Das Jahr des Herrn

Das Jahr des Herrn

Erster Advent 2020 | Matthäus 21,1.9 (dänische Perikopenordnung) | von Laura Lundager Jensen |

Das Jahr des Herrn

”Sei willkommen, Jahr des Herrn“, so beginnt das bekannte dänische Adventslied von Grundtvig.

„Willkommen hier“, so begrüßen wir das neue Kirchenjahr – mit seiner Reihe von liebgewonnenen Festen: Weihnachten, Ostern, Pfingsten.

In ganz Dänemark haben heute die Gemeinden in dieser Weise das Jahr mit diesem Lied begrüßt. Denn heute feiern wir das kirchliche Neujahrsfest, wir feiern, dass wir wieder ein Jahr in die Hand Gottes legen. Noch ein Jahr in die Hand Gottes.

Anno Domini sagte man früher, Jahr des Herrn, und dieses Gnadenjahr ist nicht nur im Kommen, es ist schon da.

So haben wir es auch vor einem Jahr gesungen.

Ohne zu wissen, dass das Jahr, das uns bevorstand, ein Jahr werden würde, das wir nie vergessen werden. Ein Jahr, wo Bilder mit Lastwagen mit Särgen auf dem Wege aus einer europäischen Großstadt sich in unser Gedächtnis einprägten. Ein Jahr, in dem man versuchte, die Gemeinschaft mit Gesang vom Balkon aus am Leben zu erhalten.

Ein Jahr, in dem Trauer und Leid und Unsicherheit herrschten.

Ein Jahr, in dem es so riskant wurde, sich zu begegnen und gemeinsam zu singen, dass selbst die Kirchen geschlossen wurden.

Ein Jahr, in dem Desinfektionsmittel, Gesichtsmasken und Schutzmasken allgemein üblich wurden. Und wo Ansteckungsgefahr ein tägliches Thema war.

Ein Jahr, in dem sich Herren beiderlei Geschlechts erhoben und Entscheidungen für alle trafen.

Und wir alle, die wir dazu erzogen sind, für Freiheit und Selbständigkeit zu kämpfen, wir, die wir uns nicht Regeln und Verfügungen von Behörden unterwerfen, wir, die wir vernünftige Erklärungen und Beweise verlangen, wir, die wir es normalerweise schätzen, Herr im eigenen Hause zu sein – wir ergaben uns ganz einfach und pflichtbewusst – denn wir wussten es nicht besser als die Herren der Welt, wir trauten uns nichts anderes, und das war wohl gut so.

Aber dass das Jahr des Herrn in dieser Weise ein Jahr des Herren wurde, im negativen Sinne dieser Wendung, den das auch haben kann – daran hatte niemand gedacht.

Heute am ersten Advent singen wir wieder vom „Jahr des Herrn“.

Wohl wissend, dass das vergangene Jahr Krankheit gebracht hat und Leid, wogegen es noch kein Heilmittel gibt. Wohl wissend, dass die Verwundungen an den Seelen, die das alte Jahr gebracht hat, mit in das Jahr hineinreichen, das wir nun beginnen. Wohl wissend, dass die Herren der Welt noch viele Entscheidungen treffen müssen. Entscheidungen, die auch uns betreffen und Konflikte schaffen und die Freiheit begrenzen werden.

Aber – und gerade deshalb heißen wir das Jahr willkommen – begrüßen das neue Kirchenjahr im Vertrauen darauf, dass es sich in unser allgemeines Kalenderjahr einflicht und wir Kraft und Mut erhalten, das Leben auf uns zu nehmen, wie es sich für uns ergibt. Dass wir den Mut bekommen, das Haupt zu erheben und sehen, was Gott mit uns im kommenden Jahr vorhat, und was er sein Wille war im vergangenen Jahr.

Dass wir das neue Kirchenjahr nun mit der Erzählung von Palmarum beginnen, gibt uns zu denken. Denn gerade diese Geschichten betont die Stärke und die Kraft und das Wunder der Gegenwart Gottes in der Welt.

Denn er Einzug Jesu in Jerusalem ist in einer gewissen Perspektive eine Erzählung über Vorstellungen, die zerbrachen, und Träume, die sich nicht erfüllten – eine Erzählung über Leid und Entbehrungen und  enttäuschten Erwartungen und Vorstellungen, die Erzählung vom Kommen unseres Herrn, die Erzählung von unserem Gott, der sich in die Welt begibt, sanftmütig und auf einem Esel reitend, ohnmächtig wie das Kind in der Krippe, aber mit der Macht, Leiden und Trauer in Auferstehung und Freude zu verwandeln.

Das Evangelium redet in die Wirklichkeit hinein, in der wir jetzt leben, und es erlaubt uns weder, in der Vergangenheit hängen zu bleiben, noch in die Zukunft zu flüchten in der Erwartung, dass dann alles besser wird.

Stattdessen gebietet es uns, die Gegenwart und in ihr einander anzunehmen. Um aus der Gegenwart Mut und Stärke zu schöpfen, uns in eine Zukunft zu bewegen, die wir nicht kennen, von der wir aber wissen, dass sie in Gottes Händen liegt.

Ein Jahr klüger in Bezug auf das vergangene Jahr, was es auch gebracht hat an Aufmerksamkeit und Gemeinschaft und Sinn für die, die in Einsamkeit und Angst leben. Ein Jahr, klüger darin, dass Freiheit auch bedeutet, sich frei zu bewegen, in die Arme zu nehmen, zu singen, aber auch etwas anderes, sich mutig einzustellen auf die Hoffnung und den Glauben daran, dass Gott mit uns ist in dem Leben, das uns beschieden sein mag. Ein Jahr klüger in Bezug darauf, dass Gemeinsinn nicht nur darin besteht, das zu tun was die Herren dieser Welt für gut, richtig und vernünftig halten, sondern auch darin, zu sehen, dass der Nächste der Einsame ist, der Ängstliche, der Gestresste – wir entdeckten, dass wir eine Hand reichen konnten, ein Lächeln zeigen – trotz Gesichtsmaske und Handsprit und was das etwas bedeutet.

Das Evangelium von dem König, der uns entgegenreitet, ist die Erzählung darüber, wie die Zeit der Gnade über Zeit und Raum hinweg in all ihrer Macht und Gewalt eingreift und die Welt verändert, von der wir glauben, nur wir allein könnten sie überschauen und beherrschen. Das Leben, das wir in Verzweiflung und Ohnmacht allzu leicht mutlos verraten, weil wir es nicht auf uns nehmen und mit Liebe und Freude erfüllen.

„Macht die Tore weit und die Türen der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe“, schrieb der Psalmist (Ps. 24,9), legt die „Waffen des Lichts an“. Schreibt Paulus an seine Gemeinde in Rom. „Siehe, dein König kommt zu dir“, heißt es in der Erzählung vom Einzug in Jerusalem.

Freut euch und heißt das Jahr des Herrn willkommen, hören wir heute, und das ist die Weisheit, die uns heute geschenkt wird. Die Weisheit, die Prognosen und Statistiken überbietet und hartnäckig behauptet, dass das Jahr des Herrn heute beginnt und uns Freude bringt an jedem Tag des Herrn – und dass der heutige Tag der Beginn eines Gnadenjahres ist, das uns eben Freiheit und Geborgenheit schenkt. Das eben befreit uns dazu. Das Leben unbefangen und unbesorgt aufzunehmen, was auch kommen mag und was der Kalender auch bereithalten möge. Denn wir dürfen unser Leben ausleben und leben zu Ehren Gottes und seiner Gnade.

Nehmt diese Weisheit an. Denn das uralte Jahr des Gnade wird heute ganz neu in unsere Hände gelebt –  passt gut auf es auf!

En gutes neues Jahr!

Amen.

Pastorin Laura Lundager Jensen
Langetoften 1, Osted
DK-4320 Lejre
E-mail: luje(at)kp.dk

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