nicht die Wirklichkeit der Zeit kennen, als diese Texte entstanden: Es war die Zeit der Besatzung und der Verfolgungen. E s war nicht nur die römische Besatzungsmacht, die die ersten Christen verfolgte, sondern es waren auch ihre eigenen Verwandten und Familien, und sie wurden aus den sozialen Beziehungen ausgeschlossen. Es waren Brüder und Schwestern, Väter und Mütter, Familienmitglieder und enge Freunde, die die ersten Steine warfen. Nur mit diesem Wissen macht es Sinn, die Geschichte von Stephanus zu hören und entsprechend aus dem Matthäusevangelium die Worte Jesu:

„Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren. Wer sein Leben verliert um meinet willen, der wird’s finden. Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (Matthäus 10,39-40).

Nur auf dem Hintergrund können wir verstehen, dass Jesus gesagt hat, dass er das Schwert nicht begraben hat, sondern andere dazu veranlasst hat, es zu ergreifen. Auch wenn es nicht seine Jünger sind, die das Schwert ergreifen. Sie sind es vielmehr, die die scharfe Klinge des Schwerts spüren werden. Jesus fordert nicht zu Unfrieden auf, vielmehr will er Gleichheit und Gerechtigkeit nicht nur für wenige, sondern für alle Völker. Aber er weiß, dass eben diese Predigt zu Streit führen und Brüder gegeneinander aufbringen wird.

Die Geburt des kleinen Kindes kündet von einer neuen universellen Botschaft, dass man nicht unbedingt loyal sein muss gegenüber der Familie und der religiösen Praxis.  Jesus predigt stattdessen, dass wir seiner Barmherzigkeit und seinem Willen zur Versöhnung folgen sollen.  Das ist nicht die Sprache des Schwertes, sondern die Sprache der Vergebung. Der Christenmensch löst sich von der Blutsverwandtschaft, er bekommt eine neue geistliche Familie, die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, die Kirche, die Christenheit. Der Christ ist nicht allein dazu verpflichtet, die Hand über seine Familie und seine Verwandtschaft zu halten, sondern über jeden anderen Menschen unter Gottes Himmel.  So wie wir das in der Taufe sichtbar machen, wo wir die neue Verwandtschaft feiern, dass wir nun den Fürsten des Friedens unseren Herrn und Erlöser zum Vater haben.

Jesus sieht den Konflikt, der entstehen wird, wenn die Christen mit alten Traditionen und mit der alten Ordnung brechen und wenn seine Jünger stattdessen der Botschaft Jesu folgen, ihrem neuen ethischen Kompass. Das ist die Hoffnung auf ein neues Utopia, wo der Löwe mit dem Lamm grasen kann und das Kind seine Hand in die Höhle der Schlange stecken kann. Und das ist eine Auseinandersetzung mit dem Gegensatz, der Retro-pia, dass alles Retro das große Glück ist und die Vorstellung: Wenn alles wieder werden könnte wie früher, wird alles wieder gut. Aber die, die wieder alles haben wollen wie früher, leben in einer falschen Nostalgia, und die ignorieren die Schattenseiten der Vergangenheit. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen, aber auch ihre Qualitäten und Möglichkeiten. Das gilt natürlich auch heute.

Tradition bedeutet nie Nostalgie, sondern ganz im Gegenteil das weitergeben, was wertvoll ist. Traditio auf Lateinisch bedeutet gerade das weiterzugeben, was Bedeutung hat. So wie wir unsere Geschichte und unsere Erfahrungen an neue Generationen weitergeben, aber an das Verstehen, die Auslegung und die Anwendung einer neuen Zeit. Tradition und Erneuerung sind zwei Seiten ein und derselben Sache. Wir sollen aus der Geschichte lernen, nicht sie wiederholen.

Dieses ganze 10. Kapitel des Matthäusevangeliums ist der Arbeit der Jünger gewidmet, ihrer Mission. Ihnen wird auferlegt, Frieden zu bringen, die Kranken zu heilen und die Gefangenen zu befreien. So wie sie nicht anderen zur Last liegen sollen, sondern selbst ihr Geld verdienen sollen, und sie sollen demütig und redlich um Erlaubnis bitten, in das Haus und unter das Dach eines Fremden einzutreten, und werden sie abgewiesen, sollen sie den Staub von den Füßen schütteln und unverdrossen weitergehen. Jesus erzählt ihnen, dass sie Apostel des Friedens sein sollen, sie sollen sein wie Schafe unter Wölfen, freigiebig und freundlich, an ihrer Demut soll man sie erkennen, aber auch an ihrer Hartnäckigkeit und Klugheit. Es wird ihnen eingeschärft, sich nie erhaben zu fühlen über andere, denn auch wenn Jesus sie aufgeweckt und hinaus in die Welt geschickt hat, sind sie nicht Herr über Gott, sondern sie sind seine Kinder und Gesandten. So wie wir alle Gottes Kinder sind und einander Schwester und Brüder. Das bedeutet überraschend, dass Sklaven nun frei sind, dass die frau nicht ihrem Mann unterworfen, dass ein Sohn nicht blind seinem Vater und seiner Mutter gehorchen soll. Das ist das Evangelium der Freiheit für Geist und Körper.

So ist das Evangelium nicht immer gepredigt worden, und so hat sich die Kirche und ihre Macht nicht immer aufgeführt. Wenn und Angst und Furcht überwältigen, dann lassen wir die Finsternis über uns kommen, und der Himmel verliert seine leuchtende blaue Farbe und der Stern von Bethlehem seine Kraft. Dann wenden wir uns an Brüder und Schwestern, und wir sind bereit, Freude anzuzeigen und zu verurteilen, als seien sie unsere Feinde. Es liegt in der Natur der Furcht, dass wir unruhig werden und Feindbilder aufbauen, die sogleich rechtfertigen, dass wir mit Feuer und Schwert losfahren. Unfriede und Feindschaft leben aus Furcht und Zorn, die durch das Gefühl genährt werden, das Recht, die Geschichte und das Urteil auf seiner Seite zu haben.

Wenn wir uns geradezu dazu berufen fühlen, einzugreifen und unser eigenes Recht durchzusetzen. Die Botschaft des Evangeliums ist jedoch eine ganz andere. Das Evangelium verweist uns auf die Demut Christi selbst, sowohl in dem von ihm gelebten Leben, wo er Bekannten wie Fremden mit derselben Liebe und Offenheit begegnet. In dieser Zeit feiern wir, dass Gott selbst Kind war wie wir, und gerade jetzt liegt er da im Stall in der Krippe, verletzlich und mit dem eindringlichen Blick der Liebe:

Erbarme dich meiner. Begegne jedem meiner Geringen, als wäre ich es. Versöhne dich mit meinen Brüdern und Schwester, und lerne den Weg der Demut und des Friedens. Das ist der liebende Wille meines Vaters.

Der dänische Dichter Grundtvig kann das alles immer viel kürzer formulieren, und mit einer einzigen Strophe weckt er uns milde zu einem wahren Christenglauben mit den zarten Tönen der Weihnacht:

„Geht nun frei,

wohin es sei,

an Gottes Gnad‘ euch haltet!

Er gibt uns dann auch Glück und Mut,

dass wir hier dienen recht und gut,

so wie er selber waltet.“[2]

Amen.

Pastor Rasmus Nøjgaard

DK-2100 København Ø

Email: rn(at)km.dk

[1] Der zweite Weinachtstag wird in Dänemark nach alter Tradition als Sankt Stefanstag begangen.

[2] Grundtvig: Morgenstund hat Gold im Mund. Deutsch Dänisches Kirchengesangbuch Nr. 752, V. 4. Aus dem dänischen Gesangbuch Nr. 751: Morgenstund har guld i mund.

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