Das Gebet ändert nicht Gott…

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Das Gebet ändert nicht Gott…

Das Gebet ändert nicht Gott, sondern den Betenden[1] | Predigt zu Markus 9,14-29 | von Leise Christensen | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

 

Heute geht es um das Beten. Um den Glauben daran, dass Unglaubliches geschehen kann durch Gebet. Der Glaube und das Gebet sind der Dreh- und Angelpunkt des heutigen Textes. Ich denke dabei an das Spannungsfeld zwischen Glaube und Gebet und daran, was in einem Gebet geschieht. Ist es so: Wenn wir nur genug glauben und beten, können wie sicher sein, dass uns Gutes widerfährt? Wohl kaum! Mir geht es jedenfalls nicht so. Ich bin aufgewachsen mit zwei anderen Kindern in der Nachbarschaft, wo wir wohnten, ein Junge und ein Mädchen, beide waren in meiner Welt bedeutende Personen. Wir gingen in dieselbe Klasse bis zum Abitur, und mit einem von den beiden habe ich auch zusammen studiert. Freundschaften, die bis heute gehalten haben. Aber wie das so in den meisten Lebensläufen ist, es passierte auch etwas in unseren Leben. Das Mädchen war streng religiös erzogen und hat damit lange gelebt, bis sie sich kurz vor ihrem 30. Lebensjahr von all dem resolut abwandte. Der Junge wurde zur gleichen Zeit ernsthaft krank und war dem Tode nah, erholte sich aber schließlich einigermaßen von der Krankheit. Aber während seiner Krankheit sagte die Mutter des Mädchens, die den Jungen natürlich auch kannte und sehr mochte, sie solle für ihn beten, damit er wieder gesund würde. Und das Mädchen, gerade voll dabei, sich mit ihrem Eltern kritisch auseinanderzusetzen, fragte voller Verachtung, ob die Mutter wirklich daran glaube, dass das Leben des Jungen von den Gebeten irgendeiner zufälligen Person abhänge.

Seht, das ist im Grunde die Kernfrage zum Gebet: Nützt es überhaupt, und warum hilft es nur manchmal, aber nicht immer? Warum konnten die Jünger im heutigen Evangelium nicht das, was Jesus konnte, nämlich den Jungen von seiner Epilepsie heilen? Glaubten sie nicht genug? Beteten sie nicht genug? Die meisten haben das wohl erlebt, dass man nicht erhört wird, dass man „nicht gut genug war“ und damit erlebte, dass durchaus nichts geschah von dem, wofür man gebetet hatte. Dass sie mit leeren Händen dastanden. Die Misere entsteht wohl, weil wir Menschen eine Tendenz haben, Gott mit dem Weihnachtsmann zu verwechseln: Du kriegst, was du dir wünschst, heißt es in einem dänischen Lied dazu.

Unsere spätmoderne Gesellschaft, wie sie sich heute darstellt, passt nicht so gut zum Wesen des Gebets. Da gibt es sozusagen mehrere Dinge, die den Gedanken an das Gebet erschweren. Erstens ist es für viele sehr beschäftigte Menschen grenzüberschreitend, überhaupt zu erkennen, dass man in einer Lage ist, wo man Hilfe braucht – nicht nur Hilfe vom Nachbarn, um das neue Sofa ins Haus zu tragen, sondern Hilfe im existenziellen Sinn. Dass das Leben weh tut, dass das Leben leer und oberflächlich erscheint, dass man geistig gesehen in einer Weise abgehängt ist, dass es einen schockiert, wenn man beten möchte, und dass es einem fremd vorkommt, wenn da keine Tradition ist und ein Verhaltensmuster, das man aus seinem Leben kennt. Ja, es kann einen schockieren, auf das Gebet angewiesen zu sein, also etwas Immaterielles, dessen Wirkung man nicht kennt. Dann nimmt man doch lieber eine Pille. Zweitens leben wir in einer Gesellschaft, die eine immer härtere Rhetorik entwickelt gegen Religion und religiöse Ausdrucksformen, wo so etwas wie Gebet lächerlich gemacht wird: Was soll denn Beten ehrlich gesagt helfen? Ist das nicht bloß ein Weihnachtsmann, ein Heinzelmännchen, ein Trostlappen, die wir vor den Toren des Himmels abgelegt haben? Und hat der in sich selbst ruhende Mensch, der der Redakteur seines eigenen Lebens ist, überhaupt einen Bedarf für das Gebet? Kann man nicht einfach wie üblich sagen: „Daran arbeiten wir“, „das wird schon gehen“ oder „das wir der Arzt schon hinkriegen“ und andere Ausdrücke, die auf der Annahme beruhen, dass der Mensch das schon hinkriegen wird, wenn er sich nur ordentlich darum bemüht.

Ich glaube aber, dass die Wahrheit des Gebets  irgendwo zwischen der Mutter meiner Freundin liegt, die behauptete, unser gemeinsamer Freund könnte durch die Intervention meiner Freundin im Gebet gesund werden, und der oberflächlichen Ablehnung des Gebets als eines kindischen Trostes. Es ist klar – wenn nicht anders, so aus Erfahrung: Das Gebet ist nicht dasselbe wir ein Bestellzettel, den man an ein Warenhaus schickt. Aber das ist auch nicht das Wesen des Gebets. Nicht überraschend kommt das Gebet oft zur Sprache, wenn die Not am größten ist, und das ist sie bekanntlich oft in Verbindung mit Krankheit, eigener Krankheit oder Krankheit in der Familie oder in diesem Fall die Krankheit eines Kindes. Es gibt einen Schriftsteller, der darüber nachgedacht hat. Der englische Autor C.S. Lewis – bekannt u.a. wegen seiner Narnia-Bücher – heiratete in einem späten Alter eine amerikanische Frau, die er sehr liebte. Sie hatten nur ganz wenige Jahre zusammen, ehe sie an Knochenkrebs erkrankte und nach einer Zeit mit schweren Leiden verstarb. Lewis betete für sie, für die Bekämpfung der Krankheit, für Leben, Segen und glückliche Tage – so wie die Jünger für den kranken Jungen beteten. Aber sie starb. Da wurde ihm klar, schreibt er in sein Tagebuch, dass das Gebet nicht Gott verändert, sondern den Menschen. Was Lewis hier sagt, kann man in verschiedener Weise verstehen, so wie man auch das Gebet verschieden verstehen kann. Eine der Einsichten, zu denen Lewis gelangte und die, wie ich glaube,  sehr wichtig ist, ist die, dass das Gebet ihn in dem Sinne verändert, dass er nicht mehr mit aller Macht das Unabwendbare verändern wollte. Das er vielmehr imstande war, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen und ihr gegenüber seine Ohnmacht zu erkennen und sein Vertrauen zu Gott zum Ausdruck zu bringen.

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben“. Diese Veränderung, die das Gebet bewirkte, liegt hier in der im Menschen aufkommenden Möglichkeit, die Situation zu ertragen, die unerträglich und unmöglich erscheint. Das Gebet veränderte den Menschen, veränderte C.S. Lewis. Aber es ist ein schwerer Prozess, dahin zu gelangen – das hat Lewis erfahren – wie auch viele von uns das erfahren müssen. Gebet ist in diesem Sinne eine Art existenzieller Atem, der einem ein Timeout vom Alltag mit zuweilen schweren Situationen gewährt. Ja aber, wird jemand vielleicht fragen, hilft es denn nicht konkret, wenn man betet? Wenn es also nur ein existenzielles Ventil ist? Der Atem des Christentums ist das Gebet, und mit ihm können wir uns wieder im Leben reorientieren. Gebet ist Reorientierung. Gebet heiß neue Lebenswege. Aber Gebet ist auch Erhörung, ein Ort der Begegnung mit Jesus. Es ist auch der Ort, wo wir in unserer Ohnmacht und vielleicht in unserem Unglauben gehört werden. Der Horizont Gottes ist ein anderer als der des Menschen, auch wenn wir glauben, dass wir alles von dort überschauen können, wo wir stehen. Ich glaube, das ist eine Erfahrung, die die meisten Menschen machen: Dass die Lösung eines Problems eine ganz andere ist als das, was man geglaubt, worum man gebeten und was man vorausgesetzt hatte. Es ist auch Erhörung, etwas anderes zu hören oder zu empfangen, das ist auch eine verschlossene Tür, die sich öffnet. Etwas anderes wird gegeben. Gebet ist, dass man einen Ort hat, wo man seine unerträglich großen Sorgen und sein tiefes Leid ablegen kann, ein Ort, wo man sagt: „Ich kann nichts mehr tun, tu du etwas für mich, Gott. Ich glaube, Gott, hilf meinem Unglauben“.

Was meine beiden Nachbarskinder anbetrifft, ja so wurde der junge Mann, der nun wie ich schon ziemlich alt ist, fast gesund. Ich habe die Sache seitdem sowohl mit ihm als auch unserer Freundin diskutiert – über die Diskussion – um nicht zu sagen den Streit – über Gebet und Fürbitte mit ihrer Mutter. Wie das zusammenhängt, können wir nicht wissen. Aber eine andere Seite vom Wesen des Gebets, jedenfalls vom Wesen der Fürbitte, also dies, dass man für das Wohl und das Leben eines anderen Menschen betet, das gibt dem Notleidenden Stärke und Dankbarkeit. Unser Freud war darüber tief bewegt, dass jemand für ihn betete – auch als er selbst nicht mehr beten konnte und die Hoffnung verloren hatte. Schließlich wird Jesus für uns beten, wenn wir es selbst nicht mehr können. Ganz allein sind wir nie in der Not. Mitten im Lärm der Welt gibt es nicht viele Dinge, die feststehen, aber es gibt einige Dinge, die feststehen, einige wenige Dinge, die unveränderlich sind: das Wesen und die Möglichkeit des Gebets, die Kraft und Gnade der Taufe und der unveränderliche Wille Gottes, uns mit seiner Liebe zu erreichen. Das erfuhr der Vater im heutigen Evangelium, als er in seinem Unglauben glaubte. So ist es auch für uns. Amen.

 

Pastorin Leise Christensen

DK 8200 Aarhus N

Email: lec(at)km.dk

[1] Zitat von Søren Kierkegaard – hier nach C.F. Lewis

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